Die unverheirateten Eltern des Kindes übten die elterliche Sorge gemeinsam aus; überwiegend befand sich das Kind im Haushalt der Antragstellerin. Mit Beschluss des Familiengerichts vom 05.10.2018 hat es ein Umgangsrecht des Antragstellers mit dem Kind geregelt. Eine dagegen von beiden Elternteilen wurde vom OLG zurückgewiesen. Mit dem weiteren, streitgegenständlichen Beschluss hat das Familiengericht ein Umgangsrecht dem Antragsteller ein Umgangsrecht in Form eines Wechselmodells (aufgeteilt nach geraden und ungeraden Wochen) eingeräumt, wobei es sich im Wesentlichen auf einen entsprechenden Kindeswillen stützte. Hiergegen wandte sich die Antragsgegnerin mit ihrer vom OLG zurückgewiesenen Beschwerde.
Das OLG verwies auf § 1696 Abs. 1 BGB, demzufolge eine Entscheidung zum Umgangsrecht zu ändern angezeigt sei, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt sei. Anders als bei Sorgerechtsentscheidungen könnten Anpassungen an veränderte Umstände schon dann angezeigt sein, wenn dies dem Kindeswohl diene. Die Änderungsschwelle könne bereits dann erreicht sein, wenn ein geänderter Kindeswille vorläge, insbesondere dann, wenn die Änderung auch schon praktiziert würde. Deser geänderte Kindeswille läge vor und das paritätische Wechselmodell würde bereits seit Mai 2021 praktiziert.
Betont wurde vom OLG, dass es nicht übersehen habe, dass es in dem vorangegangenen Beschwerdeverfahren ausgeführt habe, dass es für ein Wechselmodell an einer ausreichenden Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern ermangele und dies nach Einschätzung des Jugendamtes weiterhin gelte. Während eines im laufenden Meditationsverfahrens, so die Antragsgegnerin, sie sie vom Antragsteller beleidigt worden, der ihr kriminelles Verhalten vorwerfe, und der Antragsteller habe während es laufenden Meditationsverfahrens Strafanzeige gegen die Antragsgegnerin (wegen eines von ihm dem Kind geschenkten Handys, welches die Antragsgegnerin veräußert haben soll) erstattet. Ein Fahrradunfall des Kindes im April 2021 habe wegen fehlender Einigung der Eltern über die erforderliche ärztliche Behandlung zu einem noch anhängigen Sorgerechtsstreit geführt. Das Jugendamt schätze, dass der massive Elternkonflikt, dem das Kind schutzlos ausgesetzt sei, seit 2018 anhalte.
Die Frage, ob ein Wechselmodell geboten sei, sei unter Berücksichtigung anerkannter Kriterien des Kindeswohls zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 27.11.2019 - XII ZB 512/18 -). Das Kommunikations- und Kooperationsverhalten der Eltern sei dabei nur ein Abwägungsgesichtspunkt. Dieser könne im Einzelfall auch zurücktreten. Derselbe würde dann zurücktreten, wenn zu erwarten sei, dass das Wechselmodell die Belastung des Kindes durch den Elternkonflikt nicht noch verstärke, ggf. sogar vermindere. Damit seien die Vor- und Nachteile des jeweiligen Betreuungsmodelle wertend gegeneinander abzuwägen.
Das OLG sah in dem Wechselmodell gegenüber anderen Gestaltungen, wie den vorher praktizierten erweiterten Umgang des Antragstellers, nach dem „Prinzip der Schadensminimierung“ das für das Kind am wenigsten schädliche und damit im Vergleich beste Betreuungsmodell. Dabei sie aus seiner Sicht mir entscheidend, dass sich das Kind im Verfahren mehrfach für das Wechselmodell ausgesprochen habe. Obwohl es an der Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern ermangele, seien alle bedeutsamen Fragen für das Wechselmodell zwischen den Eltern geklärt und es funktioniere in der Praxis im Wesentlichen reibungslos. Wie sich aus den Angaben des Kindes, im Kern auch aus jener der Eltern ergäbe.
