Die Antragsgegnerin genehmigte der Beigeladenen in der dieser erteilten Baugenehmigung die Bebauung mit drei Doppelhäusern. Dagegen wandten sich die Antragsteller, da sie eine unzumutbare Belästigung durch in unmittelbarerer Nähe zu ihrer Garage vorgesehene acht Pkw-Einstellplätze befürchteten. Der Bestand zeige neun Einstellplätze (davon vier Garagen), von denen einer nicht genutzt wird. Gegen die Baugenehmigung hatten die Antragsteller, die am Baugenehmigungsverfahren nicht beteiligt waren, Widerspruch eingelegt und Aussetzung der Vollziehung beantragt. Dem Aussetzungsantrag kam die Antragsgegnerin nicht nach, weshalb die Antragsteller einen Eilantrag bei dem Verwaltungsgericht stellten. Gegen diese Zurückweisung ihres Antrages legten sie erfolglos Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht (OVG) ein.
Das OVG wies darauf hin, dass Stellplätze und Garagen grundsätzlich möglichst nah an öffentlichen Verkehrsflächen herangebaut werden sollen, damit kein Störpotential in Ruhezonen hineingetragen würde, in denen bisher keine Fahrzeugbewegungen stattfänden. Selbst nach § 47 NBauO erforderliche Garagen und Stellplätze sollen danach in der Regel nicht im Hintergarten liegen oder in das Blockinnere eines Straßenkarrees vordringen, wenn dieses Karree durch Grünflächen oder relative Wohnruhe gekennzeichnet sei. Die konkurrierenden Nutzungsinteressen seien abzuwägen. Was danach dem Bauherrn gestattet bzw. dem Nachbarn zugemutet werden könne, richte sich nach der Vorbelastung des geplanten Aufstellungsortes durch vergleichbare Anlagen, ferner nach der planungsrechtlichen Vorbelastung.
Danach sei vorliegend ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot zu negieren. Eine Belastung der rückwärtigen Grundstücksbereiche durch Verkehrsflächen und Stellplätze über das bisherige Maß hinaus sei nicht ersichtlich. Es bliebe – ließe man den seit Jahren nicht genutzten Stellplatz außer Betracht – bei acht Stellplätzen, was bei sechs Wohneinheiten und trotz optimaler Anbindung an Radwege und ÖPNV nicht überdimensioniert sei. Die Annahme der Antragsteller, bei einem (hier vorgesehenen) vollständigen Abriss der Bestandsbebauung müsse der Grundsatz, Stellplätze möglichst straßennah zu errichten, wieder aufleben, sei unzutreffend. Es gelte der Grundsatz, dass eine rechtmäßige Vorbelastung auch dann den Rahmen des Zumutbaren bestimme, wenn ein Grundstück neu bebaut würde (OVG Lüneburg, Beschluss vom 12.09.2022 - 1 ME 48/22 -).
Zudem würde die neue Bebauung auch keine neue Qualität der Belastung deshalb erreicht, da alle Stellplätze offen seien und die Fahrzeuge nicht, wie zuvor teilweise, in geschlossenen Garagen untergebracht seien und unmittelbar an der Grundstücksgrenze errichtet würden. Zwar würden dadurch Verkehrsbewegungen näher an das Grundstück der Antragsteller heranrücken und sich deren Grundstückssituation nachhaltig verändern, doch würden sich bei zweimal am Tag an- und abfahren nur 32 Fahrbewegungen erheben, die sich auf 16 Stunden (6 – 22 Uhr) verteilen würden /2 Fahrbewegungen/Stunde). Dies sei auch mit Blick darauf nicht unzumutbar, dass im rückwärtigen Grundstücksbereich auch bisher Fahrbewegungen stattfänden.
