Freitag, 9. Februar 2024

Testamentsvollstreckerzeugnis mit oder ohne Angabe einer Befreiung vom Selbstkontrahierungsverbot ?

Die Erblasserin ordnete in ihrem Testament Testamentsvollstreckung an und berief zur Testamentsvollstreckerin die Beteiligte am Verfahren. Diese nahm das Amt an und beantragte mit notarieller Urkunde die Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses u.a. mit dem Inhalt, dass sie von den Beschränkungen des § 181 BGB (Selkbstkontrahierungsverbot) befreit sei. Das Amtsgericht wies den Antrag mit der Begründung zurück, eine Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB wie in einem Testamentsvollstreckerzeugnis nicht aufzunehmen. Der dagegen eingelegten Beschwerde half das OLG ab, indem es die zur Erteilung des Testamentsvollstreckerzeugnisses gemäß Antrag der Beteiligten erforderlichen Tatsachen für festgestellt erklärte (§§ 2368 BGB, 354 Abs. 1, 352e Abs. 1 S. 1 u. 2 FamFG).

Das Testamentsvollstreckerzeugnis sei auf Antrag des Testamentsvollstreckers zu erteilen, § 2368 BGB. Beschränkungen desselben in der Veraltung des Nachlasses sowie eine Anordnung des Erblassers, wonach der Testamentsvollstrecker in der Eingehung von Verbindlichkeiten auf den Nachlass beschränkt sein soll, seien in das Testamentsvollstreckerzeugnis aufzunehmen. Weiter Vorgabe zur inhaltlichen Gestaltung des Testamentsvollstreckerzeugnisses enthalte das Gesetz nicht. Allerdings seien im Interesse der Sicherheit des Rechtsverkehrs alle Abweichungen von der gewöhnlichen Rechtsmacht des Testamentsvollstreckers anzugeben, soweit sie für den rechtsgeschäftlichen Verkehr mit Dritten erheblich wären. Dazu würde nicht nur eine Beschränkung der Regelbefugnis gehören, sondern auch deren Erweiterung. 

In seiner bisherigen Rechtsprechung habe der Senat des zur Entscheidung berufenen OLG bisher (auch bei oben genannten Grundsätzen) eine Aufnahmefähigkeit der Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB verneint (z.B. Beschluss vom 15.02.2011 - 15 W 461/10 -). Daran halte er nicht mehr fest. 

Es sei in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten, ob eine entsprechende Aufnahme erfolgen kann. Dabei bestünde allerdings Einigkeit, dass § 181 BGB auf den Testamentsvollstrecker entsprechend anwendbar sei und der Testamentsvollstrecker vom Verbot von Insichgeschäfte (entsprechend § 181 BGB, der Abschluss eines Rechtsgeschäfts für den Vertretenen mit sich selbst) befreit werden könne (BGH, Urteil vom 12.06.1989 - II ZR 246/88 -) vom Erblasser befreit werden könne (BGH, Urteil vom 12.06.1989 - II ZR 246/88 -). 

Bisher sei der Senat davon ausgegangen, das Testamentsvollstreckerzeugnis diene als Ausweis der Verfügungsbefugnis des Testamentsvollstreckers im Rechtverkehr mit Dritten und könne daher bei Insichgeschäften keine Wirkung entfalten. Dem hätten sich die Oberlandesgerichte Köln, Düsseldorf, München und Saarbrücken angeschlossen. Andere Oberlandesgerichte (Hamburg, Kammergericht [KG]) hätten demgegenüber entschieden, dass die Befreiung in das Testamentsvollstreckerzeugnis aufzunehmen sei. Auch in der Literatur würden unterschiedliche Ansichten vertreten. Viel Zustimmung habe insbesondere die Entscheidung des KG erfahren. 

Auch der Senat würde sich nunmehr der Ansicht des OLG Hamburg und des KG anschließen und übernehme die überzeugenden Begründungen derselben. Es sei insbesondere zutreffend, dass die Frage der Befreiung für den Rechtsverkehr doch bedeutsam sei, da dies dem Nachweis gegenüber dem Grundbuchamt und Handelsregister diene. Das Testamentsvollstreckerzeugnis trage die Vermutung der Richtigkeit in sich und habe gem. §§ 2368 S. 2, 2365 BGB generell und gem. § 35 Abs. 2 GBO diese auch gerade gegenüber dem Grundbuchamt. Zudem erfasse § 181 BGB nicht nur das Insichgeschäft, sondern auch nach § 181 Alt. 2 BGB den Fall der Doppelvertretung (also hier z.B. bei einem Vertrag die Vertretung des Nachlasses als Testamentsvollstrecker und die Vertretung des Käufers).  Es würde in diesem Fall ein schützenswerter Dritter in der Person des weiteren Vertretenen existieren. Bedeutsam könne die Befreiung auch in den Fällen werden, wenn der Testamentsvollstrecker einen Dritten bevollmächtigt, den er von den Beschränkungen des § 181 BGB befreien will. Auch in diesem Fall habe der Dritte ein schützenswertes Interesse an der Feststellung, ob der Testamentsvollstrecker hierzu befugt ist (so überzeugend KG, Beschluss vom 12.08.2021 - 19 W 82/21 -). 

OLG Hamm, Beschluss vom 23.11.2023 - 15 W 231/23 -

Dienstag, 6. Februar 2024

Rückwärtsrangieren mit Anhänger: Haftungsausgleich im Innenverhältnis des Gespanns

Das Gespann bestehend aus einer bei der Klägerin haftpflichtversicherten Zugmaschine und einem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Anhänger rangierte rückwärts, wobei es zur Schädigung eines anderen Fahrzeugs kam. Die Klägerin regulierte den Schaden und verlangte von der Beklagten einen Innenausgleich, den das Amtsgericht mit 50% des regulierten Betrages zusprach. Auf die Berufung der Beklagten wies das Landgericht die Klage ab, die von der Klägerin mit der vom Landgericht zugelassenen Revision weitererfolgte. Der BGH wies die Revision zurück.

