Montag, 19. April 2021

Die nachträglich vereinbarte Zwischenfrist und das daraus abgeleitete Kündigungsrecht des Bauvertrages

Nach Abschluss eines VOB-Bauvertrages koordinierte der Auftraggeber (Beklagter) im Rahmen einer Baubesprechung die Arbeiten der verschiedenen Gewerke und legte u.a. fest, dass die Klägerin bis zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Dachrandsicherung fertigzustellen und ein Gerüst aufzustellen habe. Dies war erforderlich, damit ein Drittunternehmer notwendige Arbeiten vornehmen konnte. Die Klägerin wurde allerdings nicht fristgerecht fertig. Der Beklagte setzte ihr eine Nachfrist und drohte für den Fall der Nichteinhaltung die Kündigung an; nach fruchtlosen Ablauf der gesetzten Frist kündigte er.

§ 5 Abs. 1 S. 2 VOB/B bestimmt, dass in einem Bauzeitenplan enthaltene Fristen nur dann als Vertragsfristen gelten, wenn dies im Vertrag ausdrücklich vereinbart wird. Im Übrigen handelt es sich um Kontrollfristen und dienen letztlich der Prüfung, ob der Auftragnehmer seiner Baustellenförderungspflicht nach § 5 Abs. 3 VOB/B nachkommt. Das Überschreiten der Frist würde nicht einen Verzug begründen. Vor diesem Hintergrund stellte sich die Frage, ob die im Rahmen einer Baubesprechung getroffene Terminabsprache auch als unverbindlich anzusehen ist oder bei Fristüberschreitung einen Verzug begründen konnte. Vom OLG wurde darauf verwiesen, dass es nicht erforderlich sei, dass die Frist als Vertragsfrist bezeichnet wird, wenn sich aus den Umständen eine entsprechende Auslegung klar ergibt. Ergibt sich dies, kommen die Rechtsfolgen des § 5 Abs. 4 VOB/B in Betracht, u.a. bei Verzug mit der Vollendung und Ablauf einer Nachfrist die Vertragskündigung. Zwar würde diese Regelung nicht auf eine Einzelfrist wirken, doch käme (auch bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen wie den VOB/B) eine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht. Das führe dazu, dass die Parteien hier die Einzelfrist in Ansehung der unabdingbaren Vorarbeit für ein Drittgewerk einen Schadensersatzanspruch wegen Verzugs mit dieser Einzelfrist als Vertragsfrist und ein Kündigungsrecht vorgesehen hätten.

Das OLG sieht es aber auch als möglich an, ohne eine ergänzende Vertragsauslegung das Kündigungsrecht zu bejahen. So könne nach § 648a BGB aus wichtigem Grund gekündigt werden, wenn dem Auftraggeber die Fortsetzung des Vertrages unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen bis zur Fertigstellung des Werkes nicht zugemutet werden könne. Das sei zu bejahen, wenn eine Vertragspflichtverletzung von erheblicher Bedeutung vorliege, was entsprechend auch für Einzelfristen gelte. Da der Arbeitsfortschritt auf der Baustelle von der Einhaltung der vereinbarten Zwischenfrist abhänge, sei dem Beklagten nach Ablauf der Frist und der gesetzten Nachfrist ein weiteres Festhalten am Vertrag nicht zumutbar gewesen.

Auch wäre eine Kündigung nach § 5 Abs. 4 VOB/B (ohne o.g. Vertragsauslegung) möglich, wenn die Ausführungsfrist als solche infolge der Verzögerung (des Verzuges) offenbar nicht eingehalten werden könne. Das Fehlen der Dachrandsicherung und des Gerüsts stelle sich als Fehlen von Verpflichtungen nach § 5 Abs. 3 VOB/B dar (wie Geräte, Gerüste, Bauteile). § 5 Abs. 4 VOB/B fordere hier von dem Auftragnehmer, auf verlangen Abhilfe zu leisten. Es bedürfe also in diesem Fall zuerst des Verlangens und danach der schuldhaften Verletzung der Abhilfepflicht. Erst wenn dies geschehen sei, könne der Auftraggeber eine angemessene Frist zur Vertragserfüllung mit Kündigungsandrohung setzen. Dies sei im konkreten Fall entsprechend erfolgt.

Die Kündigung war damit wegen Verzugs und Ablaufs der Nachfristsetzung zulässig gewesen.

Mit der Entscheidung verdeutlichte das OLG die vertragliche Bedeutung von Vereinbarungen im Rahmen von Baubesprechungen, bei denen sich die Beteiligten über die Bedeutung und Tragweite im Klaren sein sollten.

OLG Stuttgart, Urteil vom 01.12.2020 - 10 U 124/20 -

Aus den Gründen:

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 11.03.2020, Az. 14 O 461/19, wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Stuttgart ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 55.796,84 € festgesetzt.

Gründe

I.

Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche für erbrachte und nicht-erbrachte Leistungen nach Kündigung eines VOB-Bauvertrages durch den Auftraggeber.

Auf die Ausschreibung der Beklagten vom 23.04.2018 (Anlage K 1) unterbreitete die Klägerin, ein auf Flachdachsanierung und -abdichtung spezialisiertes Unternehmen, der Beklagten unter dem 14.05.2018 ein Angebot über die Dachabdichtungsarbeiten – Folienabdichtung an der Sporthalle Ost in K. (Anlagen K 2 und 3). Dieses nahm die Beklagte mit Schreiben vom 20.06.2018 - innerhalb der Bindefrist aus der Ausschreibung (29.06.2018) - an (Anlage K 5). Die vertragsgegenständliche Anlage KEV 116.1 enthält besondere Vertragsbedingungen und nimmt Bezug auf die VOB/B. Die vertragsgegenständlichen Arbeiten sollten am 16.07.2018 beginnen und am 31.08.2018 abnahmereif fertiggestellt sein (Ziff. 3.1 der Besonderen Vertragsbedingungen).

