In einem Familienrechtsverfahren wurde beiden Seiten Prozesskostenhilfe (PKH) gewährt. In diesem Verfahren legte das Familiengericht Antragsteller und Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens zu je 50% auf. Nachdem der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin gem. §§ 49 ff RVG die Festsetzung seiner Gebühren verlangte und diese in Ansehung der gewährten PKH von der Staatskasse ausgeglichen wurden, machte die Staatskasse die auf sie nach § 59 RVG übergegangenen Rechtsanwaltskosten mit Schlusskostenrechnung entsprechend der Quote in dem Kostenbeschluss des Familiengerichts gegen den Antragsteller geltend. Dagegen wandte sich der Antragsteller mit seiner Erinnerung. Das Familiengericht wies die Erinnerung zurück. Die dagegen eingelegte Beschwerde hatte lediglich betreffend der berechneten Termingebühr Erfolg, da ein Termin oder eine Besprechung als Voraussetzung nicht stattgefunden hatte, und wurde im Übrigen zurückgewiesen.
Im Rahmen seiner Entscheidung wies das OLG darauf hin, dass es an seiner bisherigen Auffassung (Beschlüsse aus 2001 und 1013) nicht mehr festhalte und sich der ganz herrschenden anderweitigen Meinung im Schrifttum zur Frage der Berechtigung der Geltendmachung der auf die Staatskasse übergegangenen Ansprüche gegenüber der anderen, auch prozesskostenberechtigten Partei anschließe.
Soweit in § 122 Abs. 1 Nr. 1 b ZPO von „beigeordneten Rechtsanwälten“ die Rede sei, könne dies allenfalls ein Indiz dafür sein, dass der aus einer PKH auf die Staatsasse übergegangene Anspruch nicht gegenüber der anderen Partei, der auch PKH gewährt worden sei, geltend gemacht werden könne. Theoretisch sei es auch möglich, dass einer Partei zwei Rechtsanwälte beigeordnet werden. Angesehen davon sei in der Verwendung des Plurals durch den Gesetzgeber kein Argument dafür zu sehen, dass § 122 Abs. 1 Nr. 1 b ZPO auch Ansprüche aus § 126 ZPO (Beitreibung der Kosten durch die Partei selbst) sperre, soweit diese auf die Staatskasse übergegangen seien. Zudem ließe sich eine Sperre aus den Gesetzesmaterialien auch nicht klar entnehmen und könne auch eine gesetzgeberische Vorstellung ohnehin nicht im Vergleich zum Wortlaut und der klaren Vorgabe in §$ 123 ZPO entscheidende Bedeutung zukommen.
In den früheren Entscheidungen habe der Senat des OLG auf den Zweck der Verfahrenskostenhilfe abgestellt. Dieser stünde aber der Geltendmachung der Ansprüche der Rechtsanwälte über § 59 RVG nicht entgegen. Auch eine weniger bemittelte Partei soll die Chance erhalten, ihre Rechte durchzusetzen, weshalb die Staatskasse nach Maßgabe des entsprechenden bewilligenden PKH-Beschlusses des Gerichts sowohl die Gerichts- als auch die Anwaltsgebühren übernehme (§ 122 ZPO). Dass auch die Anwaltskosten des obsiegenden Gegners übernommen würden, finde sich im Gesetz nicht. Es bliebe bei der Wertung des § 123 ZPO (OLG Hamm Beschluss vom 23.09.2016 - 6 WF 190/16 -; OLG Nürnberg, Beschluss vom 04.12.2018 - 9 WF 1426/18 -).