Die bei der Klägerin haftpflichtversicherte Zugmaschine (§ 10 Abs. 1 S. 1 StVG) bilde mit dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Anhänger ein Gespann (§ 19 Abs. 2 S. 1 StVG). Da dieses über die Versicherungen für das Zugfahrzeug und für den Anhänger bei zwei verschiedenen Versicherungen versichert sei, läge eine Mehrfachversicherung (§ 78 Abs. 1 VVG ) vor.

§ 19 Abs. 4 S. 2 StVG verpflichte im Verhältnis der Halter des Zugfahrzeugs und des Anhängers zueinander nur den Halter des Zugfahrzeugs. Allerdings gibt es davon Ausnahmen, worauf der BGH auch hinwies: Habe sich durch den Anhänger eine höhere Gefahr verwirklicht als durch das Zugfahrzeug alleine, hinge die Verpflichtung zum Ausgleich davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem Zugfahrzeug oder dem Anhänger verursacht worden sei (§ 18 Abs. 4 S. 3 StVG). § 19 Abs. 4 S. 4 StVG stelle allerdings klar, dass das Ziehen des Anhängers für sich im Regelfall keine höhere Gefahr verwirkliche (§ 19 Abs. 4 S. 4 StVG).

Die tatrichterliche Beurteilung, dass vorliegend gem. § 18 Abs. 4 S. 2 StVG die Klägerin als Halterin des Zugfahrzeugs alleine verpflichtet ist und keinen Ausgleichsanspruch gegen die Beklagte als Versicherer des Anhängers habe, sei nicht zu beanstanden.  

Soweit die Revision geltend gemacht habe, bei einem „Ziehen“ iSv. § 19 Abs. 4 S. 4 StVG handele es sich nicht um ein Rückwärtsfahren; der Begriff entspräche der Legaldefinition des § 19 Abs. 1 S. 1 StVG, „…Anhänger, der dazu bestimmt ist, von einem Kraftfahrzeug (Zugfahrzeug) gezogen zu werden“, folgte dem der BGH nicht. § 19 Abs. 1 StVG erfasse unabhängig von der Fahrtrichtung jede Bewegung des Anhängers, mithin auch ein „Rückwärtsschieben“ durch das Zugfahrzeug. Entscheidend sei lediglich die abstrakte Bestimmung des Anhängers, prinzipiell an ein Fahrzeug angehängt zu werden. Eine Gesetzesänderung bezüglich der Anhängerhaftung aus „oder eines Anhängers, der dazu bestimmt ist, von einem Kraftfahrzeug mitgeführt zu werden“ in „gezogen zu werden“ statt „mitgeführt zu werden“ habe nach der Gesetzesbegründung nur sprachliche Gründe gehabt (BT-Drs. 19/17964, S. 13); eine inhaltliche Änderung sollte damit ausdrücklich nicht verbunden sein. Nach der Gesetzesbegründung habe der Anhänger dem Zugfahrzeug zu- und untergeordnet werden sollen, sollte am Fahrzeug hängen und von diesem abhängen (BT-Drs. 19/17964 S. 17).

Auch würde entgegen der Annahme der Revision sich eine höhere Gefahr des Anhängers nicht dadurch ergeben, dass sich durch den Anhänger im Rückwärtsfahren eine höhere Gefahr desselben verwirklicht habe. Zwar sei das Gespann länger und unübersichtlicher als nur das Zugfahrzeug. Der Regelfall des § 10 Abs. 4 S. 2 StVG solle aber nicht ausnahmsweise durchbrochen werden. Insoweit würde die Gesetzesbegründung als Beispiele anführen, dass „der Anhänger im Einzelfall aufgrund seiner außergewöhnlichen Beschaffenheit (Überlänge, Überbreite, Schwertransporter etc.) eine besondere Gefahr darstellt“ oder einen technischen Defekt aufweise. Es könne damit auch auf sich beruhen, dass es sich bei dem Zugfahrzeug um einen Lkw und dem Anhänger um einen Auflieger gehandelt habe, zumal nicht festgestellt worden sei, dass sich durch den Anhänger eine höhere Gefahr als durch das Zugfahrzeug alleine tatsächlich verwirklicht habe (dies verlange aber § 19 Abs. 4 S. 3 StVG).

Hinweis: Die Entscheidung beruht auf der Gesetzesänderung zu § 78 Abs. 3 VVG und 19 Abs. 4 StVG in der Fassung des Gesetzes zur Haftung bei Unfällen mit Anhängern und Gespannen im Straßenverkehr vom 10.07.2020 (BGBl. I S. 1653).

BGH, Urteil vom 14.11.2023 - VI ZR 98/23 -

Sonntag, 4. Februar 2024

Vorsicht beim Vorbeifahren an Müllfahrzeugen - Mithaftung

Das Fahrzeug der Klägerin fuhr an einem in der Gegenrichtung auf der aus ihrer Sicht linken Straßenseite stehenden Müllfahrzeug der Beklagten vorbei, welches dort mit laufenden Motor, laufender Trommel/Schüttung und eingeschalteten gelben Rundumleuchten sowie Warnblinkanlage stand. Dabei kollidierte sie mit Müllcontainer, der von einem Mitarbeiter der Beklagten quer über die Straße geschoben wurde. Das Landgericht gab der auf Schadensersatz gerichteten Klage im Verhältnis einer Haftungsquote von 50 : 50 statt. Auf die Berufung der Klägerin änderte das OLG das Urteil dahingehend insoweit ab, als es eine Schadenquote zugunsten der Klägerin von 25% zu Lasten der Klägerin, 75% zu Lastend er Beklagten annahm. Die von der Beklagten eingelegte (vom OLG zugelassene) Revision, mit der diese die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils begehrte, war insoweit erfolgreich, als das Urteil des OLG aufgehoben und der Rechtsstreit an dieses zurückverwiesen wurde.

