Samstag, 9. Januar 2021

WEG: Berufung beim unzuständigen Gericht wegen fehlerhafter Rechtsmittelbelehrung

Die Parteien waren Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft und stritten um die Nutzung einer Terrasse und die Pflicht zur Erstellung der Jahresabrechnung. In der Rechtsmittelbelehrung zum Urteil gab das Amtsgericht als zuständiges Berufungsgericht das LG Göttingen an, wohin der Beklagte seine Berufung gegen das Urteil auch richtete. Das LG Göttingen wies den Beklagten darauf hin, dass gem. § 72 Abs. 2 GVG zuständiges Berufungsgericht das LG Braunschweig sei. Hierauf beantragte der Beklagte die Verweisung des Rechtsstreits an das LG Braunschweig. Dem kam das LG Göttingen nicht nach und verwarf die Berufung als unzulässig. Die dagegen vom Beklagten erhobene Rechtsbeschwerde wurde vom BGH zurückgewiesen.

Da tatsächlich nach der Zuständigkeitsbestimmung für Rechtsmittel in Wohnungseigentumssachen aufgrund der Zuordnung hier zum LG Braunschweig das LG Göttingen unzuständig war, hatte es die bei ihm eingelegte Berufung zutreffend als unzulässig verworfen. Der Umstand, dass die Einlegung auf die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung durch das Amtsgericht zurückzuführen war, ändert daran nichts. Denn auf diesen Umstand der fehlerhaften Belehrung hatte das LG Göttingen den Beklagten zutreffend vor der Zurückweisung der Berufung hingewiesen und ihm mitgeteilt, dass das LG Braunschwieg zuständig sei.

Fristwahrend könne eine Berufung bei Vorliegen von Streitigkeiten iSv. § 43 Nr. 1 – 6, 6 WEG (wie hier) nur bei dem von der Regelung des § 72 Abs. 2 GVG vorgegeben Berufungsgericht eingelegt werden. Eine bei einem falschen Gericht eingelegte Berufung , die nicht rechtzeitig in die Verfügungsgewalt des richtigen Berufungsgerichts gelange, könne nicht in entsprechender Anwendung des § 281 ZPO an das zuständige Gericht verwiesen werden mit der Folge, dass die Berufung von dem unzuständigen Gericht zu verwerfen sei. .

Eine Verweisung wäre nur in Ausnahmefällen möglich. Ein solcher würde angenommen, wenn die Frage, ob eine Streitigkeit iSv. § 43 Nr. 1 – 4, 6 WEG vorliege, für bestimmte fallgruppen noch nicht höchstrichterlich geklärt sei und man aus guten Gründen unterschiedlicher Auffassung sein könne. In einem solchen Fall könne einer Partei nicht zugemutet werden, zur Vermeidung eines unzulässigen Rechtsmittels vorsichtshalber sowohl bei dem allgemein zuständigen Berufungsgericht als auch dem Gericht des § 72 Abs. 2 GVG  das Rechtsmittel einzulegen. Diese Ausnahm habe hier aber nicht vorgelegen, da die Zuordnung als Streitigkeit iSv. § 43 Nr. 1 – 4, 6 WEG eindeutig und geklärt sei.

Auch die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung durch das Amtsgericht führe nicht dazu, dass das Rechtsmittel fristwahrend bei dem funktional unzuständigen Gericht eingelegt werden könne. Zwar führe die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung auch bei einem Rechtsanwalt zu einem unverschuldeten Rechtsirrtum, der allerdings nur zur möglichen Wiedereinsetzung wegen schuldlos Fristversäumung führe, wenn er die Berufung bei dem nicht nach § 72 Abs. 2 GVG zuständigen Gericht einlege. Damit würde die Berufungsfrist durch die Einlegung der Berufung bei dem unzuständigen Gericht nicht gewahrt. Dem unverschuldeten Rechtsirrtum würde dadurch Rechnung getragen, dass die Berufung verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand  (§ 233 ZPO) behoben werden könne. Die Frist dafür beginne gem. § 234 Abs. 2 ZPO mit dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem das aufgrund fehlerhafter Rechtsmittebelehrung angerufene Gericht den Berufungsführer auf seine Unzuständigkeit verweise.

BGH, Beschluss vom 22.10.2020 - V ZB 45/20 -

Donnerstag, 7. Januar 2021

Tatsachenanerkenntnis bei Erforschen von geltend gemachten Mietmängeln ?