Am 25.06.2018 fand eine erste Baubesprechung unter den Beteiligten statt (Anlage K 17). Unter Ziff. 1.2 und 1.3 des darüber erstellten Protokolls ist zum Bauablauf festgehalten, dass die Demontage der Lüftungskanäle bis 13.07.2018 eine Vorleistung Dritter ist. Nach Ziff. 1.4 sollte sich die Klägerin bezüglich möglicher einzusetzender Gerätschaften wie Kran u.a. informieren. Zum Protokoll nahm die Klägerin mit E-Mail vom 27.06.2018 Stellung (Anlage K 26).

Mit E-Mail vom 28.06.2018 wies die Beklagte die Klägerin auf den Baubeginn vom 16.07.2018 und die Möglichkeit eines früheren Baubeginns hin. Darauf antwortete die Klägerin mit E-Mail vom 29.06.2018 und machte einen nicht zustande gekommenen Vertrag geltend (Anlage B 1). Es kam zu Gesprächen über erforderliche zusätzliche Arbeiten durch die Klägerin und deren Beauftragung. Dazu fand am 06.07.2018 eine Besprechung statt, über die ein Protokoll gefertigt wurde (Anlage K 9) und worin es auch um Nachträge zu Vertragsleistungen ging. Während der Besprechung wurde u.a. über den Mietkran (Ziff. 11) und die Demontage des Lüftungskanals (Ziff. 15) gesprochen sowie Termine zur Aufstellung der vertragsgegenständlichen Gerüste und Dachrandsicherungen getroffen (Ziff. 5, 15, 20.2). Zum Besprechungsprotokoll nahm die Klägerin mit E-Mail vom 10.07.2018 Stellung (Anlage K 27).

Zu den Vorarbeiten der Firma C., Subunternehmerin der Beklagten für die Demontage der Lüftungskanäle, führte die Beklagte mit E-Mail vom 13.07.2018 aus (Anlage B 3). Mit E-Mail vom 13.07.2018 (Anlage K 28) wies die Klägerin darauf hin, dass sie zugesichert habe, den Auftrag anzunehmen, es sei klar vereinbart worden, dass die zusätzlichen Leistungen und Nachträge vorher schriftlich beauftragt werden müssten. Die Klägerin führte mit E-Mail vom 18.07.2018 weiter aus und wies auch darauf hin, dass sie einen Auftrag nicht angenommen habe (Anlage B 4). Die Beklagte bzw. deren Bauleitung erwiderte mit E-Mail vom 18.07.2018 (Anlage B 5), wies auf einen geschlossenen Vertrag, eine Vergütung nach § 2 Abs. 6 VOB/B für Zusatzleistungen hin und führte aus, dass für die Demontage der Lüftung die Vorleistung der Klägerin, ein Gerüst und Kran, notwendig seien. Mit E-Mail vom 19.07.2018 (Anlage B 6) kündigte die Beklagte die Demontagearbeiten der Fa. C. zum 23.07. an und forderte die Gestellung eines Kranes. Mit E-Mail vom 19.07.2018 (Anlage B 7) führte die Beklagte zur Sache aus und wies auf das Gerüst und den Kran als Voraussetzung für die Demontagearbeiten der Fa. C. hin.

Im Zeitraum vom 06.07. bis 17.07.2018 fanden Verhandlungen über Nachträge statt. Der Nachtrag 1 betrifft das Stellen eines Mietkranes (Angebot der Klägerin vom 06.07./ Annahmeerklärung der Beklagten 17.07.2018, Anlagen K 6 und 7), Nachtrag 3 die Anlieferung, Montage und Miete von Treppentürmen und anderem Gerüstmaterial zu Pos. N 3.1, 3.2, 3.5-3.9 (11.07./17.07.2018, Anlagen K 8 und 10), Nachtrag 5 die Lieferung und Montage von Gegengefällekeilen (11.07./17.07.2018, Anlagen K 13 und 14), Nachtrag 7 die Lieferung und Montage von Dachsturznetzen und deren Gebrauchsüberlassung (13.07./17.07.2018, Anlagen K 15 und 16), wobei Angebot und Annahmeerklärung im Hinblick auf den Leistungszeitraum jeweils voneinander abweichen. Die Bauteile aus den Nachträgen 1, 3 und 7 hätte sich die Klägerin fremd beschaffen müssen. Nachträge Nr. 2 und Nr. 6 wurden jedenfalls nicht vereinbart. Der Nachtrag Nr. 4 über Abrissarbeiten und damit verbundene Tätigkeiten kam nicht zustande, das Angebot der Klägerin datiert vom 10.07.2018, die Beklagte korrigierte die Einheitspreise unter dem 30.07.2018 (Anlagen K 11 und 12). Die Klägerin akzeptierte mit E-Mail vom 08.08.2018 (Anlage K 20) die Beauftragung, nicht aber die korrigierten Einheitspreise.

Mit den Dachabdichtungsarbeiten begann die Klägerin unstreitig nicht am 16.07.2018. Zu keiner Zeit stellte sie die bauvertraglich vereinbarten Gerüste vollständig und brachte die vertraglich vereinbarten Dachrandsicherungen an. Die Lüftungskanäle auf dem Dach waren unstreitig nicht demontiert.

Die Beklagte monierte einen verspäteten Baubeginn am 16.07. (Anlage K 29 unten), 18.07. (Anlage B 5) und 23.07.2018 (Anlage K 33). Im Schreiben vom 23.07.2018 ließ die Beklagte insbesondere das fehlende Gerüst und Dachrandsicherung monieren, forderte die Klägerin mit der Ausführung der Leistungen bis spätestens 26.07.2018 und Förderung des Arbeitsfortschrittes auf und verwies auf § 5 Abs. 4 VOB/B. Auf das erste Schreiben antwortete die Klägerin mit E-Mail vom 16.07.2018 (Anlage K 29 oben) und kündigte an, sie gehe davon aus, dass die Nachträge bis 17.07.2018 schriftlich beauftragt würden, um den an sie gesandten Vertrag zu unterschreiben und an die Beklagte zurückzusenden. Mit E-Mail vom 20.07.2018 (Anlage B 10) machte die Klägerin die unvollständig freigegebenen Nachträge der Beklagten geltend. Mit Schreiben vom 23.07.2018 wies die Klägerin Inverzugmeldungen der Beklagten zurück und führte aus, dass der Gesamtauftrag nicht unterschrieben werde und mit der Arbeitsvorbereitung noch nicht begonnen werde (Anlage B 2).

