Der Kläger hatte gegen ein klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts Berufung eingelegt. Vom Landesarbeitsgericht (LAG) wurde die Berufungsbegründungsschrift dem Beklagten zugeleitet und gleichzeitig am 10.10.2022 wurden beide Parteien darauf hingewiesen, dass wegen Nichtwahrung der Frist Bedenken an der Zulässigkeit der Berufung bestünden und beabsichtigt sei, die Berufung ohne mündliche Verhandlugn als unzulässig zu verwerfen. Danach meldeten sich die Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu den Akten (Schriftsatz vom 14.10.2022), mit dem diese die Verwerfung der Berufung wegen Nichteinhaltens der Berufungsbegründungsfrist beantragten. Vom Kläger wurde – ohne dass ein Wiedereinsetzungsantrag gestellt wurde – an der Berufung zunächst festgehalten (Schriftsatz vom 12.10.2022), allerdings dann nach einem weiteren Hinweis des Gerichts am 03.11.2022 zurückgenommen. Mit Beschluss vom 24.11.2022 wurden dem Kläger die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.
Die Beklagte beantragte (unter Geltendmachung einer 1,1-fachen Verfahrensgebühr gem. Nr. 3201 VV RVG) die Kostenfestsetzung gegen den Kläger. Das Arbeitsgericht wies den Antrag zurück. Dagegen erhob die Beklagte sofortige Beschwerde, der das Arbeitsgericht nicht abhalf und diese dem LAG vorlegte. Die sofortige Beschwerde wurde vom LAG zurückgewiesen, allerdings die vom Kläger eingelegte Rechtsbeschwerde zugelassen, der das BAG im Sinne der Beklagten abhalf.
Das Arbeitsgericht habe nicht verkannt, dass die Prozessbevollmächtigten der Beklagten eine anwaltliche Tätigkeit entfaltet hätten, die die geltend gemachte Verfahrensgebühr ausgelöst habe. Die Verfahrensgebührt nach Nr. 3200 VV RVG würde die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts vom Auftrag bis zur Erledigung der Angelegenheit abgelten, wozu auch Neben- und Abwicklungstätigkeiten zählen würden. Dazu gehöre auch der Empfang von Rechtsmittelschriften, § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG, ebenso wenn er Informationen entgegennehme würde oder mit seinem Mandanten bespreche, wie er auf das von der Gegenseite eingelegte Rechtsmittel reagieren soll. Hier sei die Tätigkeit, die noch zur 1. Instanz zählt, über diese beschriebene Neben- und Abwicklungstätigkeit hinausgegangen, indem mit Schriftsatz vom 14.10.2022 die Vertretung gegenüber dem LAG angezeigt und ein Antrag gestellt worden sei.
Nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO habe die unterlegene Partei, in den Fällen der §§ 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 der Berufungskläger, die dem Gegner zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen Kosten zu erstatten. § 91 Abs. 2 S. 1 Halbs. 1 ZPO bildet dazu eine Ausnahme, als in diesen Fällen von der grundsätzlich gebotenen Prüfung der Notwendigkeit entstandener Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung abgesehen würde. § 91 ZPO gelte auch für Rechtsmittelverfahren nach dem Arbeitsgerichtsgesetz, da die §§ 64 Abs. 7, 72 Abs. 6 ArbGG nicht auf § 12a ArbGG Bezug nehmen würde.