Auch der Umstand, dass den Beigeladenen eine nachbarverträglichere Anordnung (z.B. ganz oder in teilen straßenseitig, in geschlossenen Carports oder eine schallschützende Mauer) möglich wäre, stelle sich nicht als Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme dar. Kämen mehre Nutzungsmöglichkeiten in Betracht, bestünde nicht die Pflicht, die nachbarverträglichste Möglichkeit auszusuchen. Das Gewicht der für die konkrete Ausgestaltung streitenden Interessen des Bauherrn sei im Rahmen der Prüfung des Gebots der Rücksichtnahme nur dann ausschlaggebend, wenn eine den Nachbarn belastende, aber noch zumutbare Nutzung durch keinerlei nachvollziehbare Bauherrninteressen gerechtfertigt sei (Schikaneverbot), oder dann, wenn einer an sich unzumutbare Belastung des Nachbarn ausnahmsweise besonders unabweisbare für das Vorhaben streitende Interessen gegenüberstünden.
Schikanös (§ 226 BGB) sei hier die Errichtung er baulichen Anlage nicht. Dies sei dann der Fall, wenn diese keinen anderen Sinn und Zweck haben könne als die Schädigung benachbarter Grundstücke. Es müsse für die Wahl des Aufstellungsortes überhaupt kein schutzwürdiges Eigeninteresse zugrunde liegen und das Recht zur Verwirklichung des Vorhabens müsse ausschließlich geltend gemacht worden sein, im ein unlauteres Ziel zu erreichen. Dafür sei hier nichts ersichtlich.
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht,
Beschluss vom 23.01.2024 - 1 ME 139/23 -
Aus den Gründen:
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 4. Kammer (Einzelrichterin) -
vom 2. November 2023 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 12.500 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die
Antragsteller wenden sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung
zur Errichtung von drei Doppelhäusern, weil sie unzumutbare Belästigungen durch
die in unmittelbarer Nähe zu ihrer Terrasse vorgesehenen acht Einstellplätze
befürchten.
Die
Antragsteller sind Eigentümer des im Aktivrubrum genannten, in zweiter Reihe
gelegenen Wohngrundstücks. Terrasse und Ruhebereich ihres Gartens sind nach
Südwesten ausgerichtet.
Im Süden und
Südwesten grenzt ihr Grundstück an das Baugrundstück der Beigeladenen, das sich
L-förmig von der Brabeckstraße bis zur Viktor-Schulte-Straße erstreckt. Dieses
ist bislang mit verschiedenen Wohn- und Gewerbeimmobilien bebaut und weist im
rückwärtigen Grundstücksbereich insgesamt neun Einstellplätze, darunter vier
Garagen- und fünf offene Stellplätze, auf. Ein Stellplatz, der unmittelbar an
die Westseite des Antragstellergrundstücks angrenzt, wird seit Jahrzehnten
nicht mehr genutzt. Die übrigen Stellplätze halten einigen Abstand zur
Grundstücksgrenze der Antragsteller. Beide Grundstücke liegen in einem durch
Bebauungsplan Nr. 930 der Antragsgegnerin festgesetzten allgemeinen
Wohngebiet.
Mit Bauschein
vom 20. Dezember 2021 genehmigte die Antragsgegnerin den Neubau von drei
Doppelhäusern mit insgesamt acht Einstellplätzen. Vier in Längsaufstellung
angeordnete, von der südlich gelegenen Viktor-Schulte-Straße erreichbare
Stellplätze grenzen unmittelbar an die Südwestgrenze der Antragsteller. Die
übrigen vier von der westlich gelegenen Brabeckstraße aus quer anzufahrenden
Stellplätze grenzen ebenso wie die zum Rangieren erforderliche Verkehrsfläche
unmittelbar an ihre Westgrenze. Dadurch wird der Ruhebereich ihres Hausgartens
zukünftig von Stellplätzen und Verkehrsflächen eingerahmt.
Die
Antragsteller, die im Baugenehmigungsverfahren nicht beteiligt worden waren und
denen die Baugenehmigung zunächst nicht bekanntgegeben worden war, erhoben am
19. Juli 2023 unter Berufung auf die Rücksichtslosigkeit der
Stellplatzanordnung Widerspruch und beantragten erfolglos die Aussetzung der
Vollziehung. Ihren gerichtlichen Eilantrag hat das Verwaltungsgericht Hannover
mit dem angegriffenen Beschluss vom 2. November 2023 abgelehnt. Die Anordnung
der Stellplätze verstoße nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Eine von
Verkehrsbewegungen freie rückwärtige Ruhezone sei aufgrund der Vorgängernutzung
nicht vorhanden; vielmehr bestehe eine erhebliche Vorbelastung, die zu
berücksichtigen sei. Die Belastung durch das Neubauvorhaben halte sich
jedenfalls in einer vergleichbaren Größenordnung.
II.
Die gegen
diesen Beschluss gerichtete Beschwerde der Antragsteller hat keinen Erfolg. Die
dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4
Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Änderung.
Zur Anordnung
von Stellplätzen und Garagen abseits von öffentlichen Verkehrsflächen gelten
nach ständiger Rechtsprechung des Senats die folgenden, von den Beteiligten und
dem Verwaltungsgericht geteilten Grundsätze: Stellplätze und Garagen sollen
grundsätzlich möglichst nah an öffentliche Verkehrsflächen herangebaut werden,
um kein Störpotenzial in Ruhezonen hineinzutragen, in denen bislang keine
Fahrzeugbewegungen stattfanden. Dementsprechend sollen selbst nach § 47
NBauO erforderliche Garagen und Stellplätze in der Regel nicht im Hintergarten
liegen oder in das Blockinnere eines Straßenkarrees vordringen. Das gilt jedoch
nur, wenn dieses Karree durch Grünflächen bzw. durch relative Wohnruhe
gekennzeichnet ist. Was danach bei Abwägung der konkurrierenden Nutzungsinteressen
dem Bauherrn gestattet bzw. seinem Nachbarn zugemutet werden kann, richtet sich
zum einen nach der Vorbelastung des geplanten Aufstellungsortes durch
vergleichbare Anlagen, zum anderen nach der planungsrechtlichen Vorbelastung
(vgl. Senatsbeschl. v. 18.7.2014 - 1 LA 168/13 -, BRS 82 Nr. 182 = juris
Rn. 19; v. 19.1.2021 - 1 ME 161/20 -, BauR 2021, 804 = juris Rn. 9 f.;
Senatsbeschl. v. 18.10.2022 - 1 ME 100/22 -, BauR 2023, 189 = juris Rn. 14).
Auf dieser Grundlage ist das Verwaltungsgericht zu Recht und mit zutreffender
Begründung, die sich der Senat gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO
ergänzend zu eigen macht, zu dem Ergebnis gelangt, dass kein Verstoß gegen das
Gebot der Rücksichtnahme vorliegt.
Richtig ist
zunächst die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Belastung der
rückwärtigen Grundstücksbereiche durch Verkehrsflächen und Stellplätze
gegenüber dem Vorgängerzustand (höchstens) gleichbleibt und keine neue
Größenordnung erreicht. Selbst wenn man den seit Jahrzehnten nicht genutzten
Stellplatz - wofür einiges sprechen mag - im Rahmen der gebotenen Abwägung
außer Betracht lässt, bleibt es bei einer Gesamtzahl von acht Stellplätzen,
deren Errichtung bei insgesamt sechs Wohneinheiten trotz der nahezu optimalen
Anbindung an Radwege und den öffentlichen Personennahverkehr auch nicht
überdimensioniert ist. Soweit die Antragssteller demgegenüber meinen, mit dem
vollständigen Abriss der Bestandsbebauung müsse der Grundsatz wiederaufleben,
wonach Stellplätze möglichst straßennah herzustellen sind, trifft das nicht zu.
Vielmehr entspricht es einem allgemeinen baurechtlichen Grundsatz, dass eine
rechtmäßige Vorbelastung grundsätzlich auch dann den Rahmen des Zumutbaren
bestimmt, wenn ein Grundstück neu bebaut wird (vgl. etwa zu
Geruchsbelästigungen Senatsbeschl. v. 12.9.2022 - 1 ME 48/22 -, BauR 2022, 1753
= juris Rn. 13 ff. m.w.N.).
Eine neue
Qualität erreicht die Belastung auch nicht deshalb, weil alle Stellplätze
nunmehr offen und nicht - wie teilweise zuvor - in geschlossenen Garagen
untergebracht sind, unmittelbar an der Grundstücksgrenze errichtet sowie sowohl
von der Brabeck- als auch von der Viktor-Schulte-Straße angefahren werden und
in der Sache eine „Umklammerung“ des Ruhebereichs der Antragsteller eintritt.
Dabei kann nicht in Abrede gestellt werden, dass sich ihre Grundstückssituation
nachteilig verändert, weil insbesondere Verkehrsbewegungen näher an ihr
Grundstück heranrücken. Bei objektiver Betrachtung ist die Belastung jedoch
hinnehmbar. Geht man konservativ davon aus, dass jeder Stellplatz zwei Mal am
Tag verlassen und angefahren wird, ergibt das insgesamt 32 Fahrbewegungen, die
sich auf insgesamt 16 Stunden (6-22 Uhr) verteilen. Im Durchschnitt sind dies
zwei Fahrbewegungen pro Stunde. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung unzumutbar
ist das mit Blick darauf, dass im rückwärtigen Grundstücksbereich auch bislang
bereits Verkehrsbewegungen stattfinden, nicht.
Vor diesem
Hintergrund führt auch die Tatsache, dass der Beigeladenen nach Lage der Akten
eine erheblich nachbarverträglichere Anordnung oder Gestaltung der
Einstellplätze - etwa ganz oder wenigstens in Teilen straßenseitig oder unter
Errichtung eines zu den Antragstellern geschlossenen Carports oder einer
schallschützenden Mauer - ohne nennenswerte eigene Einbußen möglich wäre, zu
keiner anderen Betrachtung. Das Gebot der Rücksichtnahme erfordert nicht, unter
mehreren in Betracht kommenden Grundstücksnutzungen die nachbarverträglichste
auszuwählen. Das Gewicht der für ein Vorhaben bzw. dessen konkrete
Ausgestaltung streitenden Interessen des Bauherrn ist im Rahmen der Prüfung des
Rücksichtnahmegebots nur entweder dann ausschlaggebend, wenn eine den Nachbarn
belastende, aber noch zumutbare Nutzung durch keinerlei nachvollziehbare
Bauherrninteressen gerechtfertigt ist (Schikaneverbot), oder dann, wenn einer
„an sich“ unzumutbaren Belastung des Nachbarn ausnahmsweise besonders
unabweisbare für das Vorhaben streitende Interessen gegenüberstehen (vgl.
Senatsbeschl. v. 11.3.2022 - 1 ME 151/21 -, juris Rn. 9). Beides ist nicht der
Fall.
Der Senat hat
allerdings - mit negativem Ergebnis - erwogen, ob das Schikaneverbot zugunsten
der Antragsteller eingreift. Schikanös (§ 226 BGB) ist die Errichtung
einer baulichen Anlage an einer bestimmten Stelle jedoch erst dann, wenn diese
nach Lage der Dinge keinen anderen Sinn und Zweck haben kann als die Schädigung
benachbarter Grundstücke. Es muss der Wahl des Aufstellungsortes mit anderen
Worten überhaupt kein schutzwürdiges Eigeninteresse zugrunde liegen; das Recht,
ein solches Vorhaben zu verwirklichen, muss ausschließlich geltend gemacht
worden sein, um ein unlauteres Ziel zu erreichen (Senatsbeschl. v. 13.1.2010 -
1 ME 237/09 -, RdL 2010, 98 = juris Rn. 12). Dafür fehlen belastbare
Anhaltspunkte. Der Beigeladenen mag allgemeine Gleichgültigkeit gegenüber den
tatsächlich gut nachvollziehbaren und keinesfalls überzogenen Bedenken der
Antragsteller vorzuwerfen sein. Im Rechtssinne schikanös ist ihr Verhalten
deshalb aber nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge (noch) nicht.
Die
Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3
VwGO.
Die
Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52
Abs. 1 GKG.
Dieser
Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1
Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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