Die Klägerin ließ am 25.07.2018 die von der Firma T. beschafften Bauzaun (Pos. 1.2 LV), das Gerüst (Pos. 2.3 und 2.4 LV sowie N 3.5-3.9) und einen Treppenturm (N. 3.1 und N 3.2) errichten. Die Firma T. stellte der Klägerin für die Gerüste eine Rechnung vom 14.08.2018 (Anlage K 18). Damit stand das Fassadengerüst etwa zur Hälfte, eine Dachrandsicherung war nicht angebracht worden.

Mit E-Mail vom 26.07.2018 (Anlage K 32) übersandte die Klägerin der Beklagten eine Kalkulation zu einer LV-Position eines Nachtrages und bat um schriftliche Freigabe von Nachtrag Nr. 4, damit der an sie gesandte Auftrag unterschrieben und zurückgesandt werden könne. Mit E-Mail vom 27.07.20187 (Anlage B 8) wies die Klägerin eine Inverzugsetzung durch die Beklagte zurück und bat um Beauftragung von Nachtrag Nr. 8, der Hauptauftrag werde sodann sofort unterschrieben und retourniert, mit der praktischen Ausführung würde dann begonnen.

Die Beklagte mahnte am 03.08.2018 schriftlich den Einsatz von für eine zügige Baufortführung und fristgerechte Baufertigstellung erforderliche Arbeitskräften und Arbeitsmittel unverzüglich spätestens bis zum 08.08.2018 und drohte die Auftragsentziehung an (Anlage K 19). Diese Aufforderung wies die Klägerin mit E-Mail vom 07.08.2018 zurück (Anlage K 20). Unter dem 09.08.2018 kündigte die Beklagte schließlich den Bauvertrag schriftlich (Anlage K 21). Die Beklagte schrieb die streitgegenständlichen Dachsanierungsleistungen sodann erneut aus (Anlage K 22).

Unter dem 09.08.2018 rechnete die Klägerin ab und machte 45.709,19 Euro für nicht-erbrachte Leistungen geltend (Anlage K 24). Mit der Klage werden 10.087,65 Euro für erbrachte Leistungen und 44.223,98 Euro netto für nicht-erbrachte Leistungen geltend gemacht.

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte zu Recht außerordentlich gekündigt hat und über die Haftung der Höhe nach bzw. die Abrechnung erbrachter und nicht-erbrachter Leistungen.

Bezüglich des weiteren Sach- und Streitstandes und die Anträge in erster Instanz wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.

Das Landgericht hat die auf Werklohn gerichtete Klage abgewiesen. Es liege keine freie Aufraggeberkündigung vor, sondern eine Kündigung nach § 5 Abs. 4 iVm. § 8 Abs. 3 VOB/B. Die erklärte Kündigung erfülle die Schriftform. Weil die Klägerin eine ihr gesetzte Nachfrist zum Beginn der Arbeiten habe verstreichen lassen, habe die Beklagte nach § 5 Abs. 4 VOB/B berechtigterweise kündigen können. Im Protokoll des Klärungsgespräches habe sich die Klägerin zur Stellung eines Kranes verpflichtet. Den Ausführungszeiten habe die Klägerin nicht widersprochen. Die Bereitstellung eines Kranes habe die Beklagte mehrfach unter Fristsetzung angemahnt. Gesetzte Fristen habe die Klägerin grundlos verstreichen lassen; der Kran hätte der Firma C. bereitgestellt werden müssen; ein vertraglicher Nachtrag über die Krangestellung sei am 17.07.2018 zustande gekommen. Ein Vergütungsanspruch nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B bestünde nicht, die Leistungen der Klägerin seien für die Beklagte wertlos.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils verwiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihre ursprüngliche (Werklohn-)Forderung weiterverfolgt. Es lägen kausale Rechtsverletzungen sowie Sachverhaltsfehler vor. Das Besprechungsprotokoll enthalte keine Vereinbarung dahingehend, dass die Gestellung des Kranes eine notwendige Vorleistung für die Demontagearbeiten der Firma C. sei. Dass die Firma C. den Kran zwingend benötige, sei im Protokoll an keiner Stelle erwähnt. Die Gestellung zu einem bestimmten Zeitpunkt ergebe sich aus dem Protokoll nicht. Der Bauablauf ergebe sich nicht aus Ziff. 11, sondern Ziff. 15 des Besprechungsprotokolls. Das Besprechungsprotokoll enthalte auch keine Anweisungen iSd. § 645 Abs. 1 S. 1 BGB, eine rechtsgeschäftliche Erklärung sei nicht gewollt gewesen, aus objektiver Empfängersicht sei das Protokoll nicht als rechtsverbindliche Ausführungsanweisung auszulegen. Etwaige mündliche Anweisungen wären auch gemäß §§ 42 S. 1, 54 Abs. 1 GemO formunwirksam. Der Beginn der Ausführung sei vertragsbezogen zu ermitteln, auch habe die Klägerin mit der Bauausführung begonnen; dazu bedurfte es der Stellung eines Kranes nicht. Die Beklagte habe einen etwaigen Nichtbeginn nicht für gravierend genug gehalten, bereits dies stehe einer Kündigung nach § 8 Abs. 3 VOB/B entgegen. Die Krangestellung sei nicht bestimmt genug angemahnt worden. Es liege deshalb eine freie Kündigung vor. Die Klägerin sei nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 VOB/B zur Werklohnforderung berechtigt. Das Nichtaufstellen des Kranes sei kein Grund für eine zur außerordentlichen Kündigung berechtigende Verzögerung mit dem Beginn der Ausführung iSd. § 5 Abs. 4 Alt. 1 VOB/B. Die Krangestellung habe die Klägerin für den 09.08.2018 angekündigt. Jedenfalls aber habe die Klägerin Anspruch für tatsächlich erbrachte Leistungen gemäß der Rechnung der Fa. T. Gerüstbau. Sie macht darüber hinaus Verfahrensfehler geltend.