Allerdings unterliege die Rechtsausübung in Zivilverfahren (und so auch in Arbeitsgerichtsverfahren) und die Durchsetzung des Anspruchs aus § 91 Abs. 2 S. 1 Halbs. 1 ZPO dem aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) abgeleiteten Missbrauchsverbot. Dieses gebiete den Prozessparteien, die Kosten ihrer Prozessführung, die sie im Fall ihres Obsiegens von der Gegenseite erstattet haben will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lasse. Ein Verstoß dagegen könne dazu führen, dass angemeldete (Mehr-) Kosten im Kostenfestsetzungsverfahren abgesetzt werden, wobei gesetzlich vorgesehene Wahlmöglichkeiten unberührt blieben(BAG, Beschluss vom 18.11.2015 - 10 AZB 43/15 -). Auch wenn es für die zweckentsprechend verursachten Kosten nicht darauf ankäme, dass bei einem Verfahren kein Anwaltszwang bestünde, könnt allerdings jeder Beteiligte sich eines Rechtsanwalts bedienen, ohne deshalb Kostennachteile befürchten zu müssen. Maßgeblich käme es nur darauf an, ob eine verständige Prozesspartei in der gleichen Situation ebenfalls einen Rechtsanwalt beauftragt hätte, was für einen Rechtsmittelgegner regelmäßig anzunehmen sei (BAG aaO.). Das hindere allerdings nicht zu überprüfen, ob die einzelne Maßnahme des Prozessbevollmächtigten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig war. Der Prüfungsmaßstab richte sich danach, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei im damaligen Zeitpunkt (ex-ante-Sicht) die kostenauslösende Maßnahme als sachdienlich ansehen durfte. Entscheidend ist, ob ein objektiver Betrachter die Sachdienlichkeit bejahen würde.
Wenn die Maßnahme offensichtlich nutzlos sei, könne die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nicht mehr als sachdienlich angesehen werden. Dies sei z.B. der Fall, wenn mit der Zustellung der Rechtsmittelschrift zeitgleich das Rechtsmittelgericht mitteilt, aus formalen Gründen eine Verwerfung des Rechtsmittels ohne mündliche Verhandlung zu beabsichtigen (BAG aaO.). Gleiches gelte, wenn das Rechtsmittelgericht dem Rechtsmittelführer darauf hinweise, dass die Begründungsfrist für das Rechtsmittel nicht eingehalten worden sei und dieser darauf nicht reagiere (BAG, Beschluss vom 15.03.2022 - 9 AZB 26/21 -).
Soweit die anwaltliche Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten der Beklagten alleine die hier in Rede stehende Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV RVG auslöste, sei im damaligen Zeitpunkt aus der ma0gebenden Sicht einer verständigen und wirtschaftlich vernünftig denkenden Partei zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig gewesen. Durch die Erwiderung des Klägers vom 12.10.2022 auf den Hinweis des LAG vom 10.10.2022 sei für die Beklagte eine als risikobehaftet angesehene Situation eingetreten, die geeignet gewesen sei, die Tätigkeit ihres Prozessbevollmächtigten als erforderlich erscheinen zu lassen. Sie habe damit rechnen dürfen, dass der Kläger das Berufungsverfahren trotz des Hinweises des Gerichts durchführen würde. In dieser Situation sei der Beklagten nicht zuzumuten gewesen, den weiteren Fortgang des Berufungsverfahrens abzuwarten. Der Kläger habe die Ursache für das Verhalten der Beklagten gesetzt. Es habe dem Kläger oblegen, durch seien Prozessbevollmächtigten von einer (eventuell) beabsichtigten Berufungsrücknahme frühzeitig zu informieren und dadurch für Klarheit zu sorgen (BGH, Beschluss vom 10.04.2018 - VI ZB 70/16 -).
BAG, Beschluss vom
15.12.2023 – 9 AZB 13/23 -
Aus den Gründen:
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten
wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom
18. Juni 2023 - 26 Ta (Kost) 6036/23 - aufgehoben.
2. Auf die sofortige Beschwerde der
Beklagten wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 24. März 2023
- 56 Ca 3247/21 - in der Gestalt des Nichtabhilfebeschlusses vom
12. Mai 2023 abgeändert.
3. Die nach dem Beschluss des
Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. November 2022
- 5 Sa 827/22 - vom Kläger an die Beklagte zu erstattenden
Kosten werden auf 1.514,26 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz seit dem 7. Dezember 2022 festgesetzt.
4. Der Kläger hat die Kosten des
Festsetzungsverfahrens zu tragen.
5. Der Wert des
Beschwerdegegenstands wird auf 1.514,26 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die
Beklagte begehrt im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens die Erstattung von
Rechtsanwaltsgebühren für die Tätigkeit ihrer Prozessbevollmächtigten in der
Berufungsinstanz.