Der BGH reklamierte, dass vom OLG in die Abwägung der Verschuldens- und Verursachungsbeiträge nach § 17 Abs. 2 StVG einen Verstoß der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs nach §§ 1, 3 Abs. 1 StVO nicht eingestellt hatte.

Grundsätzlich habe die Klägerin einen Anspruch aus § 7 StVG. Die Beschädigung sei „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges iSv. § 7 Abs. 1 StVG erfolgt. Bei Fahrzeugen mit Arbeitsfunktion sei dazu ein Zusammenhang mit der Bestimmung als eine der Fortbewegung und dem Transport dienenden Maschine erforderlich. Das Schadensgeschehen müsse durch das Fahrzeug (mit) geprägt werden. Es müsse sich um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handeln, für die nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll.  Maßgeblich käme es darauf an, dass die Schadenursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges stünde. Eine Haftung nach § 7 StVG entfalle bei Kraftfahrzeugen mit Arbeitsfunktion entfalle jedenfalls dann, wenn die Fortbewegungs- und Transportfunktion keine Rolle mehr spiele und sie nur als Arbeitsmaschine eingesetzt würde oder sich die Gefahr aus einem gegenüber der Betriebsgefahr eigenständigen Gefahrenkreis verwirklicht habe. So läge ein „Betrieb“ auch dann vor, wenn das Fahrzeug, ggf. mit einer speziellen Entladevorrichtung, entladen würde. In diesen Fällen würde der Halter auch für die Gefahr dann haften, die das Kraftfahrzeug in dem in Anspruch genommenen Verkehrsraum für andere Verkehrsteilnehmer darstelle, wobei nicht dies nicht nur für die Gefahr durch das entladende Fahrzeug gelte, sondern auch die Gefahr, die von der Entladevorrichtung und dem Ladegut ausgehe (BGH, Urteil vom 08.12.2015 - VI ZR 139/15 -). Vorliegend handele es sich bei dem Müllwagen zwar um ein Kraftfahrzeug mit Arbeitsfunktion, doch stünde der Unfall in einem haftungsrechtlich relevanten Zusammenhang mit der Bestimmung des Müllfahrzeuges als eine dem Transport dienende Maschine, wobei zur Erfüllung der Transportfunktion die Mülltonnen zum Fahrzeug zum Entleeren und wieder zurückgebracht werden müssten. Damit läge eine Zurechnung zu den Gefahren nach § 7 StVG vor.

Die Haftungsverteilung nach § 17 Abs. 2 StVG habe aufgrund aller festgestellten, d.h. zugestandenen oder nach § 286 ZPO erwiesenen Umstände zu erfolgen. In erster Linie sei dabei das Maß der Verursachung entscheidende, ein weiterer Faktor sei das beidseitige Verschulden.

Da das Entleeren und Zurückbringen der Müllcontainer zum Betrieb des Fahrzeugs gehöre, begründe ein unfallursächlicher Verstoß der Beklagten gegen die StVO eine Erhöhung der Betriebsgefahr des Müllfahrzeugs, was bei der Abwägung zugunsten der Klägerin zu berücksichtigen sei. Die Privilegierung von Fahrzeugen der Müllabfuhr nach § 35 Abs. 6 S. 1 StVO durch Einräumung von Sonderrechten befreie nicht von den übrigen Vorschriften der StVO. Hier sei der Beklagten ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO borzuwerfen, da deren Mitarbeiter einen großen, schweren Müllcontainer quer über die Straße geschoben habe, ohne auf den Verkehr zu achten. Hätte er ihn nicht geschoben sondern gezogen, wäre das klägerische Fahrzeug für ihn erkennbar gewesen. In der gefahrenträchtigen Situation sei es geboten gewesen, den Container zu ziehen, statt ihn zu schieben. Weiterhin läge eine Erhöhung der Betriebsgefahr für das Müllfahrzeug durch dessen Größe und der dadurch bedingten Sichtbeeinträchtigung, die sich auf den Unfall ausgewirkt hätten, vor.

Während insoweit der BGH insoweit den Erwägungen für das Müllfahrzeug folgte, sah es die Erwägungen dazu nicht als zutreffend an, demzufolge der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs kein die Betriebsgefahr des Fahrzeugs erhöhender Verstoß gegen die StVO vorzuwerfen sei.

Bei der Vorbeifahrt an einem im Einsatz befindlichen Müllfahrzeug sei besondere Vorsicht und Rücksichtnahme geboten, um die Müllwerker nicht zu gefährden. Zwar gelte der Vertrauensgrundsatz, dass derjenige, der sich verkehrsgerecht verhalte, auch damit rechnen dürfe, dass andere Verkehrsteilnehmer den Verkehr nicht durch pflichtwidriges Verhalten gefährden, solange die sichtbare Verkehrslage keine andere Beurteilung zulasse. Zu den Ausnahmen vom Vertrauensgrundsatz würden nicht nur rechtzeitig wahrnehmbare Verkehrswidrigkeiten Dritter zählen, sondern auch solche die möglicherweise noch nicht erkennbar seien, mit denen aber ein gewissenhafter Fahrer pflichtgemäß rechnen müsse (BGH, Urteil vom 15.05.1973 - VI ZR 62/72 -).

