An einem Kettenauffahrunfall mit fünf Fahrzeugen war u.a. ein in den Niederlanden zugelassener VW Caddy beteiligt. An zweiter Stelle fuhr ein Ford, an dritter Stelle ein Ford. Ein Porsche war aus der Kolonne ausgeschert, als sich der Unfall ereignete. Der VW Caddy fuhr auf den Audi auf; auch die anderen Fahrzeuge erlitten Kollisionsschäden. Der Kläger (Grüne-Karte-System) regulierte über die von ihm beauftragte Van Ameyde Germany AG (der VW Caddy war bei einer niederländischen Haftpflichtversicherung versichert) und zahlte an den Halter des Audi unter Vorbehalt der Rückforderung € 10.000,00 und an die Halterin (ebenfalls unter Vorbehalt) des Ford € 23.282,96. In einem nachfolgenden Rechtsstreit zwischen dem Kläger und dem Halter des Audi kam das zuständige Landgericht zu der Überzeugung, dass Ausgangspunkt der Kollision ein schuldhaftes Auffahren des Audi auf den Ford gewesen sei; der dadurch für den VW Caddy verkürzte Bremsweg habe die Kollision des VW Caddy mit dem Audi bedingt, weshalb dem Halter des Audi 100% des Schadens anzulasten seien. Nunmehr verklagte der Kläger die Haftpflichtversicherung des Audi (Beklagte) auf Ersatz der von ihm geleisteten Zahlung an die Halterin des Ford. Das Landgericht gab der Klage auf der Grundlage von § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB (Nichtleistungskondiktion) statt.
1. Die Beklagte wandte ein, bei der geleisteten Zahlung würde es sich nicht um eine Zahlung des Klägers, sondern um eine solche des niederländischen Haftpflichtversicherers des VW Caddy gehandelt haben, weshalb der Kläger zur Geltendmachung nicht aktivlegitimiert sei. Dem folgte das Landgericht nicht. Zwar sei in dem Regulierungsschreiben der vom Kläger beauftragten Van Ameyde Germany AG im betreff der Name des niederländischen Haftpflichtversicherers benannt worden, doch bedeute dies nicht, dass die Halterin des Ford diesen auch direkt in Anspruch genommen hätte, zumal die Halterin des Ford, eine GmbH mit Sitz in Recklinghausen, eine deutsche Anwaltskanzlei mandatierte und es fernliegend sei, dass seien solche den ausländischen Versicherer direkt in Anspruch nehme, statt den einfacheren Weg über das System der Grünen Karte zu nutzen, genauso wie es der Versicherungsnehmer der Beklagten tat. Damit sei der Kläger als passivlegitimiert (§ 6 AuslPflVG iVm. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG) in Anspruch genommen worden und war Leistender der Zahlungen im Sinne des Bereicherungsrechts, auch wenn das Geld direkt oder per interner Verrechnung mit der Van Ameyde Germany AG von dem niederländischen Versicherer stammten, da damit die gegen den Kläger gerichteten Zahlungen zu Fall gebracht werden sollten (OLF Hamm, Urteil vom 06.04.2017 - I-24 U 110/16 -).
2. Mit der streitgegenständlichen Zahlung habe der Kläger ohne Rechtsgrund eine Verbindlichkeit der Beklagten erfüllt und sie damit in ungerechtfertigter Weise bereichert.
a) Folge der beklagtenseits nicht angegriffenen Feststellungen in dem vorangegangenen Verfahren des Klägers gegen den Halter des Audi sei, dass dessen Fahrer den Kettenauffahrunfall durch einen unprovozierten (Erst-) Anstoß auf den Ford ausgelöst habe. Selbst wenn es in der Folge des Anstoßes des Audi auf den Ford noch zu einem Folgeanstoß des Audi auf den Ford durch den VW Caddy gekommen sein sollte, würde sich and er alleinigen Haftung des Audi nichts ändern (Anm.: da der Bremsweg verkürzt war, der Anstoß des VW Caddy auf den Audi also nicht zu verhindern war, würde hier die Betriebsgefahr des VW Caddy gegenüber dem Verschulden auf der Seite des Audi zurücktreten). Damit entfalle ein Anspruch gegen den Versicherer des VW Caddy nach §§ 7, 18 StVG und aus § 813 BGB iVm. § 6 AuslPflVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB.
b) Der Kläger könne auch direkt Zahlung von der Beklagten aus ungerechtfertigter Bereicherung verlangen. Er habe durch Zahlung an die Halterind es Ford, zu der er sich verpflichtet gesehen habe, irrtümlich eine fremde Schuld getilgt. Grundsätzlich könne er zwar die Zahlung (soweit nicht gesetzliche Regressansprüche bestehen) nur vom Zahlungsempfänger zurückfordern (was ihm infolge des erklärten Regulierungsvorbehalts auch möglich wäre).
Es könne dahinstehen, ob ein gesetzlicher Regressanspruch (so aus einem Gesamtschuldverhältnis mit der Beklagten gem. § 426 BGB) bestünde. Zulässig sei es, dass der Leistende eine Tilgungsbestimmung nachträglich dahin zu ändern, dass er die Fremde Schuld habe tilgen wollen, mit er Folge, dass er den wahren Schuldner von der Leistungspflicht nach §§ 267, 362 Abs. 1 BGB befreie (BGH, Urteil vom 15.05.1986 - VII ZR 274/85 -). Dies habe der Kläger durch seine gegenüber der Beklagten erhobene „Regress“-Forderung konkludent berechtigt getan. Damit würden auch dem wahren Schuldner evtl. mögliche Einwendungen (zumindest unter Beachtung von § 242 BGB) genommen, die hier aber auch nicht erhoben worden seien.
LG Münster, Urteil vom
15.12.2022 - 8 O 205/22 -
Aus den Gründen:
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an den
Kläger 23.282,96 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.12.2021 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des
Rechtsstreits.
Das Urteil ist
vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des
jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
Am XX.XX.2018
kam es auf der Bundesautobahn X in Höhe M, Fahrtrichtung S, zu einem
Verkehrsunfall mit fünf zunächst in einer Kolonne fahrenden Pkws. An zweiter
Stelle der Kolonne fuhr ein Ford mit dem Kennzeichen RE-XX XXX, an dritter
Stelle ein bei der Beklagten haftpflichtversicherter Audi A4 mit dem
Kennzeichen UN-XX XXX. Ein viertes Fahrzeug, ein Porsche, war zwischenzeitlich
ausgeschert. Das fünfte Fahrzeug war ein in den Niederlanden zugelassener und
versicherter VW Caddy mit dem Kennzeichen XX V XX X..
Der VW Caddy
fuhr auf den Audi A4 auf, auch alle anderen Fahrzeuge erlitten
Kollisionsschäden.
Der Kläger, als
für Deutschland zuständige Stelle des Grüne-Karte-Systems, wurde von dem Halter
des Audi A4 auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Er beauftragte die Van
Ameyde Germany AG mit der Regulierung der Ansprüche des Audi-A4-Halters; die
Van Ameyde Germany AG zahlte dem Audi-A4-Halter zunächst unter Vorbehalt der
Rückforderung 10.000,00 EUR. Ebenso veranlasste die Van Ameyde Germany AG
Zahlungen an die Halterin des Ford im Jahr 2018 von insgesamt 23.282,96 EUR.
Bezüglich letzterer Zahlungen steht im Streit, wem sie zuzurechnen sind bzw.
für welchen Anspruchsgegner sie geleistet wurden.
Zwischen dem
Kläger und dem Audi-A4-Halter kam es im Anschluss zu einem Rechtsstreit vor dem
Landgericht X. Im Urteil vom ##.##.2020 - Aktenzeichen entfernt - gelangte das
Landgericht X zu dem Schluss, der Ausgangspunkt der Kollisionen sei darin zu
finden, dass der Fahrer des Audi A4s schuldhaft auf den vorausfahrenden Ford
aufgefahren sei. Die dadurch entstandene Bremswegverkürzung habe die Kollision
mit dem niederländischen VW Caddy bedingt, dem Halter des Audi A4 seien deshalb
100 % des Schadens anzulasten.
Der Kläger ist
der Ansicht, von der Beklagten Anspruch auf Ersatz der an die Ford-Halterin
geleisteten Zahlungen zu haben. Er behauptet, die Regulierung sei zwar durch
die Van Ameyde Germany AG im Einzelnen bearbeitet und durchgeführt worden.
Passivlegitimierter für die Ansprüche der Ford-Halterin sei jedoch er selbst,
die Regulierung sei entsprechend in seinem Namen erfolgt.
Er beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 23.282,96 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.12.2021 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der
Ansicht, der Kläger sei nicht aktivlegitimiert, weil er nicht selbst Zahlungen
geleistet habe. Die Van Ameyde Germany AG habe ausweislich der
Regulierungsschreiben für die niederländische Roes Assuradeuren B.V. geleistet.
Wegen der
weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten
Schriftsätze einschließlich Anlagen, insbesondere das vom Kläger in Abschrift
vorgelegte Urteil des Landgerichts X vom XX.XX.2020 - Aktenzeichen XXXXXXXXX -,
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist
begründet. Der Kläger kann von der Beklagten die an die Ford-Halterin
geleisteten Zahlungen mindestens aus Bereicherungsrecht
(Nichtleistungskondiktion, § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB)
ersetzt verlangen; für die bereicherungsrechtlichen Ansprüche gilt deutsches
Recht, weil deutsches Recht als Recht des Schadensortes auch auf die
Schadensersatzansprüche der Unfallbeteiligten Anwendung fand (Art. 10
Abs. 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Rom-II-VO).
Im Einzelnen:
I.
Der Kläger hat,
in der Ansicht, hierzu verpflichtet zu sein, der Ford-Halterin sämtliche nach
seiner Sicht sachlich gerechtfertigten Schäden ersetzt. Bei den von der Van
Ameyde Germany AG veranlassten Zahlungen handelte es sich um Leistungen des
Klägers, nicht etwa - wie die Beklagte meint - Leistungen des niederländischen
Versicherers.
Denn der Kläger
hat vorgetragen, von verschiedenen Unfallbeteiligten - jedenfalls sowohl dem
Audi-A4-Halter als auch der Ford-Halterin - in Anspruch genommen worden zu
sein. Er habe dann die Van Ameyde Germany AG als eines seiner
Mitgliedsunternehmen mit der Regulierung beauftragt.
Das Gericht hat
keinen Anlass, an dieser Sachdarstellung zu zweifeln. Sie wird insbesondere
nicht durch die Angaben auf den von der Klägerin vorgelegten
Regulierungsschreiben der Van Ameyde Germany AG infrage gestellt. Dort heißt es
zwar eingangs jeweils:
"Betreff /
Kunde: Unfalldatum XX.XX.2018 / Roest Assuradeuren B.V."
Hieraus folgt
jedoch nicht, dass die Ford-Halterin die Roest Assuradeuren B.V. - als offenbar
betroffene niederländische Kfz-Haftpflichtversicherung - direkt in Anspruch
genommen hätte. Zwar hält es das Gericht für denkbar, dass die Roest
Assuradeuren B.V. ebenfalls die Van Ameyde Germany AG mit der Regulierung
beauftragt hätte, wenn die Ford-Halterin sie direkt kontaktiert hätte. Die
Ford-Halterin - eine deutsche GmbH mit Sitz in Recklinghausen - ist jedoch
ausweislich der Regulierungsschreiben während der Regulierung von der Kanzlei E
in Dortmund vertreten worden. Das Gericht hält es für fernliegend, dass eine
deutsche Rechtsanwaltskanzlei direkt einen ausländischen
Kfz-Haftpflichtversicherer in Anspruch nehmen würde, anstatt den offensichtlich
leichteren Weg der Regulierung über das System Grüne Karte (mit ausschließlich
deutschen Ansprechpartnern und Zustelladressaten) zu nutzen, genauso wie es der
Versicherungsnehmer der Beklagten tat.
Die
Ford-Halterin hat demnach den Kläger als Passivlegitimierten (§ 6
AuslPflVG i.V.m. § 115 VVG) in Anspruch genommen. Dieser ist demnach auch
Leistender der Zahlungen im Sinne des Bereicherungsrechts geworden, selbst wenn
die Geldsummen direkt oder per interner Verrechnung mit der Van Ameyde Germany
AG von der Roest Assuradeuren B.V. stammten. Denn mit den Zahlungen sollten die
gegen den Kläger gerichteten Ansprüche zu Fall gebracht werden (vgl. schon OLG
Hamm, Urteil vom 6. April 2017 - I-24 U 110/16 -, juris Rn. 11-20).
II.
Durch die
Zahlungen hat der Kläger, ohne Rechtsgrund, eine Verbindlichkeit der Beklagten
erfüllt und sie damit in sonstiger Weise ungerechtfertigt bereichert:
1.
Denn eine
Verpflichtung des Klägers zur Zahlung der Schadensersatzsummen an die
Ford-Halterin bestand weder aus §§ 7, 18 StVG noch aus § 823 BGB
(i.V.m. § 6 AuslPflVG, § 115 VVG). Vielmehr waren der Audi-A4-Halter,
der zugleich Fahrer im Unfallzeitpunkt war (aus §§ 7, 18 StVG) sowie die
Beklagte als Kfz-Haftpflichtversicherer des Audi-A4-Halters (aus § 115
VVG) als Gesamtschuldner zur Zahlung sämtlicher Schäden der Ford-Halterin
verpflichtet. Dies ist Folge der - von der Beklagten nicht angegriffenen -
Feststellung des Landgerichts X, dass der Audi-A4-Halter den
Kettenauffahrunfall durch seinen unprovozierten (Erst-)Anstoß auf den Ford
ausgelöst hat. Selbst wenn es - was aus dem Sachvortrag der Parteien nicht im
Einzelnen hervorgeht - im Anschluss nochmals zu Anstößen des Audi A4 auf den
Ford gekommen sein sollte, die ursächlich auf den weiteren Anstoß des VW Caddy
auf den Audi A4 zurückzuführen wären, würde sich an der alleinigen Haftung der
Audi-A4-Seite nichts ändern; denn den Anstoß des VW Caddy auf den Audi A4 hat,
wie das Landgericht X überzeugend ausführt, ebenso allein der Audi-A4-Halter zu
vertreten.
2.
Der Kläger ist
auch berechtigt, die Zahlungen direkt von der Beklagten aus ungerechtfertigter
Bereicherung ersetzt zu verlangen.
Zwar hat der
Kläger mit den Zahlungen an die Ford-Halterin irrtümlich eine in Wahrheit
fremde Schuld getilgt, obwohl er sich selbst verpflichtet sah. Dies berechtigt
ihn grundsätzlich - vorbehaltlich von gesetzlichen Regressansprüchen - nur
dazu, die Zahlungen von der Zahlungsempfängerin, also der Ford-Halterin,
zurückzufordern (wie es ihm infolge des ausdrücklich in den
Regulierungsschreiben erklärten Leistungsvorbehalts auch unproblematisch
möglich gewesen wäre).
Inwiefern dem
Kläger ein solcher gesetzlicher Regressanspruch - insbesondere aus einem
Gesamtschuldverhältnis mit der Beklagten (§ 426 BGB) - zusteht, kann
jedoch dahinstehen. Denn nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist es für
den Leistenden zulässig, eine Tilgungsbestimmung nachträglich dahin zu ändern, dass
er die fremde Schuld hat tilgen wollen (mit der Folge, dass er den wahren
Schuldner von der Leistungspflicht nach §§ 267, 362 Abs. 1 BGB
befreit hat; vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 1986 - VII ZR 274/85 -,
juris). Dies hat der Kläger mit der gegenüber der Beklagten erhobenen
"Regress"-Forderung konkludent getan, und er war auch dazu
berechtigt. Die von der Literatur gegen die BGH-Rechtsprechung erhobenen
Gegenargumente (etwa Staudinger/Bittner/Kolbe (2019) BGB § 267 Rn. 45;
Übersicht zum Meinungsstand Martinek/Heine in jurisPK-BGB, 9.
Aufl., § 812 BGB (Stand: 27.06.2022) Rn. 155) greifen aus Sicht
des Gerichts jedenfalls im hiesigen Fall nicht durch. Insbesondere die Erwägung
der Literatur, dass dem wahren Schuldner im Wege der Abänderung der
Tilgungsbestimmung Einwendungen verloren gehen könnten, und dem
Bereicherungsgläubiger unbilligerweise gestattet würde, sich den
Erstattungsschuldner auszusuchen, scheint dem Gericht zweifelhaft; denn der
wahre Schuldner dürfte etwaige Einwendungen, die er gegenüber der "Hauptschuld"
zu haben meint, auch dem Bereicherungsgläubiger entgegen halten können
(mindestens im Wege von § 242 BGB). Im Einzelnen kann dies jedoch
dahinstehen, weil Einwendungen gegen die Zahlungsverpflichtung von der
Beklagten gar nicht behauptet werden.
III.
Die
Zinsforderung ergibt sich aus Verzug, §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1,
288 Abs. 1 BGB.
Die
Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 ZPO, diejenige über die
vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.
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