Eine Beeinflussung des Kindes schloss das OLG aus. Vielmehr ging es von einem bei der Kindesanhörung hohen Gerechtigkeitsempfinden des 11 ¾ Jahre alten Kindes aus, welches zu respektieren sei. Eine fehlende Respektierung seines Willens durch Nichtbeachtung wurde vom OLG als mit der Gefahr verbunden angesehen, dass dies zu einer Schwächung der kindlichen Selbstwirksamkeitserwartung mit negativen Folgen für seine psychische Entwicklung verbunden sein könnte. Mit zunehmenden Alter und Einsichtsfähigkeit komme dem Willen des Kindes vermehrt Bedeutung zu. Zur schutzwürdigen Persönlichkeitsentwicklung des Kindes gehöre auch dessen auf einem tief empfundenen Gerechtigkeitsgefühl beruhenden Wunsch nach Gleichbehandlung beider Eltern. Auch wenn ein Loyalitätsdruck bei dem Kind vorhanden sein sollte und es Ruhe haben wollte, würde doch der Wunsch nach hälftiger Betreuung eine psychische Lebenswirklichkeit darstellen, die schon aus diesem Grund zu respektieren sei.
Das schon seit Mai 2021 praktizierte Wechselmodell haben nach den Berichten des Verfahrensbeistandes des Kindes und des Jugendamtes keine nachteilogen Auswirkungen auf das Kind gehabt. Auch das Kind habe einen reibungslosen Ablauf des wöchentlichen Wechsels geschildert und in der Schule seien auch keine Probleme aufgetreten, was vom Jugendamt und den Eltern bestätigt worden sei.
OLG Dresden, Beschluss vom
12.04.2022 - 21 UF 304/21 -
Aus den Gründen:
Tenor
1. Die
Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts -
Familiengericht - Bautzen vom 28.04.2021 wird zurückgewiesen.
2. Von den
Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens tragen der Antragsteller und die
Antragsgegnerin jeweils die Hälfte. Außergerichtliche Kosten werden nicht
erstattet.
3. Der
Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der
Antragsteller und die Antragsgegnerin sind die Eltern des am xx.xx.2010
geborenen Kindes L. Sie waren nicht miteinander verheiratet und üben die
elterliche Sorge gemeinsam aus. Das Kind hat in der Vergangenheit überwiegend
im Haushalt der Antragsgegnerin gelebt.
Mit Beschluss
vom 05.10.2018 hat das Familiengericht den Umgang des Antragstellers mit seinem
Sohn L. dergestalt geregelt, dass dieser das Recht hat, mit seinem Sohn Umgang
alle 14 Tage in der Zeit von Donnerstag (Abholen in der Schule bzw. im Hort)
bis Dienstag (Bringen in die Schule) auszuüben. Der (periodische) Umgang ist in
diesem Umfang in der Vergangenheit von den Beteiligten praktiziert worden. Die
Beschwerde der Eltern gegen den Beschluss des Familiengerichts am 05.10.2018
hat der Senat mit Beschluss vom 22.01.2019 zurückgewiesen.
Mit dem
angefochtenen Beschluss, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird,
hat das Familiengericht nach Anhörung der Eltern und des Kindes sowie der
Bestellung eines Verfahrensbeistandes dem Antragsteller ein Umgangsrecht in
Form eines Wechselmodells in der geraden Woche von Montag (Abholung aus der
Schule) bis zum darauffolgenden Montagfrüh (Bringen zur Schule) eingeräumt.
Seine Entscheidung hat es im Wesentlichen auf einen entsprechenden Kindeswillen
gestützt.
Hiergegen
richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin, mit der sie die Aufhebung des
angefochtenen Beschlusses erstrebt. Sie macht u.a. geltend, dass die Anordnung
eines Wechselmodells nicht auf den Kindeswillen gestützt werden könne, da
dieser durch den Antragsteller manipuliert und beeinflusst sei. Im Übrigen
lägen auch die übrigen Voraussetzungen für ein Wechselmodell, nämlich eine
hinreichende Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern, nicht vor.
Der Antragsteller beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Der Verfahrensbeistand
und das Jugendamt haben sich für eine Aufrechterhaltung der angefochtenen
Entscheidung ausgesprochen.
Der Senat hat
die Eltern, das Kind und den Verfahrensbeistand persönlich angehört. Wegen des
Ergebnisses der Anhörung wird auf das Protokoll und den Anhörungsvermerk vom
22.06.2021 sowie auf das Protokoll und den Anhörungsvermerk vom 17.03.2022 und
das Kinderanhörungsprotokoll vom 21.03.2022 Bezug genommen. Das Jugendamt hatte
Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme.