Die Klägerin beantragt,

die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des Landgerichts Stuttgart vom 11.03.2020, Az.: 14 O 461/19, sowie des Verfahrens an das Landgericht Stuttgart zurückzuverweisen.

Für den Fall einer eigenen Sachentscheidung des Berufungsgerichts hilfsweise: unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Landgerichts Stuttgart vom 11.03.2020, Az.: 14 O 461/19, wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 54.311,63 EUR nebst Zinsen in Höhe von 9 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 44.223,98 EUR seit 31.08.2018 sowie aus einem Betrag in Höhe von 10.087,65 EUR seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Randnummer21

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das erstinstanzliche Urteil für im Ergebnis richtig. Die Kündigung aus wichtigem Grund sei zu Recht erfolgt. Der Kündigung sei ein verzögerliches, widersprüchliches und unzumutbares Verhalten der Klägerin vorausgegangen. Ein weiteres Festhalten am Vertrag sei ihr nicht zuzumuten gewesen. Die Klägerin habe sich als in hohem Maße unzuverlässiger Vertragspartner erwiesen und in groben Maße gegen das Kooperationsgebot verstoßen. Eine Kündigung aus wichtigem Grund sei begründet.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes zweiter Instanz wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Denn das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht die auf eine Vergütung bzw. Entschädigung für erbrachte und nicht-erbrachte Leistungen gerichtete Klage abgewiesen.

1)

Einen Anspruch auf eine Vergütung für nicht-erbrachte Leistungen hat die Klägerin nicht, weil die Beklagte den Vertrag außerordentlich wirksam gekündigt hat (§ 8 Abs. 3 i.V.m. § 5 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 und Abs. 3 VOB/B, § 648a BGB).

Im Fall einer wirksamen außerordentlichen Kündigung des Auftraggebers hat der Auftragnehmer allenfalls Anspruch auf eine Vergütung für erbrachte Leistungen, kann aber eine Entschädigung für nicht erbrachte Leistungen nicht verlangen. Nur im Fall einer freien Kündigung des Auftraggebers (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 VOB/B) oder bei einvernehmlicher Vertragsaufhebung hat der Auftragnehmer einen Anspruch auf Entschädigung im Zusammenhang mit nicht erbrachten Leistungen. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.

Zwischen den Parteien ist durch das Angebot der Klägerin vom 14.05.2018 (Anl. K1) und die Annahme der Beklagten vom 20.06.2018 (Anl. K5), das innerhalb der Bindefrist erklärt wurde, ein Bauvertrag zustandegekommen, auf den das Bauvertragsrecht ab dem 01.01.2018 sowie die VOB/B 2016 zur Anwendung kommt. Auf eine darüber hinausgehende Auftragsbestätigung kommt es aus Rechtsgründen nicht an. Soweit die Klägerin später die Auffassung vertreten hat, der Auftrag sei noch nicht rechtsverbindlich zustandegekommen und hänge noch von weiteren Nachträgen ab, ist dies rechtlich unzutreffend.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 09.08.2018 (Anlage K 21) schriftlich (§ 8 Abs. 6 VOB/B) die Kündigung erklärt.

Ein außerordentlicher Kündigungsgrund liegt vor. Denn mit Ablauf des 22.07.2018 als vereinbarte Zwischenfrist ist die Klägerin mit dem Aufbau des Gerüstes auf dem unteren Dach und den Dachrandsicherungen, beides Vertragsleistungen nach dem streitgegenständlichen Bauvertrag, in Verzug geraten (§ 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Dies ist Grundlage für einen außerordentlichen Kündigungsgrund.

a)

Es wurde - in Abänderung und Ergänzung des Bauvertrages - eine Zwischenfrist zum 22.07.2018 vereinbart für das Aufbauen der Dachrandsicherung (Pos. 2.1) und des Gerüstes (Pos. 2.3). Die Nichteinhaltung dieser Zwischenfrist mit der Folge des Verzuges (§ 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB) aber begründet hier ein außerordentliches Kündigungsrecht des Auftraggebers.

aa)

Im Klärungsgespräch vom 06.07.2018 wurde zwischen den Parteien verbindlich und eindeutig vereinbart, dass das Dachrandgerüst (Dachrandsicherung) und das Gerüst zum 22.07.2018 erbracht werden sollten (Protokoll der Besprechung in Anlage K 9).

Unter Ziff. 5 ist das Datum 20.07.2018 genannt, unter Ziff. 15 ein Aufbauen vor dem 23.07.2018, unter Ziff. 20.2 ebenfalls ein Aufbauen vor dem 23.07.2018. Damit ist eine Zwischenfrist bis zum 23.07.2018 vereinbart. Die Angaben im Protokoll sind aus Sicht eines objektiven Empfängers nicht anders zu verstehen und werden auch nicht durch die „voraussichtliche“ Arbeitsaufnahme der Fa. C. zum 23.07.2018 (so Ziff. 15) zu einem bloß unbestimmten Leistungstermin entwertet. Jedenfalls zum 23.07.2018 sollten Gerüst und Dachrandsicherung stehen. Dies ist in ausreichend eindeutiger Weise bestimmt (vgl. Ingenstau/Korbion-Döring, 21. Aufl. 2020, § 5 Rn. 20). Von einer ungefähren Zeit- und Fristenangabe kann hier gar keine Rede sein.

Diesen Termin hat die Klägerin nicht in Abrede gestellt, auch nicht durch die handschriftlichen Vorbehalte auf der Anlage K 9, die sich nur auf den Beginn der Abbrucharbeiten beziehen (vgl. auch Anlage K 10), nicht aber auf die Vorarbeiten (Gerüst und Dachrandsicherung). Auch aus dem E-Mail vom 10.07.2018 (Anlage K 27) ergibt sich kein Widerspruch der Klägerin zu den Einzel- bzw. Zwischenfristen gemäß Klärungsgesprächs vom 06.07.2018, unter Punkt 20.2 eben nur zum Endtermin.