Da das Hauptaugenmerk des Müllwerkers auf die Arbeit gerichtet sei, diese in möglichst kurzer Zeit auf kurzen Wegen zu verrichten, dürfe der an einem Müllfahrzeug Vorbeifahrende nicht auf ein verkehrsgerechtes Verhalten des Müllwerkers vertrauen. Mit einem unachtsamen Hervortreten und einer Bewegung einige Schritte seitlich neben das Müllfahrzeug müsse er rechnen. Lasse sich ein ausreichender Sicherheitsabstand zum Müllfahrzeug zur Vermeidung von Gefährdungen hinter dem Müllfahrzeug Hervortretender nicht einhalten, so sei die Geschwindigkeit gem. §§ 1, 3 Abs. 1 S. 2 StVO so weit zu drosseln, dass der Vorbeifahrende sein Fahrzeug notfalls sofort zum Stillstand bringen könne (so bereits für Linienbusse vor Schaffung von § 20 StVO BGH, Urteil vom 10.04.1968 - VI ZR 145/65 -).  Zwar bestünde nicht wie in § 20 StVO für öffentliche Verkehrsmittel und Schulbusse oder wie in § 3 Abs. 2a StVO für Kinder, Hilfsbedürftige und ältere Menschen eine besondere Regelung zu einer Vorbeifahrt an Müllfahrzeugen, doch ergäben sich hier die entsprechenden Anforderungen aus §§ 1, 3 Abs. 1 S. 2 StVO und den Einschränkungen zum Vertrauensgrundsatz.

Hier habe der seitliche Abstand zwischen dem klägerischen Fahrzeug und dem Müllfahrzeug allenfalls rund 50 cm bemessen, weshalb die festgestellte Geschwindigkeit des klägerischen Fahrzeugs zu hoch gewesen sei, um das Fahrzeug notfalls - insbesondere bei einem plötzlichen Hervortreten eines Müllwerkers, auch bei einem Abstand von unter 5 m zwischen Fahrzeug du Gefahrenpunkt - zum sofortigen Stillstand zu bringen.

Im Rahmen der neuen Entscheidung durch das OLG sei von diesem im Rahmen tatrichterlicher Würdigung eine neue Abwägung nicht nur unter Berücksichtigung des Verkehrsverstoßes der Beklagten, sondern auch der Klägerin vorzunehmen.

Anmerkung: Das Urteil des BGH wird künftig die Leitlinie bei Unfällen entsprechender Art bei Müllfahrzeugen sein. Es fragt sich allerdings, weshalb der Gesetzgeber in §§ 20 und 3 Abs. 2a StVO für bestimmte Fälle Vorschriften schuf, wenn doch – folgt man der Diktion des BGH – ohnehin über §§ 1, 3 Abs. 1 S. 2 in Verbindung mit der Einschränkung des Vertrauensgrundsatzes diese Einschränkung besteht; der BGH festigte damit seien Rechtsprechung zur Einschränkung des Vertrauensschutzes in seinem Urteil vom 04.04.2023 - VI ZR 11/21 - (Überqueren der Fahrbahn durch Fußgänger und Annahme, dieser werde an der Mittellinie stehen bleiben). Weitergehend wird man wohl kaum diese Entscheidung auf Müllfahrzeuge beschränken können, da eine ähnliche Situation z.B. im Rahmen von Umzugswagen bei dem Ein- bzw. Ausladen von Möbeln, bei Getränkelieferanten für das Ein- und Ausladen von Getränkekisten bestehen.

BGH, Urteil vom 12.12.2023 - VI ZR 77/23 -

Mittwoch, 31. Januar 2024

Haftung für Schaden am Fahrzeug durch Baumstumpf an E-Ladesäule

Der Kläger behauptete eine Schädigung seines Fahrzeugs bei einem Zusammenstoß mit einem Baumstumpf im Bereich einer Stellfläche neben einer öffentlichen Elektroladesäule, die von der Beklagten zu 1 auf dem öffentlichen Parkplatz betrieben wurde. Die Ladesäule grenzte an eine Fläche auf dem zwischen dem Fußweg und der Fahrbahn gelegenen Grünstreifen an, die als Stellfläche für die öffentliche Ladestation gekennzeichnet und freigegeben war. Am Ende der Stellfläche befand sich eine Straßenlaterne (Betreiberin war die Beklagte zu 2), an deren Fuß sich in Richtung der Ladesäule ein kleiner Baumstumpf befand, der mit Laub bedeckt gewesen sein soll.  

Die Schadensersatzklage des Klägers wurde abgewiesen. Den Beklagten obläge keine Verkehrssicherungspflicht in Bezug auf den Baumstumpf.

Die Verkehrssicherungspflicht habe derjenige, der für den Bereich der Gefahrenquelle verantwortlich sei. Er habe im Rahmen des Zumutbaren diejenigen Maßnahmen zu treffen, dass sich der Straße in einem Zustand befinde, der ihre bestimmungsgemäße Verwendung so gefahrlos wie möglich zulasse und die Verkehrsteilnehmer gleichwohl vor verbleibenden Gefahren der Straße schütze. Bei öffentlichen Straßen wie bei öffentlichen Parkplätzen richte sich die Sicherungspflicht nicht nur auf die Verkehrseinrichtung als solche, sondern ganz allgemein auf die Abwehr derjenigen Gefahren, die den Verkehrsteilnehmern aus ihrer Benutzung drohen würden. Sie beschränke sich also nicht auf die Parkfläche und deren Zuwege als solche, sondern beziehe auch Zubehör wie Beleuchtungseinrichtungen mit ein. Bei Erkennbarkeit von Gefahren im Parkplatzbereich sind selbst ungünstige Wahrnehmungsbedingungen mit einzukalkulieren, sodann etwa Gegenstände wegen geschlossener Schneedecke usw. nicht erfasst werden können. Gleiches gelte für Laub.