Im Senatstermin
am 22.06.2021 haben sich der Antragsteller und die Antragsgegnerin in einer
Zwischenvereinbarung auf eine außergerichtliche Mediation verständigt, die auf
Wunsch der Antragsgegnerin vorzeitig beendet worden ist.
II.
Die zulässige
Beschwerde der Antragsgegnerin bleibt ohne Erfolg.
Das
Familiengericht hat zu Recht seinen Beschluss vom 05.10.2018, der einen
erweiterten Umgang des Antragstellers mit seinem Sohn L. von Donnerstag bis zum
Dienstag der darauffolgenden Woche vorsieht, gemäß § 1696 Abs. 1 BGB
abgeändert und mit dem angefochtenen Beschluss nunmehr ein paritätisches
Wechselmodell angeordnet.
1. Nach
§ 1696 Abs. 1 BGB ist eine Entscheidung zum Umgangsrecht zu ändern,
wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen
angezeigt ist. Dabei ist die Änderungsschwelle für Erweiterungen des Umgangs
niedriger anzusetzen als bei Sorgerechtsentscheidungen und können Anpassungen
an veränderte Umstände schon dann geboten sein, wenn dies dem Kindeswohl dient
(vgl. Staudinger/Coester [2019], § 1696 Rn. 13). Für das Erreichen der
Änderungsschwelle kann ein geänderter Kindeswille, insbesondere wenn die Änderung
auch schon tatsächlich praktiziert wird, genügen (vgl. OLG Hamm, FamRZ 2005,
746). Im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung des Kindeswohls kommt vorliegend
dem geänderten Willen des Kindes L. - unter Anwendung des Maßstabs des
§ 1696 Abs. 1 BGB - nach Überzeugung des Senats ein entscheidendes
Gewicht zu mit der Folge, dass ein paritätisches Wechselmodell anzuordnen ist,
welches zudem schon seit Mai 2021 von den Eltern in die Praxis umgesetzt wird.
2. Der
Senat übersieht dabei nicht, dass die von ihm in seinem Beschluss vom
22.01.2019 getroffene Feststellung, für ein Wechselmodell fehle es an einer
ausreichenden Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern, auch nach
Einschätzung des Jugendamtes und des Verfahrensbeistandes weiterhin Gültigkeit
besitzt. Eine vernünftige, am Kindeswohl orientierte Kooperation und
Kommunikation zwischen den Eltern ist auch derzeit kaum möglich. Es fehlt
weiterhin an gegenseitigem Respekt und Vertrauen. Eine von dem Antragsteller
und der Antragsgegnerin im Senatstermin am 22.06.2021 vereinbarte
außergerichtliche Mediation ist gescheitert. Die Antragsgegnerin hat hierzu
erklärt, sie habe die Mediation beendet, weil der Antragsteller sie fortlaufend
beleidigt und ihr ein kriminelles Verhalten unterstellt habe. An Absprachen,
die während der Mediation getroffen worden seien, habe sich der Antragsteller
im Nachhinein nicht gehalten. Der Antragsteller hat noch während des Laufs des
Mediationsverfahrens im Januar 2022 Strafanzeige gegen die Antragsgegnerin mit
der Begründung erstattet, diese habe ein Handy, das er L. zu Weihnachten 2020
geschenkt habe, an Dritte veräußert. Im Senatstermin am 17.03.2022 hat die
Antragsgegnerin berichtet, dass es mit dem Antragsteller derzeit keine
Kommunikation gebe. Der Antragsteller hat seinerseits geschildert, dass eine
Kommunikation der Eltern gegenwärtig nur über L...... oder über die Schule
stattfinde. Ein Fahrradunfall des Kindes im April 2021 hat zu seinem nach wie
vor noch anhängigen Sorgerechtsverfahren vor dem Familiengericht geführt,
nachdem die Eltern kein Einvernehmen über die erforderliche ärztliche
Behandlung erzielen konnten. Nach Einschätzung des Jugendamtes dauert der
massive Elternkonflikt, dem L. schutzlos ausgesetzt ist, seit dem Jahre 2018
bis heute unverändert an.