 

Die Beklagte rügte gegenüber der Voreigentümerin, dass in einem der angemieteten Büroräume ein beißender, Atemwege du Augen reizender Geruch sei. Daraufhin wurden die Räume von der Voreigentümerin besichtigt, die hierbei auch Mitarbeiter des technischen Managements ihrer Hausverwaltung hinzuzog. Danach minderte die Beklagte die Miete um 10%. Es erfolgte eine weitere Begehung durch den Hausmeister. In der Folge wandten sich die anwaltlichen Vertreter der Voreigentümerin an die Beklagte und boten „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und Präjudiz zum Zwecke einer einvernehmlichen Regelung der bestehenden Meinungsverschiedenheiten“ den Austausch des Bodenbelags in dem Raum an, wenn im Anschluss daran die Beklagte die aufgelaufenen Mietrückstände begleichen würde. Die Beklagte kündigte nunmehr das Mietverhältnis fristlos, vorsorglich unter Berufung auf ein vertragliches Sonderkündigungsrecht und zahlte im letzten Monat keine Miete mehr. Die Klägerin begehrte klageweise den rückständigen Mietzins nebst der vertragliche vorgesehenen Zahlung bei Kündigung gemäß der Sondervereinbarung. Das Landgericht gab der Klage statt; auf der Berufung der Beklagten wurde die Klage abgewiesen. Die Revision führte zur Aufhebung und Rückverweisung.

Das Berufungsgericht ging in Bezug auf die substantiiert von der Beklagten dargelegten Mängel von einem Anerkenntnis der Voreigentümerin (bindend für die Klägerin) aus. Dieses Anerkenntnis sah es in dem Angebot auf Austausch des Bodenbelags auf ihre Kosten, da bei der auf Gewinnerzielung ausgerichteten Kapitalgesellschaft nicht allein zur Wahrung eines guten Verhältnisses zu den Gewerbemietern, sondern nur bei Vorliegen eines wirklichen Sachmangels sie sich dazu bereit finden würde. Auch habe die Klägerin (nach Eigentumsübergang) die Wand zum angrenzenden WC zwecks Prüfung von Leckagen öffnen lassen, was in Ansehung des kostenintensiven Eingriffs in die Bausubstanz ein gewerblicher Vermieter, gar bei einem wie hier gekündigten Mietverhältnis, nicht ohne tatsächliche Gebrauchsbeeinträchtigung vornehmen würde. Da dieses tatsächliche Anerkenntnis ein starkes Indiz für den Wahrheitsgehalt der Angaben der beklagten bewirke führe dies zu einer Umkehr der Beweislast. Die Klägerin habe dies nicht unter Beweis gestellt.

Der BGH sah hier rechtsfehlerhaft getroffene Feststellungen durch das Berufungsgericht.

Grundsätzlich trage der Mieter, der die ihm zum Gebrauch überlassenen Sache als Erfüllung angenommen habe, will er wegen eines Mangels der Mietsache die Miete mindern und sich durch eine außerordentliche Kündigung vom Vertag lösen, die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Mangels. Da auch nicht jede Geruchseinwirkung in gemieteten Räumen zu einer Gebrauchsbeeinträchtigung führe, müsse er die Erheblichkeit der Belastung beweisen. Zwar habe die Beklagte Zeugenbeweis angeboten. Dieser sei nicht erhoben worden, da das Berufungsgericht zu Unrecht von einem „tatsächlichen Anerkenntnis“ der Vermieterseite ausging, auf welches sich die beklagte bezog.

Das tatsächliche Anerkenntnis erfordert keinen rechtsgeschäftlichen Verpflichtungswillen; es wird vielmehr zu dem Zweck abgegeben, dem Gläubiger die eigene Erfüllungsbereitschaft mitzuteilen und ihn dadurch etwa von sofortigen Maßnahmen abzuhalten oder ihm den Beweis zu erleichtern. Dieses Zeugnis des Anerkennenden gegen sich selbst bewirke eine Beweislastumkehr (BGH, Urteil vom 11.11.2008 - VIII ZR 265/07 -). Ein solcher Fall läge hier nicht vor. Das Berufungsgericht habe Auslegungsgrundsätze verletzt bzw. wesentlichen Auslegungsstoff außer Betracht gelassen.

