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Sonntag, 9. Juni 2024

Befangenheit des Richters bei früherer Anstellung in Kanzlei eines Prozessbevollmächtigten ?

Die Einzelrichterin hatte nach Übernahme des Dezernats in einem Verfahren im Zusammenhang mit Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall am 10.11.2023 eine dienstliche Erklärung abgegeben, nach er sie im Zeitraum von …2022 bis …2023 als angestellte Rechtsanwältin in der Kanzlei des einen beteiligten Prozessbevollmächtigten  in dessen Abteilung Krankenversicherungsrecht und Arzthaftung tätig gewesen sei, mit allgemeinen Verkehrsunfallsachen (wie hier anhängig( nicht zu tun gehabt habe und auch die Beklagtenpartei nie vertreten habe. Die Klägerin lehnte daraufhin am 17.11.2023 die Richterin wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Durch Beschluss vom 04.12.2023 wurde das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen. Die dagegen eingelegte (sofortige) Beschwerde der Klägerin war erfolgreich.

Unter Verweis auf § 42 Abs. 1, 2 ZPO und u.a. den Beschluss des BVerfG vom 05.04.1990 - 2 BvR 413/88 - führte das OLG als Beschwerdegericht aus, dass ein Grund für die Annahme der Befangenheit eines Richters vorläge, wenn dieser Grund geeignet sei, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen; erforderlich (aber auch ausreichend) sei dafür das Vorliegen eines Sachverhalts, der vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung und Würdigung aller Umstände berechtigten Anlass zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit des Richters gebe. Nicht ausreichend seien vorläufige Meinungsäußerungen und Einschätzungen des Richters im Rahmen der materiellen Prozessleitung, ebenso wenig bloße Verfahrensverstöße oder fehlerhafte Entscheidungen, soweit die Grenze zur Willkür nicht überschritten sei. Diese Grundsätze würden hier die Richterablehnung rechtfertigen.

Zwar würde nicht jede geschäftliche oder berufliche Beziehung eines Richters zu einem Prozessbeteiligten einen Befangenheitsgrund darstellen. Allerdings würde der Umstand, dass ein früheres Arbeitsverhältnis erst kurze Zeit und weniger als sechs Monate vor der Befassung mit dem Rechtsstreit beendet worden sei, einen Umstand darstellen, der aus der Sicht einer ruhig und vernünftig abwägenden Partei geeignet sei, Zweifel an der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit der Richterin zu wecken, auch wenn eine Unvoreingenommenheit durch ein konkretes Verhalten im Verfahren unmittelbar keinen Anlass zu einer solchen Besorgnis gegeben habe (OLG München, Urteil vom 26.03.2014 - 15 U 4783/12 -).  Es erscheine aus Sich einer Partei auch bei vernünftiger Betrachtung nicht völlig fernliegend, dass die Richterin persönliche und emotionale Beziehungen zu dort (auch in verantwortlicher Stellung) tätigen Personen aufgebaut und sich Sichtweisen und Wertungen der Kanzlei zu eigen gemacht habe (OLG München aaO.), die bei der Kürze von weniger als 6 Monaten zwischen Beendigung der Tätigkeit in der Kanzlei und Befassung in diesem Rechtstreit noch nachwirken könnten. Dies gelte unabhängig davon, ob es zu Überschneidungen des Mandatsverhältnisses mit der anwaltlichen Vortätigkeit der Richterin gäbe, wie auch unabhängig von einer persönlichen  Befassung mit dem Mandat oder der Materie im Rahmen der anwaltlichen Vortätigkeit (OLG München aaO.). Es bedürfe daher hier nicht der Prüfung, ob eine die Besorgnis der Befangenheit begründende Vorbefassung der abgelehnten Richterin vorgelegen habe, worauf es allerdings, wie das Beschwerdegericht richtig anmerkt, bei zunehmender Zeitdauer zwischen der Beendigung der anwaltlichen Tätigkeit und späterer Befassung im Richteramt ankäme.

Anmerkung: Der Entscheidung ist zuzustimmen. Ob ein abgelehnter Richter tatsächlich befangen ist, muss nicht festgestellt werden, Es reicht der sogenannte „böse Schein“. Arbeitete der erkennende Richter noch kurz vor seiner Befassung mit dem Rechtsfall  für. eine eine Partei des Verfahrens vertretene Anwaltskanzlei, ist dieser „böse Schein“ anzunehmen. Ob allerdings eine Zeitdauer zwischen Beendigung der anwaltlichen Tätigkeit und richterliche Übernahme des Rechtsfalls von 6 Monaten ausreichend ist, diesen „bösen Schein“ auszuräumen, dürfet wohl kaum pauschal betrachtet werden können und auf die Umstände des Einzelfalls, so Dauer der Zugehörigkeit zur Kanzlei, dem weiter bestehenden Kontakt, der Materie des Rechtsstreits und der ehemaligen Tätigkeit des Richters in der Kanzlei, ankommen.  Richtig ist zudem, dass unabhängig von einer zeitlichen Abfolge dann auch eine Befangenheit iSv. § 42 ZPO anzunehmen ist, wenn eine Vorbefassung des Richters im Rahmen seiner anwaltlichen Tätigkeit vorlag.

Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 22.01.2024 - 1 W 32/23 -