3. Nach
der Rechtsprechung des BGH, der der Senat folgt, ist die Frage, ob die
Anordnung des Wechselmodells geboten sein kann, unter Berücksichtigung
anerkannter Kriterien des Kindeswohls zu entscheiden (vgl. BGH, FamRZ 2020,
255, 257; FamRZ 2017, 532, 535). Dabei ist die Kooperations- und
Kommunikationsfähigkeit der Eltern aber nur ein Abwägungsgesichtspunkt, der im
Einzelfall zurücktreten kann. Auch bei hochkonfliktbehafteten Eltern kann das
Wechselmodell dem Kindeswohl entsprechen, und zwar dann, wenn zu erwarten ist,
dass das Wechselmodell die Belastung des Kindes durch den Elternkonflikt nicht
verstärkt, darüber hinaus die Belastung sogar vermindert (vgl. Wache, Anm. zu
OLG Bamberg, Beschluss vom 01.03.2019 - 7 UF 226/18 -, NZFam 2019, 574; Salzgeber,
NZFam 2014, 921, 929). Insoweit sind die Vorgaben des BGH zur gerichtlichen
Anordnung eines Wechselmodells nicht wie Tatbestandsvoraussetzungen zu prüfen,
sondern es sind die in Betracht kommenden Betreuungsalternativen zu untersuchen
und die jeweiligen Vor- und Nachteile für das betroffene Kind und seine Eltern
wertend gegeneinander abzuwägen (vgl. OLG Bamberg, FamRZ 2019, 979, 980 = NZFam
2019, 574; KG, FamRZ 2018, 1324, 1326; Hammer, FamRZ 2015, 1433, 1442).
3.1.
Nach diesen
Maßstäben entspricht die Fortsetzung des vom Familiengericht mit dem
angefochtenen Beschluss angeordneten paritätischen Wechselmodells nach
Überzeugung des Senats dem Wohl von L. am besten. Gegenüber anderen
Betreuungsgestaltungen, wie etwa dem zuvor praktizierten erweiterten Umgang des
Antragstellers mit seinem Sohn, stellt es nach dem „Prinzip der
Schadensminimierung“ das für das Kind am wenigsten schädliche und damit im
Vergleich beste Betreuungsmodell dar. Denn durch das Wechselmodell wird die
Belastung für L. jedenfalls nicht noch weiter erhöht.
Dabei ist aus
der Sicht des Senats entscheidend, dass sich L. im Verlauf des Verfahrens
mehrfach klar und eindeutig für ein Wechselmodell ausgesprochen hat. Daneben
fällt maßgeblich ins Gewicht, dass das Wechselmodell bereits seit Anfang Mai
2021 und damit seit nahezu einem Jahr praktiziert wird. Obgleich die
Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit des Antragstellers und der
Antragsgegnerin deutlich eingeschränkt sind, sind alle für die Durchführung des
Wechselmodells bedeutsamen Fragen zwischen den Eltern geklärt und funktioniert
das Wechselmodell in der Praxis im Wesentlichen reibungslos. Dies ergibt sich
aus L´s Schilderungen in der Anhörung durch den Senat und wurde im Kern auch
von den Eltern bestätigt.
3.2.
Der Senat geht
in Übereinstimmung mit dem Familiengericht und dem Verfahrensbeistand davon
aus, dass der Wille von L. nicht auf Manipulation oder Beeinflussung durch den
Antragsteller beruht, sondern seinem wirklichen Willen und seinen wahren
Bindungen zu beiden Elternteilen entspricht. Aufgrund der persönlichen Anhörung
von L. am 17.03.2022 hat sich der Senat davon überzeugen können, dass sein
Wunsch nach einer paritätischen Betreuung im Verhältnis 7/7 einem eigenen
tiefgreifenden Gerechtigkeitssinn entspricht und nicht bloß Ausdruck eines
vordergründigen Fairnessbedürfnisses ist. L. hat gegenüber dem Senat wiederholt
erklärt, dass er gleich viel Zeit bei seiner Mama und seinem Papa verbringen
wolle und ihm die jetzige Regelung am besten gefalle. Diese sei für ihn und
seine Eltern „gut“. Die Frage des Verfahrensbeistandes, ob er sich auch einen
längeren Aufenthalt als eine Woche bei seinem Vater vorstellen könne, hat er
verneint. An dieser Haltung hat er auch für den Fall festgehalten, dass sich sein
Stiefbruder M., mit dem ihn ein gemeinsames Hobby verbindet und mit dem er sich
nach dem Eindruck des Senats besonders gut versteht, länger als eine Woche bei
seinem Vater aufhielte. L. hat auf mehrfache Nachfragen des Senats bekräftigt,
dass die Betreuung durch seine Eltern im wöchentlichen Wechsel „gerecht“ sei.
