Die Klägerin verlangte von ihrer
Kaskoversicherung (Beklagte) nach einem Verkehrsunfall Entschädigung für den
Schaden an ihrem Fahrzeug, den diese mit der Begründung eines unerlaubten
Entfernens vom Unfallort (es erging auch ein Strafbefehl wegen unerlaubten
Entfernens vom Unfallort, § 142 StGB) und damit einer Obliegenheitspflichtverletzung
nach E.1.6. der einschlägigen AKB versagte. Gegen das der Klage stattgebende
Urteil legte die Beklagte Berufung ein. Das OLG wies in seinem Beschluss darauf
hin, dass die Berufung nur hinsichtlich eines Teils der von der Klägerin geltend
gemachten Rechtsanwaltsgebühren Erfolg haben dürfte, in der Sache aber vom
Landgericht zutreffend eine Zahlungspflicht der Beklagten bejaht habe.
Zutreffend habe das Landgericht
eine zweifache Obliegenheitspflichtverletzung zu Lasten der Klägerin
angenommen. Nach E.1.6. der maßgeblichen AKB 2008 habe der Versicherungsnehmer
den Unfallort nicht verlassen dürfen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu
ermöglichen. Es könne auf sich beruhen,
ob die Klausel eine über § 142 StGB hinausgehende Verpflichtung statuiere, da
jedenfalls auch die Pflicht aus § 142 StGB verletzt worden sei. Der
Verkehrsunfall habe sich der Unfall zur Mittagszeit ereignet und nach dem Vorbringen
der Klägerin habe eine Nachbarin den Unfall beobachtet, weshalb sie auch nach
einer halbstündigen Wartezeit noch mit dem Eintreffen feststellungsbereiter
Personen hätte rechnen müssen (ob dies nachts anders zu bewerten sei, könne
dahinstehen). Weiterhin sei die Schadensanzeige nur unvollständig ausgefüllt
worden; das unvollständige Ausfüllen derselben stelle sich wegen Verstoßes
gegen die Regelung in E.1.6. der AKB ebenfalls als
Obliegenheitspflichtverletzung dar.
Allerdings würden beide Obliegenheitspflichtverletzungen
nach E.8.1. der AKB nicht zur Leistungsfreiheit führen, auch wenn diese (wie
hier) vorsätzlich begangen würden. Nach E.8.2. S. 1 der AKB sei der Versicherer
trotz der vorsätzlichen Obliegenheitspflichtverletzung zur Leistung
verpflichtet, soweit der Versicherungsnehmer nachweise, dass die Pflichtverletzung
weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls oder den
Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich sei. Bliebe dies
unklar, würde der Versicherungsnehmer beweisfällig bleiben mit der Folge der
Leistungsfreiheit des Versicherers. Schaden würde nicht die generelle
Gefährdung der Interessen des Versicherers; vielmehr sei auf die konkrete
Kausalität abzustellen. Der Versicherungsnehmer müsse mithin den Nachweis
erbringen, dass die Feststellungen im Ergebnis keinesfalls anders ausgefallen
wären.
Das unvollständige Ausfüllen des
Anzeigeformulars des Versicherers sei hier folgenlos geblieben, da der
Versicherer auf anderen Weg ohnehin Kenntnis von der Straftat nach § 142 StGB erhalten
habe, ebenso davon, dass die Polizei hinzugezogen worden sei. An der Kausalität
der Obliegenheitspflichtverletzung fehle es daher, da dem Versicherer die
Informationen ohnehin verfügbar gewesen wären.
Hinsichtlich der
Obliegenheitspflichtverletzung des vorzeitigen Verlassens des Unfallortes habe
die Klägerin den ihr obliegenden Kausalitätsgegenbeweis geführt.
Soweit dies die Frage der
schuldhaften Unfallverursachung betreffe, sei dies gegenüber der Polizei –
nachdem diese den Versicherten aufgesucht habe, sofort eingeräumt worden. Auch Nachteile in Bezug auf eine mögliche
Haftungsquote hätten dem Versicherer nicht entstehen können, da der Unfall für
den anderen Unfallbeteiligten, der sein Fahrzeug geparkt hatte, ersichtlich
unabwendbar gewesen sei.