Die Verkehrssicherungspflicht treffe bei öffentlichen Straßen denjenigen, der die Gefahrenlage durch Zulassung öffentlichen Verkehrs geschaffen habe. Hier sei der Träger der Straßenbaulast in der Verantwortung (bei einem Baumstumpf OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 11.08.2022 – 11 U 184/21 -). Dabei verblieb es auch, wen dieser dritten Unternehmen konkret durchzuführende Arbeiten übertrage (OLG Schleswig, Urteil vom 18.06.2015 – 7 U 143/14 -).

Danach seien die Beklagten hinsichtlich des Baumstumpfes nicht verkehrssicherungspflichtig.

Die Beklagte zu 1 stelle Ladesäulen und versorge diese mit Elektrizität. Dadurch erwachse keine originäre Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich der Vegetation am angrenzenden Parkplatz. Der Kläger habe auch nicht dargelegt, dass ihr die Verkehrssicherungspflicht übertragen worden sei oder diese den Baum so abgeschnitten habe, dass der so verbleiben sei, dass er von Laub verdeckt worden sein konnte. Auch hafte die Beklagte zu 2 nicht aus §§ 280 Abs. 1m 241 Abs. 2 iVm § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte zu 1 wegen des Aufstellens und Betreibens der Ladesäule eine Nebenpflicht treffe, die an der Ladesäule angrenzenden öffentlichen Parkplätze und die an diese angrenzende Vegetation derart zu überwachen und zu pflegen, dass die Ladesäule gefahrlos angafhren werden könne.

Die Beklagte zu 2 betreibe die öffentliche Außenbeleuchtung. Sie treffe keine originäre Pflicht zur Pflege und Herrichtung der Flächen um die Straßenbeleuchtung herum. Auch hier habe der Kläger nicht dargelegt, dass ihr eine Verkehrssicherungspflicht übertragen worden wäre.

Ob die Stadt als Trägerin der Wegebaulast eine Verkehrssicherungspflicht verletzt habe, könne in dem Verfahren gegen die Beklagten zu 1 und 2 dahinstehen, ebenso ein mögliches Mitverschulden des Klägers.

AG Hamburg-Barmbeck, Urteil vom 04.04.2023 - 816 C 113/22 -

Sonntag, 28. Januar 2024

Keine Kostenerstattung des Berufungsgegners bei Berufungsrücknahme ?

Der Kläger hatte gegen ein klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts Berufung eingelegt. Vom Landesarbeitsgericht (LAG) wurde die Berufungsbegründungsschrift dem Beklagten zugeleitet und gleichzeitig am 10.10.2022 wurden beide Parteien darauf hingewiesen, dass wegen Nichtwahrung der Frist Bedenken an der Zulässigkeit der Berufung bestünden und beabsichtigt sei, die Berufung ohne mündliche Verhandlugn als unzulässig zu verwerfen. Danach meldeten sich die Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu den Akten (Schriftsatz vom 14.10.2022), mit dem diese die Verwerfung der Berufung wegen Nichteinhaltens der Berufungsbegründungsfrist beantragten. Vom Kläger wurde – ohne dass ein Wiedereinsetzungsantrag gestellt wurde – an der Berufung zunächst festgehalten (Schriftsatz vom 12.10.2022), allerdings dann nach einem weiteren Hinweis des Gerichts am 03.11.2022 zurückgenommen. Mit Beschluss vom 24.11.2022 wurden dem Kläger die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.

Die Beklagte beantragte (unter Geltendmachung einer 1,1-fachen Verfahrensgebühr gem. Nr. 3201 VV RVG) die Kostenfestsetzung gegen den Kläger. Das Arbeitsgericht wies den Antrag zurück. Dagegen erhob die Beklagte sofortige Beschwerde, der das Arbeitsgericht nicht abhalf und diese dem LAG vorlegte. Die sofortige Beschwerde wurde vom LAG zurückgewiesen, allerdings die vom Kläger eingelegte Rechtsbeschwerde zugelassen, der das BAG im Sinne der Beklagten abhalf.

Das Arbeitsgericht habe nicht verkannt, dass die Prozessbevollmächtigten der Beklagten eine anwaltliche Tätigkeit entfaltet hätten, die die geltend gemachte Verfahrensgebühr ausgelöst habe. Die Verfahrensgebührt nach Nr. 3200 VV RVG würde die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts vom Auftrag bis zur Erledigung der Angelegenheit abgelten, wozu auch Neben- und Abwicklungstätigkeiten zählen würden. Dazu gehöre auch der Empfang von Rechtsmittelschriften, § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG, ebenso wenn er Informationen entgegennehme würde oder mit seinem Mandanten bespreche, wie er auf das von der Gegenseite eingelegte Rechtsmittel reagieren soll.  Hier sei die Tätigkeit, die noch zur 1. Instanz zählt, über diese beschriebene Neben- und Abwicklungstätigkeit hinausgegangen, indem mit Schriftsatz vom 14.10.2022 die Vertretung gegenüber dem LAG angezeigt und ein Antrag gestellt worden sei.

Nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO habe die unterlegene Partei, in den Fällen der §§ 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 der Berufungskläger, die dem Gegner zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen Kosten zu erstatten. § 91 Abs. 2 S. 1 Halbs. 1 ZPO bildet dazu eine Ausnahme, als in diesen Fällen von der grundsätzlich gebotenen Prüfung der Notwendigkeit entstandener Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung abgesehen würde. § 91 ZPO gelte auch für Rechtsmittelverfahren nach dem Arbeitsgerichtsgesetz, da die §§ 64 Abs. 7, 72 Abs. 6 ArbGG nicht auf § 12a ArbGG Bezug nehmen würde.

