Vor und hinter dem Beklagten fuhr innerorts jeweils ein (am späteren Verkehrsunfall unbeteiligtes) Fahrzeug. Vor der Unfallstelle befanden sich zwei Fußgängerquerungshilfen, die durch eine durchgezogene Linie (Zeichen 295) verbunden waren. Vor den jeweiligen Fußgängerinseln befand sich ein Pfeil (Zeichen 220-20, vorgeschriebene Fahrtrichtung rechts), hinter der zweiten Fußgängerinsel befand sich eine spitz auslaufende Sperrfläche (Zeichen 298). Die Kolonne musste abbremsen, da das erste Fahrzeug nach der Sperrfläche auf das dortige Grundstück einfahren wollte. Auch der Beklagte wollte nach links abbiegen und begann den Abbiegevorgang am Ende der Sperrfläche. Der Kläger fuhr mit seinem Motorrad hinter den vorgenannten Fahrzeugen und setzet im Bereich der durchgezogenen Linie zum Überholen an. Auf der Gegenfahrspur kam es zur Kollision mit dem Fahrzeug des Klägers.
Das Landgericht wies die Klage ab. Das OLG wies den Kläger darauf hin, dass es beabsichtige seien Berufung zurückzuweisen (was in der Folge dann auch mit Beschluss vom 13.11.2024 erfolgte).
Für beide Unfallbeteiligte habe kein unabwendbares Ereignis vorgelegen, § 17 Abs 2 StVG, weshalb auf die Verursachungsbeiträge gegeneinander abgewogen werden müssten, § 17 Abs. 1 StVG. Dabei sei unter Berücksichtigung der jeweils von den Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr darauf abzustellen, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden sei. Unter Berücksichtigung der Betriebsgefahr dürften dabei nur unstreitige, zugestandene und bewiesene Umstände berücksichtigt werden (BGH, Urteil vom 21.06.2006 - VI ZR 115/05 -). Die Beweislast trage jeder Beteiligte für Verschulden des jeweils anderen und für eigene günstige Umstände.
Bei dem Beklagten sei das Unterlassen der 2. Rückschau zu berücksichtigen. Der Kläger hatte bereits zum Zeitpunkt des Beginns des Abbiegevorgags einige Zeit die durchgezogene Mittellinie vor der Fußgängerquerungshilfe überfahren gehabt und befand sich mithin seither auf der Gegenfahrspur. Die Pflicht zur doppelten Rückschau dient gerade der Verhinderung einer Kollision mit einem überholenden Fahrzeug. Diese Pflicht zur (zweiten) Rückschau sei auch nicht infolge der Zeichen 295, 298 und 222, entfallen, die zu einem faktischen Überholverbot führen würden; § 9 Abs. 1 S. 4 StVO sei „eng auf die Fälle beschränkt, in denen eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs aus baulichen Gründen ausgeschlossen ist“, nicht schon – wie bei Zeichen 295 – aus rechtlichen Gründen. Weitere Sorgfaltsverstöße des Beklagten schoss das OLG aus (was es auch im Beschluss näher darlegte). Dabei wies das OLG auch darauf hin, dass der Anscheinsbeweis zu Lasten des Linksabbiegers nur greifen würde, wenn es zu einer Kollision zwischen einem ordnungsgemäß Überholenden käme, und dies auch nur dann, wenn der Überholer (wie hier nicht) dem Linksabbieger unmittelbar gefolgt wäre.
Der Kläger selbst habe bei unklarer Verkehrslage überholt, § 5 Abs. 2 StVO. Abzustellen sei hier auf die objektiven Umstände. Unklar sei danach die Verkehrslage, wenn nach allen Umständen mit einen gefahrlosen Überholen nicht gerechnet werden könne. Dies sei der Fall, wenn nicht verlässlich beurteilt werden könne, was der Vorausfahrende sogleich tun würde. Das schließe nicht bereits ein Überholen einer Kolonne aus (OLG Karlsruhe, Urteil vom 10.09.2018 - 1 U 155/17 -). Unklarheit im benannten Sinne läge aber vor, wenn ein vorausfahrendes Fahrzeug die Sicht auf den Verkehrsraum vor ihm verdecke (BGH, Urteil vom 26.09.1995 - VI ZR 151/94 -). Dieser Fall habe vorgelegen: So habe der Kläger vorgetragen, er sie in en Ort hineingefahren und habe dort eine auf der rechten Fahrspur stehende Fahrzeugkolonne vorgefunden, wobei er den Grund nicht erkannt habe. Da er dann bereits vor der ersten Verkehrsinsel auf die Gegenfahrbahn gefahren sei, sei die Unklarheit des Grundes der Staubildung für ihn noch gegeben gewesen. Aber auch nach seiner erstinstanzlichen Schilderung (wonach die Kolonne stand, das erste Fahrzeug abbog, die anderen stehen geblieben seien und er angenommen habe, der Fahrzeugführer würde träumen) sei die Situation unklar gewesen, warum das 2. Fahrzeug nicht anfuhr. Er hätte mithin in beiden Fällen das Überholen zurückstellen müssen.
