Nach einem Brandschaden machte die Klägerin Leistungen aus ihrer Wohngebäudeversicherung geltend. Zu dem Feuer kam es in der Küche, da die Klägerin kurz vor Verlassen des Hauses versehentlich den E-Herd nicht ausschaltete, sondern durch Betätigung des Drehknopfs einer anderen Platte diese auf die höchste Stufe stellte. In den Versicherungsbedingungen (§ 19 Ziffer 1 Abs. 3 VGB 2010) war geregelt, dass bei grob fahrlässigen Herbeiführen des Schadens durch den Versicherungsnehmerin der Versicherer (hier die Beklagte) in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis diesen kürzen könne.
Die Beklagte regulierte mit 75%. Die Klage der Klägerin, die in erster Instanz erfolgreich war, wurde auf die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Das OLG wies darauf hin, dass die Regelung in § 19 Ziffer 1 Abs. 3 VGB 2010 der Norm des § 81 Abs. 2 VVG entspräche, weshalb die Beklagte berechtigt gewesen sei, die Versicherungsleistung zu kürzen. Grobe Fahrlässigkeit setze einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt müsse in einem ungewöhnlich hohem Maß verletzt worden sein und dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jeden hätte einleuchten müssen (BGH, Urteil vom 10.05.2011 - VI ZR 196/10 -).
Wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und das nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchte, würde die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schweren Maße verletzen und objektiv grob fahrlässig handeln. Dies sei hier anzunehmen, da die Klägerin die Herdplatte auf höchste Stufe eingeschaltet habe und für ca. 20 Minuten das Haus verlassen habe, ohne zu prüfen, ob der Herd ausgeschaltet ist.
Subjektiv sei für eine grobe Fahrlässigkeit ein besonders hohes Maß an Vorwerfbarkeit erforderlich, die auch subjektiv eine unentschuldbare Pflichtwidrigkeit darstelle, bei der das in § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß erheblich überschritten würde (BGH, Urteil vom 10.05.2011 - VI ZR 196/10 -). Das Berufungsgericht ging davon aus, dass auch subjektiv das Anschalten einer Herdplatte auf höchster Stufe und Verlassen des Hauses für ca. 20 Minuten eine erhebliche Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt darstelle. Sie hätte sich keinesfalls auf ihre subjektiv geprägte Annahme verlassen dürfen, den Herd ausgeschaltet zu haben. Offensichtlich habe sie den Drehknopf ohne Sichtkontakt betätigt, da sie ansonsten hätte feststellen müssen, dass sie den falschen Knopf betätigt. Das Berufungsgericht stellte auf die besondere Gefährlichkeit eines in Betrieb befindlichen E-Herdes ab, weshalb der Klägerin die Pflicht oblegen habe, durch Blickkontakt sicherzustellen, dass der Herd tatsächlich - wie beabsichtigt - ausgeschaltet war, zumal sie beabsichtigt habe, kurz darauf das Haus zu verlassen. Diese Vergewisserung sie auch einfach, schnell und unproblematisch möglich (Blick auf Drehknöpfe, bei modernen Geräten auf das Display oder auf den farblichen Zustand der Ceranfelder).
Die Klägerin könne sich auch nicht auf ein Augenblicksversagen berufen. Dieses könne nur vorliegen, wenn der an sich objektiv besonders schwerwiegende Sorgfaltsverstoß auf einer kurzzeitigen bzw. einmaligen und unbewussten Unaufmerksamkeit beruhen und zusätzliche Umstände hinzutreten würden, die das momentane Versagen in einem milderen Licht erscheinen ließen (BGH, Urteil vom 10.05.2011 - VI ZR 196/10 -). Vorliegend habe sich die Klägerin vergriffen, da sie die benutzte Herdplatte habe ausschalten wollen, versehentlich aber statt dessen die dahinter liegende Platte auf die höchste Stufe einschaltete. Besondere Umstände, die dies in einem milderen Licht erscheinen ließen (wie besondere Eile oder Ablenkung durch eine außergewöhnliche (Not-) Situation) seien nicht ersichtlich.
Ebenso könne sich die Klägerin nicht auf die Rechtsprechung zur sog. Routinehandlung berufen, bei der die Handlung typischerweise unbewusst ausgeübt würde. Voraussetzung dafür sei, dass der handelnde mit einer bestimmten Tätigkeit, die ständige Konzentration erfordere, dauernd beschäftigt sei, da ein einmaliger Ausrutscher in solchen Fällen jedem und damit auch dem ansonsten sorgfältigen Versicherungsnehmer unterlaufen könne (BGH, Urteil vom 08.07.1992 - IV ZR 223/91 -). Weder handele es sich vorliegend um eine entsprechende routinemäßige Dauertätigkeit, noch sei erkennbar, dass die Klägerin abgelenkt gewesen sei.
Damit sei die von der Beklagten vorgenommene Kürzung um 25% angemessen. (Anm.: Das Berufungsgericht hat damit nicht zum Ausdruck gebracht, dass in einem solchen Fall nur 25% gekürzt werden könnten, sondern nur bestätigt, dass die konkret vorgenommene Kürzung von 25% - jedenfalls - angemessen ist.)
Hanseatisches
Oberlandesgericht Bremen, Urteil vom 12.05.2022 - 3 U 37/21 -
Aus den Gründen:
Tenor
Auf die
Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 24.11.2021
(6 O 358/21) aufgehoben.
Die Klage wird
abgewiesen.
Die Kosten des
Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist
ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die Klägerin
begehrt Leistungen aus der Wohngebäudeversicherung nach einem Brandschaden in
ihrem – selbstbewohnten - Wohnhaus.
Die Klägerin
unterhält bei der Beklagten eine Wohngebäudeversicherung (auch bei Feuer), der
die Allgemeinen Wohngebäude-Versicherungsbedingungen (VGB 2010) –
Grundsicherung Standard zugrunde liegen. § 19 Ziff.1 Absatz 3 lautet
(Bl.9 d.A.):
„Führt der Versicherungsnehmer
den Schaden grob fahrlässig herbei, so ist der Versicherer berechtigt, seine
Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers
entsprechenden Verhältnis zu kürzen.“
Am 1.2.2020 kam
es zu einem Brand in der Küche des Wohnhauses der Klägerin. Ursächlich für
diesen Brand war, dass die Klägerin – kurz bevor sie das Haus verließ – den
Elektroherd nicht ausschaltete, sondern versehentlich den Drehknopf einer
anderen Herdplatte betätigte und diese dadurch auf die höchste Stufe stellte.
Den
verursachten Schaden hat die Beklagte zu 75% reguliert. Hinsichtlich der
restlichen 8.962,48 € hat sie den Ausgleich im Hinblick auf eine ihrer Ansicht
nach vorliegende grobe Fahrlässigkeit der Klägerin verweigert.
Wegen der
weiteren tatsächlichen Feststellungen wird auf die angegriffene Entscheidung
Bezug genommen.
Das Landgericht
hat der auf den Restbetrag gerichteten Klage stattgegeben und ausgeführt, die
Klägerin habe den Brand zwar fahrlässig, aber nicht grob fahrlässig verursacht.
Es sei fahrlässig gewesen, dass sich die Klägerin nach dem Betätigen des
Reglers nicht noch einmal versicherte, den Herd auch tatsächlich ausgeschaltet
zu haben. Andererseits liege hier kein „typischer so genannter Herdplattenfall“
vor, in dem jemand nach Einleitung des Koch- oder Bratvorgangs das Koch- oder
Bratgut bewusst oder unbewusst auf dem eingeschalteten Herd zurücklässt. Mit
dem (vermeintlichen) Ausschalten der vorderen Herdplatte sei der – die strengen
Sorgfaltsanforderungen auslösende – Kochvorgang für die Klägerin aus ihrer
Sicht abgeschlossen gewesen. Unter diesen Umständen verletze das Verhalten der
Klägerin die gebotene Sorgfaltspflicht nicht in ungewöhnlich hohem Maße und
schlechthin unentschuldbarer Weise.
Mit der
Berufung verweist die Beklagte auf die Bedeutung des Begriffs „grobe
Fahrlässigkeit“. Es reiche aus, dass der Versicherungsnehmer ganz naheliegende
Überlegungen nicht anstelle und nicht beachte, was im konkreten Fall jedermann
einleuchten müsse. Es werde ein Verhalten vorausgesetzt, von dem der
Versicherungsnehmer wusste oder wissen musste, dass es geeignet war, den
Eintritt des Versicherungsfalls und die Vergrößerung des Schadens
herbeizuführen. Rücksichtslosigkeit oder Gleichgültigkeit gegenüber dem
versicherten Interesse müsse nicht in dem Verhalten zum Ausdruck kommen. Sie
verweist darauf, dass sie die grobe Fahrlässigkeit nur mit 25% bewertet habe.
Die Beklagte
beantragt,
das
angefochtene Urteil des Landgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen
Die Klägerin
beantragt unter Verteidigung des angefochtenen Urteils,
die Berufung
zurückzuweisen.
Sie bestreitet,
beim Ausstellen des Herdes unaufmerksam bzw. unkonzentriert gewesen zu sein und
meint, es sei nicht erforderlich gewesen, zu überprüfen, ob der richtige Regler
am Herd ausgeschaltet worden sei.
II.
Die statthafte
Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist
daher zulässig.
Die Berufung
ist auch begründet.
Die Klägerin
hat entgegen der Auffassung des Landgerichts keinen Anspruch auf weitere
Versicherungsleistungen aus dem Wohngebäudeversicherungsvertrag, weil sie den
Schaden grob fahrlässig verursacht hat. Aufgrund der Regelung in § 19
Ziff.1 Absatz 3 der Allgemeinen Wohngebäude-Versicherungsbedingungen (VGB
2010) – Grundsicherung Standard, die der Vorschrift des § 81 Abs.2 VVG
entspricht, war die Beklagte deshalb berechtigt, die Versicherungsleistung zu
kürzen.
Grobe
Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren
Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus.
Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und es muss dasjenige
unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen
(BGH, Urt. v. 10. 5. 2011 − VI ZR 196/10, NJW-RR 2011, 1055 Rn. 10 – beck-online)
Objektiv grob
fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders
schwerem Maße verletzt, schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht
anstellt und das nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste
(st. Rspr. z.B. BGH Urteil vom 26.5.2020 – VI ZR 186/17, NJW 2020, 2534 Rn. 19
– beck-online).
Angesichts des
unstreitigen Geschehens, die Klägerin schaltete eine Herdplatte auf höchster
Stufe an und verließ das Haus für ca. 20 Minuten, liegt ein objektiver Sorgfaltsverstoß
unzweifelhaft vor.
Subjektiv ist
für das Vorliegen grober Fahrlässigkeit ein besonders hohes Maß an
Vorwerfbarkeit erforderlich, es muss sich um eine auch subjektiv
unentschuldbare Pflichtwidrigkeit handeln, die das in § 276 Abs.2 BGB bestimmte
Maß erheblich überschreitet (BGH, Urt. v. 10. 5. 2011 − VI ZR 196/10, NJW-RR
2011, 1055 Rn. 10 – beck-online; BeckOK VVG/Klimke, 14. Ed. 15.2.2022, VVG
§ 81 Rn. 38). Auf die dazu offensichtlich in der Literatur vereinzelt
geführte Diskussion, ob nach der Aufgabe des „Alles oder Nichts-Prinzips“ auf
die subjektive Vorwerfbarkeit verzichtet werden sollte bzw. ob die
Anforderungen an die subjektive Vorwerfbarkeit abgesenkt werden sollten (dazu
Prölss/Martin/Armbrüster, 31. Aufl. 2021, VVG § 81 Rn. 48, zur Diskussion
BeckOK VVG/Klimke, 14. Ed. 15.2.2022, VVG § 81 Rn. 38.1/2) kommt es nach
Ansicht des Senats nicht an, weil der Klägerin auch subjektiv ein besonderes
Maß an Pflichtwidrigkeit und damit grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist.
Grundsätzlich
ist auch subjektiv das Anschalten einer Herdplatte auf höchster Stufe bei
gleichzeitigem Verlassen des Hauses für ca. 20 Minuten eine erhebliche
Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt. Allerdings glaubte die Klägerin
subjektiv, sämtliche Herdplatten ausgeschaltet zu haben. Allein auf diesen
Eindruck durfte sie sich allerdings nicht verlassen. Offensichtlich hat sie die
Drehknöpfe ohne Sichtkontakt verstellt, denn sonst hätte sie nicht den falschen
Schalter betätigt. Angesichts der besonderen Gefährlichkeit eines in Betrieb
befindlichen Elektroherdes oblag der Klägerin die Pflicht, sich durch einen
Blickkontakt zu vergewissern, dass der Herd auch tatsächlich – wie von ihr
beabsichtigt – ausgeschaltet war. Dies gilt insbesondere deswegen, weil sie
beabsichtigte, unmittelbar nach der Betätigung des Herdes das Haus zu
verlassen. Eine solche Vergewisserung war auch einfach, schnell und
unproblematisch möglich, entweder durch einen Blick auf die Drehknöpfe (bei
modernen Geräten auf das Display) oder auf den farblichen Zustand der
Ceranfelder. Hätte die Klägerin eine solche Nachschau vorgenommen, hätte sie
sofort festgestellt, dass ein (weiteres) Kochfeld betätigt worden war.
Auch unter
Berücksichtigung der Grundsätze des „Augenblicksversagens“ kann nicht zugunsten
der Klägerin von einem geringeren Maß subjektiver Pflichtwidrigkeit ausgegangen
werden. Ein solches liegt vor, wenn ein an sich objektiv besonders
schwerwiegender Sorgfaltsverstoß auf einer kurzzeitigen bzw. einmaligen und
unbewussten Unaufmerksamkeit beruht und zusätzliche Umstände hinzukommen, die
das momentane Versagen in einem milderen Licht erscheinen lassen (BGH, Urt. v.
10. 5. 2011 − VI ZR 196/10, NJW-RR 2011, 1055 Rn. 13; BGH, Urteil vom 29. 1.
2003 - IV ZR 173/01 NJW 2003, 1118, 1119; BGH, Urteil vom 8. 7. 1992 - IV ZR
223/91 NJW 1992, 2418 – alle beck-online).
Die Klägerin
wollte die benutzte Herdplatte ausschalten und hat dabei versehentlich die
dahinter befindliche Platte auf die höchste Stufe angeschaltet, sie hat sich
also „vergriffen“. Es sind jedoch keine besonderen Umstände zu erkennen, die
dieses „momentane“ Versagen in einem anderen Licht erscheinen lassen. Eine
besondere Eile oder eine Ablenkung durch eine außergewöhnliche (Not-)Situation
ist nicht erkennbar.
Auch die
Rechtsprechung zu sog. (typischerweise unbewusst ausgeübten) Routinehandlungen
ist hier nicht anwendbar. Voraussetzung dafür ist, dass der Handelnde mit einer
bestimmten Tätigkeit dauernd beschäftig ist, die ständig Konzentration
erfordert, weil ein einmaliger „Ausrutscher“ bei solchen Tätigkeiten jedem und
damit auch einem ansonsten sorgfältigen Versicherungsnehmer unterlaufen kann
(vgl. BGH, Urteil vom 8. 7. 1992 - IV ZR 223/91 NJW 1992, 2418; BGH, Urteil vom
8. 2. 1989 - IVa ZR 57/88 NJW 1989, 1354, 1355 – beck-online). Weder handelt es
sich bei der Bedienung des Herdes um eine routinemäßige Dauertätigkeit, die
ständige Konzentration erfordert, noch ist erkennbar, dass die Klägerin durch
äußere Umstände abgelenkt war. Im Gegenteil ist das Abstellen des Herdes
unmittelbar vor dem Verlassen des Hauses gerade eine besondere Konstellation
und keine Routinehandlung.
Angesichts des
Maßes des groben Verschuldens der Klägerin, die den Herd eigentlich ausschalten
wollte, sich aber dessen nicht vergewisserte, hält der Senat die von der
Beklagten vorgenommene Kürzung der Versicherungsleistung um 25% für angemessen.
Die
Kostenentscheidung ergeht gemäß § 91 Abs.1 ZPO, die vorläufige
Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Zif.10 S.1, 713 ZPO.
Die Revision
war nicht zuzulassen, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und
auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert
(§ 543 Abs.2 ZPO).
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