Der Einwand der Beklagten, dass
aufgrund des unerlaubten Entfernens vom Unfallort nicht mehr in gleicher Weise
wie bei einem Verbleiben eine mögliche Leistungsfreiheit der Beklagten wegen Alkoholisierung
festgestellt werden könne, könne sie damit nicht durchdringen. Zwar habe der
Versicherungsnehmer im Rahmen des Kausalitätsgegenbeweises auch negative
Tatsachen zu beweisen (wie die fehlende Alkoholisierung). Allerdings würde
nicht verlangt werden, dass bei einem Nachweis einer negativen Tatsache alle
denktheoretisch möglichen oder vom Versicherer (ins Blaue hinein) aufgestellten
Sachverhalte auszuschließen seien, da dies die Anforderungen an die Erbringung
des Negativbeweises gem. § 286 TPO überspannen würde. Es könne nicht von
Annahmen ausgegangen werden, für die es keine tatsächlichen Anhaltspunkte gebe.
Dabei sei hier zu berücksichtigen, dass der Versicherte relativ kurz nach dem
Unfall von der Polizei aufgegriffen wurde und diese offenbar keine Anhaltspunkte
für eine Alkoholisierung hatte. Denktheoretisch könnte sich zwar zwischen dem
Unfall und dem Eintreffen der Polizei die Alkoholisierung so weit reduziert
haben, dass seitens der Polizei keine Veranlassung mehr bestand, eine
Feststellung dazu zu treffen; konkrete Anhaltspunkte dazu würden aber fehlen
(der Unfall ereignete sich zur Mittagszeit und es nicht ersichtlich, dass vor
dem Unfall eine Veranstaltung besucht worden wäre, auf der regelmäßig Alkohol
konsumiert würde, wie auch Anhaltspunkte fehlen würden, dass der Versicherte
ein Alkoholproblem hätte). Es gäbe keine allgemeine Annahme, dass bei einem
unerlaubten Verlassen des Unfallortes eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine
Alkoholisierung oder eine betäubungsmittelbedingte Verkehrsuntüchtigkeit spräche
(OLG Saarbrücken, Urteil vom 01.02.2017 - 5 U 26/16 -). Würde man in solchen Fällen den
Kausalitätsgegenbeweis nicht als geführt ansehen wollen, würde die
entsprechende Regelung in E.8.2. S. 1 der AKB ins Leere laufen.
Auch sei der
Kausalitätsgegenbeweis nicht wegen Arglist ausgeschlossen (E.8.2. S. 2 der
AKB). Arglist setze hier Bereicherungsabsicht voraus und läge schon vor, wenn
die Obliegenheitspflichtverletzung bewusst begangen würde und dabei billigend
in Kauf genommen würde, dass dies das Regulierungsverhalten des Versicherers
möglicherweise beeinflussen würde.
Gegen eine Arglist beim Verlassen
des Unfallortes spräche hier bereits, dass der Versicherungsnehmer gegenüber
der Polizei einräumte, dass ein Nachbar den Unfall beobachtet habe und er zudem
in unmittelbarer Nähe zum Unfallort gewohnt habe. Damit müssen ihm klar gewesen
sein, dass bals Feststellungen getroffen würden. Zudem spräche die
Lebenserfahrung dafür, dass ein Unfall häufig eine besondere Überforderung
auslöse, weshalb der Schluss nicht nahe liege, dass auch ein Schädigung des
Versicherers in das Vorstellungsbild aufgenommen worden sei. Verbleibende
Zweifel gingen hier zu Lasten der Beklagten.
Da der Versicherungsnehmer seine
Alleinverantwortung eingeräumt habe, könne er möglicherweise davon ausgegangen
sein, dass der Sachverhalt ohnehin klar sei, weshalb auch das unvollständige
Ausfüllen der Schadensanzeige nicht als arglistig zu bewerten sei.
OLG Hamm, Beschluss vom 28.02.2018 - 20 U 188/17 -