Hinzu käme, dass er die faktischen Überholverbote durch die Zeichen 295, 298 und 222 missachtet habe, § 5 Abs. 1 StVO. Das könne nicht aus Unachtsamkeit geschehen sein, schon kaum im Hinblick auf die durchgezogene Linie (Zeichen 295) und jedenfalls nicht im Hinblick auf die Sperrfläche und ferner das linksseitige Vorbeifahren an der Fußgängerquerungshilfe unter Missachtung von Zeichen 222 (gar wenn man den klägerischen Vortrag ernst nehmen würde, er sei an beiden Querungshilfen linksseitig vorbeigefahren). Hier zeige sich ein besonders grober Verkehrsverstoß, da der Kläger sein möglichst schnelles Fortkommen über die Sicherheit des Straßenverkehrs stelle und andere Verkehrsteilnehmer gefährde.
Aus diesem Verhalten des Klägers folgert das OLG, dass die Verletzung der Pflicht des Beklagten zur 2. Rückschau gegenüber dem Verhalten des Klägers bei der Abwägung nichtmehr ins Gewicht falle. Auch wenn die Rückschaupflicht aus Rechtsgründen nicht entfallen sei, sei wegen der baulichen Situation innerorts euch ein über eine erhebliche Fahrstrecke angeordnetes faktisches Überholverbot mit mehrfachen verschiedenen Anordnungen, nach denen die Nutzung der Gegenfahrbahn ausgeschlossen werden sollte, und die einen einfachen Fahrfehler eines anderen Verkehrsteilnehmers nicht erwarten ließen, für den Beklagten kaum damit zu rechnen, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer überholt, zumal hier bereits ein anderes Fahrzeug abgebogen sei. Die Markierung schütze, wo sie sich wegen der Enge der Fahrbahn faktisch wie ein Überholverbot auswirke, auch das Vertrauen des Vorausfahrenden, an dieser Stelle nicht überholt zu werden (BGH, Urteil vom 28.04.1987 - VI ZR 66/86 - zur ununterbrochenen Mittellinie, Zeichen 295, und Sperrfläche, Zeichen 298). Das besonders grob verkehrswidrige Verhalten des Klägers ließe es vorliegend angemessen erscheinen, die (Mit-) Haftung des Beklagten ausnahmsweise zurücktreten zu lassen (OLG Frankfurt, Urteil vom 11.01.2017 - 16 U 116/16 -; OLG München, Urteil vom 17.09.1974 - 5 U 3417/73 -).
OLG Brandenburg, Hinweisbeschluss
vom 08.10.2024 - 12 U 78/24 -
Aus den Gründen:
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das am 12.06.2024 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Neuruppin, Az. 3 O 142/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe
I.
Der Kläger
macht Schadensersatz und die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für
zukünftige Schäden nach einem Verkehrsunfall am 18.04.2022 gegen 13:40 Uhr in
der Gemeinde („Ort 01“) geltend.
Die Beklagte
fuhr mit ihrem Pkw („Marke 01“) mit dem amtlichen Kennzeichen … auf der B ….
