Die Klägerin schloss mit der zwischenzeitlichen insolvenzreifen Bauträgergesellschaft (Beklagte) einen notariellen Kaufvertrag über eine Eigentumswohnung nebst Kellerraum und Pkw-Stellplatz. Der Kaufpreis von € 287.400,00 wurde mit Ausnahme der letzten Rate in Höhe von € 17.205,10 bezahlt. Die Beklagte befand sich mit der Beseitigung einer Vielzahl von Mängeln in Verzug, deren Beseitigungskosten ein mehrfaches der offenen Forderungen betrugen. Da im Kaufvertrag bereits die Auflassung erklärt wurde, forderte die Klägerin die Beklagte zur Anweisung des Notars auf, die Eigentumsumschreibung bei dem Grundbuchamt zu beantragen, dem die Beklagte nicht nachkam. Auf die Klage erließ das Landgericht gegen die Beklagte ein (rechtskräftiges) Versäumnisurteil, die Auflassung gegenüber der Klägerin zu erklären und die Eintragung im Grundbuch zu bewilligen.
Das Landgericht setzte mit Beschluss vom 27.01.2025 den Streitwert auf bis zu € 290.000,00 fest. Dagegen richtete sich die Beschwerde der Klägerin, die eine Reduzierung des Streitwertes auf € 17.305,10 anstrebte (Hinweis: Zwar hatte die Beklagte nah dem Versäumnisurteil die Kosten des Verfahrens zu tragen, doch müsste hier die Klägerin die Gerichtskosten als Zweitschuldner und ihre eigenen Kosten - hier in Form der Rechtsanwaltsgebühren - tragen, wenn die Beklagte nicht zahlen würde/kann, was in Ansehung deren Insolvenzreife zu befürchten stand, weshalb es im Interesse der Klägerin lag, den Streitwert, aus dem sich die Gebühren berechnen, zu reduzieren). Das Landgericht half der Beschwerde nicht ab, da nach seiner Auffassung gem. § 6 ZPO auf den Grundstückswert abzustellen sei, da nur so eine berechenbare und einheitliche Bewertung ermöglicht würde.
Das OLG gab der Beschwerde statt und reduzierte den Streitwert auf € 17.305,10.
Die Streitfrage, ob bei einer Auflassungsklage der Streitwert generell gemäß § 6 ZPO nach dem Verkehrswert (Hinweis: Bei einem Kaufvertrag wird der Kaufpreis grundsätzlich als Verkehrswert angenommen) oder in bestimmten Ausnahmefällen gem. § 3 ZPO auf den Wert einer noch streitigen Restforderung festzusetzen sei, würde in Literatur und Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt. Für die Bewertung gem. § 48 Abs. 1 S. 1 GKG iVm. § 6 ZPO, auch wenn die Auflassung wegen eines verhältnismäßig geringen Gegenanspruchs verweigert würden, hätten sich u.a. das OLG Köln mit Beschluss vom 20.09.2004 - 22 W 49/04 -, das OLG München mit Beschluss vom 10.03.1997 - 28 W 2542/06 – ausgesprochen ; zum Meinungsstand Herget in Zöller, ZPO 35. Aufl. zu § 3 Rn. 16.22 „Auflassung“ ausgesprochen. Durch die Anwendung von § 6 ZPO würde dem Umstand Rechnung3 getragen, dass Einwendungen und Gegenrechte der Beklagtenseite ohne Einfluss zu bleiben hätten.
Nach der u.a. vom OLG Celle mit Beschluss vom 20.04.2023 - 5 W 15/23 -, OLG Zweibrücken mit Beschluss vom 11.07.2017 - 6 W 56/17 – vertretenen Ansicht würde bei einer nur geringen Restforderung, die streitig sei, nur deren Bestehen oder Nichtbestehen für die Erfolgsaussicht der Klage entscheidend sein und wäre daher der Streitwert nach § 3 ZPO entsprechend zu begrenzen.
Das OLG Koblenz folgte hier (m.E. zutreffend) der letztgenannten Auffassung. Zwar würde § 6 ZPO grundsätzlich auch für die Festsetzung des Gebührenstreitwertes gelten, doch sei von der Klägerin zurecht darauf hingewiesen worden, dass in Fällen wie hier, in denen aufgrund der konkreten Umstände eindeutig zu erkennen sei, dass der wirtschaftliche Wert des Verfahrens weit unter dem sich aus § 6 ZPO ergebenden Streitwert liege, schon von Verfassungs wegen die wirtschaftliche Bedeutung des Rechtsstreits bei der Streitwertfestsetzung zu berücksichtigen sei (BVerfG, Beschluss vom 16-11-2999 – 1 BvR 1821/94; BGH, Beschluss vom 14.06.2016 – IX 72/14 -). Der Zugang zu den Gerichten dürfe nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden; dies verstoße gegen den Justizgewährungsanspruch (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.01.2922 – 8 W 38/21 -). Nur durch ein Abstellen auf die wirklichen Interessen der Parteien und die wirtschaftlichen Hintergründe können ansonsten untragbare Ergebnisse einer aus dem Verkehrswert zu bestimmenden Streitwertfestsetzung vermieden werden; die formale Betrachtung, alleine auf § 6 ZPO abstellend, müsse dahinter zurücktreten.
