Dienstag, 11. Oktober 2022

Gefahr: Vergleichsabschluss im schriftlichen Verfahren mit inhaltlichem Fehler

In einem Rechtstreit über eine von der Klägerin begehrte Maklercourtage in Höhe von € 30.940,00 unterbreitete das Landgericht unterbreitete den Parteien einen Vergleichsvorschlag, in dem es u.a. hieß: „Der Beklagte zahlt an die Klägerin 8.000.000 EUR.“ Im Weiteren wurde ausgeführt, dass die Kosten des Verfahrens und Vergleichs gegeneinander aufgehoben würden und damit alle wechselseitigen streitgegenständlichen Forderungen abgegolten seien. Beide Parteien stimmten dem Vergleich zu und das Gericht stellte diesen inhaltsgleich gem. § 278 Abs. 6 ZPO fest. Einige Tage später beantragte der Beklagte die „Berichtigung eines offensichtlichen Schreibfehlers“, da es nicht € 8.000.000“ heißen dürfe, sondern „8.000“ heißen müsse. Die Klägerin widersprach der Berichtigung. Das Landgericht kam dem Begehren auf Berichtigung analog § 319 ZPO nach. Die klägerseitige Beschwerde gegen den Berichtigungsbeschluss war erfolgreich.

Das OLG hatte als Beschwerdegericht darauf verwiesen, dass eine Berichtigung eines Prozessvergleichs nach allgemeiner Auffassung in entsprechender Anwendung des § 319 ZPO ausscheide (BAG, Beschluss vom 25.11.2008 - 3 AZB 64/08 -). Bei unrichtiger Aufnahme der Erklärungen der Parteien zu einem Vergleich sei das Protokoll, in dem dies festgehalten würde (§ 160 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) gemäß § 164 ZPO zu berichtigen. Wurden aber die Erklärungen richtig im Protokoll festgehalten und sei dabei den Parteien ein gemeinsamer (Rechen-) Fehler unterlaufen, könne die Berichtigung nicht nach § 319 ZPO erfolgen, der Schreib-, Rechenfehler oder sonstige offensichtliche Unrichtigkeiten fordert. Vielmehr könne dieser Fehler nur mit Mitteln des materiellen Rechts (so § 313 BGB oder Irrtumsanfechtung) berichtigt werden.

Dies würde auch in einem Fall wie hier, bei dem es der Vergleich auf schriftlichem Weg abgeschlossen worden sei, § 278 Abs. 6 S. 1 ZPO, gelten, § 278 Abs. 6 S. 3 ZPO. § 278 Abs. 6 S. 3 ZPO verweist auf § 164 ZPO. Für eine Berichtigung wäre die Fortsetzung des Verfahrens erforderlich. 

Allerdings würde hier auch danach eine Berichtigung ausscheiden, da die Voraussetzungen nach § 278 Abs. 6 S. 3 iVm. § 164 ZPO nicht vorlägen.  § 164 ZPO setze eine Unrichtigkeit des Inhalts des Protokolls voraus, dass also dieser nicht dem entspräche, was tatsächlich in der mündlichen Verhandlung vorausgegangen sei (BGH, Urteil vom 24.09.2013 - I ZR 133/12 -). Damit läge ein Fall nach § 278 Abs. 6 S. 3 ZPO vor, wenn der von den Parteien oder vom Gericht vorgeschlagene und von den Parteien angenommene Vergleichstext unrichtig (d.h. abweichend von dem angenommenen Vergleichsvorschlag) festgestellt würde (LAG Hamm, Beschluss vom 25.01.2021 - 12 Ta 411/20 -). So sei es aber vorliegend nicht gewesen. Der vom Landgericht selbst vorgeschlagene Vergleich benannte den Betrag von „8.000.000 EUR“ und dem wurde von den Parteien zugestimmt mit der Folge der entsprechenden Feststellung des Vergleichs durch das Landgericht. Auch wenn das Beschwerdegericht keinen Zweifel daran hatte, dass weder das Landgericht den Betrag von € 8 Mio. vorschlagen wollte noch die Parteien den Willen hatten einen Vergleich mit dieser Summe abzuschließen, doch würde dies hier eine Berichtigung nicht rechtfertigen können.

OLG Celle, Beschluss vom 24.05.2022 - 11 W8/22 -


Aus den Gründen:

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 11. April 2022 wird der Beschluss der Einzelrichterin der 9. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 24. März 2021 aufgehoben und der Berichtigungsantrag des Beklagten zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beklagte.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 30.940 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin hat den Beklagten aus abgetretenem Recht auf Zahlung einer Maklercourtage in Höhe von 30.940 € in Anspruch genommen.

Mit Beschluss vom 8. Februar 2022 (Bl. 97 f. d. A.) unterbreitete das Landgericht den Parteien einen Vergleichsvorschlag mit folgendem Inhalt:

„1. Der Beklagte zahlt an die Klägerin 8.000.000 EUR.