Der Kläger hat
gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 2. März
2022 - 56 Ca 3247/21 -, das ihm am 8. August 2022
zugestellt worden ist, am 29. Juli 2022 Berufung eingelegt und diese mit
einem am 6. Oktober 2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen
Schriftsatz begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Beklagten die
Berufungsbegründungsschrift zugeleitet und beide Parteien unter dem
10. Oktober 2022 darauf hingewiesen, dass wegen Nichtwahrung der Frist zur
Berufungsbegründung Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung bestünden. Die
Begründungsfrist sei am 2. August 2022 angelaufen und habe am
4. Oktober 2022 geendet. Es sei beabsichtigt, die Berufung gemäß
§ 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO, § 66 Abs. 2 Satz 2 ArbGG
ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen. Dem
Kläger wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 4. November 2022
gegeben.
Der Kläger hat
mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2022 mitgeteilt, die Auffassung des
Landesarbeitsgerichts nicht zu teilen. Die Berufungsbegründungsfrist habe erst
am 10. Oktober 2022 geendet. Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten
haben mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2022 gegenüber dem
Landesarbeitsgericht ihre Vertretung angezeigt und beantragt, die Berufung des
Klägers zu verwerfen bzw. zurückzuweisen. Nach weiterem gerichtlichen Hinweis
vom 17. Oktober 2022 hat der Kläger die Berufung am 3. November 2022
zurückgenommen. Mit Beschluss vom 24. November 2022 hat das
Landesarbeitsgericht dem Kläger die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.
Mit Antrag vom
7. Dezember 2022 hat die Beklagte für das Berufungsverfahren
Kostenfestsetzung beantragt und - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren
von Belang - eine 1,1-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3201
VV RVG in Ansatz gebracht. Das Arbeitsgericht hat den
Kostenfestsetzungsantrag mit Beschluss vom 24. März 2023 zurückgewiesen.
Es hat der sofortigen Beschwerde der Beklagten nicht abgeholfen und sie dem
Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Dieses hat die sofortige
Beschwerde mit Beschluss vom 18. Juni 2023 zurückgewiesen und die
Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde macht die Beklagte
geltend, die Sachanträge vom 14. Oktober 2022 seien als Maßnahmen zur
zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig gewesen.
II. Die
statthafte (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch im
Übrigen zulässige (§ 575 ZPO) Rechtsbeschwerde ist begründet. Das
Landesarbeitsgericht hat die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den
Kostenfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts zu Unrecht zurückgewiesen. Die
Beklagte kann vom Kläger die Erstattung ihrer Rechtsanwaltskosten für das
Berufungsverfahren verlangen. Ihre Prozessbevollmächtigten können für ihr
Tätigwerden zumindest eine 1,1-fache Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3201
VV RVG sowie die Pauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG zuzüglich
Umsatzsteuer beanspruchen. Die Verfahrensgebühr ist entgegen der Auffassung des
Landesarbeitsgerichts auch erstattungsfähig iSd. § 91 ZPO.
1. Das
Landesarbeitsgericht hat zutreffend unter Darstellung der Senatsrechtsprechung
und der des Bundesgerichtshofs erkannt, dass die Prozessbevollmächtigten der
Beklagten eine anwaltliche Tätigkeit entfaltet haben, die die zuletzt zur
Erstattung verlangte 1,1-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV RVG
ausgelöst hat.
a) Nach
§ 15 Abs. 1 RVG entgelten die Gebühren die gesamte Tätigkeit des
Rechtsanwalts vom Auftrag bis zur Erledigung der Angelegenheit. Zum jeweiligen
Rechtszug gehören dabei auch Neben- und Abwicklungstätigkeiten (§ 19
Abs. 1 Satz 1 RVG). In § 19 Abs. 1 Satz 2 RVG hat der
Gesetzgeber anhand von Regelbeispielen Tätigkeiten aufgeführt, die er als zum
Rechtszug gehörig ansieht. Nach Nr. 9 dieser Bestimmung zählt dazu auch
die Empfangnahme von Rechtsmittelschriften und ihre Mitteilung an den
Auftraggeber.