Das Angebot der Voreigentümerin könne kein Tatsachenanerkenntnis sein. Das ergäbe sich bereits aus dem Wortlaut. Das Angebot sei ausdrücklich „ohne Anerkennung einer Rechtsverpflichtung und ohne Präjudiz“ erfolgt. Darin liege ein ausdrücklicher Vorbehalt aus dem ersichtlich sei, dass das Angebot lediglich zur gütlichen Einigung erfolge. Auch übersehe das Berufungsgericht, dass das Angebot nicht aus Kulanz erfolgt sei, sondern an eine Gegenleistung (Nachzahlung der geminderten Mieten) geknüpft worden sei, also daran, die Vermieterin so zu stellen, als sei auch in der Vergangenheit kein Mangel vorhanden gewesen.

Ebenso wenig ließe sich aus der Wandöffnung ein tatsächliches Anerkenntnis ableiten. Die Klägerin sei bereit gewesen, der Mangelanzeige der Mieterin nachzugehen. Darin sei für sich keine Aussage zu sehen, dass das  Vorhandensein eines Mangels und die Beeinträchtigung außer Streit gestellt werden sollen. Der Umstand der Erforschung oder Beseitigung eines vom Mieter angezeigten Mangels würde nur dann als Zeugnis des Vermieters gegen sich selbst gewertet werden können, wenn besondere Umstände dies tragen würden, wonach der Vermieter nicht nur aus Kulanz oder zur gütlichen Streitbeilegung handelt, sondern im Bewusstsein, seiner Gewährleistungsverpflichtung nachzukommen. Entscheidend seien dabei Dauer und Kosten der Mängelbeseitigungsarbeiten. Das Berufungsgericht habe hier übersehen, dass sich die Maßnahme nur auf 12 Minuten im Rahmen einer Sichtprüfung der im Versorgungsschacht verlegten Rohre beschränkt habe, wofür der Hausmeister vier Fliesen entfernt habe und die dahinter befindliche Leichtbauwand geöffnet habe. Die Öffnung sei im Anschluss mit Spachtelmasse verschlossen worden und die Fliesen wieder angebracht worden. Auch wenn die Klägerin keine Kosten benannt habe, handele es sich um einen überschaubaren Vorgang, bei dem nicht angenommen werden könne, die Klägerin habe im Bewusstsein gehandelt, einer Gewährleistungsverpflichtung im Hinblick auf eine Geruchsbeeinträchtigung nachzukommen. Zu beachten sei auch, dass natürlich ein Eigentümer ein Erhaltungsinteresse habe, demzufolge zugetragenen Hinweisen auf mögliche Undichtigkeiten wasserführender Leitungen in den Wänden nachzugehen. Zudem habe die Klägerin danach keine weiteren Prüfungen vorgenommen, weshalb diese (negative) punktuelle Prüfung auch bereits kein tatsächliches Anerkenntnis darstellen könne.

Danach sei das Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur Beweiserhebung über die Behauptung der Beklagten an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

BGH, Urteil vom 23.09.2020 - XII ZR 86/18 -

Freitag, 18. Dezember 2020

Anspruch auf kostenfreie Überlassung der Behandlungsunterlagen durch Arzt ?

 

§ 630g BGB regelt, dass der Patient ein Einsichtsrecht in seine ihn betreffende Patientenakte hat. Nach § 630g Abs. 2 BGB kann er auch gegen Kostenerstattung Abschriften aus der Akte verlangen. Allerdings ist das LG Dresden der Ansicht, dass bei Verlangen auf Überlassung von Behandlungsunterlagen nicht notwendig ein Kostenerstattungsanspruch des Arztes (oder Krankenhauses) besteht.

Im Streitfall hatte die klagende Patientin einen Behandlungsfehler des beklagten Krankenhauses geltend gemacht und ging von einem Schmerzensgeldanspruch von € 40.000,00 aus. Unter Verweis nicht auf § 630g BGB sondern unter Berufung auf Art. 15 Abs. 3 DSGVO (Datenschutz-Grundverordnung) begehrte sie von dem beklagten Krankenhaus unentgeltliche Auskunft über ihre dort gespeicherten personenbezogenen Daten durch Übermittlung der vollständigen Behandlungsdokumentation im PDF-Format. Das Krankenhaus vertrat die Auffassung, es könne eine Kostenerstattung gem. § 630 Abs. 2 BGB fordern. Das Landgericht gab der Klage statt; obwohl es die Berufung zugelassen hatte, wurde vom beklagten Krankenhaus kein Rechtsmittel eingelegt.