Zwar ließe sich im Sinne der bisherigen Rechtsprechung des Senats dagegen einwenden, dass die Staatskasse, anders als die gegnerische Partei nach § 123 ZPO oder deren Rechtsanwälte nach § 126 ZPO, die bedürftige Partei unterstützen, nicht bare mit Verfahrenskosten belasten soll. Dieser Nachteil einer prozesskostenhilfebedürftigen Partei sei aber der gesetzlichen Ausgestaltung immanent. Wenn der Gesetzgeber gewollt hätte, dass die unterlegene Partei (der KH bewilligt wurde) nicht für die Kosten der Gegenseite aufkommen müsse, hätte er dies deutlich regeln können, zumal in diesem Fall auch die Regelungen in §§ 123 und 126 ZPO nicht passen würden. Zwar habe der Gesetzgeber mehrfach kostenrechtliche Änderungen vorgenommen, nicht aber zu §§ 123, 126 ZPO.
Von daher könnten nach ganz herrschender Meinung, der sich der Senat anschließen würde, auf die Staatskasse übergegangene Ansprüche von Rechtsanwälten iSv. § 126 ZPO auch gegen eine Partei geltend gemacht werden, der PKH gewährt worden sei.
Ob die Staatskasse eine derartige Forderung gegen eine Partei, der PKH ohne Ratenzahlung bewilligt wurde, geltend machen soll oder dies Erfolg verspreche, sei eine Frage der Praktikabilität und würde nicht durch § 122 Abs. 1 Nr. 1 b ZPO untersagt.
Anmerkung: Es ist häufig einer Partei, die Prozesskostenhilfe begehrt, dass sie im Falle des Unterliegens (oder auch quotenmäßigen Unterliegens) verpflichtet ist, die Kosten der Gegenpartei zu tragen (auch wenn dieser selbst PKH bewilligt wurde). Gerade in einem solchen Fall sollte sich die um PKH nachsuchende Partei überlegen, ob sie mit der von ihr vertretenen Rechtsansicht (auch im Rahmen der Darlegungs- und Beweislast) tatsächlich erfolgreich sein kann.
OLG München, Beschluss vom
11.07.2022 - 1 WF 352/22 -
Aus den Gründen:
Tenor
Unter
Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen wird der Kostenansatz auf € 125,95
(statt: 244,47 €) reduziert.
Gründe
I.
Auf Anregung
des Antragstellers vom 04.01.2021 hat das Amtsgericht ein Verfahren betreffend
eine einstweilige Anordnung in einer Angelegenheit der elterlichen Sorge
durchgeführt.
Sowohl dem
Antragsteller wie auch der Antragsgegnerin wurde Verfahrenskostenhilfe ohne die
Anordnung von Ratenzahlungen gewährt, der Antragsgegnerin wurde zudem
Rechtsanwältin S. beigeordnet.
In dem Termin
vom 27.01.2021 erfolgte eine Anhörung des Kindes in Abwesenheit der Eltern und
deren Vertreter.
Wegen einer in
einem Parallelverfahren getroffenen einstweiligen Anordnung stellte das
Amtsgericht das vorliegende Verfahren mit dem Az. 3 F 6/21 mit Beschluss vom
12.02.2021 ein und legte die Kosten des Verfahrens dem Antragsteller und der
Antragsgegnerin zu jeweils 50 % auf; den Verfahrenswert setzte es auf €
2.000,00 fest.
Mit Gesuch vom
18.03.2021 beantragte die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin gemäß
§ 49 ff. RVG die Festsetzung ihrer Gebühren, nämlich einer
Verfahrensgebühr, einer Terminsgebühr sowie der Post- und
Telekommunikationspauschale, insgesamt eines Betrages von brutto € 517,65. Nach
Begleichung durch die Staatskasse machte diese mit der
beschwerdegegenständlichen Schlusskostenrechnung, der Kostenverteilung in dem
Beschluss vom 12.02.2021 entsprechend, gegen den Antragsteller nach § 59
RVG auf die Staatskasse übergegangene Rechtsanwaltskosten geltend. Dagegen
wandte dieser sich zunächst mit der Erinnerung, die er mit der Rechtsprechung
des OLG München begründete, wonach die Staatskasse auf sie übergegangene
Vergütungsansprüche eines dem obsiegenden Verfahrensbeteiligten beigeordneten
Rechtsanwalts nicht gegen den erstattungspflichtigen Verfahrensbeteiligten
geltend machen könne, wenn auch diesem Verfahrenskosten- bzw. Prozesskostenhilfe
bewilligt worden sei (vgl. Senatsbeschluss vom 01.08.2013 - 11 WF 1178/13, =
FamRZ 14, 1880; Beschl. v. 24.01.2001 - 11 WF 523/01).
