Der Kläger begehrte von der Beklagten die Durchführung von Erschließungsmaßnahmen für sein Grundstück, damit er seine Ausfahrt wegegerecht benutzen könne. Das Verwaltungsgericht wies nach Ortstermin die Klage ab. Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) war hier anderer Ansicht und verurteilte die Beklagte, geeignete Maßnahmen zur Herstellung der wegemäßigen Erschließung des klägerischen Grundstücks zu ergreifen. Die dagegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom BVerwG zurückgewiesen.
Grundsätzlich bestünde kein Rechtsanspruch auf Erschließung nach § 123 Abs. 3 BauGB, obwohl die Erschließung Sache der Gemeinde ist, § 123 Abs. 1 BauGB. Allerdings könne sich nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) eine gemeindliche Erschließungsaufgabe zu einem korrespondierenden Anspruch und damit eine Erschließungspflicht verdichten. Diese Verdichtung läge vor, wenn sich die Gemeinde nach Erlass des qualifizierten Bebauungsplanes entschließe, den Plan zwar nicht aufzuheben, aber von der Durchführung der Erschließung abzusehen (BVerwG, Urteil vom 22.01.1993 - 8 C 46.91 -). Hier habe der VGH darauf abgestellt, dass seit Erlass des nach wie vor wirksamen (Änderungs-) Bebauungsplanes ohne dessen Vollzug vergangen seien und daher(beanstandungsfrei) den Erschließungsanspruch anerkannt.
Vorliegend war zusätzlich zu berücksichtigen, dass sich der klägerische Anspruch auf einen aus einem Änderungsbebauungsplan ableitete. Das fragliche Flurstück sei zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung hinreichend erschlossen gewesen. Vorliegend gehe es lediglich um einen weitergehenden Erschließungsanspruch („ungehinderte Zufahrt … ohne Erschwernis“) gemäß dem Änderungsbebauungsplan. Diesen Anspruch auf ergänzende Erschließung (aufgrund eines seit Jahren nicht vollzogenen) Änderungsbebauungsplanes sah das BVerwG mit dem VGH auch als gegeben an, wenn im Übrigen bereits eine Erschließung vorlag.
Bereits in seinem vom BVerwG in
der besprochenen Entscheidung benannten Urteil vom 22.01.1993 - 8 C 46.91 -
führte das BVerwG zur möglichen Verdichtung des Erschließungsanspruchs aus
(Leitsatz 5): „Eine Gemeinde, die einen
qualifizierten Bebauungsplan erlassen hat, dann jedoch erkennen muß, aus
wirtschaftlichen Gründen zur Erschließung außerstande zu sein, kann ein Angebot
der Erschließung durch die Betroffenen, dessen Annahme weder aus sachlichen
noch persönlichen Gründen unzumutbar ist, nicht ablehnen, ohne dadurch selbst
erschließungspflichtig zu werden.“
BVerwG, Beschluss vom
15.06.2022 - 9 B 32.21 -
Aus den Gründen:
Tenor
Die Beschwerde des Beigeladenen gegen die
Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen
Verwaltungsgerichtshofs vom 30. Juni 2021 wird zurückgewiesen.
Der Beigeladene trägt die Kosten des
Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das
Beschwerdeverfahren wird auf 3 000 € festgesetzt.
I
Der Beigeladene
wendet sich gegen die Verurteilung der Beklagten zur Durchführung von
Erschließungsmaßnahmen auf seinem Grundstück. Der Kläger, der Eigentümer eines
Wohngrundstücks ist, begehrte von der beklagten Stadt Maßnahmen zur Herstellung
einer funktionsgerechten wegemäßigen Erschließung für die Ausfahrt aus seiner
Garage. Das Verwaltungsgericht wies die Klage nach Durchführung eines
Ortstermins ab. Der Verwaltungsgerichtshof lud den Eigentümer des
Nachbargrundstücks zum Verfahren bei und verurteilte die Beklagte, geeignete
Maßnahmen zur Herstellung der wegemäßigen Erschließung des klägerischen
Grundstücks auf dem Grundstück des Beigeladenen entsprechend den Festsetzungen
des 1992 erlassenen Änderungsbebauungsplans zu ergreifen.
II
Die gegen die
Nichtzulassung der Revision gerichtete, auf die Zulassungsgründe nach
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde des
Beigeladenen, der sich die Beklagte ohne eigene Antragstellung inhaltlich
angeschlossen hat, bleibt ohne Erfolg.
1. Die Revision
ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne
dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene
Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete fallübergreifende und bislang
ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung
im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der
Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Den
Darlegungen der Beschwerde (vgl. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) lässt
sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen hier erfüllt sind.
Der Beigeladene
hat schon keine allgemein zu beantwortende, klärungsfähige Rechtsfrage
formuliert. Sollte dem Beschwerdevorbringen die Frage nach den Voraussetzungen
eines Anspruchs auf Erschließung nach § 123 BauGB i. V. m. § 242 BGB
zu entnehmen sein, zeigt auch dies keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf auf.
Diese Frage ist - soweit sie einer fallübergreifenden Klärung zugänglich ist -
in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt. Ein
Rechtsanspruch auf Erschließung besteht nach § 123 Abs. 3 BauGB
grundsätzlich nicht; die gemeindliche Erschließungsaufgabe kann sich aber nach
Treu und Glauben zu einer mit einem korrespondierenden Anspruch verbundenen
Erschließungspflicht verdichten. Dies ist der Fall, wenn sich die Gemeinde nach
Erlass eines qualifizierten Bebauungsplans entschließt, den Plan zwar nicht
aufzuheben, aber von der Durchführung der Erschließung abzusehen (stRspr, vgl.
nur BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1993 - 8 C 46.91 - BVerwGE 92, 8 <20 ff.
und LS 3>). Der ohne Begründung erhobene Einwand des Beigeladenen, der
Erschließungsanspruch könne keinem einzelnen Bürger, sondern "bestenfalls
insgesamt einer Gruppe betroffener Bürger" zustehen, steht in klarem
Widerspruch zu der genannten Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.
Oktober 1981 - 8 C 4.81 - BVerwGE 64, 186 <189>) und ist nicht geeignet,
diese in Frage zu stellen.
Der
Verwaltungsgerichtshof hat unter Heranziehung der genannten Maßstäbe einen
Erschließungsanspruch des Klägers mit der Begründung bejaht, dass seit dem
Erlass des nach wie vor wirksamen Änderungsbebauungsplans der Beklagten
annähernd dreißig Jahre ohne dessen Vollzug vergangen waren. Soweit der
Beigeladene unter Hinweis auf vom Gericht zugrunde gelegte "falsche
Tatsachen" demgegenüber vorbringt, das Grundstück des Klägers sei seit
jeher ausreichend erschlossen gewesen, betrifft dies keine grundsätzlich zu
klärende Rechtsfrage, sondern lediglich eine abweichende Würdigung der Umstände
im Einzelfall.
2. Ein
Verfahrensmangel nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nicht in einer
den Anforderungen von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden
Weise dargelegt. Der Beigeladene trägt vor, der Verwaltungsgerichtshof habe die
Durchführung einer notwendigen Ortsbesichtigung versäumt und entgegen einem von
ihm gestellten Antrag auf Augenschein einen falschen Sachverhalt unterstellt.
Aus den erstinstanzlichen Feststellungen sowie den im Berufungsverfahren vorgelegten
Fotografien ergebe sich, dass das Grundstück des Klägers ausreichend
erschlossen sei; dies habe der Verwaltungsgerichtshof verkannt.
a) Mit
dieser Rüge zeigt die Beschwerde keinen - sinngemäß gerügten - Verstoß gegen
die gerichtliche Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO auf. Zu
Unrecht beruft sich der Beigeladene in diesem Zusammenhang auf einen in der
Berufungsinstanz angebrachten Beweisantrag. Für die ordnungsgemäße Begründung
einer Aufklärungsrüge ist unter anderem substanziiert darzulegen, dass bereits
im Verfahren vor dem Tatsachengericht auf die Vornahme der
Sachverhaltsaufklärung, deren Unterlassen nunmehr gerügt wird, hingewirkt
worden ist. Dazu ist in der Regel ein - unbedingter - Beweisantrag
erforderlich, der förmlich spätestens in der mündlichen Verhandlung zu stellen
ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Mai 2018 - 9 B 37.17 - juris Rn. 2 m. w.