Hier sei die Klägerin durch eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch gesichert und die Auflassungsverpflichtung stünde außer Streit. Der offene Restkaufpreis betrage nur 6,02% des Gesamtkaufpreises. Ein nach § 6 ZPO bemessener Streitwert würde (mutmaßlich von der Klägerin infolge der Insolvenzreife der Beklagten selbst zu tragende Kosten) völlig außer Verhältnis zur wirtschaftlichen Bedeutung stehen.
OLG Koblenz, Beschluss vom
17.02.2025 - 3 W 53/25 -
Aus den Gründen:
Tenor
1. Auf die Streitwertbeschwerde der Klägerin wird der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren unter Abänderung des Streitwertbeschlusses der 8. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 27.01.2025 in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 06.02.2025 auf 17.305,10 € festgesetzt.
2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet, § 68 Abs. 3 GKG.
Gründe
I.
Die Parteien
schlossen am 27.02.2019 einen notariellen Bauträger-Kaufvertrag über eine
Eigentumswohnung nebst Kellerraum und PKW-Stellplatz. Den Kaufpreis von 287.400
€ hat die Klägerin bis auf die offene Schlussrate von 3,5 % in Höhe von
17.305,10 € bezahlt. Gemäß § 13 Ziffer 1. und der Anlage 1 zum
Bauträger-Kaufvertrag wurde die Auflassung erklärt. Zugunsten der Klägerin ist
eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen. Die Klägerin hat die
Beklagte erfolglos aufgefordert, den beurkundenden Notar anzuweisen, die
Umschreibung des Eigentums im Grundbuch zu beantragen.
Die Beklagte,
die nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Klägerin insolvenzreif
ist, befindet sich mit der Beseitigung einer Vielzahl von Baumängeln in Verzug.
Die Mängelbeseitigungskosten übersteigen den noch nicht bezahlten Restkaufpreis
um ein Vielfaches.
Das Landgericht
hat die Beklagte durch rechtskräftiges Versäumnisurteil vom 07.01.2025
verurteilt, gegenüber der Klägerin die Auflassung des näher bezeichneten
Wohnungseigentums zu erklären und die Eintragung im Grundbuch zu bewilligen.
Mit Beschluss
vom 27.01.2025 (Bl. 19 ff. eAkte LG) hat es den Streitwert für das
erstinstanzliche Verfahren auf bis zu 290.000 € festgesetzt und zur Begründung
ausgeführt, bei der Auflassungsklage sei stets der Grundstückswert anzusetzen,
auch wenn die Auflassung wegen eines relativ geringfügigen Gegenanspruchs
verweigert werde.
Gegen die
Streitwertfestsetzung richtet sich die Beschwerde der Klägerin, die eine
Herabsetzung auf den Wert des offenen Kaufpreises in Höhe von 17.305,10 €
erstrebt. Der wirtschaftliche Wert des Verfahrens liege weit unter dem Wert des
Wohnungseigentums. Würde auf dessen Wert abgestellt werden, wäre der Zugang zu
den Gerichten wegen der Kosten, die außer Verhältnis zu dem wirtschaftlichen
Wert des Verfahrensgegenstands stünden, in nicht mehr zu rechtfertigender Weise
erschwert.
Das Landgericht
hat der Beschwerde mit Beschluss vom 06.02.2025 (Bl. 35 eAkte LG) nicht
abgeholfen und ausgeführt, dass gemäß § 6 ZPO auf den Grundstückswert
abzustellen sei, weil nur dies eine berechenbare und einheitliche
Bewertungspraxis ermögliche.
II.
Die
Streitwertbeschwerde der Klägerin ist gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1
GKG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht
eingelegt. Auch in der Sache hat das Rechtsmittel Erfolg. Der Gegenstandswert
für das erstinstanzliche Verfahren ist gemäß § 3 ZPO auf den Wert des
offenen Restkaufpreises von 17.305,10 € festzusetzen.
