Die Zeugenpflicht ist eine
Staatsbürgerpflicht - und keiner möchte ihr gerne nachkommen. Zumal
die Zeugenentschädigung (in Deutschland) in der Regel nicht den tatsächlichen
finanziellen Ausfall ausgleicht. Erscheint aber der Zeuge unentschuldigt nicht
zum Termin, wird regelmäßig gegen ihn ein Ordnungsgeld verhangen, § 380 Abs.
1 ZPO.
Was aber, wenn der nicht
erschienene Zeuge nicht mehr benötigt wird ? Der Zeuge war unentschuldigt nicht
zum Termin erschienen. Es erging daher der Ordnungsgeldbeschluss. Im Termin
selbst wurden vom Beweisführer Bedenken geäußert, ob sich der Zeuge tatsächlich
zur Sache äußern könne (dies wurde von diesem vorher bereits schriftlich abgestritten).
Das OLG hat die Beschwerde gegen den
Ordnungsgeldbeschluss zurückgewiesen. Es verwies darauf, dass es nicht darauf
ankommen könne, ob der Zeuge etwas zur Sache beitragen kann und auch nicht
darauf, ob sich die Parteien – eventuell auch unter dem Eindruck des
Nichterscheinens des Zeugens – vergleichsweise einigen. Das OLG verweist hier
auf den divergierenden Meinungsstand in der Rechtsprechung und schließt sich
der Auffassung des OLG Frankfurt und des BFH an. Danach verbleibt es bei dem
verschuldet den Termin nicht wahrnehmenden zeugen bei dem verhängten Ordnungsgeld,
auch wenn das Verfahren später endet, ohne dass eine Vernehmung des Zeugen
erforderlich wurde. § 380 Abs. 1 ZPO sähe keine Ermessensausübung vor und es
könne nicht von dem Zufall abhängig, sein, ob nun der Zeuge (noch) benötigt
würde oder nicht.
OLG Celle, Beschluss vom 19.02.2016 – 8 W 15/16 -
Aus den Gründen:
Tenor
- Der angefochtene Beschluss wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels insoweit aufgehoben, als gegen den Beschwerdeführer ein Ordnungsgeld von mehr als 75,00 € und für den Fall der Uneinbringlichkeit Ordnungshaft festgesetzt worden ist.
- Seine eigenen Auslagen hat der Beschwerdeführer selbst zu tragen.
- Die Gebühr für das Beschwerdeverfahren (KV 1812 GKG) wird auf 15,00 € ermäßigt.
- Beschwerdewert: 300,00 €.
Gründe
- A.
- Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Auferlegung eines Ordnungsmittels wegen Versäumnis eines Verhandlungstermins in einer Gebäudeversicherungssache vor dem Landgericht am 22. September 2015.
- Der Beschwerdeführer wurde vom Landgericht zunächst unter dem 25. Juni 2015 als Zeuge zu einem vom Landgericht auf den 30. Juni 2015 bestimmten Verhandlungstermin geladen (Bl. 141 d. A.). Die Ladung wurde ihm am 16. Juli 2015 förmlich zugestellt (Bl. 169 d. A.). Wegen Terminsverlegung auf den 21. Juli 2015 wurde er unter dem 29. Juni 2015 umgeladen (Bl. 151 d. A.); die Zustellung erfolgte am 7. Juli 2015 (Bl. 168 d. A.). Nach neuerlicher Terminsverlegung auf den 22. September 2015 wurde der Beschwerdeführer unter dem 6. Juli 2015 Bl. (160 f. d. A.) wiederum - diesmal formlos - umgeladen. Am 9. Juli 2015 (Bl. 162 f. d. A.) faxte der Beschwerdeführer dem Landgericht ein Schreiben, in dem er um Befreiung von seiner Erscheinenspflicht zu dem Termin am 21. Juli 2015 bat, weil er zu dem Rechtsstreit nichts sagen könne. Dabei wies er (zu jenem Zeitpunkt noch zutreffend) darauf hin, dass er eine Ladung zu dem ersten Termin am 30. Juni 2015 gar nicht erhalten habe. Das Landgericht antwortete unter dem 10. Juli 2015 (Bl. 164 d. A.), es bleibe „… bisher … erstmal …“ bei der Ladung. Mit Schreiben vom 24. Juli 2015 (Bl. 170 d. A.) wiederholte der Beschwerdeführer seine Bitte um Befreiung von der Erscheinenspflicht, weil er zu dem der mitgeteilten Beweisfrage zugrunde liegenden Sachverhalt keinerlei Erinnerung habe. Das Landgericht teilte ihm nach Einholung einer Stellungnahme des Klägers unter dem 16. September 2015 (Bl. 195 d. A.) mit, die Ladung bleibe bestehen, weil der Kläger nicht auf die Zeugenbenennung verzichtet habe. Zugleich wurden dem Beschwerdeführer Unterlagen übermittelt, die ihm helfen sollten, den Vorgang besser zuzuordnen; er wurde außerdem gebeten, entsprechende eigene Unterlagen aus seinem Handwerkerbetrieb zum Verhandlungstermin am 22. September 2015 mitzubringen.
