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Montag, 27. Juni 2022

Haftungsverteilung bei Kollision bei beidseitiger Fahrbahnverengung (Zeichen 120)

Die (innerörtliche) Straße verlief zunächst zweispurig in eine Fahrtrichtung. Rechts fuhr die Klägerin, links mit einem Lkw der Beklagte. Nach einer Ampelanlage erfolgte noch fünf Markierungen zwischen den Fahrstreifen, dann befand sich das Zeichen 120 (beidseitige Fahrbahnverengung) auf der Fahrbahn. Der Beklagte zog mit dem Lkw nach rechts und kollidierte mit dem Pkw der Klägerin. Der Haftpflichtversicherter des Beklagten hatte vorgerichtlich den Schaden am Fahrzeug der Klägerin mit 50% reguliert. Die Klage und Berufung der Klägerin blieben erfolglos. Das Landgericht hatte im Berufungsurteil die Revision zum BGH zugelassen. Diese wurde von der Klägerin eingelegt, aber vom BGH als unbegründet zurückgewiesen.

Dass der Anstoß durch den Lkw beim ziehen nach rechts erfolgte und dieser das Fahrzeug der Klägerin nicht sah, wurden beklagtenseits eingeräumt. Allerdings ging das Berufungsgericht nicht von einer Unabwendbarkeit des Unfalls für die Klägerin nach § 17 Abs. 3 StVG aus mit der vom BGH als berechtigt angesehen Begründung, ein Idealfahrer wäre gar nicht erst in diese Situation gekommen. 


Auch die Haftungsteilung zu je ½ wurde vom BGH als rechtfehlerfrei bewertet. Die Abwägung der Haftungsverteilung nach § 17 StVG sei ebenso wie im Rahmen des § 254 BGB aufgrund aller festgestellten kausalen Umstände (ob unabhängig davon, ob zugestanden, unstreitig oder nach dem Vollbeweis gem. § 287 ZPO festgestellt) vorzunehmen. In erster Linie sei das Maß der Verursachung zu berücksichtigen; ein weiterer Faktor sei das beiderseitige Verschulden. Dies sei vom Berufungsgericht berücksichtigt worden.

Zutreffend habe das Berufungsgericht das Gefahrenzeichen 120 gewürdigt. Bei einer (damit angezeigten) Fahrbahnverengung gelte alleine das Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme, § 1 StVO. Es ergäbe sich auch bei einem Gleichlauf der Fahrzeuge auf beiden Fahrspuren kein Vortrittsrecht des auf der rechten Fahrspur Fahrenden. Das Zeichen 120 nach Anlage 1 zu § 40 Abs. 6 und 7 StVO („Verengte Fahrbahn“) signalisiere eine Verengung der Fahrbahn. Anders als bei Zeichen 121 („einseitig verengte Fahrbahn“) gäbe es also nicht einen weiterführenden und einen endenden Fahrstreifen, vielmehr würden beide Fahrspuren gleichzeitig in einen neuen Fahrstreifen übergeleitet. Daher stelle sich das Durchfahren der Engstelle nicht als ein Fahrstreifenwechsel nach § 7 Abs. 5 StVO dar und das in § 7 Abs. 4 StVO normierte Reißverschlussverfahren sei nicht unmittelbar (wie bei § 7 Abs. 5 StVO) anwendbar. Die Verengung und die durch das Zeichen 120 signalisierte Gefahr führe zu einer erhöhten Sorgfalts- und Rücksichtnahmepflicht für die Kraftfahrer auf beiden Fahrstreifen, die auf die Engstelle zufahren würden, §§ 1, 3 StVO. Das gelte auch dann, wenn beide Kraftfahrer gleichauf und mit gleicher Geschwindigkeit an die Engstelle gelangen würden und begründe auch in diesem Fall kein Vorrangrecht des rechts fahrenden Fahrzeugführers.

Das Zeichen 120 enthalte keine Vorrangregelung. Ein solches ergäbe sich auch nicht für das rechts fahrende Fahrzeug aus der Gesamtschau der insoweit relevanten Vorschriften der StVO. Zutreffend sei zwar, dass grundsätzlich von zwei Fahrstreifen die rechte zu nutzen sei (§ 2 Abs. 1 S. 1 StVO) und zudem möglichst weit rechts zu fahren sei (§ 2 Abs. 2 StVO). Unter den Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 (bei Rechtfertigung des Abweichens auf Grund der Verkehrsdichte) und 3 StVO (innerhalb geschlossener Ortschaften) sei dieses aber aufgehoben, weshalb sich der auf dem linken Fahrstreifen der Engstelle nähernde Kraftfahrer grundsätzlich verkehrsgerecht verhalte. Mit der Situation einer Kreuzung oder Einmündung (rechts hat Vorrang § 8 Abs. 1 S. 1 StVO) sei die Situation der Engstelle nicht vergleichbar.

Zudem stünde dem Vorrang des rechts Fahrenden in systematischer Hinsicht der Vergleich mit der Konstellation des Zeichens 121 (Anlage 1 zu § 7 Abs. 6 und 7 StVO) entgegen. Dort müsse der auf dem endenden Fahrstreifen Fahrende einen Fahrstreifenwechsel vornehmen, § 7 Abs. 4 StVO, während der auf dem durchgehenden Fahrstreifen Fahrende keinen Fahrstreifenwechsel vornehme und Vorrang habe. Da dieser Vorrang je nachdem für Kraftfahrer rechts oder links gelte, deren Fahrstreifen durchgehend sei, sei es folgerichtig, bei Beendigung beider Fahrstreifen durch die Engstelle keinem ein Vorrangrecht einzuräumen.

Der Beklagte habe die Fahrbahnverengung nicht aufmerksam genug befahren und deshalb das klägerische Fahrzeug nicht gesehen. Die Klägerin sei zu Unrecht von einem eigenen Vorrang ausgegangen und habe sorgfaltswidrig darauf vertraut, das links fahrende Beklagtenfahrzeug würde sich hinter ihr einordnen.

BGH, Urteil vom 08.03.2022 - VI ZR 47/21 -