b) Die
Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV RVG entsteht, wenn der Rechtsanwalt
in irgendeiner Weise über die genannten Neben- und Abwicklungstätigkeiten
hinaus im Rahmen der Erfüllung seines Prozessauftrags tätig geworden ist. Eines
nach außen erkennbaren Tätigwerdens bedarf es nicht; es genügt das Betreiben
des Geschäfts einschließlich der Information des Mandanten. Der Rechtsanwalt
hat die Gebühr verdient, wenn er Informationen entgegennimmt oder mit seinem
Mandanten bespricht, wie er auf das von der Gegenseite eingeleitete
Rechtsmittel reagieren soll. Auch die interne Prüfung, ob ein Mandant sich
gegen das eingelegte Rechtsmittel wehren soll, lässt die Verfahrensgebühr
entstehen (vgl. BGH 25. Oktober 2012 - IX ZB 62/10 -
Rn. 11 mwN).
c) Wenn
der Auftrag des Rechtsanwalts durch Rücknahme des Rechtsmittels endet, bevor
ein Schriftsatz, der Sachanträge oder Sachvortrag enthält, eingereicht worden
ist (vgl. zum Begriff des Einreichens BGH 7. Februar 2018
- XII ZB 112/17 - Rn. 12, BGHZ 217, 287), wird die
Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3201 VV RVG auf 1,1 ermäßigt. Dies setzt
voraus, dass der Prozessbevollmächtigte des Rechtsmittelgegners aufgrund eines
ihm erteilten Auftrags schon vor der Rücknahme des Rechtsmittels das Geschäft
iSv. Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 2 VV RVG betrieben hat
(vgl. BGH 5. Oktober 2017 - I ZB 112/16 - Rn. 13).
d) Die
Prozessbevollmächtigten der Beklagten haben Tätigkeiten entfaltet, die über
Neben- und Abwicklungstätigkeiten iSv. § 19 Abs. 1 Satz 2
Nr. 9 RVG hinausgehen, indem sie mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2022
gegenüber dem Landesarbeitsgericht ihre Vertretung angezeigt und beantragt
haben, die Berufung des Klägers zu verwerfen bzw. zurückzuweisen.
2. Die
Kosten der Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten der Beklagten sind entgegen
der Auffassung des Landesarbeitsgerichts auch in vollem Umfang gemäß § 91
Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO erstattungsfähig.
a) Nach
§ 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die unterliegende Partei - und
in den Fällen der §§ 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO der
Berufungskläger - die dem Gegner erwachsenden Kosten zu tragen, soweit
diese zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung
notwendig waren. Für die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts
der obsiegenden Partei regelt § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1
ZPO, dass diese in allen Prozessen zu erstatten sind. Die Vorschrift bildet
insofern eine Ausnahme, als sie für ihren Anwendungsbereich von der
grundsätzlich gebotenen Prüfung der Notwendigkeit entstandener Kosten zur
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung entbindet (BGH
7. Februar 2018 - XII ZB 112/17 - Rn. 17 mwN, BGHZ 217,
287; BAG 18. November 2015 - 10 AZB 43/15 - Rn. 18
mwN, BAGE 153, 261).
b)
Allerdings unterliegt die Rechtsausübung im Zivilverfahren und damit auch die
Durchsetzung des Anspruchs aus § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1
ZPO dem aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleiteten Missbrauchsverbot.
aa) Nach
diesem Grundsatz trifft jede Prozesspartei die Verpflichtung, die Kosten ihrer
Prozessführung, die sie im Falle ihres Sieges vom Gegner erstattet verlangen
will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung ihrer berechtigten
Belange vereinbaren lässt. Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung kann dazu
führen, dass das Festsetzungsverlangen als rechtsmissbräuchlich zu
qualifizieren ist und die unter Verstoß gegen Treu und Glauben zur Festsetzung
angemeldeten Mehrkosten vom Rechtspfleger im Kostenfestsetzungsverfahren
abzusetzen sind. Gesetzlich eingeräumte Wahlmöglichkeiten bleiben jedoch
unberührt (BAG 18. November 2015 - 10 AZB 43/15 -
Rn. 20 mwN, BAGE 153, 261).