Das Landgericht nahm an, dass der Klägerin der Anspruch neben der spezialgesetzlichen Regelung des § 630g BGB auch aus Art. 15 Abs. 3 DSGVO zustehen würde. Im Rahmen der stationären Behandlung der Klägerin seien von ihr personenbezogene Daten gespeichert worden. Daraus ergäbe sich der Anspruch nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO. Der Umstand, dass die Klägerin den Auskunftsanspruch zur Geltendmachung zivilrechtlicher Haftungsansprüche erhoben habe, sei nicht entscheidend, da Art 2 Abs. 2 Buchst. a) DSGVO den Anwendungsbereich der Verordnung nur insoweit einschränke, als die Verarbeitung der personenbezogenen Daten nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts falle. Diese Einschränkung läge hier nicht vor. In den Erwägungsgründen  (Grund 63) der Einleitung zur DSGVO sei die Tätigkeit der Beklagten als Gesundheitsdienstleister ausdrücklich benannt.

§ 630g BGB käme auch kein Vorrang gegenüber Art. 15 Abs. 3 DSGVO zu. Dazu verwies das Landgericht darauf hin, dass eine nationale Regelung nicht eine lex generali bezüglich einer europarechtlichen Regelung enthalten könne, da die DSGVO (als europarechtliche Regelung) keine Öffnung für abweichende nationale Regelungen enthalte. Damit könne der Auskunftsanspruch statt auf § 630g BGB auch auf Art. 15 Abs. 3 DSGVO gestützt werden.

Ob eine Deckungsgleichheit zwischen den Ansprüchen aus § 630g BGB du Art. 15 Abs. 3 DSGVO bestünde bedürfe vorliegend deshalb keiner Klärung, da das Krankenhaus bisher noch keinerlei Auskünfte erteilt habe. Ob mithin nicht personenbezogene Daten, die in den Behandlungsunterlagen enthalten seien, nicht vom Auskunftsanspruch des Art. 15 Abs. 3 DSGVO umfasst seien, könne auf sich beruhen.  

Das beklagte Krankenhaus habe daher die begehrte Erstauskunft von der Übernahme von Kosten (in Höhe von € 5,90 zuzüglich Versandkosten) abhängig machen dürfen. Art. 15 Abs. 3 DSGVO sähe (anders als § 630g BGB) keinen Kostenanspruch des Auskunftspflichtigen für eine Erstauskunft vor.

Dass eine Übersendung im PDF-Format nicht möglich sei, sei von dem beklagten Krankenhaus nicht eingewandt worden, wobei es sich dabei auch um ein gängiges elektronisches Format iSv. Art. 15 Abs. 3 DSGVO handele.

LG Dresden, Urteil vom 29.05.2020 - 6 O 76/20 -

Mittwoch, 16. Dezember 2020

Räumungsvollstreckung und COVID-19 im Licht von § 765a ZPO

 

Der Gläubiger betrieb aus einem vollstreckunbaren Zuschlagsbeschluss die Zwangsräumung des ehemals im Eigentum des Schuldners stehenden Grundstücks. Der Antrag des Schuldners auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung wurde vom Amtsgericht zurückgewiesen. Die dagegen vom Schuldner eingelegte Beschwerde des Schuldners blieb ohne Erfolg.

Das Landgericht wies in seiner Entscheidung über die Beschwerde darauf hin, dass nach § 765a ZPO eine Zwangsvollstreckung vom Vollstreckungsgericht ganz oder teilweise eingestellt werden müsste, wenn sie unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände für den Schuldner eine Härte darstellen würde, die nicht mehr mit den guten Sitten vereinbar wäre. Zu berücksichtigen sie, dass § 765a ZPO eine Ausnahmevorschrift sei und daher nur Anwendung finden könne, wenn nach Abwägung der Interessen die Vollstreckung durch den Gläubiger zu einem tragbaren Ergebnis führe (BGH, Beschluss vom 24.11.2005 - V ZB 99/05 -). Auf Gläubigerseite sei bei der Abwägung das grundrechtlich geschützte Vollstreckungsinteresse zu berücksichtigen, da dem Staat auch die Pflicht obliege, titulierte Ansprüche notfalls im Weger der Zwangsvollstreckung durchzusetzen. Eine sittenwidrige Härte wäre die Vollstreckung dann, wen sie den Schuldner schädige, ohne dem Gläubiger Nutzen zu bringen. Ebenso sei die Vollstreckung unzulässig, wenn sie das Leben oder die Gesundheit des Schuldners (so bei Suizidgefahr) oder eines seiner Angehörigen unmittelbar gefährde.