Mit dem Gerüst und der Dachrandsicherung sollte der Firma C. die Erledigung der Demontage der Lüftungsanlage (-kanals) auf dem Dach ermöglicht werden. Dies war ausweislich des Klärungsgesprächs vom 06.07.2018 der Klägerin bekannt, dazu offensichtlich. Außerdem handelte es sich dabei um wesentliche Vorarbeiten für das von der Klägerin zu erbringenden Werk.

Gerade wegen der Bedeutung des Gerüstes und der Dachrandsicherung für die Arbeiten der Fa. C., aber auch als unabdingbare Vorarbeit für das Werk der Klägerin, handelt es sich um eine verbindliche Zwischenfrist. Daraus ergibt sich auch ein berechtigtes Interesse der Beklagten an der Vereinbarung dieser Frist als Vertragsfrist (vgl. Kapellmann/Messerschmidt-Sacher, 7. Aufl. 2020, § 5 Rn. 70).

Die Annahme einer bloß unverbindlichen Kontrollfrist liegt fern. Es handelt sich hier gerade um fortgangswichtige Teile der Leistung bzw. Vorleistungen der Klägerin. § 9 Abs. 2 Nr. 2 VOB/A lässt für VOB/A-gebundene Auftraggeber die Vereinbarung von Einzelfristen als Vertragsfristen im Rahmen eines Bauzeitenplans für fortgangswichtige Teile der Leistung zu (Kapellmann / Messerschmidt-Sacher, 7. Aufl. 2020, VOB/B § 5 Rn. 68). Das dahinter stehende Interesse war auch für die Klägerin offenbar, nämlich der für den 23.07.2018 angekündigte Arbeitsbeginn der Firma C., die auf die Gerüste und Dachrandsicherung angewiesen war.

Die im Protokoll festgehaltenen Ergebnisse des Klärungsgesprächs/Einigungen vom 06.07.2018 werden jedenfalls dann Vertragsinhalt, wenn der spätere Bauvertrag auf das Klärungsgespräch Bezug nimmt. Das ist hier zwar nicht der Fall. Aber auch ohne eine solche Bezugnahme führte die Einigung oder Zusage der Klägerin im Klärungsgespräch vom 06.07.2018 zu einer verbindlichen Zwischenfrist. Durch die Vereinbarung, dass die Klägerin vorab, also vor dem 23.07.2018, das Gerüst auf dem unteren Dach sowie die Dachrandsicherungen aufbauen wird (Titel 2.1 und 2.3 des Angebots), hat die Klägerin ihr Angebot im Hinblick auf die Leistungszeit für diese Teilleistungen - unabhängig von den Vorgaben des § 15 VOB/A – im Einvernehmen mit der Beklagten abgeändert und die Beklagte nahm später innerhalb der Bindefrist das um die Zwischenfrist ergänzte Angebot an. Für die wirksame Vereinbarung der Zwischenfrist war es im Hinblick auf § 5 Abs. 1 Nr. 2 VOB/B nicht erforderlich, dass diese Frist ausdrücklich als Vertragsfrist bezeichnet wird, wenn sich aus den Umständen eine Qualifizierung als Vertragsfrist zweifelsfrei ergibt. So liegen die Dinge hier. Ob die Ausschreibung der Beklagten bezüglich Vertrags- und Einzelfristen dem § 8a Abs. 4 Nr. 1 Buchst. d VOB/A gemäß war, ist unerheblich.

Nach Ziff. 15, 20.2 des Klärungsgesprächs vom 06.07.2018 war die Klägerin verpflichtet, vor dem 23.07.2018 das Gerüst sowie die Dachrandsicherungen gemäß Bauvertrag auf dem Hallendach aufzubauen.

Diese Frist hat die Klägerin nicht eingehalten, weil weder zum 23.07.2018 noch zum Zeitpunkt der Kündigung das Gerüst und die Dachrandsicherung vollständig aufgebaut worden waren. Das Gerüst war nur teilweise aufgebaut, und die Dachrandsicherung fehlte vollständig (vgl. S. 2 des Sitzungsprotokolls vom 03.11.2020, Bl. 72 d. eAkte). Sie befand sich deshalb mit der Vorleistung (Gerüst und Dachrandsicherung) in Verzug (§ 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB).

bb)

Eine Verschiebung der Zwischenfristen für das Gerüst und die Dachrandsicherung durch Behinderungen gemäß § 6 Abs. 2 VOB/B ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Ein Leistungsverweigerungsrecht stand der Klägerin auch nicht zu. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass die streitgegenständlichen Arbeiten wie die Gestellung eines Gerüstes sowie die Dachrandsicherungen von der Beauftragung weiterer Nachträge abhängig wären. Die Klägerin hat damit zu Unrecht die Aufnahme ihrer Arbeiten von der Unterzeichnung weiterer Nachträge abhängig gemacht.

Aus Mehrmassen zur Pos. 2.3 (vgl. das Nachtragsangebot 3 vom 11.07.2018 zu Pos. N 3.7 [Anlage K 8]) kann die Klägerin eine fehlende Beauftragung im Hinblick auf § 1 Abs. 4 S. 1, 2 VOB/B und eine Behinderung nicht herleiten, weil diese Leistung bereits Gegenstand des Bauvertrages war und es im Nachtrag nur um eine Massenmehrung ging.

cc)

Der Verzug mit dem Aufbau des Gerüstes und der Dachrandsicherung wegen Verstreichens der vereinbarten Zwischenfrist rechtfertigt eine außerordentliche Kündigung. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Grundlage dafür in einer ergänzenden Vertrags- bzw. VOB-Auslegung gesehen wird (nachfolgend Ziff. 1), in § 648a BGB (nachfolgend Ziff. 2) oder in § 5 Abs. 3 VOB/B (nachfolgend Ziff. 3).