bb) Die
gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts gelten unabhängig von den
konkreten Umständen stets als zweckentsprechend verursachte Kosten. Ohne
Bedeutung ist deshalb, ob für das einzelne Verfahren Anwaltszwang besteht; eine
Partei soll sich im Prozess grundsätzlich anwaltlicher Hilfe bedienen können,
ohne Kostennachteile befürchten zu müssen. Im Kostenfestsetzungsverfahren nach
§§ 103 ff. ZPO ist daher grundsätzlich nicht zu prüfen, ob die Partei
für das Verfahren einen Rechtsanwalt beauftragen durfte und dies objektiv
notwendig war. Maßgeblich ist allein die Frage, ob eine verständige
Prozesspartei in der gleichen Situation ebenfalls einen Anwalt beauftragt
hätte, was für einen Rechtsmittelgegner der Regelfall ist (BAG
18. November 2015 - 10 AZB 43/15 - Rn. 21 mwN,
BAGE 153, 261).
cc)
§ 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 ZPO hindert andererseits nicht
zu überprüfen, ob die einzelne Maßnahme des Prozessbevollmächtigten zur
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig war.
Prüfungsmaßstab ist, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende
Partei die Kosten auslösende Maßnahme im damaligen Zeitpunkt als sachdienlich
ansehen durfte. Abzustellen ist mithin auf die Sicht der Partei in der
konkreten prozessualen Situation und dann zu beurteilen, ob ein objektiver
Betrachter aus diesem Blickwinkel die Sachdienlichkeit bejahen würde. Die
Notwendigkeit bestimmt sich daher aus der „verobjektivierten“ ex-ante-Sicht der
jeweiligen Prozesspartei und nicht nach einem rein objektiven Maßstab (BGH
10. April 2018 - VI ZB 70/16 - Rn. 10; 7. Februar
2018 - XII ZB 112/17 - Rn. 24, BGHZ 217, 287). Danach kann
die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nicht als zweckentsprechend angesehen
werden, wenn sie offensichtlich nutzlos ist. Dies kann beispielsweise der Fall
sein, wenn dem Rechtsmittelgegner gleichzeitig mit der Zustellung der
Rechtsmittelschrift vom Rechtsmittelgericht mitgeteilt wird, dass aus formalen
Gründen eine Verwerfung des Rechtsmittels ohne mündliche Verhandlung
beabsichtigt sei und deshalb für ihn keine als risikohaft empfundene Situation
besteht (BAG 18. November 2015 - 10 AZB 43/15 - Rn. 22
mwN, BAGE 153, 261). Eine anwaltliche Tätigkeit kann auch dann nicht
notwendig sein, wenn das Gericht den Rechtsmittelführer darauf hinweist, dieser
habe versäumt, sein Rechtsmittel in der dafür vorgesehenen Frist zu begründen,
und dieser weder Stellung nimmt noch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand nach § 233 ZPO stellt (vgl. BAG 15. März 2022
- 9 AZB 26/21 - Rn. 16 nv.).
dd) Die
vorstehend genannten Grundsätze gelten auch für die Rechtsmittelverfahren nach
dem Arbeitsgerichtsgesetz. § 91 ZPO gilt im Berufungs- und
Revisionsrechtszug uneingeschränkt, da es insoweit an einer Bezugnahme in
§ 64 Abs. 7, § 72 Abs. 6 auf § 12a ArbGG fehlt (BAG
18. November 2015 - 10 AZB 43/15 - Rn. 23 mwN,
BAGE 153, 261).