Vor ihr und hinter ihr fuhr jeweils ein am Verkehrsunfall unbeteiligtes
Fahrzeug. Vor der Unfallstelle befinden sich zwei Fußgängerquerungshilfen, die
durch eine durchgezogene Linie (Z 295) verbunden sind. Jeweils vor der
Fußgängerinsel befindet sich ein Zwangspfeil (220-20, vorgeschriebene
Vorbeifahrt rechts). Hinter der zweiten Fußgängerinsel befindet sich eine spitz
auslaufende Sperrfläche (Z 298). Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 10 der
Ermittlungsakte Bezug genommen. Die Kolonne bremste ab, weil das erste Fahrzeug
nach links in die („Adresse 01“) einbog. Auch die Beklagte beabsichtigte, nach
links abzubiegen und begann ihren Abbiegevorgang am Ende der Sperrfläche. Der
Kläger fuhr mit seinem Motorrad mit dem amtlichen Kennzeichen … hinter den
Fahrzeugen und setzte im Bereich der durchgezogenen Linie zum Überholen an. Auf
der Gegenfahrbahn kam es zur Kollision mit dem links abbiegenden Fahrzeug der
Beklagten.
Der Kläger hat
vorgetragen, er habe zunächst hinter den stehenden Fahrzeugen links versetzt
innerhalb der rechten Fahrspur gestanden und, nachdem das erste Fahrzeug
abgebogen war und sich die Fahrzeuge nicht in Bewegung gesetzt hätten, gedacht,
der Fahrzeugführer des zweiten Fahrzeugs träume. Er habe sich daraufhin
entschlossen zu überholen, den Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt und die Fahrspur
gewechselt. Dabei habe er beobachtet, dass die vor ihm befindlichen Fahrzeuge
anfuhren. Als er bereits an dem ersten der vor ihm befindlichen Pkw
vorbeigefahren sei, sei die Beklagte plötzlich und ohne ihre Absicht durch die
Einordnung in die Straßenmitte und/oder das Setzen des Fahrtrichtungsanzeigers
anzuzeigen, nach links abgebogen.
Er macht
Reparaturkosten von 22.053,19 €, eine Wertminderung von 1.500 €, eine
Unkostenpauschale von 25 €, sowie einen Verdienstausfall für die Monate Juni
und Juli 2022 i.H.v. 18.446,66 € und einen weiteren Verdienstausfall für das
Jahr 2022 i.H.v. 45.546,32 € geltend.
Die Beklagte
hat vorgetragen, sie habe sich mittig eingeordnet und rechtzeitig den Blinker
links gesetzt und sich durch doppelte Rückschau auch nach hinten vergewissert.
Der Kläger habe an der Unfallstelle eingeräumt, den Blinker wegen der
blendenden Sonne nicht gesehen zu haben.
Das Landgericht
hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe den
Nachweis für eine Pflichtverletzung durch die Beklagte nicht führen können. Die
Beklagte habe entgegen dem Kläger bekundet, rechtzeitig links geblinkt zu
haben. Dafür spräche, dass der Fahrtrichtungsanzeiger auch nach der Kollision
gesetzt gewesen sei, wie der Zeuge („Name 01“) bekundet habe. Allerdings bliebe
danach offen, ob der Fahrtrichtungsanzeiger rechtzeitig in Funktion gesetzt
worden sei. Die Aussage des Zeugen („Name 02“), des Lebensgefährten der
Klägerin, sei nicht belastbar. Der Kläger könne sich auch nicht auf einen
Anscheinsbeweis zulasten des Linksabbiegers berufen, weil er eine kleine
Kolonne überholt habe und es deshalb an einem typischen Geschehensablauf fehle.
Ob die Beklagte, was nahe läge, die doppelte Rückschaupflicht verletzt habe,
könne dahinstehen, weil das Überholmanöver des Klägers in besonders grobem Maße
verkehrsrechtswidrig gewesen sei und deshalb die Pflicht zur zweiten Rückschau
entfalle. Der Kläger habe eine vor ihm befindliche Kolonne überholt und dabei
eine durchgezogene Linie und eine Sperrfläche überfahren und sei links an einer
Verkehrsinsel vorbeigefahren. Wegen dieser Situation der Straße habe die
Beklagte darauf vertrauen dürfen, nicht überholt zu werden. Vor diesem
Hintergrund trete auch die Betriebsgefahr des Fahrzeuges der Beklagten zurück.
Wegen der tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Ausführungen wird auf
das Urteil Bezug genommen.