- Am Terminstag erschien der Zeuge nicht. Das Landgericht verkündete deshalb zu Beginn der Sitzung den angefochtenen Ordnungsmittelbeschluss, mit dem es dem Beschwerdeführer wegen unentschuldigten Fernbleibens ein Ordnungsgeld von 300,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, auferlegte. Im weiteren Verlauf der Verhandlung erklärte der Kläger auf informatorische Befragung, er selbst kenne den Beschwerdeführer gar nicht und habe ihn lediglich aufgrund der Firmenangabe auf den für ihn - den Kläger - von einer Beauftragten unterschriebenen Stundenzetteln des Handwerkbetriebs des Beschwerdeführers benannt. Der Klägervertreter stellte daraufhin in Aussicht, möglicherweise könne auf den Beschwerdeführer als Zeugen verzichtet werden; zugleich benannte er eine weitere Zeugin. Das Landgericht vernahm sodann noch zwei weitere geladene Zeugen und bestimmte einen Verkündungstermin.
- Mit Faxschreiben vom 24. September 2015 (Bl. 208 d. A.) teilte der Beschwerdeführer dem Landgericht mit, er habe nunmehr in einem gerade geführten Telefonat mit einem ehemaligen Angestellten seines Betriebs erfahren, dass jener seinerzeit die auf den Stundenzetteln vermerkten Heizungsarbeiten durchgeführt habe. Er teilte die Adresse des ehemaligen Mitarbeiters und weitere von dem Mitarbeiter erfragte Angaben zur Sache mit und bat anschließend, weiterhin von seiner „Person als Zeugenladung abzusehen“. Das Landgericht hob nunmehr den an-beraumten Verhandlungstermin auf und bestimmte einen weiteren Termin auf den 12. Januar 2016, zu dem wiederum - neben einer anderen Zeugin - der Beschwerdeführer geladen wurde (Bl. 213, 217 d. A.). Der Termin wurde später aufgehoben, nachdem sich die Parteien Anfang Januar 2016 gemäß § 278 Abs. 6 ZPO verglichen hatten.
- Der Ordnungsmittelbeschluss wurde dem Beschwerdeführer am 2. Oktober 2015 zugestellt. Am 7. Oktober 2015 zahlte er das Ordnungsgeld nebst Verfahrens-kosten, ließ jedoch zugleich durch einen nunmehr von ihm beauftragten Rechtsanwalt gegen den Beschluss vom 22. September 2015 Beschwerde einlegen (Bl. 220 d. A.). Die Beschwerdeschrift enthält keine Darlegungen zu etwaigen Entschuldigungsgründen; es wird vielmehr auf eine noch nachzureichende Begründung verwiesen. Eine solche ging allerdings in der Folgezeit nicht ein. Das Landgericht befasste sich erstmals mit der Beschwerde, nachdem ein weiteres anwaltliches Schreiben vom 21. Januar 2016 (Bl. 278 d. A.) eingegangen war, in dem für den Beschwerdeführer beantragt wurde, die gezahlten Gelder zu erstatten, und „gegebenenfalls … auch unter Berücksichtigung des geschlossenen Vergleichs der Parteien …“ über den Erstattungsanspruch zu entscheiden. Entschuldigungsgründe wurden auch in diesem Schreiben nicht dargelegt.
- Das Landgericht hat mit Beschluss vom 4. Februar 2016 der Beschwerde unter Hinweis auf die fehlende Darlegung von Entschuldigungsgründen nicht abgeholfen.
- B.
- I.
- Das zulässige Rechtsmittel hat lediglich teilweise Erfolg. Es führt zur Herabsetzung des gegen den Beschwerdeführer festgesetzten Ordnungsgeldes auf 75,00 €.
- 1. Der Beschwerdeführer wurde zu dem Verhandlungstermin am 22. September 2015 ordnungsgemäß geladen. Dass er die Umladung vom 6. Juli 2015 (Bl. 160 f. d. A.) erhalten hatte, ergibt sich aus seinem Schreiben vom 24. Juli 2015. Nachdem das Landgericht unter dem 16. September 2015 seinen Antrag auf Abladung zurückgewiesen hatte, war der Zeuge zum Erscheinen verpflichtet, auch wenn er meinte, zum voraussichtlichen Beweisthema nichts Sachdienliches sagen zu können. Dies war ihm vom Landgericht in nicht misszuverstehender Weise rechtzeitig mitgeteilt worden.