(1) Das Vertragswerk der VOB/B, das gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 VOB/B im Regelfall von der Unverbindlichkeit vereinbarter Einzelfristen ausgeht, enthält eine - sicher nicht gewollte - Lücke, indem § 5 Abs. 4 VOB/B nur in den drei ausdrücklich erfassten Fällen einen Schadensersatzanspruch bzw. Kündigungsrecht gewährt, nicht hingegen bei Verzug mit einer Einzelfrist, die abweichend von der Regel als Vertragsfrist vereinbart worden ist. Es ist daher eine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht zu ziehen, die (vorbehaltlich des insoweit nicht einschlägigen § 306 Abs. 2 BGB) grundsätzlich auch bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen möglich ist. Danach ist die Lücke unter Zugrundelegung eines objektiv-generalisierenden Maßstabs zu schließen, der sich am Willen und Interesse der typischerweise beteiligten Verkehrskreise auszurichten hat. Dies führt regelmäßig - wie hier - dazu, dass die Vertragsparteien auch insoweit einen Schadensersatzanspruch wegen Verzugs mit einer Einzelfrist als Vertragsfrist (Kapellmann / Messerschmidt-Sacher, 7. Aufl. 2020, VOB/B § 5 Rn. 228, 229) und ein Kündigungsrecht vorgesehen hätten.

(2) Denkbar ist aber auch eine sonstige Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 648a BGB.

Danach ist erforderlich, dass dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur Fertigstellung des Werkes nicht zugemutet werden kann. Das ist der Fall, wenn der Auftragnehmer aus von ihm zu vertretenden Gründen eine Vertragsfrist (auf Fertigstellung) nicht eingehalten hat und die Vertragspflichtverletzung von so erheblichem Gewicht ist, dass dem Auftraggeber eine Fortsetzung des Vertrags nicht zumutbar ist. Entsprechendes gilt für eine Überschreitung einer Einzelfrist, die als Vertragsfrist vereinbart ist (Kapellmann / Messerschmidt-Sacher, 7. Aufl. 2020, VOB/B § 5 Rn. 247). Bei diesem Verständnis liegt dann keine durch eine ergänzende Vertragsauslegung zu schließende Lücke (vgl. vorstehend Ziff. 1) vor.

Da hier der Arbeitsfortschritt auf der Baustelle von den von der Klägerin zu beschaffenden Gerüsten und Dachrandsicherung und der Einhaltung der vereinbarten Zwischenfrist abhing, war der Beklagten mit Ablauf des 22.07.2018 und der danach gesetzten Nachfrist (vgl. unten) eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht weiter zuzumuten.

(3) Denkbar ist auch, mit dem Verzug mit einer Einzelfrist eine unzureichend ausgestattete Baustelle mit Geräten und Gerüsten anzunehmen, so dass die Ausführungsfrist offenbar nicht eingehalten werden kann (§ 5 Abs. 4 Fall 3 iVm. Abs. 3 VOB/B) (so wohl OLG Düsseldorf, Urteil vom 09. Mai 2008 – 22 U 191/07 –, juris zu Rn. 31 f.).

(3.1) Nach Ingenstau/Korbion-Döring aaO., § 5 Abs. 4 Rn. 4 aE setzt ein Verstoß gegen die Abhilfepflicht des Auftragnehmers gemäß § 5 Abs. 3 VOB/B keine vorherige Abhilfeaufforderung durch den Auftraggeber voraus und liegt bei Verzug mit Einzelfristen immer vor. Nach dieser Auffassung war vorliegend die Ausstattung der Baustelle mit Geräten und Gerüsten so unzureichend, dass die Ausführungsfristen offenbar nicht eingehalten werden konnten. Dies ergibt sich für das Werk der Klägerin aus deren Erklärung beim Klärungsgespräch am 06.07.2018 unter Nr. 15, 20.2 des Protokolls, wonach die Klägerin zur Einhaltung der Bauzeit auf dem Dach Baufreiheit benötige. Die Einrichtungen (Gerüste, Absicherungen) waren notwendig, damit die Firma C. die von der Klägerin benötigte Baufreiheit herstellen konnte.

(3.2) Jedenfalls lag hier ein Abhilfeverlangen vor.

§ 5 Abs. 4 VOB/B setzt voraus, dass der Auftragnehmer seiner nach § 5 Abs. 3 erwähnten Verpflichtung nicht nachkommt. Die Verpflichtung besteht darin, auf Verlangen unverzüglich Abhilfe zu schaffen. Es bedarf also zuerst eines Verlangens des Auftraggebers und darauf folgend einer schuldhaften Verletzung der Abhilfepflicht. Erst wenn dies geschehen ist, kann der Auftraggeber gemäß § 5 Abs. 4 VOB/B eine angemessene Frist zur Vertragserfüllung mit Kündigungsandrohung setzen. Es bedarf also zwei Erklärungen des Auftraggebers.

Bereits am 19.07.2018 wurde die Klägerin von der Beklagten per E-Mail (Anlage B 6 eAkte) darauf hingewiesen, dass am Montag, den 23.07.2018, der Lüftungskanal demontiert werden soll und schnellstmögliche Rückmeldung erwartet wird, wann das Gerüst (und der Kran) aufgebaut wird. Mit E-Mail vom 19.07.2018 (Anlage B 7 eAkte) wurde gerügt, dass die für den Rückbau der Lüftungskanäle notwendigen Vorarbeiten noch nicht stehen und die Klägerin sich mit ihren Leistungen in Verzug befinde (Anl. B7, Bl. 26 der eAkte). Mit Schreiben vom 23.07.2018 (Anlage K 33 eAkte) wurde auf das Fehlen der Vorarbeiten der Klägerin (Aufbau Gerüst und Dachrandsicherungen) hingewiesen und auf die E-Mail vom 19.07.2018 verwiesen. Die Klägerin wurde aufgefordert, mit der Ausführung der Leistungen bis spätestens 26.07.2018 zu beginnen und den Fortschritt der Arbeiten angemessen zu fördern. Dies stellt jedenfalls im Hinblick auf die Dachrandsicherungen und das Gerüst ein Abhilfeverlangen nach § 5 Abs. 3 VOB/B dar.

