Donnerstag, 9. April 2020

Zeugenentschädigung: Verminderter Anspruch bei Anreise von einem weiter entfernten Ort als dem Ladungsort


Die Zeugenentschädigungen in Deutschland sind ohnehin nicht „üppig“ und decken häufig nicht einmal den tatsächlichen Aufwand (wie Verdienstausfall und auch Fahrtkosten). Umso ärgerlicher ist es dann, wenn der Zeuge nicht einmal die Fahrtkosten für die tatsächlich zurückgelegte Strecke erhält. Der Fall zeigt auf, dass auch ein Zeuge unter Umständen gegenüber dem Gericht tätig werden muss, will er die gesetzliche Aufwandsentschädigung vollständig erhalten.

Sachverhalt: Der Zeuge wurde vom Amtsgericht (AG) unter seiner Wohnanschrift in R. zu einem Verhandlungstermin am 23.11.2017 geladen. Der Zeuge erschien auch und wurde vernommen. Allerdings lehnte die Kostenbeamtin seinen Antrag auf Erstattung von Fahrtkosten für eine Strecke von (hin und zurück) 800km (à € 0,25/km), wohl von seinem Beschäftigungsort, sowie einen Verdienstausfall für 11,5 Stunden (à € 25,86/Stunde) ab und gewährte nur eine Entschädigung für 100km( hin und zurück) à € 0,25/km und 10 Stunden Verdienstausfall à € 21,00/Stunde. Eine vom Zeuge begehrte „Auslöse“ von € 24,00 wurde auch abgelehnt.

Zur Entscheidung des AG:

a) Verdienstausfall
Nach § 22 JVEG wird der Verdienstausfall nach dem regelmäßigen Bruttoverdienst einschl. der vom Arbeitgeber zu tragenden Sozialversicherungsbeiträge berechnet. Das AG wies darauf hin, dass § 22 JVEG eine Höchstgrenze von € 22,00/Stunde vorsehe und nach § 19 Abs. 2 JVEG auch nur höchstens 10 Stunden/Tag erstattet werden. Dies gelte auch dann, wenn dem Zeugen für einen längeren Zeitraum ein höherer Verdienstausfall entstanden sei. Von daher wären maximal € 210,00 und nicht, wie begehrt, 11,5 Stunden à € 25,86 (insges. € 297,29) und € 24,00 zu erstatten.

b) Fahrtkosten
Nach Auffassung des Amtsgerichts, die im Übrigen von der herrschenden Rechtsprechung geteilt wird, muss der Zeuge dem Gericht unverzüglich mitteilen, wenn er von einem anderen (weiter entfernt liegenden) Ort seine Reise als dem Ladungsort (hier seine Wohnanschrift) zum Gerichtstermin antreten werde. Nur wenn in diesem Fall das Gericht seine Ladung aufrecht erhalte, habe der Zeuge einen Anspruch auf Erstattung der Fahrtkosten von dem von ihm angezeigten Ort zum Gerichts- bzw. Terminsort. Dies würde auch dann gelten, wenn er zwar nicht unmittelbar nach der Ladung die Mitteilung mache, wenn er jedenfalls die Mitteilung noch so rechtzeitig vor dem Termin mache, dass das Gericht darüber befinden könne, ob diese Fahrt „durch  besondere Umstände genötigt“ (§ 5 Abs. 1 JVEG) sei.

Der Zeuge habe keine Mitteilung, insbesondere zu dem Grund der Anreise von einem anderen Ort, an das Gericht gemacht, weshalb eine Prüfung nach § 5 Abs. 1 JVEG nicht möglich gewesen sei. Daher trage er das Risiko, dass das Gericht bei einer Entschädigung solche Umstände nicht anerkennt und er von daher die Kosten selbst tragen müsse.

c) Ermessensentscheidung
Es handele sich um eine Entscheidung, die im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts stünde. Zur Ausübung desselben wies das AG darauf hin, dass die Mehrkosten erstattet werden könnten, wenn das Gericht den Zeugen als unverzichtbar angesehen würde, und ihn  meint nicht im Wege der Rechtshilfe bei dem hier für den Arbeitsort zuständigen Amtsgericht im Wege der Rechtshilfe vernehmen lassen will. Vorliegend sei eine solche Vernehmung im Wege der Rechtshilfe möglich gewesen.

d) Rechtsfolge
Die unterlassene Mitteilung des Zeugen, dass er von einem weiter entfernt liegenden anderen Ort als den Ladungsort anreise, führe dazu, dass er leidglich die Fahrtkosten erstattet verlangen könne, die bei einer Fahrt vom Ladungsort entstanden wären (OLG Brandenburg, Beschluss vom 05.06.2009 - 6 W 68/09 -).

Das AG wies darauf hin, dass die unterlassene Mitteilung auch Konsequenzen für die Entschädigung des Verdienstausfalls haben könnte (OLG Brandenburg aaO.).

AG Brandenburg, Beschluss vom 30.04.2019 - 31 C 88/16 -

Aus den Gründen:

Tenor

1. Die Entschädigung des Zeugen H… F… wird auf insgesamt 235,00 Euro festgesetzt.
2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.
Der Zeuge H… F… – wohnhaft: … Straße 3 in 147.. R… – war vom hiesigen Amtsgericht zum Verhandlungstermin vom 23.11.2017 unter seiner Wohnanschrift geladen worden. Er erschien dann auch zu diesem Termin und wurde als Zeuge vernommen.
Durch die zuständige Kostenbeamtin wurde dann am 22.03.2018 dem Zeugen H… F… ein Kostenersatz für eine Fahrstrecke von 100 km Hin- und Rückfahrt á 0,25 Euro (25,00 €) sowie ein Verdienstausfall für 10 Stunden á 21,00 Euro (210,00 €) gewährt, mithin ein Gesamtbetrag von 235,00 Euro.
Der Zeuge H… F… macht insofern hier jedoch mit Schreiben vom 29.03.2018 Kosten für eine Fahrstrecke von 840 km Hin- und Rückfahrt á 0,25 Euro (210,00 €) sowie einen Verdienstausfall für 11,5 Stunden á 25,86 Euro (297,39 €) und zusätzlich eine „Auslöse“ von 24,00 Euro geltend, mithin insgesamt also 531,39 Euro, so dass der Zeuge H… F… mit diesem Schreiben vom 29.03.2018 die Festsetzung seiner Zeugenentschädigung gemäß § 4 JVEG beantragt hat.
Der Bezirksrevisor des Landgerichts Potsdam hat in seiner Stellungnahme vom 14.03.2019 (Az.: 567 E 1/6/18) beantragt, die dem Zeugen H… F… gemäß § 4 JVEG zustehende Entschädigung auf 235,00 Euro festzusetzen.
II.
Gemäß § 22 JVEG erhalten Zeugen, denen ein Verdienstausfall entsteht, eine Entschädigung, die sich nach dem regelmäßigen Bruttoverdienst einschließlich der vom Arbeitgeber zu tragenden Sozialversicherungsbeiträge richtet, welche aber für jede Stunde höchstens 21,00 Euro - und nicht 25,86 Euro - beträgt. Der Verdienstausfall kann gemäß § 19 Abs. 2 JVEG auch nur für höchstens 10 Stunden je Tag erstattet werden. Dies das gilt auch dann, wenn dem Zeugen für einen längeren Zeitraum höherer Verdienstausfall entstanden ist, so dass auch hier nur ein Verdienstausfall für 10 Stunden á 21,00 Euro, mithin in Höhe von insgesamt 210,00 Euro zu gewähren ist und nicht in Höhe der vom Zeugen begehrten 321,39 Euro (297,39 € + 24,00 €).
Nur wenn im Übrigen ein Zeuge dem Gericht unverzüglich anzeigt, er werde die Reise von einem anderen als seinem Wohnort aus antreten und das Gericht nach dieser Anzeige die Anordnung dann noch aufrecht erhält, hat der Zeuge überhaupt einen Anspruch auf Erstattung von Fahrtkosten nach Maßgabe der Fahrt von dem angezeigten Ort zum Termins-/Gerichts-Ort. Dies gilt zwar auch, soweit die Mitteilung erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt (Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 19. Mai 2000, Az.: L 1 B 80/99 AL-KO), jedoch muss diese Mitteilung durch den Zeugen zumindest noch vor dem Gerichtstermin erfolgen, damit das Gericht noch darüber befinden kann, ob diese längere „Fahrt durch besondere Umstände genötigt“ (§ 5 Abs. 5 JVEG) ist.
Dies ist hier jedoch nicht durch den Zeugen H… F… erfolgt. Insbesondere wurden dem Gericht keine besonderen Umstände (hier wohl der damals aktuelle Beschäftigungsort F…) vom Zeugen vor dem Gerichtstermin mitgeteilt.
Teilt ein Zeuge die besonderen Umstände, die die Anreise verteuern, dem Gericht somit nicht vor dem Termin mit, trägt er auch das Risiko, dass das Gericht später bei der Entschädigung solche Umstände nicht anerkennt und er die Kosten selbst trägt (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.12.2011, Az.: L 2 SF 319/11 B, u.a. in: RVGreport 2012, Seiten 479 ff.).
Die Entscheidung hierüber steht nämlich im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.10.2014, Az.: OVG 3 K 37/14, u.a. in: NVwZ-RR 2015, Seite 120; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.12.2011, Az.: L 2 SF 319/11 B, u.a. in: RVGreport 2012, Seiten 479 ff.; OLG Brandenburg, Beschluss vom 05.06.2009, Az.: 6 W 68/09, u.a. in: JurBüro 2010, Seite 314; OLG Dresden, Beschluss vom 03.09.1997, Az.: 10 W 918/97).
Die hier unterlassene Mitteilung des Zeugen H… F…, dass er nicht von dem Ort anreist, unter dem ihm die Ladung zugestellt worden ist, führt dann aber auch dazu, dass ihm nur die Kosten erstattet werden können, die entstanden wären, wenn er von dem Ladungsort (d.h. seiner Wohnanschrift) angereist wäre (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.10.2014, Az.: OVG 3 K 37/14, u.a. in: NVwZ-RR 2015, Seite 120; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.12.2011, Az.: L 2 SF 319/11 B, u.a. in: RVGreport 2012, Seiten 479 ff.; OLG Brandenburg, Beschluss vom 05.06.2009, Az.: 6 W 68/09, u.a. in: JurBüro 2010, Seite 314; OLG Dresden, Beschluss vom 03.09.1997, Az.: 10 W 918/97).
Die unterlassene Mitteilung hätte zudem ggf. sogar Konsequenzen nicht nur für die zu entschädigenden Fahrtkosten, sondern auch für die Entschädigung des Verdienstausfalls (OLG Brandenburg, Beschluss vom 05.06.2009, Az.: 6 W 68/09, u.a. in: JurBüro 2010, Seite 314).
Zwar können die Mehrkosten nach billigem Ermessen ersetzt werden, wenn das entscheidende Gericht sein Ermessen zugunsten des Zeugen ausgeübt hat, d.h., wenn das Gericht einen an seinem Wohnort geladenen Zeugen als unverzichtbar ansieht und ihn auch nicht im Wege der Rechtshilfe bei dem für den Arbeitsort zuständigen Amtsgericht vernehmen lassen will. Jedoch wäre hier wohl auch eine Vernehmung des Zeugen H… F… im Wege der Rechtshilfe möglich gewesen, so dass dann auch geringere Fahrtkosten und ggf. sogar ein geringerer Verdienstausfall entstanden wären.
Insofern hat der Zeuge H… F… hier auch keinen Anspruch auf die Fahrtkosten, die ihm infolge der längeren Anreise von dem Ort entstanden sind, an dem er sich aus beruflichen Gründen ggf. tatsächlich aufhielt.
Zudem hat der Zeuge Fischer vorliegend auch nicht durch eine Bestätigung seines Arbeitgebers nachgewiesen, dass er tatsächlich schon am 22.11.2017 in F… war und dann auch wieder am 24.11.2017 in F… arbeiten gehen musste. Wenn der Zeuge also ggf. nur am 23.11.2017 den Arbeitsort in F… hatte und nur diesen einen Tag dort sein sollte und den Tag davor und den Tag danach evtl. an einem anderen Arbeitsort verbringen sollte, wäre auch aus diesem Grunde diese Wegstrecke hier nicht nachvollziehbar.
Dem Zeugen H… F… steht daher hier nur ein Anspruch auf Erstattung der Fahrtkosten nach Maßgabe der Fahrt von seinem Wohn-/Ladungs-Ort in 147.. R… zum Termins-/Gerichts-Ort in 147.. Brandenburg an der Havel zu, mithin für eine Fahrstrecke von jeweils 50 km Hin- und Rückfahrt á 0,25 Euro. Daraus ergeben sich dann hier somit erstattungsfähige Fahrtkosten in Höhe von insgesamt 25,00 Euro (100 km x 0,25 €/km) und nicht in Höhe von 210,00 Euro.
Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

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