Er hat hinzugefügt, dass es seinem Papa, aber auch ihm selbst mit dieser
Regelung „besser gehe“. L...... hat seinen Wunsch ferner nachvollziehbar damit
begründet, dass er im Haushalt seines Vaters seine Halb- und Stiefgeschwister
treffe und es bei seiner Mama „manchmal langweilig“ sei. Vor diesem Hintergrund
ist der Senat davon überzeugt, dass der Wunsch von L. nach einer hälftigen
Betreuung durch seine Eltern der tatsächliche Wille des Kindes ist.
Das in der
Kindesanhörung deutlich zum Ausdruck kommende hohe Gerechtigkeitsempfinden von
L. ist zu respektieren. Eine Nichtbeachtung des Willens des fast elf drei
Viertel Jahre alten Kindes birgt die Gefahr einer Schwächung der kindlichen
Selbstwirksamkeitserwartung mit voraussichtlich negativen Folgen für seine
psychische Entwicklung. Grundsätzlich kommt dem Willen des Kindes mit
zunehmendem Alter und Einsichtsfähigkeit vermehrt Bedeutung zu. Nur dadurch,
dass der wachsenden Fähigkeit eines Kindes zu eigener Willensbildung und
selbstständigem Handeln Rechnung getragen wird, kann erreicht werden, dass das
Kind sich durch Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und
gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit entwickeln kann (vgl. BVerfG, FamRZ 2018,
2166, 268; FamRZ 2008, 1737, 1738; OLG Köln, FamRZ 2020, 35, 36; OLG Nürnberg,
NZFam 2017, 185). Zur schutzwürdigen Persönlichkeitsentwicklung des Kindes
gehört auch dessen auf einem tief empfundenen Gerechtigkeitsgefühl beruhender
Wunsch nach Gleichbehandlung beider Eltern (so JHA/Rake, Familienrecht, 7.
Aufl., § 1684 BGB Rn. 47).
3.3.
Zwar ist es
auch nach Auffassung des Senats nicht fernliegend, dass der geäußerte
Kindeswille von dem Loyalitätsdruck der Eltern beeinflusst ist und er auch den
von dem Verfahrensbeistand geschilderten Wunsch von L...... nach Ruhe
signalisiert. Gleichwohl stellt der konstant geäußerte Wunsch nach hälftiger
Betreuung eine psychische Lebenswirklichkeit dar und ist schon allein aus
diesem Grunde zu respektieren. Es ist zudem nicht ersichtlich, dass die
Äußerungen des Kindes den wirklichen Bindungsverhältnissen widersprechen und
deshalb unbeachtlich sein könnten (vgl. hierzu BVerfG, FamRZ 2016, 1917, 1918;
FamRZ 2015, 1093, 1094). L...... hat zu beiden Elternteilen eine enge und gute
Bindung.
3.4.
Die von der
Antragstellerin zuletzt im Senatstermin am 17.03.2022 beschriebenen
Verhaltensauffälligkeiten von L. stehen dem vom Familiengericht
angeordneten paritätischen Wechselmodell nicht entgegen. Derartige Verhaltensauffälligkeiten
sind, worauf das Jugendamt in seiner Stellungnahme vom 09.03.2022 zu Recht
hingewiesen hat, auch schon vor Einführung des Wechselmodells aufgetreten.
Ursache hierfür ist nicht das von den Eltern jeweils praktizierte
Wechselmodell, sondern der weiter andauernde massive Elternkonflikt, unter dem
L. erkennbar leidet und der ihn auch nach Einschätzung des Verfahrensbeistandes
stark belastet. Soweit aus der Sicht der Antragsgegnerin allein das
Wechselmodell zu einer Zunahme der Verhaltensauffälligkeiten von L. geführt
haben soll, fehlt es für diese subjektive Einschätzung der Antragsgegnerin an
belastbaren und verifizierbaren Tatsachen. Auch der weitere Vortrag der
Antragsgegnerin, das Wechselmodell biete dem Antragsteller im Vergleich zum
erweiterten Umgang größere Möglichkeiten, L. zu manipulieren, scheint wenig
überzeugend. Die von ihr befürchtete Möglichkeit einer weiteren „massiven
kindeswohlschädlichen Einflussnahme“ bestünde nicht nur im Rahmen des vom
Familiengericht angeordneten Wechselmodells, sondern auch bei Fortgeltung des
dem Antragsteller bislang zustehenden erweiterten Umgangs oder bei einer
sonstigen Umgangsregelung.