c)
Danach war die seitens der Prozessbevollmächtigten der Beklagten erbrachte
anwaltliche Tätigkeit, zumindest soweit sie die allein in Rede stehende
ermäßigte Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV RVG auslöste, im
damaligen Zeitpunkt aus der maßgebenden Sicht einer verständigen und
wirtschaftlich vernünftig denkenden Partei zur zweckentsprechenden
Rechtsverteidigung notwendig. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das
Landesarbeitsgericht die Parteien bereits bei Zuleitung der Berufungsbegründungsschrift
an die Beklagte unter dem 10. Oktober 2022 darauf hingewiesen hat, dass
wegen Nichtwahrung der Frist zur Berufungsbegründung beabsichtigt sei, die
Berufung gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO, § 66 Abs. 2
Satz 2 ArbGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss als unzulässig zu
verwerfen. Denn der Kläger hat die ihm vom Landesarbeitsgericht eingeräumte
Gelegenheit zur Stellungnahme genutzt und ist mit Schriftsatz vom
12. Oktober 2022 der Auffassung des Landesarbeitsgerichts
entgegengetreten. Durch die Erwiderung des Klägers auf den gerichtlichen
Hinweis entstand für die Beklagte eine als risikohaft empfundene Situation, die
geeignet ist, das Tätigwerden ihrer Prozessbevollmächtigten als erforderlich
erscheinen zu lassen. Sie durfte damit rechnen, dass der Kläger das
Berufungsverfahren trotz des gerichtlichen Hinweises durchzuführen
beabsichtigt. Da die einem Rechtsmittel oder Rechtsbehelf ausgesetzte Partei
regelmäßig nicht selbst beurteilen kann, was zur Rechtsverteidigung zu
veranlassen ist, kann ihr in einer solchen Situation nicht zugemutet werden,
zunächst den weiteren Fortgang des Berufungsverfahrens abzuwarten. Der Kläger
hat vielmehr durch seine Reaktion auf den gerichtlichen Hinweis die Ursache
dafür gesetzt, dass die Beklagte Maßnahmen zu ihrer Rechtsverteidigung für
erforderlich halten durfte. Es hätte dem Kläger oblegen, durch seine
Prozessbevollmächtigten die Gegenseite von einer (eventuell) beabsichtigten
Berufungsrücknahme frühzeitig zu informieren und dadurch für Klarheit zu sorgen
(vgl. BGH 10. April 2018 - VI ZB 70/16 - Rn. 14;
7. Februar 2018 - XII ZB 112/17 - Rn. 28, BGHZ 217,
287; 17. Dezember 2002 - X ZB 9/02 - zu II 3 c der Gründe).
Aus der Sicht einer vernünftig und wirtschaftlich denkenden Partei bestand
daher ausreichender Anlass, durch Anwaltsschriftsatz einen Berufungsgegenantrag
zu stellen.
3.
Aufgrund des von der Beklagten angegebenen abzugsfähigen Vorsteueranteils von
5,81 vH war bei der Festsetzung eine Umsatzsteuer von 13,19 vH
anzusetzen. Die Beklagte hat die hierfür nach § 104 Abs. 2
Satz 3 ZPO erforderliche Erklärung abgegeben. Danach war die beantragte
Mehrwertsteuer ohne weitere Prüfung als vom Kläger zu erstattende Kosten
festzusetzen. Die von der Beklagten geltend gemachten Umsatzsteuerbeträge
könnten mithin nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn die Richtigkeit ihrer
Erklärung nach § 104 Abs. 2 Satz 3 ZPO durch entsprechenden
- von dem Kläger zu erbringenden - Beweis bereits entkräftet wäre
oder sich eine offensichtliche Unrichtigkeit der Erklärung aus anderen, dem
Gericht bekannten Umständen, etwa dem Akteninhalt, zweifelsfrei ergäbe (vgl.
BGH 10. Februar 2003 - VIII ZB 92/02 -
zu II 2 der Gründe). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
4. Die
im Kostenfestsetzungsbeschluss festgesetzten Kosten sind nach § 104
Abs. 1 Satz 2 ZPO zu verzinsen. Der Verzinsungszeitraum beginnt mit
dem Tag des Eingangs des Festsetzungsantrags (vgl. BGH 4. November 2020
- VII ZB 37/18 - Rn. 18; 22. September 2015
- X ZB 2/15 - Rn. 10; Zöller/Herget ZPO 34. Aufl.
§ 104 Rn. 6).
III. Der Kläger hat die Kosten des Festsetzungsverfahrens zu tragen (§ 91 Abs. 1 ZPO). Gerichtskosten fallen bei einer der sofortigen Beschwerde und der Rechtsbeschwerde stattgebenden Entscheidung nicht an (vgl. Nr. 8614, 8623 VV GKG).
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