Allerdings unterliege die Rechtsausübung in Zivilverfahren (und  so auch in Arbeitsgerichtsverfahren) und die Durchsetzung des Anspruchs aus § 91 Abs. 2 S. 1 Halbs. 1 ZPO dem aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) abgeleiteten Missbrauchsverbot. Dieses gebiete den Prozessparteien, die Kosten ihrer Prozessführung, die sie im Fall ihres Obsiegens von der Gegenseite erstattet haben will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lasse. Ein Verstoß dagegen könne dazu führen, dass angemeldete (Mehr-) Kosten im Kostenfestsetzungsverfahren abgesetzt werden, wobei gesetzlich vorgesehene Wahlmöglichkeiten unberührt blieben(BAG, Beschluss vom 18.11.2015 - 10 AZB 43/15 -). Auch wenn es für die zweckentsprechend verursachten Kosten nicht darauf ankäme, dass bei einem Verfahren kein Anwaltszwang bestünde, könnt allerdings jeder Beteiligte sich eines Rechtsanwalts bedienen, ohne deshalb Kostennachteile befürchten zu müssen. Maßgeblich käme es nur darauf an, ob eine verständige Prozesspartei in der gleichen Situation ebenfalls einen Rechtsanwalt beauftragt hätte, was für einen Rechtsmittelgegner regelmäßig anzunehmen sei (BAG aaO.). Das hindere allerdings nicht zu überprüfen, ob die einzelne Maßnahme des Prozessbevollmächtigten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig war. Der Prüfungsmaßstab richte sich danach, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei im damaligen Zeitpunkt (ex-ante-Sicht) die kostenauslösende Maßnahme als sachdienlich ansehen durfte. Entscheidend ist, ob ein objektiver Betrachter die Sachdienlichkeit bejahen würde.

Wenn die Maßnahme offensichtlich nutzlos sei, könne die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nicht mehr als sachdienlich angesehen werden. Dies sei z.B. der Fall, wenn mit der Zustellung der Rechtsmittelschrift zeitgleich das Rechtsmittelgericht mitteilt, aus formalen Gründen eine Verwerfung des Rechtsmittels ohne mündliche Verhandlung zu beabsichtigen (BAG aaO.). Gleiches gelte, wenn das Rechtsmittelgericht dem Rechtsmittelführer darauf hinweise, dass die Begründungsfrist für das Rechtsmittel nicht eingehalten worden sei und dieser darauf nicht reagiere (BAG, Beschluss vom 15.03.2022 - 9 AZB 26/21 -).

Soweit die anwaltliche Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten der Beklagten alleine die hier in Rede stehende Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV RVG auslöste, sei im damaligen Zeitpunkt aus der ma0gebenden Sicht einer verständigen und wirtschaftlich vernünftig denkenden Partei zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig gewesen. Durch die Erwiderung des Klägers vom 12.10.2022 auf den Hinweis des LAG vom 10.10.2022 sei für die Beklagte eine als risikobehaftet angesehene Situation eingetreten, die geeignet gewesen sei, die Tätigkeit ihres Prozessbevollmächtigten als erforderlich erscheinen zu lassen. Sie habe damit rechnen dürfen, dass der Kläger das Berufungsverfahren trotz des Hinweises des Gerichts durchführen würde. In dieser Situation sei der Beklagten nicht zuzumuten gewesen, den weiteren Fortgang des Berufungsverfahrens abzuwarten. Der Kläger habe die Ursache für das Verhalten der Beklagten gesetzt. Es habe dem Kläger oblegen, durch seien Prozessbevollmächtigten von einer (eventuell) beabsichtigten Berufungsrücknahme frühzeitig zu informieren und dadurch für Klarheit zu sorgen (BGH, Beschluss vom 10.04.2018 - VI ZB 70/16 -).

BAG, Beschluss vom 15.12.2023 – 9 AZB 13/23 -

Donnerstag, 25. Januar 2024

Smartphone-Verbot am Arbeitsplatz und Mitbestimmung (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG)

Die Arbeitgeberin wies durch einen Aushang darauf hin, dass „jede Nutzung von Mobiltelefonen/Smartphones zu privaten Zwecken während der Arbeitszeit nicht gestattet“ und bei Verstößen mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur fristlosen Kündigung zu rechnen sei. Der Betriebsrat forderte die Arbeitgeberin vergeblich auf, diese Maßnahme zu unterlassen und verwies dabei auf ein ihm nach seiner Meinung zustehendes Mitbestimmungsrecht. Er beantragte beim Arbeitsgericht eine Untersagung, solange er dem Verbot nicht zugestimmt habe oder seine fehlende Zustimmung durch einen Spruch der Einigungsstalle ersetzt worden sei. Arbeits- und Landesarbeitsgericht wiesen die sodann gestellten Anträge ab, da sie hier kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG sahen. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrates gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts wurde vom BAG auch abgewiesen.

Angelegenheiten nach § 87 Abs. 1 BetrVG solle der Arbeitgeber nur einvernehmlich mit dem Betriebsrat durchführen dürfen. Da hier das von der Arbeitgeberin ausgesprochene Verbot nicht unter § 87 Abs. 1 BetrVG fake, sei der Beseitigungs- und Unterlassungsantrag des Betriebsrates abzuweisen. Ein Mitbestimmungsrecht sei ihm hier nicht eingeräumt. Das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG beziehe sich auf Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Ein Ordnungsverhalten sei betroffen, wenn die Maßnahme des Arbeitgebers auf die Gestaltung des kollektiven Miteinanders oder die Gewährleistung und Aufrechterhaltung der vorgegebenen Ordnung des Betriebs ziele. Das Mitbestimmungsrecht, so das BAG, soll gewährleisten, dass der Arbeitnehmer gleichberechtigt in die Gestaltung des betrieblichen Zusammenlebens einbezogen würde. Insoweit würde das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs.1  Nr. 1 BetrVG die auf die betriebliche Ordnung bezogene Regelungsmacht des Arbeitgebers einschränken. Allerdings seien Maßnahmen, die das sogen. Arbeitsverhalten regeln, nicht mitbestimmungspflichtig; es handele sich dabei um Maßnahmen, mit denen die Arbeitspflicht unmittelbar abgefordert oder konkretisiert würde (BAG, Beschluss vom 17.03.2015 - 1 ABR 48/13 -). 