Diese Voraussetzungen für eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nahm das Landgericht hier nicht an. Dabei würden die mit einer Vollstreckung regelmäßig einhergehenden Belastungen des Schuldners nach der zugrundeliegenden Wertung nicht das Vollstreckungsinteresse des Gläubigers aufwiegen können.

Der Schuldner wies auf durch COVID-19 bedingte Kotaktbeschränkungen hin. Dies würden (zum Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses) derzeit nicht bestehen, doch würden diese auch die Vollstreckung nicht hindern können. Es sei nämlich zwischen dem Gerichtsvollzieher und dem Gläubiger kein physischer Kontakt bei der Räumung notwendig. Letztlich läge dies am Verhalten des Schuldners.

Ebenso sei bei der Zwangsräumung ein unmittelbarer Kontakt des Schuldners mit dem Gläubiger erforderlich, da der Gläubiger nicht anwesend sein müsse. Im Übrigen würde der Gerichtsvollzieher entscheiden, inwieweit und mit welchen Maßnahmen eine Vollstreckung durchführbar sei. Auch stehe es dem Schuldner fei. Jederzeit freiwillig vor Eintreffen des Gerichtsvollziehgers auszuziehen, wobei sich der Schuldner auch eines Umzugsunternehmens bedienen könne. Ebenso könne auch eine Ersatzwohnung mittels elektronischer Kommunikationsmittel kontaktlos erfolgen.

Soweit die Gefahr einer Beeinträchtigung des Grundrechts auf Leben du körperliche Unversehrtheit behauptet wurde, müsse der Eintritt dieser Gefahr anhand objektiv feststellbarer Umstände mit hinreichend er Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. So sei ein nicht substantiiertes ärztliches Attest aussagelos. Den entsprechenden AnfordeRungen sei der Vortrag des Schuldners nicht gerecht geworden.

Die Erhöhung eines Infektionsrisikos mit Corona könne durch geeignete Maßnahmen auf ein Minimum reduziert werden und läge insbesondere im Einflussbereich des Schuldners.

Einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wegen eines grippalen Infekts ließe sich keine Ursächlichkeit der Erkrankung durch die Räumung entnehmen, würde diese Erkrankung aber auch der Räumung nicht entgegenstehen. Sollte mit der Bescheinigung angedeutet werden, dass sich der Schuldner mit dem Corona-Virus infiziert habe, wäre dies fernliegend, da sei dem 01.04.2020 (vor Erstellung der Bescheinigung) der gesonderte Diagnoseschlüssel U07.1 ! und U07.2 ! gelten würden und auf der Bescheinigung der Schlüssel für eine „akute Infektion der oberen Atemwege, nicht näher bezeichnet“ stünde, ohne dass dies durch den Schuldner spezifiziert worden wäre.

Den Erwägungen des Schuldners würde das überwiegende Vollstreckungsinteresse des Gläubigers entgegenstehen.

LG Verden, Beschluss vom 08.05.2020 - 6 T 33/20 -

Sonntag, 13. Dezember 2020

Baumfällkosten als umlegbare Betriebskosten nach § 2 Nr. 10 BetrKV

 

Gegenstand der Klage war ein von der Klägerin geltend gemachter Zahlungsanspruch aus einer von ihr teilweise unter Vorbehalt gezahlten Nebenkostenabrechnung für2015. Dieser Vorbehalt betraf die von der beklagten Vermieterin geltend gemachten und auf die Klägerin umgelegten Kosten für die Fällung eines Baumes. Die Klage wurde (mir Ausnahme einer kleinen Differenz aus dem Umlageschlüssel) abgewiesen. Die Berufung der Klägerin blieb ohne Erfolg.

Der Anspruch der Klägerin wäre begründet gewesen, wenn die Zahlung ohne Rechtsgrund vorgenommen wurde, § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB. Den Rechtsgrund für die Zahlung der hier streitigen Baumfällkosten sah das Landgericht in § 2 Nr. 10 BetrKV. Diese sehen als umlagefähig an

„die Kosten der Gartenpflege,

hierzu gehören die Kosten der Pflege gärtnerisch angelegter Flächen einschließlich der Erneuerung von Pflanzen und Gehölzen, der Pflege von Spielkästen einschließlich der Erneuerung von Sand und der Pflege von Plätzen, Zugängen und Zufahrten, die dem nicht öffentlichen Verkehr dienen“.

Zwar seien hier nicht ausdrücklich die Kosten einer Baumfällung benannt. Allerdings handele es sich bei Bäumen sowohl um Pflanzen als auch Gehölze im Sinne der Norm. Begrifflich ergäben sich durch die Bezeichnung keine Einschränkungen auf Gartenbestandteile einer bestimmten Größe.

Systematisch seien umlagefähige Betriebskosten iSv. § 1 Abs. 1 BetrKV von Instandhaltungs- und Instandsetzungskosten nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrKV abzugrenzen. Instandsetzungen und Instandhaltungen würden Kosten für Reparaturen und Wiederbeschaffungen verursachen oder seien zur Erhaltung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs erforderlich, um Abnutzungen, Alterungen und Witterungseinwirkungen sowie sonstige Mängel ordnungsgemäß zu beseitigen. Instandsetzungs- und Instandhaltungskosten würden mithin Mängel an der Substanz der Immobilien oder teilen davon betreffen. Regelmäßig durchzuführende Maßnahmen würden nicht dazu gehören, wie z.B. de Überprüfung der Funktionsfähigkeit von elektrischen Anlagen.  Für die Annahme wiederkehrender Belastungen sei auch nicht ein (zumindest) jährlicher Rhythmus erforderlich; ausreichend sei für die Annahme wiederkehrender Belastungen al laufend entstehende Kosten auch ein mehrjähriger Rhythmus (BGH. Urteil vom 11.11.2009 - VIII ZR 221/08 -).

Bei der Entfernung von morschen oder abgestorbenen Pflanzen einer Gartenanlage handele es sich um wiederkehrende Arbeiten, da ausreichen sei, dass sie einem, typischen Kreislauf unterfallen, wobei § 2 Nr. 10 BetrKV ausnahmsweise auch Instandsetzungskosten zu den umlagefähigen Kosten aufnimmt, so in Bezug auf Neubepflanzungen, soweit Pflanzen (auch Bäume) durch Alter u.a. abgängig wurden. Damit würde dies erst recht für das Fällen von Bäumen und deren Abtransport gelten und das Anpflanzen junger Bäume gelten, da es sich dabei um Maßnahmen handele, die für eine gärtnerisch angelegte Fläche notwendig seien.

Der Umlagefähigkeit der Baumfällkosten würde auch nicht Sinn und Zweck der Betriebskostenverordnung entgegen stehen. Es handele sich nicht um nicht zu erwartende Kosten, da der Baum bereits vor Beginn des Mietverhältnisses vorhanden war, weshalb zu erwarten gewesen sei, dass Baumpflegekosten im Zusammenhang mit den Gartenpflegekosten entstehen könnten und dies auch zu einem jährlich ungleichmäßigen Kostenbedarf führen könnte.

Zudem sei vorliegend zu berücksichtigen, dass die Fällung nicht auf gestalterischen Erwägungen der Vermieterin beruht habe, sondern Grund die Morschheit des Baumes und seine fehlende Standsicherheit gewesen sei.

LG Hannover, Urteil vom 27.03.2020 - 17 S 1/19 -

Samstag, 12. Dezember 2020

Mitverschulden des Radfahrers für Kopfverletzung bei Nichtragen eines Schutzhelms ?

Die Klägerin stieß mit ihrem Fahrrad mit einem PKW des Beklagten zusammen, der beim Rechtsabbiegen im Kreuzungsbereich die geradeausfahrende Klägerin mit ihrem Fahrrad übersehen hatte. Obwohl die Klägerin keinen Schutzhelm trug negierte er ein Mitverschulden der Klägerin, welches sich auf das Schmerzensgeld zur Höhe auswirken würde.

Das Tragen eines Schutzhelms könne nicht mit einem Verletzungsrisiko und der Kenntnis davon als verkehrsgerechtes Verhalten begründet werden, da ansonsten bei jeder Tätigkeit mit dem Risiko einer Kopfverletzung (z.B. beim Besteigen einer Leiter im Haushalt) ein Schutzhelm getragen werden müsste. Nach der Entscheidung des BGH vom 17.06.2014 - VI ZR 281/13 - käme es auf das allgemeine Verkehrsbewusstsein konkret zum Tragen von Fahrradhelmen und nicht auf allgemeine Sicherheitserwägungen zum Zeitpunkt des Unfalls an.