- 2. Der Beschwerdeführer hat sein Ausbleiben auch nicht nachträglich hinreichend entschuldigt (§ 381 Abs. 1 S. 2, 3 ZPO). Das Schreiben vom 24. September 2015 war verspätet, weil der Termin bereits zwei Tage vorher stattgefunden hatte. Im Übrigen reichte es auch inhaltlich nicht für eine Entschuldigung der Säumnis aus, da das Landgericht dem Zeugen schon zuvor mitgeteilt hatte, er müsse trotz fehlender eigener Erinnerung erscheinen, weil die Parteien nicht auf seine Ladung verzichtet hätten.
- 3. Allerdings hatte das Ausbleiben des Zeugen im Ergebnis weder für die Parteien noch das Gericht eine nachteilige Wirkung, weil der Rechtsstreit schließlich ohne weitere mündliche Verhandlung durch Vergleich beendet worden ist. In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob in einem solchen Fall die Verhängung eines Ordnungsgeldes nach § 380 ZPO wieder aufzuheben ist (befürwortend zuletzt: OLG Hamm, NJW-RR 2013, 384 - juris-Rn. 8 ff. - mit näherer Darstellung des Meinungsstandes; ablehnend u. a.: OLG Frankfurt, OLGZ 1983, 458; BFH, BFHE 153, 310 und BFH, Beschluss vom 11. September 2013 - XI B 111/12 -, juris-Rn. 9 m. w. N.; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, 1. Aufl. 2015, Kap. 8 Rdnrn. 7 und 11 f.).
- Der Senat folgt der Auffassung, dass es bei verschuldeter Säumnis eines Zeugen auch dann bei der Verhängung eines Ordnungsgeldes bleibt, wenn das Verfahren später endet, ohne dass die Vernehmung des Zeugen dafür notwendig war. Dafür spricht zunächst, dass die Entscheidung über die Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen einen säumigen Zeugen bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nicht im Ermessen des Gerichts steht, sondern als zwingende Folge ausgestaltet ist. § 380 Abs. 1 ZPO sieht keine Ermessensausübung vor. In § 381 Abs. 1 S. 2, 3 ZPO ist als Aufhebungsgrund allein die nachträgliche Entschuldigung der Säumnis genannt. Auch der Normsinn steht nicht entgegen. Nur wenn die Funktion des Zwangsmittels allein in der Willensbeugung läge, würde es entbehrlich, wenn sich später herausstellte, dass das Verfahren auch ohne die Vernehmung des Zeugen zum Abschluss gebracht werden konnte. Richtigerweise sind aber auch der repressive Charakter und die Präventivwirkung des Ordnungsmittels zu berücksichtigen. Außerdem erscheint es nicht überzeugend, dass bei Zugrundelegung der Gegenauffassung die Aufrechterhaltung des Ordnungsmittels im Einzelfall allein von dem letztlich zufälligen Umstand abhängen kann, ob der Rechtsstreit zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel gegen den Ordnungsmittelbeschluss noch andauert oder bereits eine anderweitige Erledigung gefunden hat. Das zeigt gerade der vorliegende Fall, in dem sich bei gebotener zeitnaher Entscheidung über das Rechtsmittel des Beschwerdeführers die Frage nach einer Aufhebung des Ordnungsmittels wegen fehlender nachteiliger Auswirkung der Säumnis gar nicht gestellt hätte, weil ein weiterer Verhandlungstermin anberaumt worden war, zu dem der Beschwerdeführer erneut als Zeuge geladen war, nachdem sich der Kläger nicht zu einem Verzicht auf den Zeugen hatte durchringen können. Aber auch dann, wenn sich die Parteien etwa unter dem Eindruck der Weigerung des Zeugen zum Erscheinen zur Vermeidung weiterer kosten- und zeitaufwändiger Verhandlungstermine auf eine vergleichsweise Beendigung des Rechtsstreits ohne eigentlich gebotene Beweisaufnahme entschließen, gebietet es der Zweck des § 380 Abs. 1 ZPO nicht, ein zunächst rechtmäßig verhängtes Ordnungsmittel insgesamt wieder aufzuheben. Dem Zeugen kommt dann ohnehin zugute, dass er von der ihn sonst treffenden Kostenlast des § 380 Abs. 1 S. 1 ZPO frei wird.