Danach ist im Hinblick auf die Gerüstarbeiten und die Dachrandsicherung ein Abhilfeverlangen gestellt, so dass das Ausbleiben dieser Arbeiten gemäß § 5 Abs. 4 VOB/B den Weg zur Kündigung des Vertrags geöffnet hat.

dd)

Mit Schreiben vom 03.08.2018 (Anlage K 19) wurde der Klägerin eine angemessene Frist zur Vertragserfüllung gesetzt und die Kündigung angedroht (§ 5 Abs. 4 VOB/B). Ein erfolgloser Ablauf einer zur Abhilfe gesetzte Frist (§ 648a Abs. 3 iVm. § 314 Abs. 2 BGB) liegt damit auch vor.

(1) Auch wenn in diesem Schreiben die nun vorzunehmenden Arbeiten nicht ausdrücklich genannt sind und auf den Einsatz der für einen zügigen Baufortschritt und fristgerechte Baufertigstellung erforderlichen Arbeitskräfte und Arbeitsmittel verwiesen wird, wusste die Klägerin insoweit aufgrund des vorangegangenen E-Mail-Verkehrs genau, welche Leistungen von ihr bis zum 23.7.2018 erwartet wurden und sie zu erbringen hatte. Eine weitere Konkretisierung war damit entbehrlich.

(2) Die gesetzte Frist bis 08.08.2018 war angemessen, selbst wenn man von einem Zugang des Schreibens vom 03.08.2018 erst am 06.08.2018 ausgehen sollte.

Das Schreiben vom 03.08.2018, einem Freitag, ist ausweislich der Anlage K 20 um 19:01 Uhr bei der Klägerin eingegangen. Zugegangen im Rechtssinne ist es am darauffolgenden Samstag, weil es damit so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen; die Kenntnisnahme durch den Empfänger war zu diesem Zeitpunkt möglich und nach der Verkehrsanschauung zu erwarten (vgl. Palandt-Ellenberger, 78. Aufl. 2019, § 130 Rn. 5 ff.). Weil nach der VOB/B eine Woche aus 6 Werktagen besteht (vergleiche § 11 Abs. 3 VOB/B), ist nach der Verkehrsanschauung zu erwarten, dass auch am Samstag der Posteingang im Büro kontrolliert wird. Danach ist von einem Zugang am 04.08.2018 auszugehen.

Aber selbst bei einem Zugang erst am Montag, den 06.08.2018, war die Fristsetzung bis spätestens 08.08.2018 angesichts der Bedeutung der Vorleistungen der Klägerin (Dachrandsicherung, Gerüst) für den Fortgang der Arbeiten und auch für die Rechtzeitigkeit der eigenen Werkleistung angemessen. Die Beklagte durfte insbesondere davon ausgehen, dass die Beklagte mit Auftragserteilung die notwendigen Bestellungen vorgenommen hatte.

(3) Nach fruchtlosem Ablauf der Frist bis 08.08.2018 ist das Recht zur Auftragsentziehung entstanden. Dies gilt sowohl für § 5 Abs. 4 VOB/B als auch für ein Kündigungsrecht nach § 648 a BGB. Die Klägerin hatte lediglich einen Bauzaun aufgestellt, das Fassadengerüst nur zur Hälfte (vgl. Protokoll vom 03.11.2020, S. 2 = Bl. 72 e-Akte). Die Dachrandsicherungen fehlten vollständig.

b)

Ob sich aus und im Zusammenhang mit der Nachtragsleistung über die Stellung eines Mietkranes und dessen unterbliebener Gestellung bereits ein außerordentlicher Kündigungsgrund herleiten lässt, kann hier dahinstehen.

aa)

Zwar ist eine Vereinbarung über die Stellung eines Mietkranes zwischen den Parteien zustande gekommen.

Die Klägerin hat das Nachtragsangebot Nr. 1 über die Stellung eines Mietkranes unter dem 06.07.2018 und die Beklagte eine Annahmeerklärung unter dem 11.07.2018 abgegeben (Anlagen K 6 und 7).

Die Annahme ist auch rechtzeitig. Nach dem Eingangsstempel auf der Anlage K 7 ist die Annahme des Nachtrags bei der Klägerin am 20.07.2018 eingegangen. Dies war noch rechtzeitig im Sinne des § 147 Abs. 2 BGB, auch wenn der angebotene Leistungszeitraum zu diesem Zeitpunkt schon begonnen hatte (vergleiche Palandt-Ellenberger, 78. Aufl. 2019, § 147 Rn. 6).

Abgesehen davon wurde die Annahmeerklärung der Beklagten vorab per E-Mail vom 17.07.2018 übersandt (Anlage B 11), was jedenfalls rechtzeitig war.

Jedoch weichen die Leistungszeiträume im Angebot und Annahme voneinander ab: Die Klägerin bot für einen Zeitraum vom 16.07. - 31.08.2018 die Stellung eines Mietkranes an, die Annahmeerklärung der Beklagten sah eine Ausführung sofort, spätestens zur 30. KW vor; die 30. KW begann am 23.07.2018. Der Klägerin war aus den Baubesprechungen/Klärungsgespräch vom 06.07.2018 bekannt, dass die Firma C. am 23.07.2018 mit den Abbrucharbeiten an den Lüftungskanälen beginnen sollte und zu diesem Zeitpunkt die Vorarbeiten der Klägerin fertig sein sollten. Vor diesem Hintergrund ist das Verlangen der Leistung spätestens zur 30. KW nicht dahin zu verstehen, dass die Klägerin bis zum Ende der 30. KW Zeit hatte, sondern die Leistung der Gestellung des Krans sollte vor der 30. KW, also vor dem 23.07.2018 begonnen sein. Weil Angebot und Annahme nicht übereinstimmen, stellt die Annahmeerklärung der Beklagten eine Ablehnung verbunden mit einem neuen Angebot dar (§ 150 Abs. 2 BGB).