Der Senat sah es als gerichtsbekannt an, dass es ein derartiges allgemeines Verkehrsbewusstsein nach wie vor nicht geben würde. Ein Senatsmitglied würde im Nürnberger Stadtgebiet regelmäßig Verkehrszählungen zu dieser Frage durchführen (ohne Rennradfahrer in voller Montur und Kindern auf Kinderfahrrädern. Diese Zählungen (wiedergegeben für die Jahre 2015, 2016, 2017 und 2020) ergäben zwar eine leichte Steigerung der Personen, die einen Helm tragen. Es seien aber noch weit unter 50%. Dies Ergebnis würde auch im Wesentlichen amtlichen Quellen entsprechen, wonach i 2019 über alle Altersgruppen hinweg innerorts 18,0%, außerorts 22,8% der beobachteten Fahrradfahrer einen Schutzhelm tragen würden, wobei die Quote sogar bei den Jüngeren noch erheblich geringer sei.

Trotz einer wahrzunehmenden leichten Steigerung der helmtragenden Fahrradfahrer in den letzten zehn Jahren würden doch noch rund 80% der erwachsenen Bevölkerung keinen Helm bei Fahrradfahren tragen. Eine allgemeine Verkehrsauffassung, dass Radfahren eine generell derartig gefährliche Tätigkeit sei, dass sich nur diejenigen verkehrsgerecht verhalten würden die einen Helm tragen, bestünde nach wie vor nicht.

Ob etwas anders für bestimmte Formen sportlichen Radfahrens gelte, welches mit einem erheblichen (gesteigerten) Kopfverletzungsrisiko verbunden sei, wie z.B. beim Rennradfahren mit tiefer Kopfhaltung und Fixierung der Schuhe an den Pedalen oder beim Mountainbikefahren im freien Gelände, sei nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

OLG Nürnberg, 20.08.2020 - 13 U 1187/20 -

Freitag, 11. Dezember 2020

Zahlung von Verwarnungsgeld durch Arbeitgeber ist grundsätzlich eine zu versteuernde Einnahme

 

Die Klägerin betrieb eine Paketzustelldienst. Deren angestellte Fahrer hatten die Aufgabe, Pakete bei den Kunden abzuholen oder den Kunden Pakete zuzustellen. Regelmäßig hielten die Fahrer in der Nähe der Kunden (um den Vorgang zu beschleunigen). Soweit die Klägerin keine Ausnahmegenehmigung nach § 46 StVO zum Halten im Halteverbot pp. erhielt, nahm es die Klägerin hin, dass die Fahrer die Fahrzeuge gleichwohl im Halteverbot pp. abstellten und dann Verwarnungsgelder angefordert wurden. Diese wurden direkt von der Klägerin als Halterin angefordert und auch von dieser gezahlt, auch dann, wenn sie nur aufgefordert wurde, entweder einen Zeugenfragebogen auszufüllen oder das Verwarnungsgeld zu zahlen.  Anderweitige Verwarnungs- und Bußgelder (so für Geschwindigkeitsverstöße ihrer Fahrer) zahlte die Klägerin nicht.

Der Beklagte (das Finanzamt [FA]) war der Ansicht, es handele sich bei diesen von der Klägerin gezahlten Verwarnungsgeldern um lohnsteuerpflichtigen Arbeitslohn und berief sich auf die Entscheidung des BFH vom 14.11.2013 zur Zahlung von Bußgeldern für die Überschreitung von Lenk- und Ruhezeiten. Die Klägerin meldete daher in ihrer Lohnsteuer-Anmeldung für April 2014 für Lohnsteuer in Bezug auf die benannten Verwarnungsgelder in Höhe von € 1.925,96 sowie die darauf beruhende Kirchensteuer und den Solidaritätszuschlag pauschaliert nach § 38a EstG an und legte dagegen auch Einspruch ein. Der Einspruch wurde zurückgewiesen. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Die Revision des FA führte zur Aufhebung und Zurückverweisung an das Finanzgericht.

Der BFH führte aus, bei der pauschalierten Steuer handele es sich um eine von der Steuer ´des Arbeitnehmers abgeleitete Steuer. Es müsste sich mithin um eine in Geldwert bestehende Einnahme iSv. § 19 EstG handeln. Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit würden neben dem Lohn auch andere Bezüge gehören, die dem Arbeitnehmer (AN)  gewährt würden, unabhängig davon, ob der AN darauf einen Rechtsanspruch habe. Ein Bezug zum Dienstverhältnis läge vor, wenn der Vorteil nur deshalb gewährt würde, da der AN Arbeitnehmer des Arbeitgebers (AG) sei und nur deshalb die Zuwendung als Gegenleistung für die Dienste des AN gezahlt würden. Auch der Erlass von Forderungen, die dem AG gegen den AN zustünden könne Arbeitslohn nach § 19 Abs. 1 S. 2 EstG sein. 