- Die Rechtslage bei der Ordnungsgeldfestsetzung gegen eine unentschuldigt nicht erschienene Partei (§ 141 Abs. 3 ZPO) führt ebenfalls nicht zu einer anderen Beurteilung (siehe dazu auch BFH, a. a. O.). Zwar ist ein nach § 141 Abs. 3 ZPO verhängtes Ordnungsmittel aufzuheben, wenn das Ausbleiben der Partei für den Rechtsstreit folgenlos geblieben ist (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2011 - I ZB 77/10 -). Das hat seine Rechtfertigung aber in erster Linie darin, dass § 141 Abs. 3 ZPO - anders als § 380 Abs. 1 ZPO - die Festsetzung des Ordnungsmittels von einer Ermessensentscheidung abhängig macht, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls abzuwägen sind. Deshalb ist z. B. auch zu berücksichtigen, dass die Partei ohnehin von vornherein einen instruierten Vertreter entsenden darf, wenn sie selbst den Termin trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens nicht wahrnehmen will. Im Übrigen hat die Partei im Gegensatz zum Zeugen die Verfahrensbeendigung auch selbst in der Hand.
- 4. Jedoch ist das vom Landgericht festgesetzte Ordnungsgeld von 300,00 € zu hoch. Maßgebend für die nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmende Höhe des Ordnungsgeldes, das 5,00 € bis 1.000,00 € betragen darf (Art. 6 Abs. 1 EGStGB), sind insbesondere die Bedeutung der Rechtssache sowie der Zeugenaussage für die Entscheidung, ferner die Schwere der Pflichtverletzung und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Zeugen. Die Entscheidung des Landgerichts ist insoweit fehlerhaft, weil auch der Nichtabhilfebeschluss zur Höhe des Ordnungsgeldes keinerlei Ausführungen enthält. Der Senat hat die gebotene Abwägung deshalb nachgeholt. Dabei fiel hier u. a. ins Gewicht, dass der nach der Säumnis des Beschwerdeführers auf den 12. Januar 2016 bestimmte weitere Verhandlungstermin ohnehin hätte anberaumt werden müssen, weil neben dem Beschwerdeführer noch eine andere, bis dahin nicht geladene Zeugin vernommen werden sollte. Die Säumnis des Beschwerdeführers hat daher nicht zu einem erheblichen zusätzlichen Zeitaufwand für die Verfahrensbeteiligten und das Gericht geführt. Außerdem ist zugunsten des Beschwerdeführers zu berücksichtigen, dass sein Verschulden insgesamt eher als gering einzustufen ist. Er hatte vor dem Termin mehrfach darauf hingewiesen, dass er zur Sache nichts sagen könne, weil er selbst mit der fraglichen Heizungsreparatur nicht befasst gewesen sei. Dennoch hat der Kläger erst im Termin eingeräumt, den Beschwerdeführer mehr oder weniger ins Blaue hinein als Zeugen benannt zu haben. Den tatsächlich sachkundigen Zeugen - einen gar nicht mehr bei ihm tätigen früheren Mitarbeiter - hatte der Beschwerdeführer aus eigenem Antrieb selbst ermittelt und dies nur zwei Tage nach dem Termin dem Gericht bekanntgegeben. Zwar entband dies den Beschwerdeführer nicht von der Pflicht, gleichwohl als benannter Zeuge zum Termin selbst zu erscheinen. Es rechtfertigt aber eine deutliche Reduzierung des Ordnungsgeldes auf 75,00 €.
- Ferner war die Ordnungshaftandrohung aufzuheben, nachdem das Zwangsgeld vom Zeugen bereits gezahlt worden ist.
- II.
- Die Auslagen für das Beschwerdeverfahren hat der Beschwerdeführer in vollem Umfang selbst zu tragen, weil sie auch dann in gleicher Höhe entstanden wären, wenn er sein Rechtsmittel von vornherein auf den begründeten Teil beschränkt hätte (§ 97 Abs. 1 i. V. m. § 92 Abs. 2 ZPO analog). Hinsichtlich der Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens hat der Senat von der Ermäßigungsmöglichkeit des KV 1812 GKG Gebrauch gemacht.
- Von der Zulassung der Rechtsbeschwerde wurde abgesehen, weil der abweichenden Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 10. August 2012 ein anderer Sachverhalt zugrunde lag, der sich in einem wesentlichen Gesichtspunkt vom vorliegenden Fall unterscheidet. Dort stand nämlich bereits in dem vom Zeugen versäumten Termin fest, dass es auf seine Befragung für die zu treffende Entscheidung des Gerichts nicht ankommen würde.
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