Der Kläger hat
gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 27.06.2024 zugestellte Urteil mit
einem am Montag, den 29.07.2024 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht
eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese am letzten Tag der auf
rechtzeitigen Antrag verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 27.09.2024
begründet. Er führt aus, als er in die Ortsgemeinde eingefahren sei, habe sich
vor ihm eine stehende Fahrzeugkolonne befunden. Der Grund für den Stillstand
sei nicht erkennbar gewesen, sodass es ihm möglich erschienen sei, dass sich
hier wegen einer Fahrbahnblockierung ein Stau aufbaue. Er sei dann vor der
ersten Verkehrsinsel auf die linke Fahrspur gewechselt und sei auch, als er die
zweite Verkehrsinsel passiert habe, weiter an den stehenden Fahrzeugen auf der
rechten Fahrspur vorbei gefahren. Dann sei die Beklagte unvermittelt abgebogen
und habe seine Fahrspur gekreuzt, obwohl die Beklagte ihn vor Einleitung des
Abbiegemanövers zwingend hätte wahrnehmen müssen. Dabei habe ihr auch die doppelte
Rückschaupflicht obliegen, weil diese gerade die Gefährdung anderer
Verkehrsteilnehmer ausschließen solle. Gegen die Beklagte spräche ein
Anscheinsbeweis, den sie nicht habe entkräften können. Die Beklagte könne sich
insoweit auch nicht mit Erfolg auf die Verkehrsinsel berufen, denn diese
schütze lediglich den Fußgängerverkehr und nicht die Linksabbieger. Der
Verkehrsverstoß des Klägers wiege hingegen nicht besonders schwer, wie sich aus
der rechtlichen Bewertung des Bußgeldkataloges ergebe. Bei Abwägung der
Pflichtenverstöße des Überholens bei unklarer Verkehrslage einerseits und dem
Verstoß gegen die doppelte Rückschaupflicht andererseits sei eine hälftige
Haftung angezeigt, zumal die höhere Betriebsgefahr bei dem Kfz liege.
Er hat angekündigt zu beantragen,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 10.512,48 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hierauf seit dem 30.07.2022, sowie weitere 22.773,16 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen bzw. weitere vom Kläger aufgewendeten Kosten seiner außergerichtlichen Interessenvertretung i.H.v. 2.874,92 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hierauf seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
2. festzustellen, dass ihm die Beklagte, resultierend aus dem Unfallgeschehen am 26.04.2022, welches sich gegen 13:40 Uhr auf der B …, Abschnitt 470, Kilometer 1,129 zutrug, Schadensersatz auf Basis einer Haftungsquote von 50 % schuldet.
Die Beklagte hat angekündigt zu beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Eine Berufungserwiderung liegt noch nicht vor.
II.
Die zulässige,
insbesondere form- und fristgerecht gem. §§ 517 ff. ZPO eingelegte
Berufung hat nach einstimmiger Auffassung des Senats offensichtlich keine
Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache weist auch weder grundsätzliche Bedeutung
auf, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch
Urteil. Eine mündliche Verhandlung ist auch nicht aus sonstigen Gründen
geboten. Es ist daher die Zurückweisung der Berufung gem. § 522
Abs. 2 ZPO durch Beschluss beabsichtigt.
Die Klage ist
unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf
Schadensersatz aus dem Verkehrsunfall am 18.04.2022 gegen 13:40 Uhr in der
Gemeinde („Ort 01“) aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 18 Abs. 1
StVG, 823 BGB i.V.m. §§ 115 VVG, 1 PflVG.
1.
Nachdem keiner der Unfallbeteiligten ein unabwendbares Ereignis für sich in
Anspruch nimmt, § 17 Abs. 3 StVG, und auch der Senat keinen Raum für
die Annahme sieht, dass der Unfall bei Beachtung der nach den Umständen des
Falles gebotenen Sorgfalt und eines sachgemäßen, geistesgegenwärtigen Handelns
erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne von
§ 276 BGB hinaus, hätte vermieden werden können (vgl. Scholten in:
Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 17 StVG
(Stand: 14.04.2023), Rn. 17), ist im Rahmen der Abwägung der
Verursachungsbeiträge nach § 17 Abs. 1 StVG auf die Umstände des
Einzelfalles abzustellen, insbesondere darauf, inwieweit der Schaden vorwiegend
von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Bei der Abwägung der
Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge
sind unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden
Betriebsgefahr nur unstreitige bzw. zugestandene und bewiesene Umstände
einzustellen (vgl. nur BGH NJW 2007, 506). Jeder Halter hat dabei die Umstände
zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er für die
nach § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmende Abwägung für sich günstige
Rechtsfolgen herleiten will (BGH NZV 1996, S. 231).
