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Freitag, 19. Juni 2020

Lebendorganspende: Eine fehlerhafte Aufklärung schließt den Einwand eines rechtmäßigen Alternativverhaltens aus


Die Klägerin wollte eine Leber für ihre Mutter spenden. Das beklagte Universitätsklinikum erklärte sich (nachdem  zwei andere Kliniken vorher abgesagt hatten) zur Durchführung der Transplantation bereit. Während der Operation zur Entnahme stellten die Ärzte fest, dass die Leber der Klägerin  „fleckig und blau-livid“ sei und brachen daraufhin die Organentnahme ab. Postoperativ bildete sich bei der Klägerin eine Narbenhernie, die mehrere Folgeeingriffe zur Folge hatten. Von der Klägerin wird ihr Schadensersatzanspruch mit einer fehlerhaften Aufklärung durch die Ärzte der Beklagten begründet.

Klage und Berufung blieben ohne Erfolg. Der BGH hat unter Aufhebung des Urteils den Rechtsstreit an das OLG zurückverwiesen.

Das OLG vertrat die Auffassung, dass die Beklagte den Beweis für eine ausreichende Aufklärung nicht geführt habe. Allerdings sei gleichwohl von einer hypothetischen Einwilligung auszugehen. Die Klägerin sei gewillt gewesen, ihrer Mutter zu helfen und habe unbedingt spenden wollen. Wovon sie sich auch durch Widerstände nicht habe abbringen lassen. Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin auch bei vollständiger Aufklärung in den Eingriff eingewilligt hätte.

Dem folgt der BGH nicht. Es sei von den tatrichterlichen Feststellungen auszugehen, dass die Klägerin weder über psychisch postoperative Komplikationen noch in verständlicher Form über das Risiko der bei ihr jetzt eingetretenen Narbenbrüche und die Gefahr dauerhafter Schmerzen aufgeklärt  worden sei. Der Aufklärungsmangel führe zur Unwirksamkeit der Einwilligung und damit zur Rechtswidrigkeit des Eingriffs. Die vom OLG angewandten Grundsätze des rechtmäßigen Alternativverhaltens würden hier die Haftung nicht entfallen lassen. Der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens (d.h., dass die Klägerin auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die Organentnahme eingewilligt haben würde) sei der Beklagten verwehrt. Dieses Rechtsinstitut widerspräche vorliegend dem Schutzzweck der erhöhten Aufklärungsanforderungen bei Lebendspenden (§ 8 Abs. 2 S. 1 und 2 TPG) (BGH, Urteile vom 29.01.2010 zu VI ZR 495/16 und VI ZR 318/17). In den in Bezug genommenen Entscheidungen hatte der BGH darauf verwiesen, dass der Gesetzgeber mit § 8 Abs. 2 S. 1 und 2 TPG eine dem heutigen § 630h Abs. 2 S. 2 BGB entsprechende Regelung über die grundsätzliche Beachtlichkeit des Einwands der hypothetischen Einwilligung nicht getroffen habe.

Der BGH wies noch ergänzend darauf hin, dass sich das OLG auch mit dem vorbringend er beklagten im Revisionsverfahren zur Frage der Aufklärung auseinandersetzen müsse. Es habe zu berücksichtigen, dass es sich bei der Berufungsinstanz auch nach dem Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes (zum 01.01.2002) um eine zweite, wenn auch eingeschränkte, Tatsacheninstanz handeln würde, deren Aufgabe in der Gewinnung einer „fehlerfreien und überzeugenden“ und damit „richtigen“ Entscheidung des Einzelfalles bestünde (BGH, Beschluss vom 22.12.2015 - VI ZR 67/15 -; BGH, Beschluss vom 14.02.2017 - VI ZR 434/15 -). Diesen Hinweis hielt der BGH offenbar als geboten, da dies häufig von Berufungsgerichten verkannt wird.

BGH, Urteil vom 11.02.2020 - VI ZR 415/18 -