Zutreffend sei danach das FG zunächst davon ausgegangen, dass den AN nicht schon deshalb Arbeitslohn zugeflossen sei, da der AG (die Klägerin) die Verwarnungsgelder iSv. § 56 OWiG gezahlt habe. Die Verwarnungsgelder seien jeweils bei der Klägerin als Halterin der Fahrzeuge wegen Parkverstößen ihrer AN geltend gemacht worden. Daher habe die Klägerin eine eigene Verbindlichkeit erfüllt. Betroffener im Sinne des OWiG sei ungeachtet eines Tatbeitrages auch der Halter des Fahrzeuges (BVerfGE 80, 109). Sei der Halter nach Belehrung über sein Weigerungsrecht mit der Verwarnung einverstanden und zahlt er, würde die Verwarnung wirksam, ohne dass damit die Voraussetzungen sachlich-rechtlicher Art bzw. eines Bußgeldtatbestandes festgestellt würden. Nach der Zahlung sei ein Rechtsmittelausgeschlossen. 

Dies unterscheide sich von den Sachverhalten, die den Entscheidungen in BFHE 208, 104 und BFHE 243, 520 zugrunde gelegen hätten, da dort zugrunde lag, dass die jeweilige Klägerin die Zahlung von Verwarnungsgeldern bzw. Bußgeldern erfolgte, die gegen die jeweiligen Fahrer erhoben wurden.

Allerdings ließe sich, anders als das FG meine, daraus noch nicht ableiten, dass den AN der Klägerin hier kein geldwerter Vorteil zugeflossen sei. Ein geldwerter Vorteilwürde auch dann dem AN zufließen, wenn der AG zu erkennen gebe, dass er keinen Rückgriff nehmen würde und sich der AN damit einverstanden erkläre. Ein vom FG negierter Rückgriffsanspruch des AG könne nicht festgestellt werden.

Die Erwägung des FG, ein vertraglicher Regressanspruch liege nicht vor, da eine Zusage des AG, eine dem AN bei der Arbeitsdurchführung erfolgte Geldstrafe/-buße zu übernehmen einen Verstoß gegen die guten Sitten darstelle (§ 138 BGB) und daher eine Vereinbarung nicht zur Disposition des AG stünde, trage nicht, da es darum hier nicht gehen würde. Die Klägerin habe zudem selbst geltend gemacht, ihre Fahrer angewiesen zu haben, in Gebieten, für die eine Ausnahmegenehmigung nicht hätte erlangt werden können, sich an die Verkehrsregeln zu halten. Damit könne auch nicht konkludent eine (Neben-) Pflichtverletzung der AN ausgeschlossen werden. In Ansehung der von der Klägerin vorgetragenen Weisung hätte das FG auch nicht einen gesetzlichen Anspruch der Klägerin aus Geschäftsführung ohne Auftrag verneinen können (§§ 683 S. 1, 670 BGB) und die Übernahme sei im ausschließlich eigenbetrieblichen Interesse der Klägerin erfolgt.

Es sei daher nunmehr vom FG nach der Zurückverweisung zu prüfen, ob und wenn ja in welcher Höhe der Klägerin wegen der unstreitig durch ihre Fahrer begangenen Parkverstöße ein (vertraglicher oder gesetzlicher) Regressanspruch gegen den jeweiligen Verursacher zustünde. Stelle es einen realisierbaren (also einredefreien und fälligen) Ersatzanspruch gegen den jeweiligen Fahrer fest, wäre die Frage des Zeitpunktes des Erlasses (§ 397 BGB) zu klären, d.h. dem Zeitpunkt des jeweiligen Zuflusses des geldwerten Vorteils bei dem AN

Klarstellend wies der BFH darauf hin, dass im Falle eines Erlasses eines realisierbaren Anspruchs das Vorliegen von Arbeitslohn nicht mit der Erwägung verneint werden könne, die Zahlung sei im überwiegend eigenbetrieblichen Interesse der Klägerin erfolgt. Ein rechtswidriges Tun des AN stelle sich nicht als beachtliche Grundlage einer solchen betriebsfunktionalen Zielsetzung dar (Aufgabe der Rechtsprechung in BFHE 208, 104), auch wenn es sich bei den Parkverstößen wie hier regelmäßig um solche im absoluten Bagatellbereich handele.

BFH, Urteil vom 13.08.2020 - VI R 1/17 -