Bei Auswirkungen sowohl auf das Arbeits- und Ordnungsverhalten sei der überwiegende Regelungszweck für die Einordnung maßgeblich (BAG aaO.), der sich nach dem objektiven Inhalt der Maßnahme und der Art des zu beeinflussenden betrieblichen Geschehens richte und bei der eine qualitative Gewichtung unter Berücksichtigung des Einzelfalls vorzunehmen sei. 

Die hier benannte Maßnahme der Arbeitgeberin sollte nach Auffassung des BAG die zügige und konzentrierte Arbeit der Arbeitnehmer sicherstellen. Die Handys würden über eine Vielzahl von Funktionen verfügen, die die Aufmerksamkeit der Arbeitnehmer binden würden (Messengerdienste, Internet pp.). Die Verwendungsarten würden sich dadurch auszeichnen, dass sie jeweils (eine evtl. kurze) aktive Bedienung bedürften, was währen der Arbeit unterbleiben solle. Daraus ergäbe sich, dass das Verbot in erster Linie auf die Steuerung des Arbeitsverhaltens gerichtet sei. Anweisungen, die wie vorliegend die zu verrichtenden Tätigkeiten zwar nicht unmittelbar konkretisieren, aber gleichwohl ihre Erbringung sicherstellen sollen, würden das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten betreffen; ausdrücklich würde an einem ggf.  anderem Verständnis im Beschluss des Senats vom 14.01.1986 – 1 ABR 75/83 – (dort zu B 2 c und d der Gründe) nicht festgehalten. 

Unerheblich sei, dass sich das Verbot auch auf das Ordnungsverhalten auswirken könne. Es sei nicht ausgeschlossen, dass die Nutzung von Mobiltelefonen während der Arbeitszeit das betriebliche Zusammenwirken berühre (z.B. da laut Musik abgespielt wird). Alleine die Betroffenheit von Arbeitsverhalten und Ordnungsverhalten habe aber nicht zur Folge, dass damit die gesamte Maßnahme auf das betriebliche Zusammenleben und kollektive Zusammenwirken der Arbeitnehmer gerichtet wäre. Entscheidend sei der überwiegende Regelungszweck. Dieser läge hier in Form der Untersagung auf der Steuerung des mitbestimmungsfreien Arbeitsverhaltens. Die Nutzung der wesentlichen Verwendungsarten, insbes. telefonieren, lesen und versenden von Kurznachrichten, anschauen von Videos, eine Betätigung des Gerätes erfordere und die Aufmerksamkeit des Nutzers zumindest kurze Zeit beanspruche. Dadurch könne es zu unkonzentrierten Arbeiten oder zur mangelnden Erledigung anfallender Nebenarbeiten kommen. Typischerweise beträfe die Untersagung das Arbeitsverhalten. 

BAG, Beschluss vom 17.10.2023 - 1 ABR 24/22 -

Sonntag, 21. Januar 2024

Erstattung von Gutachterkosten wenn Schadensgutachter und Werkstatt eine Einheit sind ?

Der Kläger hatte nach einem Verkehrsunfall ein Sachverständigenbüro (eine Gesellschaft bürgerlichen Rechte [GbR]) mit der Erstellung eines Gutachtens zu den unfallbedingten Schäden an seinem Fahrzeug beauftragt. Das Gutachten wurde erstellt und mit € 665,26 berechnet, zuzüglich Kosten der Werkstatt für die für die Gutachtenerstellung zur Verfügung gestellte Hebebühne mit € 184,45. Die Rechnung über € 665,26 wurde von der Beklagten an den Kläger gezahlt. Die restlichen € 184,45 klagte er ein. Die Beklagte, die Klageabweisung beantragte, erhob Widerklage auf Rückzahlung der gezahlten € 665,26 mit der Begründung, zwischen dem Sachverständigen und er Reparaturwerkstatt bestünde Personenidentität. Das Amtsgericht (AG) wies die Klage ab und gab der Widerklage statt.

 Die Haftung der Beklagten nach §§ 7, 18 StVG iVm. § 115 VVG stand außer Streit. Streitig waren hier lediglich die Gutachterkosten. Zwar anerkannte das AG, dass die Kosten für das eingeholte Gutachten zu den Kosten gehören würde, die mit dem Unfall unmittelbar verbunden seien und deren Vermögensnachteile gemäß § 249 BGB auszugleichen seien, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig sei (BGH, Urteil vom 17.12.2019 - VI ZR 315/18 -). Würde das Fahrzeug repariert, diene das Gutachten eines neutralen Sachverständigen der Kontrolle der von der Werkstatt angerechneten Kosten durch den Geschädigten und den Schädiger sowie zur Überzeugung des ersatzpflichtigen Haftpflichtversicherers. Nur wenn sich das Gutachten nachträglich als ungeeignet erweise und dies vom Geschädigten zu vertreten sei (z.B.  Auswahlverschulden des Geschädigten), würde dies den Erstattungsanspruch tangieren. Dies sei dann der Fall, wenn der Geschädigte auf ein Gutachten vertraue, welches nicht frei sei von dem Verdacht unsachlicher Interessenswahrnehmung (LG München II, Beschluss vom 16.08.2017 - 8 S 2704/17 -), oder wenn ein Arbeitnehmer des an der Reparatur interessierten Betriebs oder gar dessen Geschäftsführer bzw. Gesellschafter als Sachverständiger beauftragt würde (LG Freiburg i. Breisgau, Urteil vom 25.10.2011 - 9 S 21/11 -).

Dass Amtsgericht sah hier den erheblichen Verdacht einer unsachlichen Interessenswahrnehmung als gegeben an. Dies leitete es daraus ab, dass dieselbe GbR Inhaberin sowohl des Sachverständigenbüros wie auch der Reparaturwerkstatt war. Damit könne das Gutachten seinen Zweck nicht erfüllen, die Kontrolle der von der Reparaturwerkstatt abgerechneten Kosten und die Überzeugung des Haftpflichtversicherers zu gewährleisten. Die gelte unabhängig von der Frage, ob das Gutachten inhaltlich richtig sei. Der Zweck des Gutachtens markiere den wesentlichen Unterschied zwischen einem bloßen Kostenvoranschlag bei der Reparaturwerkstatt, weshalb die Erstattungsfähigkeit der Kosten für einen Kostenvoranschlag nicht zugunsten der Erstattungsfähigkeit der regelmäßig um ein Vielfaches höheren Kosten eines Gutachtens fruchtbar gemacht werden könnten.

Hier treffe den Kläger auch ein Auswahlverschulden. Er habe zumindest fahrlässig gehandelt und die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen, § 276 Abs. 2 BGB. So habe er das Gutachten, die Gutachterhilfearbeiten (Hebebühne) und die Reparatur in einem Formular beantragt, ferner am gleichen Tag in einem Auftragsformular an de Reparaturwerkstatt erneut Nebenarbeiten für die Erstellung des Sachverständigengutachtens beauftragt und vorgegeben, dass die Reparatur nach Maßgabe des Gutachtens erfolgen solle. Diese einheitlichem gemeinsame und gleichzeitige Auftragserteilung der Arbeiten zur Gutachtenerstellung und Reparatur habe eine dem Kläger deutlich erkennbare enge Verbindung zwischen dem Sachverständigenbüro und der Werkstatt aufgezeigt. Das sei auch deshalb für den Kläger erkennbar gewesen, da das Sachverständigenbüro ausweislich des Gutachtens und die Werkstatt ausweislich deren Rechnung für die Gutachterhilfe unter der gleichen Anschrift firmieren würden.  Zudem sei auch der Berater des Klägers ausweislich des Formulars für die umfassende Auftragserteilung, dessen Nachname auch Teils des Namens der GbR gewesen sei, die Inhaberin des Sachverständigenbüros sei.

Damit hätte der Kläger erkennen müssen, dass das Gutachten dem Verdacht der unsachlichen Interessensausübung ausgesetzt sein würde und seinem Zweck der neutralen Schadenskalkulation nicht erfüllen könne. Auch wenn der Kläger seinen Angaben zufolge zwischenzeitlich statt der Reparatur eine fiktive Abrechnung verfolgt haben sollte, bevor er sich wieder zur Reparatur entschieden habe, würde dies das ursprünglich verwirklichte Auswahlverschulden nicht tangieren können.

Im Hinblick darauf könne der Kläger die Erstattung der € 184,45 nicht verlangen.

Die Beklagte hingegen könne nach § 812 Abs. 1 S. 1 BGB die Rückzahlung der gezahlten Gutachterkosten von € 665,26 verlange, da diese der Kläger ohne Rechtsgrund erhalten habe, da der Kläger vorliegend keinen Erstattungsanspruch auf Sachverständigenkosten (und damit im Zusammenhang stehenden Kosten) habe. Dabei sei unerheblich, ob die Klägerin die Zahlung an den Kläger oder den Sachverständigen geleistet habe, da auch im Falle direkter Zahlung an den Sachverständigen dies zugunsten des Klägers erfolgt wäre (der dem Sachverständigen gegenüber schuldrechtlich verpflichtet war).

Anmerkung: Das Urteil ist in der Sache zu begrüßen und stellt sich vom Ablauf leider auch nicht als Einzelfall dar. Immer häufiger werden Kfz-Reparaturwerkstätten mit Sachverständigen „aus dem eigenen Haus“ angetroffen. Da eine Überprüfung des vom Geschädigten Sachverständigengutachtens in der Regel durch den Schädiger bzw. dessen Versicherers durch eigene Begutachtung des beschädigten Kraftahrzeugs nicht möglich ist, also auf die Grundlagen in dem eingeholten Gutachten abgestellt werden muss, ist es wichtig, dass eine gewisse Neutralität des Sachverständigen vorliegt, um seien Befundungen zu Schädigungen pp. überhaupt einer Bewertung zugrunde legen zu können. An dieser Neutralität fehlt es, wenn der Sachverständige als Kfz-Werkstattinhaber bzw. Mitarbeiter oder Gesellschafter einer solchen ein eigenes Interesse an der Reparatur hat und so die Gefahr fehlerhafter Gutachten, die ggf. infolge erfolgter Reparatur nicht mehr ausreichend geprüft werden können, besteht. Richtig wird vor diesem Hintergrund vom Amtsgericht auch davon ausgegangen, dass es auf eine (evtl., gar nicht mehr mögliche) Prüfung der Richtigkeit des Gutachtachtens ankommen kann, da das dem Erstattungsanspruch entgegenstehende fehlerhafte Auswahlermessen bereits vor der Gutachtenerstellung lag.

AG Hanau, Urteil vom 18.10.2023 - 39 C 30/23 -