N.). Einen solchen Beweisantrag im Sinne des § 86 Abs. 2 VwGO, der im
Termin ausdrücklich auszusprechen und in das Sitzungsprotokoll aufzunehmen ist
(vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Dezember 2011 - 9 B 53.11 - NVwZ 2012, 512
<513>), hat der Beigeladene nicht gestellt. Den im Schriftsatz vom 14.
Juni 2021 angekündigten Antrag auf Einnahme eines Augenscheins hat er in der
mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausweislich des
Sitzungsprotokolls vom 22. Juni 2021 nicht wiederholt.
Es ist auch
nicht ersichtlich, dass sich der Vorinstanz - auf der Basis ihres
materiell-rechtlichen Standpunkts - die Durchführung eines (weiteren)
Ortstermins hätte aufdrängen müssen. Karten und Lichtbilder sind im Rahmen des
§ 86 Abs. 1 VwGO unbedenklich verwertbar, wenn sie die räumlichen
Gegebenheiten in ihren für die gerichtliche Beurteilung maßgeblichen Merkmalen
so eindeutig ausweisen, dass sich der mit einer Ortsbesichtigung erreichbare
Zweck mit ihrer Hilfe ebenso zuverlässig erfüllen lässt (vgl. BVerwG, Beschluss
vom 13. Juni 2007 - 4 B 15.07 - BauR 2007, 2039 f. m. w. N.). Hier geht der
Beigeladene selbst davon aus, dass die in den Akten vorhandenen, auf dem protokollierten
erstinstanzlichen Ortstermin beruhenden Feststellungen sowie die im
Berufungsverfahren (auch von ihm selbst) vorgelegten Fotografien eine
hinreichende Beurteilung der Erschließungssituation des Grundstücks
ermöglichten. Ob ein Gericht aus den tatsächlichen Gegebenheiten zutreffende
rechtliche Schlussfolgerungen gezogen hat, ist keine Frage des § 86
Abs. 1 VwGO.
b) Der
Umstand, dass der Verwaltungsgerichtshof auf der Grundlage des Akteninhalts zu
einer anderen Bewertung des Erschließungsanspruchs als das Verwaltungsgericht
und der Beigeladene gelangt ist, vermag auch keine Verletzung des
Überzeugungsgrundsatzes nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu
begründen. Nach dieser Vorschrift ist es Sache des Tatsachengerichts, sich im
Wege der freien Beweiswürdigung eine Überzeugung von dem
entscheidungserheblichen Sachverhalt zu bilden. Die Einhaltung der
verfahrensrechtlichen Grenzen zulässiger Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist
deshalb nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter - wie hier - das
vorliegende Tatsachenmaterial anders würdigt oder aus ihm andere Schlüsse
ziehen will als das Gericht (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 12. Februar 2020 - 9 B
30.19 - juris Rn. 3 und vom 24. November 2021 - 9 B 5.21 - NJW 2022, 1186 Rn.
19). Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof - entgegen der Darstellung in
der Beschwerde - nicht übersehen, dass das betreffende Flurstück zum Zeitpunkt
der Baugenehmigung hinreichend erschlossen war (vgl. Rn. 32). Er geht aber
aufgrund der zweiten Änderung des Bebauungsplans vom 5. November 1992 von einem
weitergehenden Erschließungsanspruch aus ("ungehinderte Zufahrt ... ohne
Erschwernis", vgl. Rn. 35).
3. Die
Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die
Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1
GKG; sie entspricht der Wertfestsetzung der Vorinstanzen.
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