Das Amtsgericht hat die
Eigenbedarfskündigung des Klägers als gerechtfertigt angesehen und die
Beklagten zur Räumung verurteilt. Auf die Berufung hat das Landgericht das
Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Im Rahmen der Entscheidung setzte
sich das Landgericht mit der Frage der Beweislastverteilung bei einer
Eigenbedarfskündigung und den von den beklagten Mietern erhobenen Einwendungen gesundheitlicher
Gründe sowie fehlender Möglichkeit zur Beschaffung angemessenen Ersatzwohnraums
auseinander. Auf einen weitere Kündigungsgründe des Klägers, der vom
Amtsgericht als unwirksam angesehen wurde, ist das Landgericht mangels einer
Anschlussberufung des Klägers nicht eingegangen.
Beginnen wir mit Nichtbeachtung
eines offenbar vom Kläger erstinstanzlich geltend gemachten weiteren
Kündigungsgrundes neben der Eigenbedarfskündigung. Hier ist die Entscheidung
ersichtlich rechtsfehlerhaft und stellt sich als Verstoß gegen das Gebot des
rechtlichen Gehörs und des Rechtsstaatsprinzips dar. Eine Berufung gegen ein
Urteil ist nur der (teilweise) unterlegenen Partei möglich. Vorliegend war aber
der Kläger erstinstanzlich nicht unterlegen sondern drang auf der Grundlage der
Eigenbedarfskündigung mit seinem Räumungsklage durch. Eine Berufung ist grundsätzlich
unzulässig, mit der lediglich der Grund des Anspruch, der erstinstanzlich
angenommen wurde, angefochten werden soll, ohne dass sich vom Ergebnis etwas
ändert (fehlende notwendige Beschwer). Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich die
geltend gemachten Ansprüche nicht in einer Stufenfolge geltend gemacht wurden
und mithin mit der Versagung einer Stufe ein weiterer materieller Anspruch
untergehen würde, was bei einer auf Räumung zielenden Klage, der stattgegeben
wird, nicht der Fall ist. Von daher hätte hier auch das Landgericht den offenbar
vom Kläger erhobenen Einwand gegen die Annahme einer Unwirksamkeit einer
weiteren Kündigung beachten müssen.
Das Landgericht weist zum vom
Amtsgericht bejahten Eigenbedarf (zutreffend) darauf hin, dass das Amtsgericht
hier Einreden der Beklagten, so vorgerichtliche Äußerungen des Klägers zur
beabsichtigten künftigen Nutzung der Wohnung, übergangen habe. Es hätte daher
hier den klägerseits offenbar angebotenen Beweis für einen Eigenbedarf erheben
müssen, da die auf Eigenbedarf gerichtete Klage abzuweisen sei, wenn dem Kläger
nicht der Nachweis des Eigenbedarfs gelinge.
Vorsorglich geht das Landgericht
auch auf die weiteren Einwendungen der Beklagten ein.
Das Amtsgericht habe eine
besondere Härte der Kündigung gem. § 574 BGB in Ansehung von gesundheitlichen
Beeinträchtigungen der Beklagten allein wegen einer derzeitigen „Umzugsfähigkeit“
bejaht. Es habe verkannt, dass fpür die Bejahung des § 574 Abs. 1 BGB due
Nachteile des Mieters nicht mit absoluter Sicherheit feststehen müssten,
sondern die ernsthafte Gefahr ihres Eintretens ausreichend sei (vgl. dazu auch
BGH vom 16.10.2013 - VIII ZR 57/13 -). Damit habe sich das Amtsgericht nicht auseinandergesetzt.
Ferner ahbe das Amtsgericht zu
dem weiteren zwischen den Parteien streitigen Härtegrund gem. § 574 Abs. 2 BGB
keine Stellung bezogen und Feststellungen getroffen, demzufolge die Beklagten
keinen angemessenen Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen finden könnten,
wobei für die Frage der Angemessenheit nicht nur auf Alter und Krankheit des Mieters
abzustellen sei, sondern auch von einer dadurch bedingten Nähe zu bestimmten
Angehörigen. Bei den Feststellungen zu § 574 Abs. 2 BGB sei auch zu erwägen, on
dem Mieter deshalb Beweiserleichterungen zugute kommen würden, da nach der Mietenbegrenzungsverordnung
des Senats der Stadt Berlin vom 28.04.2915 eine ausreichende Versorgung mit
Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet sei. Zu der
letzteren Erwägung ist festzuhalten, dass die hier entscheidende Kammer in
einem späteren Urteil vom 12.04.2018 - 67 S 328/17 - die Verordnung als
rechtswidrig eingestuft hat, weshalb sich die Frage stellt, ob mithin auf eine
solche Verordnung zum Zwecke einer Beweiserleichterung für einen Mieter auch
dann abgestellt werden kann, wenn diese unwirksam ist.
LG Berlin, Urteil vom 25.01.2018 - 67 S 272/17 -
Aus den Gründen:
Tenor
- Auf die Berufung der Beklagten wird das am 9. August 2017 verkündete Urteil des Amtsgerichts Mitte - 15 C 21/15 - einschließlich des am 4. Oktober 2017 verkündeten Ergänzungsurteils - 15 C 21/15 - aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das Amtsgericht zurückverwiesen.
- Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
- Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf bis 6.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
- I.
- Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
- II.
- Die statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
- Der Rechtsstreit war wie geschehen unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO auf den Antrag der Beklagten an das Amtsgericht zurückzuweisen. Danach darf das Berufungsgericht die Sache unter Aufhebung des Urteils zurückverweisen, soweit das Verfahren des ersten Rechtszugs an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieser Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme erforderlich ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
- Das angefochtene Urteil beruht in mehrfacher Hinsicht auf einer fehlerhaften Behandlung des Parteivorbringens, indem es zwischen den Parteien streitige Tatsachen als unstreitig behandelt und eindeutiges Parteivorbringen offensichtlich sachwidrig und damit objektiv fehlerhaft gewürdigt hat (BVerfG, Beschl. v. 7. April 1981 - 2 BvR 911/80, BVerfGE 57, 42, Heßler, in: Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 538 Rz. 18, 25 jeweils m.w.N.).
- Das Amtsgericht hat die Wirksamkeit der Eigenbedarfskündigung vom 11. Mai 2015 verfahrensfehlerhaft bejaht, da die Beklagten den von ihnen durchgängig bestrittenen Vortrag des Klägers zum angeblichen Eigenbedarf nicht “erschüttert” hätten. Damit hat es die Anforderungen an die Bestreitenslast des Mieters bei einer ihm gegenüber geltend gemachten Eigenbedarfskündigung weit überspannt und gleichzeitig den erforderlichen Grad richterlicher Überzeugung vom Vorliegen eines vom Vermieter lediglich behaupteten Eigenbedarfs erheblich zu niedrig bemessen. Während der Mieter seiner Bestreitenslast schon mit einem Bestreiten mit Nichtwissen i.S.d. § 138 Abs. 4 ZPO genügt, reicht für eine auf streitigen Eigenbedarf gestützte Räumungsverurteilung allein der Vollbeweis des behaupteten Eigenbedarfs, nicht hingegen die vom Amtsgericht für genügend erachtete bloße Plausibilität des Kündigungsvorbringens aus (st. Rspr., vgl. nur Kammer, Urt. v. 25. September 2014 - 67 S 198/14, NJW 2014, 3585, juris Tz. 5).
- Der Verfahrensmangel ist erheblich, da keine der übrigen Kündigungen das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis beendet hat: Ein auf die Kündigung vom 3. März 2014 gestützter Räumungsanspruch steht dem Kläger nicht zu, da das Amtsgericht diese Kündigung im angefochtenen Urteil für unwirksam erachtet hat und das Urteil insoweit mangels Anschlussberufung rechtskräftig geworden ist. Dasselbe gilt im Ergebnis für die vom Amtsgericht nicht herangezogene Kündigung vom 9. Februar 2016 wegen angeblichen “Falschvortrags” der Beklagten. Auch diese Kündigung hat weder als fristlose Kündigung gemäß § 543 Abs. 1 BGB noch als ordentliche Kündigung gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB zur Beendigung des Mietverhältnisses geführt. Zwar kann ein unredliches Prozessverhalten des Mieters im Räumungsprozess den gesonderten Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung rechtfertigen (vgl. Kammer, Beschl. v. 15. April 2014 - 67 S 81/14, ZMR 2014, 788, juris Tz. 10). Um der Pflichtverletzung des Mieters das für den Ausspruch einer Kündigung hinreichende Gewicht zu verleihen, muss sein wahrheitswidriger Prozessvortrag jedoch zumindest ein (Gegen-)Vorbringen des Vermieters betreffen, das für die Schlüssigkeit der Räumungsklage unerlässlich ist und für deren Erfolg nicht hinweggedacht werden kann (vgl. Kammer, a.a.O.). An diesen Voraussetzungen fehlt es, da das beanstandete Vorbringen der Beklagten lediglich Äußerungen des Klägers im Vorfeld der Kündigungen betrifft, die die Schlüssigkeit der Klage nicht berühren.
