Sonntag, 2. Juni 2024

Rückwärtige Pkw-Stellplätze, Nachbarschutz und Schikaneverbot

Die Antragsgegnerin genehmigte der Beigeladenen in der dieser erteilten Baugenehmigung die Bebauung mit drei Doppelhäusern. Dagegen wandten sich die Antragsteller, da sie eine unzumutbare Belästigung durch in unmittelbarerer Nähe zu ihrer Garage vorgesehene acht Pkw-Einstellplätze befürchteten. Der Bestand zeige neun Einstellplätze (davon vier Garagen), von denen einer nicht genutzt wird. Gegen die Baugenehmigung hatten die Antragsteller, die am Baugenehmigungsverfahren nicht beteiligt waren, Widerspruch eingelegt und Aussetzung der Vollziehung beantragt. Dem Aussetzungsantrag kam die Antragsgegnerin nicht nach, weshalb die Antragsteller einen Eilantrag bei dem Verwaltungsgericht stellten. Gegen diese Zurückweisung ihres Antrages legten sie erfolglos Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht (OVG) ein.

Das OVG wies darauf hin, dass Stellplätze und Garagen grundsätzlich möglichst nah an öffentlichen Verkehrsflächen herangebaut werden sollen, damit kein Störpotential in Ruhezonen hineingetragen würde, in denen bisher keine Fahrzeugbewegungen stattfänden. Selbst nach § 47 NBauO erforderliche Garagen und Stellplätze sollen danach in der Regel nicht im Hintergarten liegen oder in das Blockinnere eines Straßenkarrees vordringen, wenn dieses Karree durch Grünflächen oder relative Wohnruhe gekennzeichnet sei. Die konkurrierenden Nutzungsinteressen seien abzuwägen. Was danach dem Bauherrn gestattet bzw. dem Nachbarn zugemutet werden könne, richte sich nach der Vorbelastung des geplanten Aufstellungsortes durch vergleichbare Anlagen, ferner nach der planungsrechtlichen Vorbelastung.

Danach sei vorliegend ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot zu negieren.  Eine Belastung der rückwärtigen Grundstücksbereiche durch Verkehrsflächen und Stellplätze über das bisherige Maß hinaus sei nicht ersichtlich. Es bliebe – ließe man den seit Jahren nicht genutzten Stellplatz außer Betracht – bei acht Stellplätzen, was bei sechs Wohneinheiten und trotz optimaler Anbindung an Radwege und ÖPNV nicht überdimensioniert sei. Die Annahme der Antragsteller, bei einem (hier vorgesehenen) vollständigen Abriss der Bestandsbebauung müsse der Grundsatz, Stellplätze möglichst straßennah zu errichten, wieder aufleben, sei unzutreffend. Es gelte der Grundsatz, dass eine rechtmäßige Vorbelastung auch dann den Rahmen des Zumutbaren bestimme, wenn ein Grundstück neu bebaut würde (OVG Lüneburg, Beschluss vom 12.09.2022 - 1 ME 48/22 -).

Zudem würde die neue Bebauung auch keine neue Qualität der Belastung deshalb erreicht, da alle Stellplätze offen seien und die Fahrzeuge nicht, wie zuvor teilweise, in geschlossenen Garagen untergebracht seien und unmittelbar an der Grundstücksgrenze errichtet würden. Zwar würden dadurch Verkehrsbewegungen näher an das Grundstück der Antragsteller heranrücken und sich deren Grundstückssituation nachhaltig verändern, doch würden sich bei zweimal am Tag an- und abfahren nur 32 Fahrbewegungen erheben, die sich auf 16 Stunden (6 – 22 Uhr) verteilen würden /2 Fahrbewegungen/Stunde). Dies sei auch mit Blick darauf nicht unzumutbar, dass im rückwärtigen Grundstücksbereich auch bisher Fahrbewegungen stattfänden.