Mit E-Mail vom 27.07.2018 (Anlage B 8) nahm die Klägerin das Angebot der Beklagten aber schließlich an („Nachtrag 1 ist beauftragt“). Im Zeitraum davor ist eine Annahmeerklärung der Klägerin nicht erkennbar. Mit E-Mail der Klägerin vom 20.07.2018 (Anlage B 10) erklärte die Klägerin keine Annahme des (geänderten) Angebotes der Beklagten; im E-Mail führt die Klägerin gerade zu den Terminen zur Kranstellung aus und erteilt dem Angebot der Beklagte keine Zustimmung. Auch im Schreiben vom 23.07.2018 (Anlage B 2) ist eine Annahmeerklärung der Klägerin zum Nachtrages 1 nicht zu erkennen.

bb)

Eine Zwischenfrist wurde, bezogen auf die Krangestellung, hier nicht vereinbart. Die am 06.07.2018 vereinbarte Frist (vgl. oben) hat für den vereinbarten Nachtrag Nr. 1 keine Bedeutung, weil der Nachtrag erst danach angeboten worden und zustande gekommen ist und nicht zu erkennen ist, dass die zuvor vereinbarte Zwischenfrist auch diesen erst danach zustande kommenden Nachtrag erfassen sollte.

cc)

Ob sich im Zusammenhang mit der Korrespondenz der Parteien nach dem 27.07.2018 ein Kündigungsgrund nach § 5 Abs. 3, 4 iVm. § 8 Abs. 3 VOB/B herleiten lässt, weil die Klägerin die Baustelle nicht mit den für eine zügige Baufortführung und fristgerechte Baufertigstellung erforderlichen Arbeitskräften und Arbeitsmitteln - wie den Kran - ausgestattet hat, kann hier dahinstehen.

c)

Eine Auftragsentziehung nach § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 VOB/B wegen Verzögerung des Beginns der Bauausführung war jedenfalls nicht möglich. Wenn auch im Bauvertrag als Bauzeit der Zeitraum vom 16.07.2018 bis zum 31.08.2018 verbindlich vereinbart war, so hatte die Klägerin, wenn auch verspätet, am 25.07.2018 und damit vor Kündigung einen Bauzaun und Teile der Gerüste aufstellen lassen und damit mit den Bauarbeiten begonnen.

2)

Einen Anspruch auf Vergütung für erbrachte Leistungen hat die Klägerin nicht.

Zwar kann der Auftragnehmer auch im Fall einer § 8 Abs. 3 VOB/B-Kündigung die Vergütung für erbrachte Leistungen verlangen (Kapellmann/Messerschmidt-Lederer, 21. Aufl. 2020, § 8 Rn. 101).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann ein Auftragnehmer, dem der Auftrag nach § 8 Nr. 3 VOB/B entzogen worden ist, nur den Anteil der vereinbarten Vergütung verlangen, der seinen bisher erbrachten Leistungen entspricht. Dabei knüpft der Bauvertrag an den werkvertraglichen Leistungserfolg an, der bei einem Bauwerk in der Regel nur dann eintritt, wenn die erbrachte Leistung sich im Bauwerk unmittelbar verkörpert (BGH, Urteil vom 07. Januar 2003 – X ZR 16/01 –, juris zu Rn. 16). Dementsprechend kann ein Auftragnehmer keine Vergütung für auf die Baustelle gelieferte, aber noch nicht eingebauten Bauteile verlangen (BGH, Urteil vom 09. März 1995 – VII ZR 23/93 –, juris zu Rn. 9). Gleiches gilt für Vorbereitungsmaßnahmen wie im vorliegenden Fall, die noch zu keiner Werkleistung und Verkörperung in einem Bauwerk geführt haben. Dies erschließt sich ohne weiteres daraus, dass ansonsten die Beklagte trotz einer Auftragsentziehung aus wichtigem Grund einen Werklohn zu zahlen hätte, obwohl sie von der Leistung der Klägerin keinerlei Vorteile hat, weil sich deren Leistung im Bauwerk nicht verkörpert hat. Deshalb kann die Klägerin für erbrachte Gerüst- und Vorbereitungsarbeiten hier keine Vergütung verlangen.

Ein Anspruch der Klägerin auf Vergütung besteht auch nicht nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B. Danach kann eine Vergütung verlangt werden, wenn der Auftraggeber für die Weiterführung der Arbeiten Geräte, Gerüste, auf der Baustelle vorhandene andere Einrichtungen und angelieferte Stoffe und Bauteile in Anspruch genommen hat. Dann hat der Auftraggeber an den (gekündigten) Auftragnehmer eine angemessene Vergütung zu zahlen. Die Gerüste waren aber nur vom 25. Juli bis 09.08.2018 auf der Baustelle aufgebaut und standen damit der Beklagten für eine Selbstvornahme nicht zur Verfügung.

3)

Anderweitige Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.

4)

Die Ausführungen der Klägerin im Schriftsatz vom 17.11.2020 rechtfertigen keine andere Entscheidung. Zu den darin erhobenen Einwendungen wurde bereits vorstehend ausgeführt. Soweit die Klägerin zu den Hintergründen für die Beauftragung der Nachträge erstmals ausführt, sind diese Ausführungen nach § 531 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, zumal auch im Verfahren erster Instanz zu keiner Zeit auch nur angedeutet wurde, dass es auf diese Gesichtspunkte überhaupt nicht ankommt und die Klägerin deshalb dazu ja auch bereits vor dem Landgericht ausgeführt hatte. Davon abgesehen sind die Ausführungen auch unerheblich, weil sie an der Nichteinhaltung der Einzelfristen bezüglich der bauvertraglich vereinbarten Gerüste und Dachrandsicherungen nichts ändern.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, § 711 S. 1, 2, § 709 S. 2 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil nach allen in der Literatur und Rechtsprechung vertretenen Auffassungen im vorliegenden Fall ein Kündigungsgrund vorliegt und darüber hinaus die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.


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