Samstag, 23. Januar 2021

Betreuung: Ärztliche Zwangsmaßnahmen und Anforderung an gerichtliche Genehmigung

 

Die Betroffene war 73 Jahre und litt an einer katatonen Schizophrenie. Sie geriet hierbei in akute katatone Zustände mit lebensbedrohlichen Stoffwechselentgleisungen. Ihr Betreuer beantragte beim Amtsgericht (AG) ihre Unterbringung sowie Zwangsbehandlung mit Risperidon pp. sowie regelmäßige Blutentnahmen, was vom Amtsgericht für die Zeit bis längstens 21.01.2020 mit der Maßgabe genehmigt wurde, erforderlichenfalls auch mechanische Fixierungen vorzunehmen. Die Betroffene erhob erfolglos Beschwerde zum Landgericht (LG), welches lediglich anstelle der Zwangsmaßnahmen also solche die Einwilligung in diese durch den Betreuer genehmigte. Mit der Rechtsbeschwerde machte die Betroffene geltend, dass sie – soweit es die Zwangsbehandlung betreffe – in ihren Rechten verletzt würde.  

Da zum Zeitpunkt der Entscheidung durch den BGH der zeitliche Rahmen der Entscheidung abgelaufen war, führte die Rechtsbeschwerde zu nunmehr beantragten Rechtswidrigkeitsfeststellung entsprechend § 62 FamFG.

Der BGH rügte die Beschlussformel bei der Genehmigung durch Amts- und Landgericht. Diese müsse nach § 323 Abs. 3 FamFG eine Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder bei deren Anordnung Angaben darüber enthalten, dass diese Zwangsmaßnahme unter der Verantwortung eines Arztes erfolge und entsprechend zu dokumentieren sei. Dies sei nicht lediglich eine Klarstellung im Tenor. Vielmehr würde durch den Beschlusstenor die Rechtmäßigkeit der ärztlich durchzuführenden Zwangsmaßnahme unabhängig von Bedingungen aus dem zivilrechtlich zu beurteilenden Behandlungsvertrag daran geknüpft, dass diese Vorgaben auch erfüllt würden.

Dieser zwingenden Anforderung habe der Beschluss des AG nicht entsprochen. Das LG habe damit die Beschwerde ohne Hinzufügung der nach § 323 Abs. 2 FamFG erforderlichen Angaben zur Durchführung und Dokumentation in Verantwortung eines Arztes nicht zurückweisen dürfen. Dieses Unterlassen führe dazu, dass die Anordnung insgesamt gesetzeswidrig sei und damit die Betroffene in ihren Rechten verletzt worden sei.

Das berechtigte Interesse an der Feststellung der Rechtwidrig ergäbe sich trotz Zeitablaufs aus dem schwerwiegenden Grundrechtsengriff, § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG.

BGH, Beschluss vom 30.09.2020 - XII ZB 57/20 -

Aus den Gründen:

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Neukölln vom 11. Dezember 2019 und der Beschluss der Zivilkammer 88 des Landgerichts Berlin vom 9. Januar 2020 die Betroffene in ihren Rechten verletzt haben, soweit es die darin genehmigte Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme nebst Blutentnahmen und erforderlichenfalls eine Fixierung zu dem Zweck betrifft.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Die außergerichtlichen Kosten der Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe

I.

Die 73jährige Betroffene leidet an einer katatonen Schizophrenie mit chronisch-rezidivierendem Verlauf. Sie gerät hierbei in akute katatone Zustände mit lebensbedrohlichen Stoffwechselentgleisungen.

Auf Antrag des Beteiligten zu 1 (Betreuer) hat das Amtsgericht ihre Unterbringung sowie ihre Zwangsbehandlung mit Risperidon - ersatzweise Haloperidol - und Tavor sowie regelmäßige Blutentnahmen jeweils bis längstens 21. Januar 2020 genehmigt, erforderlichenfalls unter Anwendung einer mechanischen Fixierung. Das Landgericht hat die Beschwerde der Betroffenen mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass anstelle der Zwangsmaßnahmen als solche die Einwilligung des Betreuers in diese genehmigt werde. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen, mit der sie die Feststellung begehrt, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts sie - soweit es die Zwangsbehandlung betrifft - in ihren Rechten verletzt haben.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt hinsichtlich der zeitlich abgelaufenen Entscheidung über die ärztlichen Zwangsmaßnahmen und eine erforderliche Fixierung zur von der Rechtsbeschwerde beantragten Rechtswidrigkeitsfeststellung nach der in der Rechtsbeschwerdeinstanz entsprechend anwendbaren Norm des § 62 FamFG (st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 13. Mai 2020 - XII ZB 541/19 - FamRZ 2020, 1305 Rn. 4 und vom 29. Januar 2014 - XII ZB 330/13 - FamRZ 2014, 649 Rn. 8 mwN).

1. Gemäß § 323 Abs. 2 FamFG muss die Beschlussformel bei der Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder bei deren Anordnung Angaben darüber enthalten, dass die Zwangsmaßnahme unter der Verantwortung eines Arztes durchzuführen und zu dokumentieren ist. Hierbei handelt es sich nicht lediglich um einen klarstellenden Ausspruch. Vielmehr wird durch den Beschlusstenor die Rechtmäßigkeit der ärztlichen Zwangsmaßnahme unabhängig von aus dem zivilrechtlichen Behandlungsvertrag folgenden Pflichten daran geknüpft, dass diese Vorgaben erfüllt sind (Senatsbeschluss vom 14. Januar 2015 - XII ZB 470/14 - FamRZ 2015, 573 Rn. 7 mwN).

An den danach zwingend erforderlichen Anordnungen fehlt es im amtsgerichtlichen Beschluss. Das Landgericht hätte die dagegen eingelegte Beschwerde nicht zurückweisen dürfen, ohne der Beschlussformel die nach § 323 Abs. 2 FamFG erforderlichen Angaben zur Durchführung und Dokumentation dieser Maßnahme in der Verantwortung eines Arztes hinzuzufügen. Durch dieses Unterlassen bleibt die Anordnung insgesamt gesetzeswidrig und wird die Betroffene in ihren Rechten verletzt.

2. Das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse der Betroffenen daran, die Rechtswidrigkeit der - hier durch Zeitablauf erledigten - Genehmigung der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme und der unterbringungsähnlichen Maßnahmen feststellen zu lassen, liegt vor. Die gerichtliche Genehmigung der Einwilligung in eine Zwangsbehandlung bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff im Sinne des § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG (Senatsbeschluss vom 13. Mai 2020 - XII ZB 541/19 - FamRZ 2020, 1305 Rn. 20 mwN). Nichts anderes gilt für die hier angeordnete Fixierung als freiheitsentziehende Maßnahme nach § 1906 Abs. 4 BGB.

3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).


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