1.1. Zu
Lasten der Beklagten ist ein Verstoß gegen die Pflicht zur zweiten Rückschau
anzunehmen, § 9 Abs. 1 StVO.
a) Wie
sich aus dem unwidersprochen gebliebenen Klagevorbringen ergibt, hat der Kläger
bereits durch Überfahren der durchgezogenen Mittellinie (Zeichen 295) vor der
Fußgängerquerungshilfe zum Überholen angesetzt, wobei Anhaltspunkte für ein
Überschreiten der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht vorgetragen
werden. Er befand sich mithin bei Durchführung des Abbiegevorgangs der
Beklagten schon einige Zeit auf der Gegenfahrbahn, die nach den vorliegenden
Streckenübersichten gerade auf die Unfallstelle zuführt. Nachdem es sich hier
um eine erhebliche Fahrstrecke von ca. 90 m (google maps) handelt und der
Kläger wegen der Fußgängerquerungshilfe sich deutlich auf der linken Fahrbahn
befunden haben muss, ist auch ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens
anzunehmen, dass die Beklagte den Kläger bei der gebotenen Aufmerksamkeit hätte
erkennen müssen. Die Pflicht zur zweiten Rückschau ist auch nicht aufgrund des
bestehenden (faktischen) Überholverbotes durch Zeichen 295, 298 und 222
entfallen. Denn die Pflicht zur zweiten Rückschau vor dem Abbiegen verhütet
Unfälle und überfordert nicht. Sie soll deshalb möglichst uneingeschränkt
gelten und § 9 Abs. 1 S. 4 StVO eng auf die Fälle beschränkt
werden, in denen eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs aus baulichen
Gründen ausgeschlossen ist, nicht schon aus rechtlichen wie z.B. durch Zeichen
295 (Hentschel/König/Dauer/König, 47. Aufl. 2023, StVO § 9 Rn. 25 m.w.N.,
beck-online).
b)
Dafür, dass der Beklagten weitere Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten eines
Linksabbiegers zur Last gelegt werden können, insbesondere sich mittig
einzuordnen und rechtzeitig den linken Fahrtrichtungsanzeiger zu setzen, hat
der Kläger den ihm obliegenden Beweis nicht geführt. Zwar hat er sowohl
schriftsätzlich als auch im Rahmen seiner persönlichen Anhörung bekundet, der
linke Fahrtrichtungsanzeiger sei am Beklagtenfahrzeug nicht in Funktion
gewesen. Dass er dabei die erforderliche Aufmerksamkeit aufgebracht hat, bleibt
bereits deshalb zweifelhaft, weil er selbst ausführt, er sei „unaufmerksam“
gewesen „und habe schon an die Visite gedacht“. Eigentlich habe er „an den
konkreten Hergang keine Erinnerung“ mehr. Gegen seine Unfalldarstellung
sprechen die Ausführungen der Beklagten ebenso wie die Aussage des Zeugen
(„Name 01“), der jedenfalls für den Zeitpunkt nach der Kollision bestätigt hat,
dass der linke Fahrtrichtungsanzeiger in Funktion war. Auch den gesamten
Fahrverlauf vor der Kollision trägt der Kläger in der Klagebegründung und der
Berufungsbegründung abweichend vor. Soweit man mit dem Landgericht die Aussage
des Zeugen („Name 02“) als nicht belastbar ansieht, bleibt er nach dem Ergebnis
der Beweisaufnahme unklar und ist insoweit mangels feststehender
Anknüpfungstatsachen auch nicht durch ein Unfallrekonstruktionsgutachten
aufklärbar. Dem stellt sich der Kläger auch mit der Berufung letztlich nicht
entgegen. Dabei kann er sich auch nicht mit Erfolg auf die Grundsätze des
Anscheinsbeweises berufen. Sofern man einen solchen zu Lasten des
Linksabbiegers auch in Bezug auf die beiden zuvor genannten Verstöße überhaupt
für anwendbar hält, wenn es zu einer Kollision zwischen einem Linksabbieger und
einem ihn ordnungsgemäß Überholenden kommt, gilt dies in der Regel nur, wenn