Der zuständige
Amtsrichter wies die Erinnerung zurück:
Zur Begründung
bezog er sich im Wesentlichen auf den Hinweis der Rechtspflegerin in der
Nichtabhilfeentscheidung, wonach die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe
gemäß § 123 ZPO keinen Einfluss auf die Verpflichtung habe, die dem Gegner
entstandenen Kosten zu erstatten. Der Anspruch des Verfahrensbevollmächtigten
der obsiegenden Partei aus § 126 ZPO stelle keinen Anspruch „gegen die
Partei“ im Sinne von § 122 Abs. 1 Nr. 1 b ZPO dar; dies
entspreche auch der Rechtsprechung des BGH, siehe Beschluss vom 11.06.1997 -
XII ZR 254/94. Zur Begründung seiner dagegen gerichteten Beschwerde führt der
Antragsteller im wesentlichen an, an der Rechtsprechung des Senats sei
festzuhalten; der Senat habe sich der gegenteiligen Ansicht in der
Rechtsprechung gerade nicht anschließen wollen. Im Übrigen wendet sich der
Antragsteller gegen den Ansatz einer Terminsgebühr (VV-RVG Nr. 3104): In
der vorliegenden Sache habe weder ein Termin noch eine Besprechung
stattgefunden; ebenso wenig habe es ein Gespräch zwischen ihm und der
Antragsgegnervertreterin gegeben; das Gericht habe auch nicht im Einverständnis
mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden.
II.
Die gemäß
§ 57 Abs. 2, 3 FamGKG zulässige Beschwerde hat teilweise, nämlich
hinsichtlich der nicht berechtigten Terminsgebühr, Erfolg; demgegenüber ist die
Staatskasse nicht gehindert, gemäß § 59 RVG auf sie übergegangene
Ansprüche im Sinne von § 126 ZPO gegen eine unterlegene Partei auch dann
geltend zu machen, wenn dieser (ebenfalls) Verfahrens- bzw. Prozesskostenhilfe
bewilligt wurde.
1. Zumal
im Hinblick auf die seit der letzten Senatsentscheidung hierzu ergangene
Rechtsprechung sowie die ganz herrschende Meinung im Schrifttum hält der Senat
an seiner bisherigen gegenteiligen Meinung (Beschlüsse vom 24.01.2001 - 11 WF
523/01; vom 01.08.2013 - 11 WF 1178/13) nicht mehr fest.
a) Die
Verwendung des Plurals in § 122 Abs. 1 Nr. 1 b ZPO
(„beigeordnete Rechtsanwälte …“) mag allenfalls ein Indiz dafür sein, dass
damit auch Ansprüche der Rechtsanwälte eines obsiegenden Gegners gemeint sind.
Davon abgesehen, dass, zumindest theoretisch, auch die Beiordnung von zwei
Rechtsanwälten denkbar ist, ist in der Verwendung des Plurals durch den
Gesetzgeber kein entscheidendes Argument dafür zu sehen, dass § 122
Abs. 1 Nr. 1 b ZPO auch Ansprüche aus § 126 ZPO sperrt, sofern diese
auf die Staatskasse übergegangen sind. Wie das OLG Celle ausführlich und
überzeugend dargelegt hat, lässt sich dies den Gesetzesmaterialien keineswegs
eindeutig entnehmen (Beschluss vom 20.05.2014 - 2 W 106/14 Tz 6 ff.); überdies
käme den Vorstellungen des Gesetzgebers im Vergleich zum Wortlaut und
insbesondere der klaren Vorgabe in § 123 ZPO ohnehin keine entscheidende
Bedeutung zu (vgl. BGH, Beschl. v. 11.06.1998 - XII ZR 254/94).
b)
Soweit der Senat in den genannten früheren Entscheidungen auf den Zweck der
Verfahrenskostenhilfe abgestellt hat, steht dieser einer Geltendmachung der
Ansprüche der Rechtsanwälte über § 59 RVG nicht entgegen: Auch eine
weniger bemittelte Partei soll die Chance erhalten, ihre Rechte durchzusetzen,
weshalb die Staatskasse (in dem gerichtlich bestimmten Rahmen) sowohl die
Gerichts- wie auch die Anwaltskosten übernimmt (§ 122 ZPO). Eine klare
Aussage dazu, dass diese Unterstützung auch die Anwaltskosten eines obsiegenden
Gegners umfasst, findet sich im Gesetz nicht. Vielmehr bleibt es hier bei der
Wertung des § 123 ZPO (ebenso z.B. OLG Nürnberg, Beschl. v. 04.12.2018 - 9
WF 1426/18 Tz. 15 ff.; OLG Hamm, Beschl. v. 23.09.2016 - 6 WF 190/16 Tz. 5).
Im Sinne der
ursprünglichen Senatsrechtsprechung ließe sich gegen eine Geltendmachung von
übergegangenen Anwaltsansprüchen durch die Staatskasse zwar einwenden, dass
diese - anders als die gegnerische Partei bei § 123 ZPO oder deren
Rechtsanwälte in § 126 ZPO - die bedürftige Partei gerade unterstützen
soll, nicht jedoch mit (Verfahrens-)kosten belasten. Dieser, aus dem
(Teil-)unterliegen resultierende, Nachteil einer prozesskostenhilfeberechtigten
Partei ist der gesetzlichen Ausgestaltung indes letztlich immanent: Hätte der
Gesetzgeber gewollt, dass eine Partei auch im Falle des Unterliegens nicht für
gegnerische Anwaltskosten aufzukommen hat, hätte er dies deutlich regeln
können; vor allem würden in diesem Falle die §§ 123 und 126 ZPO nicht mehr
passen. Zu Recht wird deshalb darauf verwiesen, der Gesetzgeber habe im Laufe
der letzten Jahre, insbesondere 2013, mehrfach kostenrechtliche Änderungen
vorgenommen, nicht jedoch in Bezug auf die genannten Vorschriften (siehe etwa
OLG Celle, a.a.O., Tz. 11).
Der Senat
schließt sich deshalb der ganz herrschenden Meinung an, wonach die Staatskasse
auf sie übergegangene Ansprüche von Rechtsanwälten im Sinne von § 126 ZPO
auch gegen eine Partei geltend machen kann, der gleichfalls Verfahrens- oder
Prozesskostenhilfe gewährt wurde (z.B. Thomas/Putzo-Seiler, ZPO, 43. Aufl.,
§ 122 Rn. 1; Zöller-Schultzky, ZPO, 33. Aufl., § 122 Rn. 5;
Schneider/Volpert, RVG, 9. Aufl., § 59 Rn. 22 ff.).
Die Frage, ob
die Staatskasse derartige Forderungen gegen eine Partei, der Prozesskostenhilfe
ohne Raten bewilligt wurde, geltend machen soll bzw. ob dies Erfolg verspricht,
ist damit eine solche der Praktikabilität (MüKo/ZPO-Wache, 6. Aufl., § 122
Rn. 9; § 126 Rn. 16); durch § 122 Abs. 1 Nr. 1 b ZPO
untersagt ist es der Staatskasse nicht.
2.
Soweit in der angefochtenen Schlusskostenrechnung (zur Hälfte) auch eine
Terminsgebühr enthalten ist, war diese abzusetzen: Zu deren Berechtigung ist im
vorliegenden Verfahren 3 F 6/21 nichts ersichtlich, weder Termine/Besprechungen
im Sinne von Vorbem. 3 Abs. 3 Satz 3 VV-RVG, noch die Voraussetzungen
der Nr. 3104 VV-RVG.
3. Das
Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 57
Abs. 8 FamGKG).
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