Zur Überzeugung
des Senats wird sich der Konflikt durch die Ausweitung des Umgangs zu einem
Wechselmodell nicht weiter verschärfen, die Belastung des Kindes
dementsprechend nicht weiter erhöhen. Der entscheidende Vorteil des
Wechselmodells ist, dass es dem Willen von L. entspricht und er hierdurch
seinen Wunsch nach Gleichbehandlung der Eltern verwirklicht sieht. Gleichzeitig
wird durch die Installierung des Wechselmodells dem Wunsch von L. nach „Ruhe“
Rechnung getragen und kann er hierdurch weitere seelische Entlastung erfahren.
Diese Einschätzung des Senats steht in Einklang mit der Stellungnahme des
Verfahrensbeistandes im Senatstermin am 22.06.2021. Danach sei „mit der
jetzigen Umgangspraxis eine große Entlastung für L. eingetreten“.
3.5.
Das schon seit
Mai 2021 praktizierte Wechselmodell hat nach den übereinstimmenden Berichten
des Verfahrensbeistands und des Jugendamtes zu keinen nachteiligen Auswirkungen
für L. geführt. Er selbst hat in seiner Anhörung auf entsprechende Fragen des
Senats angegeben, dass der wöchentliche Wechsel von einem zum andern Elternteil
reibungslos verliefe und auch in der Schule keine Probleme aufgetreten seien.
Diese Schilderung ist sowohl durch die Eltern als auch durch das Jugendamt und
den Verfahrensbeistand bestätigt worden. Nach Mitteilung seines Klassenlehrers
arbeitet L. in der Schule sehr gut mit und zeigt keine Auffälligkeiten.
Demgemäß haben der Verfahrensbeistand und das Jugendamt im Verlaufe des
Verfahrens wiederholt die Aufrechterhaltung des angefochtenen Beschlusses
befürwortet.
4. Der von der
Antragsgegnerin beantragten Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf
es im Lichte von § 26 FamFG nicht, da der Senat über ausreichende
Sachkenntnis verfügt, um festzustellen, dass der Wille von L. nach einer
paritätischen Betreuung im Verhältnis 7/7 nicht übergangen werden darf,
unabhängig davon, ob er auch Ausdruck eines Loyalitätskonflikts ist. Das
mündliche und schriftliche Vorbringen der Beteiligten bot dem Senat insoweit
eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage. Für die Maßgeblichkeit des
Kindeswillens haben sich im Übrigen auch der Verfahrensbeistand und das
Jugendamt ausgesprochen. Die Behauptung der Antragsgegnerin, das Wechselmodell
habe zu einer Verschlimmerung der Verhaltensauffälligkeiten des Kindes geführt,
ist - ungeachtet ihrer mangelnden Substanz - dem Beweis durch ein Sachverständigengutachten
vorliegend schon nicht zugänglich, da ein Sachverständiger mangels objektiver
Vergleichsmöglichkeiten keine eigenen, aussagekräftigen Feststellungen zu dem
von der Antragsgegnerin behaupteten Ursachenzusammenhang treffen könnte.
Der Senat hatte
schließlich nicht zu prüfen, ob die angefochtene Entscheidung in
verfahrensfehlerhafter Weise unter Verstoß gegen § 6 Abs. 1 FamFG
i.V.m. §§ 42 Abs. 2 und 47 ZPO ergangen ist. Denn die Antragsgegnerin
hat einen Ablehnungsgrund mit ihrer Beschwerde gegen die Hauptsacheentscheidung
nicht (als Verfahrensfehler) geltend gemacht (vgl. hierzu auch BGH, MDR 2007,
288; Zöller/Vollkommer, ZPO, 34. Aufl., § 46 Rn. 20). Eine Befangenheit
des Erstrichters gemäß § 6 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 42 Abs. 2
ZPO läge im Übrigen aber auch nicht vor.
III.
Die
Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG und entspricht der
Billigkeit.
Die Festsetzung des Verfahrenswerts für das Beschwerdeverfahren folgt aus §§ 40, 45 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
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