der Überholer dem Linksabbieger unmittelbar gefolgt war und nicht, wenn der
Überholer eine kleine Kolonne überholt hat und erst dann mit dem abbiegenden
Fahrzeug zusammenstößt. In diesem Fall fehlt es an einem typischen
Geschehensablauf, der aufgrund von Erfahrungssätzen den Schluss auf ein
schuldhaftes Verhalten des Linksabbiegers zuließe. Befindet sich – wie
vorliegend – mindestens ein weiteres Fahrzeug zwischen Überholer und
Linksabbieger, ist es ohne weiteres möglich, dass der Überholende einerseits
für den Linksabbieger bei Fassung des Abbiegeentschlusses nicht erkennbar ist,
weil der Überholer mit seinem Fahrzeug noch nicht auf die Gegenfahrbahn
ausgeschert ist und daher von dem dem Abbieger unmittelbar folgenden Fahrzeug
verdeckt wird und andererseits der Linksabbieger für den Überholer durch das
weitere Fahrzeug verdeckt wird und er deshalb weder die Einordnung des
Linksabbiegers auf der Fahrbahn noch den Fahrtrichtungsanzeiger sehen kann. In
diesem Fall fehlt es an der für die Anwendung der Regeln über den
Anscheinsbeweis notwendigen Typizität (Senat, Urteil vom 20. Januar 2022 – 12 U
61/21 –, Rn. 27, juris; OLG Karlsruhe, Urteil vom 10. September 2018 – 1 U
155/17 –, Rn. 42, juris; OLG Hamm, Urteil vom 23. 2. 2006 - 6 U 126/05, NZV 2007,
77, beck-online). Mithin verbleibt nach § 286 ZPO die volle Beweislast für
einen weiteren Sorgfaltsverstoß der Beklagten beim Kläger als Anspruchssteller.
1.2. Der
Kläger muss sich Verstöße gegen § 5 StVO entgegenhalten lassen. Er hat bei
unklarer Verkehrslage gemäß § 5 Abs. 3 StVO überholt. Eine unklare
Verkehrslage, die jedes Überholen verbietet, ist allein von objektiven
Umständen und nicht vom Gefühl des Überholwilligen abhängig. Unklar ist die
Lage, wenn nach allen Umständen mit gefahrlosem Überholen nicht gerechnet
werden darf. Das Überholverbot greift dann ein, wenn sich nicht verlässlich
beurteilen lässt, was der Vorausfahrende sogleich tun wird. Nicht ausreichend
ist allerdings eine bloß abstrakte Gefahrenlage. Dementsprechend ist das
Überholen einer Fahrzeugkolonne nicht generell verboten. Allein der Umstand,
dass sich hinter einem langsam fahrenden Fahrzeug eine Kolonne gebildet hat,
begründet für die weiter hinten in der Kolonne befindlichen Fahrzeugführer
keine unklare Verkehrslage mit der Folge, dass jeweils nur der Vorausfahrende
überholen dürfte (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 10. September 2018 – 1 U
155/17 –, Rn. 44 - 45, juris). In der Rechtsprechung ist aber auch anerkannt,
dass sich die Unklarheit der Verkehrslage daraus ergeben kann, dass ein
vorausfahrendes Fahrzeug die Sicht auf den Verkehrsraum vor ihm verdeckt (BGH
NJW 1996, 60, beck-online). Anders als noch in erster Instanz trägt der Kläger
mit der Berufungsbegründung vor, er sei in die Ortsgemeinde eingefahren und
habe dort eine Fahrzeugkolonne vorgefunden, die auf der rechten Spur gestanden
habe. Der Grund dafür sei für ihn nicht erkennbar gewesen. Er sei dann bereits
vor der ersten Verkehrsinsel auf die Gegenfahrbahn gefahren und habe die
stehenden Fahrzeuge überholt. Unabhängig davon, dass auch nach dieser
Schilderung für ihn unklar geblieben war, warum es zur Staubildung kam, steht
diese Unfalldarstellung diametral derjenigen in der Klagebegründung als auch
seiner persönlichen Anhörung vor dem Landgericht entgegen. Denn danach sei er
hinter den vor ihm befindlichen drei Fahrzeugen gefahren, alle Fahrzeuge seien
bis zum Stillstand abgebremst worden und dann sei das erste Fahrzeug abgebogen.