2. Die Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs werden gegeneinander aufgehoben.

3. Damit sind sämtliche wechselseitigen streitgegenständlichen Ansprüche abgegolten und erledigt.“

Die Parteien stimmten dem Vergleichsvorschlag mit anwaltlichen Schriftsätzen vom 28. Februar 2022 zu (Bl. 109 f., 111 f. d. A.).

Daraufhin stellte das Landgericht das Zustandekommen des Vergleichs mit Beschluss vom 1. März 2022 gemäß § 278 Abs. 6 ZPO inhaltsgleich zu dem gerichtlichen Vergleichsvorschlag fest (Bl. 114 d. A.).

Mit Schriftsatz vom 10. März 2022 bat der Beklagte um Berichtigung des Beschlusses vom 1. März 2022. Es liege ein offensichtlicher Schreibfehler im Hinblick auf den Zahlbetrag vor. Mit Schriftsatz vom 11. März 2022 legte der Beklagte vorsorglich Beschwerde gegen den Beschluss vom 1. März 2022 ein.

Die Klägerin widersprach der beabsichtigten Berichtigung mit Schriftsatz vom 23. März 2022, die Voraussetzungen für eine Berichtigung nach § 319 ZPO lägen nicht vor.

Mit Beschluss vom 24. März 2022 berichtigte das Landgericht den Beschluss vom 1. März 2022 gemäß § 319 ZPO analog wie folgt:

„Der Beklagte zahlt an die Klägerin 8.000 EUR.“

Gegen diesen ihr am 28. März 2022 zugestellten Beschluss legte die Klägerin mit Schriftsatz vom 11. April 2022 sofortige Beschwerde ein.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 25. April 2022 (Bl. 142 d. A.) nicht abgeholfen und die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie ist fristgerecht und gemäß §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 319 Abs. 3 ZPO (analog) statthaft. Dies folgt daraus, dass das Landgericht die Berichtigung – contra legem, dazu nachfolgend – gemäß § 319 ZPO analog vorgenommen hat.

2. Die sofortige Beschwerde ist begründet.

a) Das Landgericht durfte eine Berichtigung des Beschlusses analog § 319 ZPO nicht vornehmen.

aa) Nach heute allgemeiner Auffassung können Prozessvergleiche nicht in entsprechender Anwendung des § 319 ZPO korrigiert werden (BAG, Beschluss vom 25. November 2008 – 3 AZB 64/08, juris Rn. 19; OLG Celle, Urteil vom 06. März 2000 – 4 U 191/99, juris Rn. 40; BeckOK ZPO/Elzer, 44. Ed. 1.3.2022, ZPO § 319 Rn. 8; MüKoZPO/Musielak, 6. Aufl. 2020, § 319 Rn. 3; Musielak/Voit/Musielak, 19. Aufl. 2022, ZPO § 319 Rn. 2; Feskorn in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 319 ZPO, Rn. 3).

Sind die Erklärungen der Parteien nicht richtig in den Vergleich aufgenommen worden, dann ist das Protokoll, in dem der Vergleich festzustellen ist (§ 160 Abs. 3 Nr. 1 ZPO), nach Maßgabe des § 164 ZPO zu berichtigen. Wurden aber die Erklärungen der Parteien richtig beurkundet und ist ihnen dabei nur ein gemeinsamer (Rechen-) Fehler unterlaufen, dann kann dieser Fehler nicht auf der Grundlage des § 319 ZPO berichtigt werden; vielmehr sind die Mittel des materiellen Rechts (z. B. Korrektur gemäß § 313 BGB oder mit Hilfe einer Irrtumsanfechtung) zu nutzen (vgl. MüKoZPO/Musielak, 6. Aufl. 2020, § 319 Rn. 3; Musielak/Voit/Musielak, 19. Aufl. 2022, ZPO § 319 Rn. 2; Feskorn in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 319 ZPO, Rn. 3; Greger in: Zöller, a.a.O., § 278 ZPO, Rn. 35a).

Dies gilt gemäß § 278 Abs. 6 Satz 3 ZPO auch für den auf schriftlichem Wege geschlossenen Prozessvergleich.

bb) Soweit demgegenüber teilweise die Auffassung vertreten wurde, § 319 ZPO sei auf Prozessvergleiche analog anwendbar (vgl. etwa OLG Nürnberg, Beschluss vom 29. Mai 2006 – 10 UF 1454/05, juris Rn. 8, unter Hinweis auf Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 64. Auflage, § 319 ZPO, Rn 3), lehnt die aktuelle Auflage dieser Kommentierung eine Anwendbarkeit auf Prozessvergleiche nunmehr ab (vgl. Anders/Gehle/Hunke, ZPO, 80. Auflage, § 319, Rn. 4).

Gründe der Prozesswirtschaftlichkeit (vgl. OLG Nürnberg a. a. O.) können eine analoge Anwendung der Vorschrift auf Prozessvergleiche ohnehin nicht begründen. Es fehlt bereits an einer planwidrigen Regelungslücke als Voraussetzung für eine Analogie. Im Hinblick auf die Regelung des § 278 Abs. 6 Satz 3 ZPO ist eine planwidrige Regelungslücke offensichtlich nicht gegeben.

b) Auch wenn für eine Berichtigung gem. § 164 ZPO zunächst die Fortsetzung des Verfahrens notwendig gewesen wäre, sei der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen für eine Berichtigung des Beschlusses vom 1. März 2022 nach § 278 Abs. 6 Satz 3 in Verbindung mit § 164 ZPO nicht vorliegen.

Nach § 164 Abs. 1 ZPO können Unrichtigkeiten zwar jederzeit berichtigt werden. Nur eine versehentliche Abweichung des vom Gericht Erklärten von dem von ihm Gewollten rechtfertigt jedoch eine Berichtigung. Eine falsche Willensbildung des Gerichts kann nicht mit Hilfe dieser Bestimmung korrigiert werden (vgl. zu § 319 ZPO: BGH, Urteil vom 12. Januar 1984 – III ZR 95/82, juris Rn. 15).

§ 164 ZPO setzt voraus, dass das Protokoll unrichtig ist, also sein Inhalt (§ 160 ZPO) nicht dem entspricht, was tatsächlich in der mündlichen Verhandlung vorgegangen ist (vgl. (BGH, Urteil vom 24. September 2013 – I ZR 133/12, (BGH, Urteil vom 24. September 2013 – I ZR 133/12 –, Rn. 17, juris Rn. 17; BAG, Beschluss vom 25. November 2008 – 3 AZB 64/08, juris Rn. 11; BeckOK ZPO/Wendtland, 44. Ed. 1.3.2022, ZPO § 164 Rn. 3).

Im Falle des § 278 Abs. 6 ZPO kommt eine Berichtigung nach § 164 ZPO in Betracht, wenn der vom Gericht vorgeschlagene oder von den Parteien mitgeteilte Vergleich unrichtig festgestellt wird. Im Rahmen des §§ 278 Abs. 6 ZPO erfasst die Berichtigung nach § 164 ZPO also nur die Fälle, in denen das Gericht im Beschluss etwas feststellt, das dem schriftlichen Vergleichsvorschlag nicht entspricht (vgl. Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), Beschluss vom 25. Januar 2021 – 12 Ta 411/20, juris Rn. 20).

Das Landgericht hat aber vorliegend – nach Zustimmung durch beide Parteien – inhaltsgleich das festgestellt, was es selbst vorgeschlagen hat. Daher ist – auch wenn der Senat keine Zweifel daran hat, dass die Parteien keinen übereinstimmenden Willen dahingehend hatten, dass der Beklagte eine Zahlungsverpflichtung in Höhe von 8 Millionen Euro gegenüber der Klägerin übernimmt und das Landgericht einen Vergleich diesen Inhalts nicht unterbreiten wollte – nicht von einer Unrichtigkeit des Beschlusses vom 1. März 2022 auszugehen, die eine Berichtigung rechtfertigen würde.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

4. Bei der Festsetzung der Beschwer ist der Senat von dem Streitwert der Hauptsache ausgegangen.

Maßgebend für den Wert des Beschwerdeverfahrens ist das Interesse des Beschwerdeführers an der begehrten Entscheidung, § 47 Abs. 1 GKG (vgl. Saenger, Zivilprozessordnung, § 3 Rn. 15, beck-online; Musielak/Voit/Heinrich, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 3 Rn. 24; Herget in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 3, Rn. 16_42; NK-GK/Schneider/Volpert/Fölsch, 3. Aufl. 2021, ZPO § 3 Rn. 55).

Zwar kann in Einzelfällen von einem Bruchteil des Wertes der Hauptsache auszugehen sein, wenn nämlich nur ein geringfügiges Versehen korrigiert wurde und das Interesse des Beschwerdeführers am Wegfall der Berichtigung gering ist (OLG Frankfurt, Beschluss vom 16. September 1980 – 5 W 23/80, juris Rn. 5).

So liegt es hier indessen nicht. Die Klägerin richtet sich zwar nicht inhaltlich gegen die Reduzierung des Vergleichsbetrages mit der Behauptung, ein anderer Vergleichsbetrag sei gewollt gewesen, sondern rechtlich gegen die analoge Anwendung des § 319 ZPO. Maßgebliches Interesse kann aber auch nicht der – fehlerhafte – Vergleichsbetrag im Beschluss vom 1. März 2022 sein. Denn dass ein Mehrvergleich abgeschlossen wurde, ist weder von der Klägerin behauptet worden noch ansonsten ersichtlich. Das Interesse der Klägerin an dem Wegfall der Beschlussberichtigung richtet sich mithin auf die Hauptsache in voller Höhe.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen