Donnerstag, 5. November 2020

(Verweigerte) Bauteilöffnung – Weisungsrecht nach § 404a ZPO, Ermessen und Beweislast

 

Die Klägerin machte Versicherungsleistungen gegen die beklagte Wohngebäudeversicherung nach einem Gebäudeschaden nach einem Hochwasserschaden geltend. Sie behauptete, durch Wassereintritt sei das Fundament zerstört worden. Die diesbezügliche Klage wurde nach Einholung eines Sachverständigengutachtens abgewiesen.  Ihre Berufung wurde ebenso wie die vom Berufungsgericht zugelassene Revision zurückgewiesen. Dabei verwies das Berufungsgericht darauf, dass sich bei einer Begehung des Hauses keine Anhaltspunkte für eine Beschädigung des Fundaments ergeben hätten und die Klägerin die von der Sachverständigen für erforderlich angesehene Bauteilöffnung abgelehnt habe.

Das Berufungsgericht hatte danach die Klägerin, nach Auffassung des BGH zu Recht, als beweisfällig angesehen. Es sei nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht davon abgesehen habe, die Sachverständige zur Vornahme der Bauteilöffnung anzuweisen.

Der Klägerin oblag für die anspruchsbegründenden Tatsachen und damit die behauptete Zerstörung des versicherten Gebäudes die Beweislast. Dieser Beweis sei nicht geführt worden. Aus dem erstinstanzlich eingeholten Gutachten habe sich für die Behauptung keine Anhaltspunkte gezeigt. Diese vom, Landgericht festgestellte Tatsache sei zutreffend vom Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt worden, da klägerseits keine begründeten Zweifel gegen die Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen durch das Langgericht geltend gemacht worden seien.

In diesem Zusammenhang sei das Landgericht ebenso wenig wie das Berufungsgericht  verpflichtet gewesen, im Rahmen eines nach § 404a Abs. 1  und Abs. 4 ZPO eingeräumten Ermessens dem Sachverständigen Weisungen zu erteilen, hier auf Vornahme der von der Klägerin nicht gewollten Bauteilöffnung zur weitergehenden Prüfung. § 404a stelle letztlich klar, dass der Gutachter Gehilfe des Gerichts ist und ihm vom Gericht vorgeschrieben werden könne, was rechtlich bedeutsam sei. Das Weisungsrecht umfasse inhaltliche Vorgaben, die der Sachverständige seiner Begutachtung zugrunde zu legen habe, wie auch zur Beantwortung der Beweisfragen erforderlichen Maßnahmen und Weisungen zu Art und Weise des bei der Untersuchung des Beweisgegenstandes gebotenen Vorgehens. Allerdings sei streitig, ob dazu auch die Weisung zu Bauteilöffnungen gehöre, was aber hier offen bleiben könne. Auch bei Bejahung sei dies aber nach den Umständen des Einzelfalls in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt. Die Ablehnung einer Weisung durch das Berufungsgericht sei vorliegend jedenfalls nicht ermessensfehlerhaft gewesen. Es habe erkannt, dass zwischen den Interessen der beweispflichtigen Partei und den mit der Durchführung des Gutachtenauftrages beauftragten Sachverständigen unter den Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit bezogen auf den konkreten Sachverhalt abgewogen werden müsse. Dabei dürfe das Gericht das durch eine Bauteilöffnung des Hausfundaments verbundenen besonderen Gefahren und daraus resultierenden Haftungsrisiken des Sachverständigen ausschlaggebendes Gewicht beimessen. Rechtsfehlerfrei sei dabei auch vom Berufungsgericht berücksichtigt worden, dass die Klägerin dadurch nicht in Beweisnot gerät, da sie die Bauteilöffnung für die Untersuchung durch den Sachverständigen auch selbst hätte vornehmen können.

Schließlich begegne aber die Anwendung der Beweislastregel hier auch deshalb keinen Bedenken, da die Klägerin nicht zu einer Öffnung des Fundaments bereit war. Dass aber die Beweisfrage auf anderen Weg auch geklärt hätte werden können, sei nicht ersichtlich.

BGH, Urteil vom 23.09.2020 - IV ZR 88/19 -

Sonntag, 1. November 2020

Haftungsverteilung bei Einfahren auf Vorfahrtsstraße und Spurwechsel des Vorfahrtsberechtigten

 

Die Voraussetzung für die Annahme einer Vorfahrtsverletzung sei nach Ansicht des OLG München, dass als gesichert feststünde, dass sich der Verkehrsunfall im unmittelbaren Kreuzungsbereich ereignet hat. Fahre ein vorfahrtsberechtigtes Fahrzeug (hier der Klägerin) außerhalb des Einmündungsbereichs auf ein aus der untergeordneten Straße eingebogenes anderes Fahrzeug auf, welches noch nicht die auf der vorfahrtsberechtigten Straße übliche Geschwindigkeit erreicht habe, könne aber aus dem typischen Geschehensablauf abgeleitet werden, dass der Unfall auf eine Vorfahrtverletzung des Einbiegenden beruhe (OLG München, Urteil vom 21.04.1989 - 10 U 3383/88 -).

Vorliegend war es allerdings zwischen den Beteiligten nicht zu einem Auffahren, sondern zu einem Seitenaufprall gekommen. Das Landgericht hatte hier angenommen, es läge noch eine Vorfahrverletzung vor, wenn der Vorfahrtsberechtigte auf der Vorfahrtsstraße bei mehreren Richtungsfahrspuren einen Spurwechsel vornehme, auch wenn sich das aus der untergeordneten Straße aufgefahrene Fahrzeug schon vollständig fahrbahnparallel eingeordnet habe und sich zudem der Vorfall in einem Bereich von 30m nach der Kreuzung befinde. Dem folgt das OLG nicht, welches hier auf den Einzelfall abstellen will. Es läge kein typischer Geschehensablauf vor, weshalb der Anscheinsbeweis hier nicht zugunsten der Klägerin (der auf der vorfahrtsberechtigten Straße fuhr) streite.

Der auf die vorfahrtsberechtigte Straße auf deren rechten Fahrstreifen Einbiegende  würde die Vorfahrt eines auf dem linken Fahrstreifen Herankommenden nicht ohne weiteres verletzen (BGH, Urteil vom 15.06.1982 - VI ZR 119/81 -). Der Wartepflichtige sei berechtigt, eine Lücke auszunutzen, wenn kein anderer Berechtigter rechtzeitig einen Fahrspurwechsel nach rechts anzeigen würde.  Es käme darauf an, ob der Wartepflichtige die Absicht des Fahrspurwechsels hätte erkennen können und müssen.

Da vorliegend diese Voraussetzungen alle ungeklärt seien,  da der Unfallort als solcher nicht feststehen würde, auch nicht wann und in welcher Entfernung die Klägerin begann herüberzuziehen bzw. der Beklagte begann einzufahren, ferner ob der Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt war, sei von einer Haftungsquote von 50 : 50 auszugehen.

OLG München, Urteil vom 22.07.2020 - 10 U 4010/19 -

Freitag, 30. Oktober 2020

Modernisierung vor Neuvermietung und Bestimmung der Miethöhe, §§ 556d, 556f S. 2 BGB

 

Die Beklagte wurde verurteilt, teilweise Miete an die Mieterin (geltend gemacht durch die Klägerin als Zessionarin) zurückzuzahlen, da die Miete insoweit über die zulässige Miete gem. § 556d BGB hinausgegangen sei. § 556d BGB lautet:

(1) Wird ein Mietvertrag über Wohnraum abgeschlossen, der in einem durch Rechtsverordnung nach Absatz 2 bestimmten Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt liegt, so darf die Miete zu Beginn des Mietverhältnisses die ortsübliche Vergleichsmiete (§ 558 Absatz 2) höchstens um 10 Prozent übersteigen.

(2) Die Landesregierungen werden ermächtigt, Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten durch Rechtsverordnung für die Dauer von jeweils höchstens fünf Jahren zu bestimmen. Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten liegen vor, wenn die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen in einer Gemeinde oder einem Teil der Gemeinde zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wen

1.die Mieten deutlich stärker steigen als im bundesweiten Durchschnitt,

2.die durchschnittliche Mietbelastung der Haushalte den bundesweiten Durchschnitt deutlich übersteigt,

3.die Wohnbevölkerung wächst, ohne dass durch Neubautätigkeit insoweit erforderlicher Wohnraum geschaffen wird, oder

4.geringer Leerstand bei großer Nachfrage besteht.

Eine Rechtsverordnung nach Satz 1 muss spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 2025 außer Kraft treten. Sie muss begründet werden. Aus der Begründung muss sich ergeben, auf Grund welcher Tatsachen ein Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt im Einzelfall vorliegt. Ferner muss sich aus der Begründung ergeben, welche Maßnahmen die Landesregierung in dem nach Satz 1 durch die Rechtsverordnung jeweils bestimmten Gebiet und Zeitraum ergreifen wird, um Abhilfe zu schaffen. 

Allerdings ist § 556d BGB nach § 556f S. 2 BGB nicht auf Wohnungen anwendbar ist, die erstmals nach umfassender Sanierung vermietet werden. Diese Voraussetzung dieser Ausnahmeregelung soll allerdings hier nicht vorgelegen haben.

Umfassend sei eine Modernisierung dann, wenn sie einen wesentlichen Bauaufwand erfordere und einen solchen Umfang aufweise, der eine Gleichstellung mit Neubauten gerechtfertigt erscheinen ließe. Für Neubauten sei nach § 556f S. 1 BGB nämlich ebenfalls § 556d BGB nicht anwendbar. „Umfassend“ beträfe nicht nur den Investitionsaufwand, sondern auch die qualitativen Auswirkungen auf die Wohnung als solche, weshalb auch zu berücksichtigen sei, ob die Wohnung in mehreren wesentlichen Bereichen (insbesondere Sanität, Heizung, Fenster, Fußboden, Elektroinstallation und energetische Eigenschaften) eine Verbesserung erfahren habe.

Vorliegend seien die Fußböden erneuert worden, Küche und Bad verlegt worden (inkl. Verlegung und Erneuerung der Anschlüsse und der Elektroinstallation), nicht aber Arbeiten in Bereichen Heizung, Fenster und energetische Maßnahmen (Dämmung) vorgenommen worden. Damit sei der Umfang der Arbeiten nicht einem Neubau gleichzustellen. Die Erhöhung der Miete über das in § 556d BGB vorgesehene Maß war damit unzulässig und begründete den Rückforderungsanspruch.  

BGH, Hinweisbeschluss vom 27.05.2020 - VIII ZR 73/19 -

Sonntag, 25. Oktober 2020

Kaskoversichert bei Schaden durch Überfahren einer Fahrbahnschwelle ?

 

Der Kläger überfuhr mit seinem bei der Beklagten kaskoversicherten Fahrzeug nach seinen Angaben eine Fahrbahnschwelle mit einer unterhalb der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit liegenden Geschwindigkeit regulär unterhalb der erlaubten Geschwindigkeit gefahrenen, die er infolge von Schnee und Dunkelheit nicht gesehen habe. Es entstand ein Totalschaden an seinem Fahrzeug. Seine Klage gegen den Kaskoversicherer wurde abgewiesen, da der Schadensfall keinen Versicherungsschutz begründe.

Versichert seien durch einen Unfall verursachte Schäden. Dafür sei eine Einwirkung von außen notwendig. Die mechanische Gewalt auf das Fahrzeug dürfe also nicht durch ein Teil des Fahrzeugs selbst verursacht sein. Vorliegend sei von einem Betriebsschaden und damit einem nicht versicherten Schadensfall auszugehen. Er entstünde durch eine normale Abnutzung, durch Material oder Bedienungsfehler an dem Fahrzeug oder Teilen davon.

Das Überfahren der Fahrbahnschwelle stelle sich als ein Betriebsschaden dar. Es habe sich ein Risiko ausgewirkt, dem das Fahrzeug üblicherweise im Rahmen seiner vorgesehenen konkreten Verwendung üblicherweise ausgesetzt sei. Ein Pkw, wie jener des Klägers sei bei dem gewöhnlichen Fahrbetrieb dem Risiko ausgesetzt, durch das Überfahren von absichtlich angebrachten Fahrbahnerhöhungen in Form von Fahrbahnschwellen einen Schaden zu erleiden. Diese Schäden würden nicht einem plötzlichen Ereignis von außen entspringen. Bei angepasster Geschwindigkeit würde es auch zu keinem Schaden kommen. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer würde daher bei einer Schädigung des Fahrzeugs infolge Überfahrens einer Fahrbahnschwelle dies nicht als Unfall, sondern als Betriebsschaden ansehen.

OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2020 - 7 U 57/20 -

Freitag, 23. Oktober 2020

Wettbewerbsverbot des Geschäftsführers auch nach Insolvenzeröffnung bei der GmbH ?

 

Das OLG musste die Frage klären, ob der Geschäftsführer einer GmbH noch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH dem gesetzlichen Wettbewerbsverbot unterliegt.

Grundsätzlich würde das sich analog § 88 Abs. 1 S. 1 AktG aus der Organstellung des Geschäftsführers der GmbH folgende Wettbewerbsverbot nicht mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft erlöschen, sondern erst mit der Beendigung seiner Organstellung.

Die Insolvenzeröffnung beendet die Organstellung noch nicht. Im Hinblick auf deren Fortbestand würde daher auch das Wettbewerbsverbot weiter gelten. Insbesondere sei die Annahme fehlerhaft, aus § 80 Abs. 1 InsO folge, dass nur der Insolvenzverwalter für die Gesellschaft tätig werden dürfe. Zwar mögen die Möglichkeiten des Geschäftsführers ab Insolvenzeröffnung (stark) eingeschränkt sein, sie würden aber nicht in Gänze entfallen. Im Übrigen betreffe auch § 80 Abs. 1 InsO nicht die Rechtsstellung des Geschäftsführers bzw. des Gesellschafstorgans, sondern diejenige der Gesellschaft. Das Innenverhältnis der Gesellschaft zu ihren Organen sie nicht Gegenstand des § 80 Abs. 1 InsO. Da sich die Norm an natürliche und juristische Personen oder (teil-) rechtsfähige Personenvereinigungen wende, könne es nur um das Außenverhältnis gehen. Von daher würden die organschaftlichen Pflichten des Geschäftsführers auch durch § 80 Abs. 1 InsO nicht berührt.

Weiterhin sie zu berücksichtigen, dass der Geschäftsführer über den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung hinaus auch im Anwendungsbereich des § 80 Abs. 1 InsO (auch am Insolvenzverwalter vorbei) Verträge abschließen könne.  Denn die Überleitung der Verfügungsmacht auf den Insolvenzverwalter bewirke nur, dass ein durch den Schuldner bzw. dessen Organ abgeschlossenes Geschäft keinen Anspruch des Dritten gegen die Masse begründen kann. Zudem sei zu berücksichtigen, dass es höchstpersönliche Rechtspositionen auch einer juristischen Person wie der GmbH gäbe, die nicht durch den Verwalter, sondern weiter in den Zuständigkeitsbereich des Organs fallen würden (BVerfG, Beschluss vom 22.03.2013 - 1 BvR 791/12 -).

OLG Rostock, Beschluss vom 02.06.2020 - 4 W 4/20 -

Sonntag, 18. Oktober 2020

Ablehnung aller Handelsrichter eines Gerichts wegen Besorgnis der Befangenheit

Es kommt sicher nicht häufig vor, dass alle Richter eines Gerichts abgelehnt wurden. Hier betraf es die Handelsrichter eines Landgerichts. Dieses hatte eine Kammer für Handelssachen (KfH), bei der die Klägerin Klage auf Zahlung von € 238.128,70 einreichte. Der Vorsitzende Richter der Kammer zeigte an, dass der Geschäftsführer der Klägerin Handelsrichter beim Landgericht sei. Die Beklagte lehnte den Vorsitzenden (erfolgreich) wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Mit einem weiteren  Antrag lehnte die Beklagte die (nicht namentlich benannten) der Kammer wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Der Stellevertretende Vorsitzende der Kammer wies darauf hin, dass das Landgericht beschlussunfähig sei, da sämtliche Handelsrichter der einzigen Kammer für Handelssachen abgelehnt worden seien und eine Entscheidung über den Befangenheitsantrag unter Beteiligung von Handelsrichtern erfolgen müsse (also vorliegend nicht eine andere Kammer für Handelssachen geschäftsplanmäßig die Entscheidung treffen kann). Im Hinblick darauf regte die Beklagte an, dass gegebenenfalls (also bei erfolgreicher Ablehnung) auch über das zuständige Gericht nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 ZPO entschieden werde.

Das OLG entscheid, dass es nach § 45 Abs. 3 ZPO zuständig sei. Zwar sei über einen Befangenheitsantrag durch das Gericht zu entscheiden, dem der abgelehnte Richter angehöre. Wenn allerdings wie hier bei Ablehnung aller Handelsrichter nur der Vorsitzende (vorliegend gem. Geschäftsverteilungsplan der Stellvertretende Vorsitzend er der Kammer) ohne Handelsrichter entscheiden müsse und nicht, wie erforderlich, durch den ganzen Spruchkörper entschieden werden kann, sei das nächsthöhere Gericht (hier das OLG) zur Entscheidung berufen. Ebenfalls sei in diesem Fall das OLG nach § 36 Abs. 2 ZPO zur Entscheidung berufen, die Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorzunehmen.

Das Ablehnungsgesuch sah das OLG als begründet an. Dem stünde nicht entgegen, dass die abgelehnten Richter nicht namentlich benannt worden seien. Nach § 44 Abs. 1 ZPO reiche deren zweifelsfreie Bestimmbarkeit aus, was dann der Fall sei, wenn wie hier  sämtliche Richter eines Spruchkörpers bei identischem Ablehnungsgrund abgelehnt würden (BVerwG, Beschluss vom 29.01.2014 – 7 C 13/13 -).

In der Sache hielt das OLG den Befangenheitsantrag gegen alle Handelsrichter der Kammer nach § 42 Abs. 1 und 2 ZPO für begründet. Es sei eine fehlende Unparteilichkeit der Handelsrichter aus Sicht des Ablehnenden bei vernünftiger Betrachtung und Würdigung aller Umstände berechtigter Zweifel an der Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters bestünde. Da es sich bei dem Geschäftsführer der Klägerin um einen der Kammer zugehörigen Handelsrichter handele, führe dies dazu, dass eine persönliche Beziehung bestünde, die bei einer besonnenen und vernünftigen Prozesspartei zu berechtigten Zweifel an der Unvoreingenommenheit auch der übrigen Handelsrichter führen könne. Die enge Zusammenarbeit von Richtern in einem Kollegialgericht führe regelmäßig zu einer persönlichen Beziehung zwischen ihnen, die die Unbefangenheit in Frage stelle, wenn einer von ihnen selbst Partei des Rechtstreites sei. Der abweichenden Auffassung des OLG Schleswig (Beschluss vom 01.12.1987 - 1 W 63/87 -) sei nicht zu folgen, da die richterliche Zusammenarbeit in einem gemeinsamen Spruchkörper eine offene und vertrauensvolle Zusammenarbeit erfordere  und auch über den jeweils aktuellen Rechtsstreit, der gemeinsam bearbeitet würde, hinaus zwangsläufig zu persönlichen Kontakten und Eindrücken führe, die sich auf die Einstellung zum prozessführenden Handelsrichter auswirken könnten.

Da damit alle Handelsrichter der einzigen KfH bei dem Landgericht an der weiteren Bearbeitung des Rechtsstreits gehindert seien, sei nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 ZPO das für die Fortsetzung des Verfahrens zuständige Gericht zu bestimmen. Das OLG bestimmte das LG Potsdam, da es örtlich am nächsten zu dem bisherigen Gericht liegt.

Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 26.03.2020 - 1 AR 57/19 -

Freitag, 16. Oktober 2020

Fehlende Berufungsanträge und Auslegung der Berufungsbegründung

Die Kläger machten Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte aus einem Vertragsverhältnis geltend. Nach Erlass eines Versäumnisurteils, gegen welches die Beklagte rechtzeitig Einspruch einlegte, stellten die Kläger den Antrag, das Versäumnisurteil teilweise aufzuheben hob das Landgericht dieses auf und gab der Klage und spezifizierten ihren Leistungsantrag neu. Unter Aufhebung des Versäumnisurteils gab das Landgericht der Leistungsklage nur teilweise statt. Die Kläger legten fristgerecht gegen das Endurteil des Landgerichts Berufung ein, mit der sie ausführten, dass der Berufungsantrag und die Berufungsbegründung einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten blieben. Mit Schriftsatz vom 07.10.2019 beantragten die Kläger eine Verlängerung der Berufungsbegründungsschrift. Gleichzeitig haben sie bereits Ausführungen zur Begründung der Berufung gemacht. Innerhalb der (verlängerten) Frist zur Berufungsbegründung trugen die Kläger weiter zu Sache vor. Einen Berufungsantrag stellten sie in keinem der Schriftsätze. Nach einem  Hinweisbeschluss das OLG verwarf das OLG die Berufung als unzulässig. Zur Begründung führte es aus, die Berufung sei gemäß § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO unzulässig, da die Berufungsbegründung nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO entspreche; beiden Schriftsätzen der Kläger sei nicht zu entnehmen, in welchem Umfang das erstinstanzliche Urteil angefochten würde und welche Abänderung des Urteils begehrt würde. Es würden Berufungsanträge fehlen und der Begründung ließe sich auch nicht (konkludent) entnehmen, in welchem Umfang das Urteil angefochten würde und welche Abänderung begehrt würde. In den Schriftsätzen hätten die Kläger ausgeführt, das Landgericht habe nur die Erstattung des Vertrauensschadens anerkannt und nicht den „Schadensersatzanspruch unter anderem in den Betriebsverlusten, die durch die Gründung und das Betreiben des Franchise-Outlets … entstanden seien“; die Teilabweisung habe es bezüglich der verschiedenen Positionen unterschiedlich begründet. Zur Teilabweisung sei ausgeführt worden, die Klageforderung sei in dem „weit überwiegenden Teil den Klägern nicht zugesprochen worden, weil angeblich der Schaden nicht konkret berechnet bzw. nicht substantiiert dargelegt worden war“. Wörtlich sei ausgeführt worden: „Diese Abweisung der Klage im Wesentlichen [sic] Umfang ist rechtsfehlerhaft, da zum Einen entgegen der Ansicht des Landgerichts der Schaden in korrekter Weise dargelegt wurde, und überdies das Landgericht nicht in eindeutiger Weise hat im Vorfeld erkennen lassen, wie es den Schadensersatz berechnet wissen möchte.“ Da, so das OLG, nicht erkennbar sei, welche Änderungen der Schadensberechnung die Kläger vorgenommen hätten, wenn das Landgericht weitere Hinweise zur Schadensberechnung vorgenommen hätten, würde sich das Sachbegehren der Kläger nicht erschließen. Es ließe sich nicht erkennen, dass sie ihre Ansprüche in vollem Umfang weiterverfolgt hätten. Es erschließe sich daher nicht, weshalb die Teilklageabweisung zu den Schadenspositionen unrichtig sein soll und in welchem Umfang das erstinstanzliche Begehren weiterverfolgt werden soll.

Hiergegen legten die Kläger Rechtsbeschwerde zum BGH ein, mit der sie die Aufhebung des Verwerfungsbeschlusses begehrten und die zuletzt beim Landgericht gestellten Anträge, soweit sie erfolglos geblieben sind, weiterverfolgten. Auf die Rechtsbeschwerde wurde der Verwerfungsbeschluss des OLG aufgehoben und die Sache an das OLG zurückverwiesen.

Das OLG habe mit seiner Annahme, die Berufungsbegründung genüge nicht den Erfordernissen des § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO den Klägern den Zugang zu einer der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert. Nach der benannten Norm muss die Berufungsbegründung die Erklärung enthalten, welche Abänderung des angefochtenen Urteils begehrt würde (Berufungsanträge). Dabei reiche es aber aus, wenn die Berufungsbegründung, ohne dass ein Antrag explizit gestellt wird, den Schluss auf die Weiterverfolgung des erstinstanzlichen Begehrens zulasse. Dabei sei im Grundsatz davon auszugehen, dass eine Berufung im Zweifel gegen die gesamte angefochtene Entscheidung gerichtet sei, soweit der Berufungsführer durch diese beschwert wurde.

Danach sei hier davon auszugehen, dass die Kläger das Urteil insgesamt, soweit zu ihrem Nachteilentschieden wurde, zur Überprüfung durch das OLG stellen wollten. Die benannten Passagen aus den Schriftsätzen der Kläger seien unter Berücksichtigung der dargestellten Grundsätze so zu verstehen, dass die das Urteil insgesamt, soweit die Klage abgewiesen wurde, anfechten wollten. Auch wenn die Begründung des Landgerichts in den Schriftsätzen nur unvollständig wiedergegeben worden sei, stehe dies dem nicht entgegen. Es dürften die Anforderungen bezüglich der Berufungsanträge nach § 520 Abs. 3 S. s Nr. 1 ZPO nicht mit den inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsbegründung nach § 520 Abs. 3 Abs. 2 Nr. 2 ZPO verknüpft werden. Ob die Berufungsbegründung den erforderlichen Anforderungen an eine solche entsprechen würde, würde nicht zur Entscheidung stehen.

Der Verwerfungsbeschluss könne daher keinen Bestand haben. Die Sache sei nicht zur Entscheidung reif, da es nach einer gebotenen Anhörung der Parteien noch einer weiteren Prüfung der Zulässigkeit und gegebenenfalls der Begründetheit der Berufung bedürfe.

BGH, Beschluss vom 12.08.2020 - VII ZB 5/20 -