Auch der Umstand, dass den Beigeladenen eine nachbarverträglichere Anordnung (z.B. ganz oder in teilen straßenseitig, in geschlossenen Carports oder eine schallschützende Mauer) möglich wäre, stelle sich nicht als Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme dar. Kämen mehre Nutzungsmöglichkeiten in Betracht, bestünde nicht die Pflicht, die nachbarverträglichste Möglichkeit auszusuchen. Das Gewicht der für die konkrete Ausgestaltung streitenden Interessen des Bauherrn sei im Rahmen der Prüfung  des Gebots der Rücksichtnahme nur dann ausschlaggebend, wenn eine den Nachbarn belastende, aber noch zumutbare Nutzung durch keinerlei nachvollziehbare Bauherrninteressen gerechtfertigt sei (Schikaneverbot), oder dann, wenn einer an sich unzumutbare Belastung des Nachbarn ausnahmsweise besonders unabweisbare für das Vorhaben streitende Interessen gegenüberstünden.

Schikanös (§ 226 BGB) sei hier die Errichtung er baulichen Anlage nicht. Dies sei dann der Fall, wenn diese keinen anderen Sinn und Zweck haben könne als die Schädigung benachbarter Grundstücke. Es müsse für die Wahl des Aufstellungsortes überhaupt kein schutzwürdiges Eigeninteresse zugrunde liegen  und das Recht zur Verwirklichung des Vorhabens müsse ausschließlich geltend gemacht worden sein, im ein unlauteres Ziel zu erreichen. Dafür sei hier nichts ersichtlich.

Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 23.01.2024 - 1 ME 139/23 -


Aus den Gründen:

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 4. Kammer (Einzelrichterin) - vom 2. November 2023 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 12.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsteller wenden sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung von drei Doppelhäusern, weil sie unzumutbare Belästigungen durch die in unmittelbarer Nähe zu ihrer Terrasse vorgesehenen acht Einstellplätze befürchten.

Die Antragsteller sind Eigentümer des im Aktivrubrum genannten, in zweiter Reihe gelegenen Wohngrundstücks. Terrasse und Ruhebereich ihres Gartens sind nach Südwesten ausgerichtet.

Im Süden und Südwesten grenzt ihr Grundstück an das Baugrundstück der Beigeladenen, das sich L-förmig von der Brabeckstraße bis zur Viktor-Schulte-Straße erstreckt. Dieses ist bislang mit verschiedenen Wohn- und Gewerbeimmobilien bebaut und weist im rückwärtigen Grundstücksbereich insgesamt neun Einstellplätze, darunter vier Garagen- und fünf offene Stellplätze, auf. Ein Stellplatz, der unmittelbar an die Westseite des Antragstellergrundstücks angrenzt, wird seit Jahrzehnten nicht mehr genutzt. Die übrigen Stellplätze halten einigen Abstand zur Grundstücksgrenze der Antragsteller. Beide Grundstücke liegen in einem durch Bebauungsplan Nr. 930 der Antragsgegnerin festgesetzten allgemeinen Wohngebiet.

Mit Bauschein vom 20. Dezember 2021 genehmigte die Antragsgegnerin den Neubau von drei Doppelhäusern mit insgesamt acht Einstellplätzen. Vier in Längsaufstellung angeordnete, von der südlich gelegenen Viktor-Schulte-Straße erreichbare Stellplätze grenzen unmittelbar an die Südwestgrenze der Antragsteller. Die übrigen vier von der westlich gelegenen Brabeckstraße aus quer anzufahrenden Stellplätze grenzen ebenso wie die zum Rangieren erforderliche Verkehrsfläche unmittelbar an ihre Westgrenze. Dadurch wird der Ruhebereich ihres Hausgartens zukünftig von Stellplätzen und Verkehrsflächen eingerahmt.

Die Antragsteller, die im Baugenehmigungsverfahren nicht beteiligt worden waren und denen die Baugenehmigung zunächst nicht bekanntgegeben worden war, erhoben am 19. Juli 2023 unter Berufung auf die Rücksichtslosigkeit der Stellplatzanordnung Widerspruch und beantragten erfolglos die Aussetzung der Vollziehung. Ihren gerichtlichen Eilantrag hat das Verwaltungsgericht Hannover mit dem angegriffenen Beschluss vom 2. November 2023 abgelehnt. Die Anordnung der Stellplätze verstoße nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Eine von Verkehrsbewegungen freie rückwärtige Ruhezone sei aufgrund der Vorgängernutzung nicht vorhanden; vielmehr bestehe eine erhebliche Vorbelastung, die zu berücksichtigen sei. Die Belastung durch das Neubauvorhaben halte sich jedenfalls in einer vergleichbaren Größenordnung.

II.

Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde der Antragsteller hat keinen Erfolg. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Änderung.

Zur Anordnung von Stellplätzen und Garagen abseits von öffentlichen Verkehrsflächen gelten nach ständiger Rechtsprechung des Senats die folgenden, von den Beteiligten und dem Verwaltungsgericht geteilten Grundsätze: Stellplätze und Garagen sollen grundsätzlich möglichst nah an öffentliche Verkehrsflächen herangebaut werden, um kein Störpotenzial in Ruhezonen hineinzutragen, in denen bislang keine Fahrzeugbewegungen stattfanden. Dementsprechend sollen selbst nach § 47 NBauO erforderliche Garagen und Stellplätze in der Regel nicht im Hintergarten liegen oder in das Blockinnere eines Straßenkarrees vordringen. Das gilt jedoch nur, wenn dieses Karree durch Grünflächen bzw. durch relative Wohnruhe gekennzeichnet ist. Was danach bei Abwägung der konkurrierenden Nutzungsinteressen dem Bauherrn gestattet bzw. seinem Nachbarn zugemutet werden kann, richtet sich zum einen nach der Vorbelastung des geplanten Aufstellungsortes durch vergleichbare Anlagen, zum anderen nach der planungsrechtlichen Vorbelastung (vgl. Senatsbeschl. v. 18.7.2014 - 1 LA 168/13 -, BRS 82 Nr. 182 = juris Rn. 19; v. 19.1.2021 - 1 ME 161/20 -, BauR 2021, 804 = juris Rn. 9 f.; Senatsbeschl. v. 18.10.2022 - 1 ME 100/22 -, BauR 2023, 189 = juris Rn. 14). Auf dieser Grundlage ist das Verwaltungsgericht zu Recht und mit zutreffender Begründung, die sich der Senat gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO ergänzend zu eigen macht, zu dem Ergebnis gelangt, dass kein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme vorliegt.

Richtig ist zunächst die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Belastung der rückwärtigen Grundstücksbereiche durch Verkehrsflächen und Stellplätze gegenüber dem Vorgängerzustand (höchstens) gleichbleibt und keine neue Größenordnung erreicht. Selbst wenn man den seit Jahrzehnten nicht genutzten Stellplatz - wofür einiges sprechen mag - im Rahmen der gebotenen Abwägung außer Betracht lässt, bleibt es bei einer Gesamtzahl von acht Stellplätzen, deren Errichtung bei insgesamt sechs Wohneinheiten trotz der nahezu optimalen Anbindung an Radwege und den öffentlichen Personennahverkehr auch nicht überdimensioniert ist. Soweit die Antragssteller demgegenüber meinen, mit dem vollständigen Abriss der Bestandsbebauung müsse der Grundsatz wiederaufleben, wonach Stellplätze möglichst straßennah herzustellen sind, trifft das nicht zu. Vielmehr entspricht es einem allgemeinen baurechtlichen Grundsatz, dass eine rechtmäßige Vorbelastung grundsätzlich auch dann den Rahmen des Zumutbaren bestimmt, wenn ein Grundstück neu bebaut wird (vgl. etwa zu Geruchsbelästigungen Senatsbeschl. v. 12.9.2022 - 1 ME 48/22 -, BauR 2022, 1753 = juris Rn. 13 ff. m.w.N.).

Eine neue Qualität erreicht die Belastung auch nicht deshalb, weil alle Stellplätze nunmehr offen und nicht - wie teilweise zuvor - in geschlossenen Garagen untergebracht sind, unmittelbar an der Grundstücksgrenze errichtet sowie sowohl von der Brabeck- als auch von der Viktor-Schulte-Straße angefahren werden und in der Sache eine „Umklammerung“ des Ruhebereichs der Antragsteller eintritt. Dabei kann nicht in Abrede gestellt werden, dass sich ihre Grundstückssituation nachteilig verändert, weil insbesondere Verkehrsbewegungen näher an ihr Grundstück heranrücken. Bei objektiver Betrachtung ist die Belastung jedoch hinnehmbar. Geht man konservativ davon aus, dass jeder Stellplatz zwei Mal am Tag verlassen und angefahren wird, ergibt das insgesamt 32 Fahrbewegungen, die sich auf insgesamt 16 Stunden (6-22 Uhr) verteilen. Im Durchschnitt sind dies zwei Fahrbewegungen pro Stunde. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung unzumutbar ist das mit Blick darauf, dass im rückwärtigen Grundstücksbereich auch bislang bereits Verkehrsbewegungen stattfinden, nicht.

Vor diesem Hintergrund führt auch die Tatsache, dass der Beigeladenen nach Lage der Akten eine erheblich nachbarverträglichere Anordnung oder Gestaltung der Einstellplätze - etwa ganz oder wenigstens in Teilen straßenseitig oder unter Errichtung eines zu den Antragstellern geschlossenen Carports oder einer schallschützenden Mauer - ohne nennenswerte eigene Einbußen möglich wäre, zu keiner anderen Betrachtung. Das Gebot der Rücksichtnahme erfordert nicht, unter mehreren in Betracht kommenden Grundstücksnutzungen die nachbarverträglichste auszuwählen. Das Gewicht der für ein Vorhaben bzw. dessen konkrete Ausgestaltung streitenden Interessen des Bauherrn ist im Rahmen der Prüfung des Rücksichtnahmegebots nur entweder dann ausschlaggebend, wenn eine den Nachbarn belastende, aber noch zumutbare Nutzung durch keinerlei nachvollziehbare Bauherrninteressen gerechtfertigt ist (Schikaneverbot), oder dann, wenn einer „an sich“ unzumutbaren Belastung des Nachbarn ausnahmsweise besonders unabweisbare für das Vorhaben streitende Interessen gegenüberstehen (vgl. Senatsbeschl. v. 11.3.2022 - 1 ME 151/21 -, juris Rn. 9). Beides ist nicht der Fall.

Der Senat hat allerdings - mit negativem Ergebnis - erwogen, ob das Schikaneverbot zugunsten der Antragsteller eingreift. Schikanös (§ 226 BGB) ist die Errichtung einer baulichen Anlage an einer bestimmten Stelle jedoch erst dann, wenn diese nach Lage der Dinge keinen anderen Sinn und Zweck haben kann als die Schädigung benachbarter Grundstücke. Es muss der Wahl des Aufstellungsortes mit anderen Worten überhaupt kein schutzwürdiges Eigeninteresse zugrunde liegen; das Recht, ein solches Vorhaben zu verwirklichen, muss ausschließlich geltend gemacht worden sein, um ein unlauteres Ziel zu erreichen (Senatsbeschl. v. 13.1.2010 - 1 ME 237/09 -, RdL 2010, 98 = juris Rn. 12). Dafür fehlen belastbare Anhaltspunkte. Der Beigeladenen mag allgemeine Gleichgültigkeit gegenüber den tatsächlich gut nachvollziehbaren und keinesfalls überzogenen Bedenken der Antragsteller vorzuwerfen sein. Im Rechtssinne schikanös ist ihr Verhalten deshalb aber nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge (noch) nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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