- Davon ausgehend ist vom Amtsgericht nunmehr zunächst umfänglicher Beweis zu dem vom Kläger behaupteten Eigenbedarf zu erheben, wobei auch sämtlichen von den Beklagten erhobenen Beweiseinreden, insbesondere zu den angeblichen Äußerungen des Klägers zur beabsichtigten zukünftigen Nutzung der streitgegenständlichen Wohnung nachzugehen sein wird. Sofern dem Kläger der Beweis nicht gelingen sollte, wäre die Klage abzuweisen und - zumindest in dem Fall, in dem das Amtsgericht sogar vom Fehlen des behaupteten Eigenbedarfs überzeugt sein sollte - der Widerklage stattzugeben. Sollte das Amtsgericht hingegen als Ergebnis der Beweiserhebung von der Richtigkeit der Behauptung des klagenden Vermieters mit einem Grad an Gewissheit überzeugt sein, der Zweifeln Schweigen gebietet (vgl. dazu Kammer, a.a.O.), wäre erneut darüber zu befinden, ob die Beklagten nicht gemäß § 574 Abs. 1, Abs. 2 BGB wegen einer nicht zu rechtfertigenden Härte die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen können. Auch insoweit wäre eine - neuerliche - Beweisaufnahme erforderlich:
- Soweit das Amtsgericht im angefochtenen Urteil darauf erkannt hat, das Mietverhältnis müsse wegen der gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Beklagten gemäß § 574 Abs. 1 BGB nicht fortgesetzt werden, hat es allein auf die derzeitige “Umzugsfähigkeit” der Beklagten abgestellt. Dabei hat es allerdings verkannt, dass für die Bejahung des § 574 Abs. 1 BGB die dem Mieter entstehenden Nachteile nicht mit absoluter Sicherheit feststehen müssen, sondern insbesondere bei den hier in Frage stehenden gesundheitlichen Nachteilen des Mieters bereits die ernsthafte Gefahr ihres Eintritts ausreichen kann, um eine Fortsetzung des Mietverhältnisses zu gebieten (vgl. BGH, Urt. v. 16. Oktober 2013 - VIII ZR 57/13, NJW-RR 2014, 78, juris Tz. 20; Kammer, Urt. v. 7. Mai 2015 - 67 S 117/14, NZM 2015, 929, juris Tz. 24). Es kommt hinzu, dass eine die Anwendung des § 574 Abs. 1 BGB eröffnende Räumungsunfähigkeit nicht nur dann vorliegt, wenn der Mieter auf Grund seines körperlichen oder geistigen Zustands nicht in der Lage ist, eine Ersatzwohnung zu finden und dorthin umzuziehen, sondern auch, wenn sich sein Gesundheitszustand oder die allgemeine Lebenssituation des Mieters durch den Umzug erheblich verschlechtern würde (vgl. Kammer, a.a.O., juris Tz. 25). Zu alldem sind im angefochtenen Urteil keine hinreichenden Feststellungen getroffen, so dass insoweit eine Beweisaufnahme - durch Einholung eines neuerlichen oder ergänzenden Sachverständigengutachtens - geboten wäre.
- Unabhängig davon liegt eine zur Fortsetzung des Mietverhältnisses berechtigende Härte gemäß § 574 Abs. 2 BGB auch dann vor, wenn angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann. Dabei ist die Angemessenheit des Ersatzwohnraums nicht nur durch das Alter und die Krankheit des Mieters, sondern auch von der dadurch bedingten notwendigen Nähe zu bestimmten Angehörigen beeinflusst (vgl. OLG Karlsruhe, Rechtsentscheid v. 3. Juli 1970 - 1 REMiet 1/70, NJW 1970, 1746, juris Tz. 35). Das Amtsgericht hat zu diesem zwischen den Parteien bereits erstinstanzlich streitigen Härtegrund überhaupt keine Feststellungen getroffen. Das wäre - erforderlichenfalls nach weiterer Beweisaufnahme - nachzuholen, sofern dem Kläger der Beweis des Eigenbedarfs gelingen und das Amtsgericht nicht ohnehin aufgrund der mit der Beendigung des Mietverhältnisses verbundenen sonstigen Härten eine Fortsetzung des Mietverhältnisses gemäß § 574 Abs. 1 BGB für geboten erachten sollte. Bei einer der Feststellung der Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 BGB dienenden weiteren Beweiserhebung wird zu erwägen sein, ob den beklagten Mietern Beweiserleichterungen zu Gute kommen, da die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen in Berlin ausweislich der Mietenbegrenzungsverordnung des Senats vom 28. April 2015 (GVBl. 2015, S. 101) besonders gefährdet ist (vgl. Kammer, Urt. v. 9. März 2017 - 67 S 7/17, NZM 2017, 258, juris Tz. 36).
- Die Kammer hat das ihr gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO eingeräumte Ermessen hinsichtlich einer eigenen Sachentscheidung oder einer Aufhebung und Zurückverweisung (vgl. BGH, Urt. v. 5. Juli 2011 - II ZR 188/09 -, NJW-RR 2011, 1365 Rn. 7) mit dem sich aus dem Tenor ersichtlichen Ergebnis ausgeübt. Denn eine Aufhebung und Zurückverweisung war hier wegen des Umfangs der durchzuführenden Beweisaufnahme nicht nur gerechtfertigt, sondern trotz der mit einer Aufhebung und Zurückverweisung für die Parteien verbundenen Nachteile allein wegen des Erhalts eines zumindest zweizügigen Instanzenzugs zur Überprüfung der umfangreichen neuerlichen Beweiserhebung geboten (vgl. BGH, a. a. O.).
- Die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Kosten beruhen auf den §§ 708 Nr. 10 Satz 1, 713 ZPO, 47 Abs. 1, 48 Abs. 1, 41 Abs. 1, Abs. 2, 45 Abs. 1 Satz 1 GKG. Gründe, die Revision gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO zuzulassen, bestanden nicht, weil der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zukommt noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern.
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