1. Ob
der Streitwert einer Auflassungsklage grundsätzlich gemäß § 6 ZPO nach dem
Verkehrswert des aufzulassenden Grundstücks zu bestimmen ist oder in bestimmten
Ausnahmefällen gemäß § 3 ZPO auf den Wert einer noch streitigen
Restforderung festgesetzt werden kann, wird in Literatur und Rechtsprechung
unterschiedlich beurteilt.
a) Zum
Teil wird die Auffassung vertreten, dass sich der Gegenstandswert bei Klagen
auf Erteilung der Auflassung auch dann nach § 48 Abs. 1 S. 1 GKG
i.V.m. § 6 ZPO bestimmt, wenn die Auflassung allein wegen eines
verhältnismäßig geringfügigen Gegenanspruchs verweigert wird (vgl. Münchener
Kommentar/Wöstmann, ZPO, 7. Auflage 2025, § 3, Rn. 37 mwN; OLG Köln,
Beschluss vom 20.09.2004, 19 U 214/02, juris; OLG Hamm, Beschluss vom
02.09.2004, 22 W 49/04, juris; OLG München vom 10.03.1997 - 28 W 2542/96 - in
NJW-RR 1998, 142 und zum Meinungsstand insgesamt Zöller-Herget, ZPO, 35.
Auflage, § 3, Rn. 16.22 „Auflassung“).
Zur Begründung
wird im Wesentlichen angeführt, die Anwendung von § 6 ZPO gewährleiste
eine berechenbare und einheitliche Wertberechnung. Dadurch werde auch dem
Umstand Rechnung getragen, dass Einwendungen und Gegenrechte der Beklagtenseite
bei der Wertberechnung ohne Einfluss zu bleiben hätten.
b) Nach
anderer Auffassung ist zumindest in den Fällen, in denen nur noch eine im
Verhältnis zum Kaufpreis, bzw. zum Grundstückswert geringe Restforderung
streitig ist und allein das Bestehen oder Nichtbestehen dieser Restforderung
über die Erfolgsaussichten der Klage entscheidet, der Streitwert nach § 3
ZPO auf den Wert der streitigen Forderung zu begrenzen (OLG Celle, Beschluss
vom 20.04.2023, 5 W 15/23, juris, Rn. 6; OLG Zweibrücken, Beschluss vom
11.07.2017, 6 W 56/17, juris, Rn. 9; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.01.2022, 8
W 38/21, juris, Rn. 4; OLG Stuttgart ZMR 2019, 465, Rn. 4; OLG Düsseldorf BauR
2015, 869, Rn. 12; OLG Hamm; Beschluss vom 30.01.2013, 12 W 37/12, juris, Rn.
4)
2. Der
Senat folgt der letztgenannten Auffassung.
§ 6 ZPO
gilt zwar grundsätzlich auch für die Festsetzung des Gebührenstreitwerts. Die
Klägerin weist jedoch zurecht daraufhin, dass in Fällen, in denen aufgrund der
konkreten Umstände eindeutig zu erkennen ist, dass der wirtschaftliche Wert des
Verfahrens für sie weit unter dem sich aus § 6 ZPO ergebenden Streitwert
liegt, schon von Verfassungs wegen die tatsächliche wirtschaftliche Bedeutung
des Rechtsstreits bei der Streitwertfestsetzung zu berücksichtigen ist (vgl.
BVerfG, Kammerbeschluss vom 16.11.1999, 1 BvR 1821/94, juris, Rn. 15 ff, 23;
BGH, Beschluss vom 14.06.2016, IX ZR 72/14, juris, Rn. 1). Denn der Zugang zu
den Gerichten darf nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu
rechtfertigender Weise erschwert werden und es ist mit der Bedeutung des
Justizgewährungsanspruchs nicht vereinbar, wenn einer Partei dabei Kosten
entstehen, die außer Verhältnis zu dem wirtschaftlichen Wert des
Verfahrensgegenstandes stehen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.01.2022, 8
W 38/21, juris, Rn. 5). Allein durch das Abstellen auf die wirklichen
Interessen der Parteien und die wirtschaftlichen Hintergründe können die
ansonsten untragbaren Ergebnisse einer auf den Verkehrswert des zu
übertragenden Wohnungseigentums oder Grundstücks festgelegten Streitwertbestimmung
vermieden werden. Die im Interesse einer berechenbaren und einheitlichen
Wertberechnung rein formale Betrachtung, die bei der Wertfestsetzung allein auf
§ 6 ZPO abstellt, muss dahinter zurücktreten.
Im vorliegenden
Fall begehrt die Klägerin die Auflassung des Eigentums nebst
Eintragungsbewilligung. Sie ist durch eine Auflassungsvormerkung gesichert und
die Auflassungsverpflichtung steht dem Grunde nach außer Streit. Der offene
Restkaufpreis von 17.305,10 € beträgt lediglich 6,02 % des Gesamtkaufpreises
von 287.400 €. Würde der Streitwert in Höhe des Wertes des Wohnungseigentums
festgesetzt, entstünden der Klägerin Gerichtskosten und eigene anwaltlichen
Kosten – die sie wegen der Insolvenzreife der Beklagten mutmaßlich selbst zu
tragen hätte – die völlig außer Verhältnis zur wirtschaftlichen Bedeutung
stehen.
Entsprechend
war der Streitwertbeschluss des Landgerichts abzuändern.
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