Da das verbliebene, jetzt erste Fahrzeug nicht sofort losgefahren sei, habe er
in der Annahme, der Fahrzeugführer träume, überholt. Aber auch nach dieser
Unfalldarstellung war für ihn die Verkehrssituation nicht überschaubar, weil er
erkannt hatte, dass ein Fahrzeug abgebogen war und unklar blieb, warum das
zweite Fahrzeug nicht unmittelbar anfuhr. Dies erst recht, wenn er – anders als
wiederum in seiner Anhörung – in der Klagebegründung ausgeführt hat, bei Setzen
des linken Fahrtrichtungsanzeigers bemerkt zu haben, dass die beiden vor ihm
befindlichen Fahrzeuge anfuhren. Die Situation war für ihn mithin nach eigenem
Vortrag unüberschaubar, so dass er seine Überholabsicht zurückzustellen hatte.
Zudem hat er
die faktischen Überholverbote durch Zeichen 295, 298 und 222 missachtet,
§ 5 Abs. 1 StVO. Dabei ist es wenig nachvollziehbar wenn er ausführt,
dies sei aus bloßer Unachtsamkeit und weil er an die Visite gedacht habe,
passiert. Dies überzeugt schon für das Zeichen 295 (durchgezogene Linie) kaum,
jedenfalls nicht mehr bei der deutlich sichtbaren Sperrfläche und der
linksseitigen Vorbeifahrt an der Fußgängerquerungshilfe unter Missachtung des
Zeichens 222, erst recht, wenn man den Vortrag in der Berufungsbegründung ernst
nimmt, er habe zwei Querungshilfen linksseitig passiert. Vielmehr zeigt sich in
diesem Verhalten eine besonders grobe Pflichtverletzung bzw. grober
Verkehrsverstoß, der sich nicht rechtfertigen lässt, weil er sein möglichst
schnelles Fortkommen über die Sicherheit des Straßenverkehrs stellt und andere
Verkehrsteilnehmer gefährdet.
1.3. Bei
der gebotenen Abwägung der Unfallverursachungsbeiträge fällt die Verletzung der
Pflicht zur zweiten Rückschau auf Seiten der Beklagten gegenüber dem Verhalten
des Klägers nicht mehr ins Gewicht. Auch wenn aus Rechtsgründen die
Rückschaupflicht nicht entfallen ist, ist wegen der baulichen Situation der
Straße innerorts durch ein über eine erhebliche Fahrstrecke angeordnetes
faktisches Überholverbot mit mehrfachen und verschiedenen Anordnungen, die eine
Benutzung der Gegenfahrbahn ausschließen sollen, und die einen lediglich
einfachen Fahrfehler eines anderen Verkehrsteilnehmers nicht erwarten lassen,
für die Beklagte kaum damit zu rechnen, dass ein Fahrzeug überholt, zumal kurz
vorher bereits ein anderes Fahrzeug abgebogen war. Insoweit schützt eine solche
Markierung, wo sie sich wegen der Enge der Fahrbahn faktisch wie ein
Überholverbot auswirkt, auch das Vertrauen des Vorausfahrenden, an dieser
Stelle nicht mit einem Überholtwerden rechnen zu müssen (BGH, Urteil vom 28.
April 1987 – VI ZR 66/86 –, Rn. 24, juris). Es ist auch nicht anzunehmen, dass
die Betriebsgefahr des Pkws gegenüber dem Motorrad des Klägers erhöht wäre. Dem
steht das besonders grob verkehrswidrige Verhalten des Klägers gegenüber, so
dass es im vorliegenden Einzelfall angemessen ist, die Haftung der Beklagten
ausnahmsweise vollständig zurücktreten zu lassen (vgl. OLG Frankfurt, Urteil
vom 11. Januar 2017 – 16 U 116/16 –, Rn. 20; OLG München, Urteil vom 17.
September 1974 – 5 U 3417/73 –, juris)
Damit bleibt
kein Raum für einen Anspruch auf Ersatz der Schäden als auch der beantragten
Feststellung.
2. Da
die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat aus Kostengründen
die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich
vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222
des Kostenverzeichnisses zum GKG).
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen