Montag, 13. März 2023

Obligatorisches Schlichtungsverfahren vor Klage und Verletzung der persönlichen Ehre

Der Beklagte verschaffte sich zu einem WhatsApp-Chatverkauf seiner jetzt von ihm getrennt lebenden Ehefrau mit deren Freundin (der Klägerin) Zugriff, den er mindestens zwei Personen zum Lesen überließ. Die Klägerin verlangte wegen Eingriffs in ihrer Intimsphäre eine Geldentschädigung. Das Amtsgericht wies die Klage als unzulässig zurück; dem folgte das Landgericht im Berufungsverfahren. Im Rahmen der zugelassenen Revision wurde die Entscheidungen aufgehoben und der Rechtsstreit an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Hintergrund war § 15a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EGZPO, § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW, wonach für bestimmte Verfahren ein Schlichtungsverfahren vor Klageerhebung zwingend vorgeschrieben ist. Wird dieses nicht durchgeführt, ist die Klage unzulässig. Ein Schlichtungsverfahren wurde vorliegend nicht durchgeführt, weshalb Amts- und Landgericht die Zulässigkeitsvoraussetzungen als nicht gegeben angesehen haben. Ansprüche, die sich inhaltlich auf eine Ehrverletzung im strafrechtlichen Sinne beziehen würden, würden in den Anwendungsbereich dieser Regelung fallen. Die Annahme des BGH (im Urteil vom 02.03.2012 - V ZR 169/11 -), in NRW seien alle Geldforderungen schlichtungsfrei gestellt, greife nicht, da  der BGH sich auf die Entstehungsgeschichte berufen habe und diese für den Bereich der persönlichen Ehre diesen Schluss nicht zulasse.

Diesen Erwägungen der Instanzgerichte folgte der BGH nicht. Vorliegend würde es sich nicht um eine Streitigkeit über Ansprüche wegen Verletzung der persönlichen Ehre iSv. § 15 a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EFZPO iVm. 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW handeln. Dabei könne auch auf sich beruhen, ob nicht sogar eine Zahlungsklage vorläge, für die das Schlichtungsverfahren ohnehin nicht erforderlich sei, da ein auf Geld gerichteter Anspruch auch dann eine Zahlungsklage sei, wenn der Geldanspruch auf eine Ehrschutzverletzung beruhe (das Schlichtungsverfahren verneinend BGH aaO.). Dem schließt sich der Verfasser dieses Artikels an: Unabhängig davon, welche Grundlage die Zahlungsklage hat, erfordert sie (bei Streitwerten von über € 750,00 nie ein vorheriges Schlichtungsverfahren, da es sich dann immer um eine vermögensrechtliche Auseinandersetzung handelt, unabhängig davon, dass (auch bis zu € 750,00) das Schlichtungsverfahren umgangen w erden könnte, indem nicht gleich Klage erhoben wird, sondern ein gerichtliches Mahnverfahren eingeleitet wird (§ 15a Abs. 2 S. 1 Nr. 5 EGZPO). Ist ein Schlichtungsverfahren zwingend vorgeschrieben, so kann dieses nach Klageerhebung nicht zur Heilung nachgeholt werden (BGH, Urteil vom 23.11.2004 - VI ZR 336/03 -).

In der hier besprochenen Entscheidung ließ dies der BGH dahingestellt, da eine „Verletzung der persönlichen Ehre“ nicht Grundlage des Anspruchs sei.  Davon seien nicht alle Ansprüche aus einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfasst; § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG lehne sich eng an die Öffnungsklausel des § 15a Abs. 1 S. 1Nr. 3 EGZPO an. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht würde nicht nur die persönliche Ehre sondern auch das Recht des Einzelnen auf Achtung seiner individuellen Persönlichkeit umfassen (BGH, Urteil vom 23.11.2004 aaO.).

Abzustellen sei hier auf die Entstehungsgeschichte der Normen. Der Rechtsausschuss des Bundestages habe die Einbeziehung von Ehrschutzklagen in den Anwendungsbereich des § 15a Abs. 1 S. 1 EGZPO vor dem Hintergrund für sachgerecht gehalten, da für die strafrechtliche Verfolgung ebenfalls ein Sühneverfahren vorgeschaltet sei (§ 308 StPO). § 380 StPO sehe bei Privatklagen u.a. wegen Beleidigung (§ 374 Abs. 1 Nr. 2 StPO iVm. 185 bis 189 StGB, auch vor, dass zunächst eine Vergleichsbehörde die Sühne erfolglos versuchen müsse. Diese Beschränkung der Öffnungsklausel des § 15a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EGZPO auf Ehrverletzungen iSv. §§ 185 ff StGB, die sich auf unwahre Tatsachenbehauptungen und herabwürdigende Werturteile stütze, habe zwar das Berufungsgericht auch gesehen. Es habe dann aber nur festgestellt, dass der Beklagte einen höchstpersönlichen Chatverlauf bestimmten Dritten offenbart habe, um die Klägerin in ihrem Ansehen oder ihrem Ruf zu diskreditieren. Gegenstand des Verfahrens sei damit kein nach §§ 185 ff StGB strafbares Handeln.

BGH, Urteil vom 25.10.2022 - VI ZR 258/21 -


Aus den Gründen

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn vom 14. Juli 2021 sowie das Urteil des Amtsgerichts Delbrück vom 16. März 2021 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Amtsgericht Delbrück zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Der Beklagte verschaffte sich Zugang zum WhatsApp-Chatverlauf zwischen seiner von ihm jetzt getrenntlebenden Ehefrau und der Klägerin. Er überließ diesen zumindest zwei Personen zum Lesen. Die Klägerin ist der Ansicht, es handele sich um einen höchstpersönlichen Austausch zwischen zwei Freundinnen, dessen Weitergabe ihre Intimsphäre berühre. Mit ihrer Klage verlangt sie eine Geldentschädigung in Höhe von 3.200 €.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, da sie unzulässig sei. Das Landgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Die Klage sei unzulässig, da kein Schlichtungsverfahren vor Klageerhebung durchgeführt worden sei. Ein solches schreibe § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGZPO, § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW für Streitigkeiten über Ansprüche wegen Verletzungen der persönlichen Ehre, die nicht in Presse oder Rundfunk begangen worden seien, zwingend vor. Unter den Anwendungsbereich dieser Regelungen fielen alle Ansprüche, die sich inhaltlich auf eine Ehrverletzung im Sinne der strafrechtlichen Bestimmungen stützten, ohne dass es auf die zivilrechtliche Anspruchsgrundlage ankomme. Auch wenn die Klägerin die Zahlung eines Schmerzensgeldes und nicht die Beseitigung oder Unterlassung der Ehrverletzung verlange, sei die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens Zulässigkeitsvoraussetzung. Zwar habe der Bundesgerichtshof für den Nachbarstreit entschieden, dass Zahlungsansprüche nicht der obligatorischen Streitschlichtung unterfielen, da der Gesetzgeber in Nordrhein-Westfalen alle Geldforderungen ohne Ausnahme habe schlichtungsfrei stellen wollen (BGH, Urteil vom 2. März 2012 - V ZR 169/11, NZM 2012, 435 Rn. 11). Zur Begründung berufe sich der Bundesgerichtshof auf die Entstehungsgeschichte der Norm, die im Bereich der Verletzung der persönlichen Ehre diesen Schluss aber nicht zulasse.

II.

Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die Klage zulässig. Vor Klageerhebung war kein Streitschlichtungsverfahren durchzuführen, da es sich im Streitfall nicht um eine Streitigkeit über Ansprüche wegen Verletzungen der persönlichen Ehre im Sinne von § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGZPO i.V.m. § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW handelt.

1. Nach § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW ist die Erhebung einer Klage in Streitigkeiten über Ansprüche wegen Verletzungen der persönlichen Ehre, die nicht in Presse oder Rundfunk begangen worden sind, erst zulässig, nachdem von einer Gütestelle versucht worden ist, die Streitigkeit einvernehmlich beizulegen. Erfasst sind von § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW allerdings nicht alle Ansprüche, die sich aus einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ergeben (vgl. Senatsurteil vom 8. Juli 2008 - VI ZR 221/07, NJW-RR 2008, 1662 Rn. 12; MüKoZPO/Gruber, 6. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 34; Serwe, Gütestellen- und Schlichtungsgesetz Nordrhein-Westfalen, 2002, Rn. 198).

a) Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW, da dort nur von "Verletzungen der persönlichen Ehre" die Rede ist. § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW lehnt sich eng an den Wortlaut der bundesgesetzlichen Öffnungsklausel des § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGZPO an (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, NRW LT-Drucks. 12/4614, S. 34). Mit diesem Wortlaut nicht vereinbar ist die Auffassung, es seien alle Ansprüche erfasst, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewähre (so aber Schlosser in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 8). Denn das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt nicht nur die persönliche Ehre, sondern umfassend das Recht des Einzelnen auf Achtung seiner individuellen Persönlichkeit (vgl. Senatsurteil vom 8. Juli 2008 - VI ZR 221/07, NJW-RR 2008, 1662 Rn. 12).

b) Die Entstehungsgeschichte der § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGZPO, § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW spricht ebenfalls für einen beschränkten Anwendungsbereich der Normen.

Der Rechtsausschuss des Bundestages hielt die Einbeziehung von Ehrschutzklagen in den Anwendungsbereich des § 15a Abs. 1 Satz 1 EGZPO für sachgerecht, weil für die strafrechtliche Verfolgung ebenfalls ein Sühneverfahren (§ 380 StPO) vorgeschaltet sei und damit eine gewisse Gleichwertigkeit des zivil- und strafprozessualen Vorgehens erreicht werde (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 13/11042, S. 33; Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drucks. 14/980, S. 6). Nach § 380 StPO ist die Erhebung einer Privatklage u.a. bei Beleidigung erst zulässig, nachdem von einer durch die Landesjustizverwaltung zu bezeichnenden Vergleichsbehörde die Sühne erfolglos versucht worden ist. Unter "Beleidigung" im Sinne des § 380 StPO sind die in §§ 185 bis 189 StGB geregelten Straftatbestände zu verstehen, wie sich aus § 374 Abs. 1 Nr. 2 StPO ergibt.

Da der Anwendungsbereich der Öffnungsklausel des § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGZPO beschränkt ist, fallen auch unter § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW nur Ansprüche wegen einer Ehrverletzung im Sinne der strafrechtlichen Vorschriften der §§ 185 ff. StGB, also solche, die sich auf herabwürdigende unwahre Tatsachenbehauptungen und herabsetzende Werturteile stützen (vgl. Senatsurteil vom 8. Juli 2008 - VI ZR 221/07, NJW-RR 2008, 1662 Rn. 12; MüKoZPO/Gruber, 6. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 34; Zöller/Heßler, ZPO, 34. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 6; BeckOK GVG/van der Grinten, Stand: 15. Februar 2022, § 53 JustG NRW, Rn. 23; Serwe, Gütestellen- und Schlichtungsgesetz Nordrhein-Westfalen, 2002, Rn. 198 ff.; Schwarzmann/Walz, Das Bayerische Schlichtungsgesetz, 2000, S. 50; LG Osnabrück, BeckRS 2018, 34801; LG Frankfurt, NJW-RR 2016, 302).

2. Von einem in dieser Weise beschränkten Anwendungsbereich des § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW ist im Grundsatz auch das Berufungsgericht ausgegangen. Es hat ausgeführt, dass unter den Anwendungsbereich der Regelung alle Ansprüche fielen, die sich inhaltlich auf eine Ehrverletzung im Sinne der strafrechtlichen Bestimmungen stützten. Im Weiteren hat es aber nur festgestellt, dass sich die Klägerin darauf berufe, der Beklagte habe den höchstpersönlichen Chatverlauf, wie er im Tatbestand des Berufungsurteils mit Verweis auf Blatt 2 bis 6 der Gerichtsakte konkret in Bezug genommen wird, Dritten offenbart, um die Klägerin in ihrem Ansehen oder ihrem Ruf zu diskreditieren. Die Klägerin macht damit eine ungenehmigte Weitergabe vertraulicher, nur an einen bestimmten Empfänger gerichteter Nachrichten geltend, also eine Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts (vgl. BVerfG, NJW 1991, 2339, juris Rn. 16; BGH, Urteil vom 25. Mai 1954 - I ZR 211/53, BGHZ 13, 334, 338 f., juris Rn. 22; Senatsurteile vom 30. September 2014 - VI ZR 490/12, VersR 2015, 115 Rn. 15; vom 26. November 2019 - VI ZR 20/19, NJW-RR 2020, 367 Rn. 24 f.; Erman/Klass, BGB, 16. Aufl., Anhang zu § 12 Rn. 117 f.). Gegenstand der Klage ist jedoch kein nach §§ 185 ff. StGB strafbares Handeln.

3. Es kann daher dahinstehen, ob Ehrschutzklagen, die auf einen Zahlungsanspruch gerichtet sind, überhaupt von § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW erfasst sind (verneinend BGH, Urteil vom 2. März 2012 - V ZR 169/11, NZM 2012, 435 Rn. 8 ff.; MüKoZPO/Gruber, 6. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 35; aA BeckOK GVG/van der Grinten, Stand: 15. Februar 2022, § 53 JuStG NRW Rn. 16; Jacobs in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 19).

4. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, da sich das Berufungsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - mit dem geltend gemachten Anspruch in der Sache nicht befasst hat. Aus diesem Grund ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Die Sache ist nicht an das Berufungsgericht, sondern an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Das Revisionsgericht kann die Sache an das erstinstanzliche Gericht zurückverweisen, wenn die Zurückverweisung an dieses Gericht auch nach einer neuen Verhandlung die nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO ermessensgerechte Entscheidung des Berufungsgerichts wäre und eine Partei die Zurückverweisung an das erstinstanzliche Gericht in der Berufungs- oder Revisionsinstanz beantragt hat (§ 538 Abs. 2 Satz 1 aE ZPO; BGH, Urteil vom 27. Januar 2017 - V ZR 120/16, NJW-RR 2017, 443 Rn. 15 mwN). Das ist hier der Fall. Der Beklagte hat im Revisionsverfahren die Zurückverweisung an das Amtsgericht beantragt. Es ist daher ermessensgerecht, um den Parteien die erste Instanz nicht zu nehmen, die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen.


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