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Freitag, 9. April 2021

Verweigerung zum Erwerb von Arzneimitteln zur Selbsttötung und Verfassungsbeschwerde

Die Beschwerdeführer (in den Jahren 1937 und 1944 geborene Eheleute) begehrten vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Erlaubnis nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG zum Erwerb einer tödlichen Dosis Natriumpentobarbital zum Zwecke der Selbsttötung. Dies wurde abgelehnt; die Klage gegen den ablehnenden Bescheid wurde in allen Instanzen abgelehnt, vom Bundesverwaltungsgericht mit Hinweis  darauf, dass keine extreme Notlage in Gestalt einer medizinischen Indikation bestünde. Im Rahmen ihrer Verfassungsbeschwerde machten die Beschwerdeführer u.a. geltend, sie könnten nicht nach § 13 BtMG darauf verwiesen werden, sich das Medikament ärztlich verschreiben zu lassen, da z.B. das ärztliche Standesrecht in Hessen eine solche Verschreibung nicht gestatte und Suizidbeihilfen auch nach Wegfall der Strafdrohung des § 217 StGB faktisch nicht bestünden. Es bliebe damit nur die versagte Möglichkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG. 

Das BverfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Zwar anerkennt es ausdrücklich das Recht, seinem Leben ein selbstbestimmtes Ende zu setzen. Anders als die Beschwerdeführer vertrat das BVerfG  allerdings die Auffassung, mit der Entscheidung des 2. Senats des BVerfG vom 26.02.2020 - 2 BvR 2347/15 – sei dem Anspruch entsprochen worden. Die Beschwerdeführer seien in Ansehung der durch das benannte Urteil veränderten Situation verpflichtet aktiv nach suizidhilfebereiten Personen im Inland, durch Bemühungen um eine ärztliche Verschreibung des gewünschten Wirkstoffs oder auf anderem geeigneten Weg zu verfolgen.

Das BVerfG verwies die Beschwerdeführer auf den Rechtsweg. Es gelte der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, weshalb hier in Ansehung der Entscheidung des BVerwG in dem Rechtsstreit der Beschwerdeführer auf der Grundlage der Entscheidung des BVerfG vom 26.02.2020 nach § 80 Abs. 7 VwGO und entsprechende Bemühungen gegenüber den zuständigen Behörden möglich seien. Es läge nach der Nichtigerklärung des § 217 StGB nicht mehr auf der Hand, dass eine aktive (auch auf andere Bundesländer als Hessen ausdehnende) Suche nach Suizidbeihelfern und verschreibungswilligen- und -berechtigten Personen aussichtslos wäre. Dies schon vor dem Hintergrund des Umstandes, dass die Aufhebung der Strafnorm auch von Ärzten betrieben worden sei. Es sei deshalb nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeführer ihre Möglichkeiten ausgeschöpft hätten.

Im Weiteren machte das BVerfG geltend, dass durch die benannte Entscheidung vom 26.02.2020 die Situation verbessert worden sei und nunmehr nur durch neuerliche Anstrengungen zur Realisierung des Suizidwunsches ermessen ließe, welche konkreten Gestaltungsmöglichkeiten und tatsächlichen Räume die neue Rechtslage eröffne. Nur so ließe sich klären, ob diese ausreichend praktische und zumutbare Möglichkeiten biete, einen Suizidwunsch zu realisieren, und zwar bei angepassten Konzepten eines medizinischen und pharmakologischen Missbrauchsschutz. Der Subsidiaritätsgrundsatz des § 90 Abs. 2 BVerfGG soll davor schützen, dass das BVerfG auf unsicherer Grundlage zu den tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten entscheide. Der Zweite Senat habe bei seiner Entscheidung auch den politischen gestaltungsspielraum eines übergreifenden legislativen Schutzkonzepts anerkannt, der bei einer Entscheidung in der Sache faktisch vorweggenommen würde.

 BVerfG (2. Kammer des 1. Senats), Beschluss vom 10.12.2020 - 1 BvR 1837/19 -

Donnerstag, 20. Juli 2017

Zwangsversteigerung und Suizidgefahr

Die Suizidgefahr hindert häufig eine Vollstreckung einer Wohnung, sei es im Rahmen der Räumungsvollstreckung aus einem in einem Mietrechtsverfahren erwirkten Titel, sei es im Rahmen eines Zwangsversteigerungsverfahrens. Vorliegend musste sich der BGH mit der Frage auseinandersetzen, ob ein Zuschlagsbeschluss in einem Zwangsversteigerungsverfahren bei psychischer Erkrankung des Schuldners, bei der ernsthaft mit seinem Suizid gerechnet werden muss, ergehen darf.

Im Laufe des Verfahrens hatte der Schuldner mehrfach erfolgreich einen Zuschlag auf Grund seines gesundheitlichen Zustandes verhindert. Teilweise hatte er auch eine (nicht erfolgreiche) Therapie wahrgenommen. Schließlich versagte das Amtsgericht neuerlich einen Zuschlag in Ansehung der Suizidgefahr bei dem Schuldner, setzte das Verfahren zeitlich befristet aus und gab dem Schuldner die Auflage zur Aufnahme einer psychotherapeutischen Maßnahme mit dem Hinweis, bei Nichtbefolgung keinen weiteren Vollstreckungsschutz zu gewähren. Vor einem auf dem 30.06.2016 bestimmten erneuten Zwangsversteigerungstermin stellte der Schuldner erneut einen Vollstreckungsschutzantrag mit der Begründung, er sei zu einer Therapie nicht in der Lage gewesen und außerdem sei seine Skepsis an einem Behandlungserfolg geblieben. Am 14.07.2016 wies das Amtsgericht den Vollstreckungsschutzantrag zurück und erteilte dem Ersteher den Zuschlag. Das Beschwerdegericht hat nach Einholung gutachterlicher Stellungnahmen der Amtsärztin die Suizidgefahr für begründet angesehen und die Auffassung vertreten, dass keinerlei Aussicht darauf bestehe, dass der Schuldner eine längerfristige Psychotherapie aufnehme und keine Aussicht darauf bestehe, dass sich der Zustand des Schuldners in den nächsten Jahren verändern würde. Auch eine Unterbringung käme nicht in Betracht, da diese nicht dauerhaft helfen würde. Damit käme allenfalls eine dauerhafte Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens ohne Auflagen in Betracht, was aber einem Eingriff in das Eigentumsrecht des Gläubigers gleichkäme. Von daher wies es die Beschwerde des Schuldners zurück.

Auf die Rechtsbeschwerde hob der BGH die Entscheidung des Beschwerdegerichts auf und verwies zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurück.

Zutreffend sei, so der BGH, dass die Interessen des Schuldners an Lebensschutz mit jenen des Gläubigers nach Art. 14 und 19 Abs. 4 GG abzuwägen sind.

Kann der Suizidgefahr nach polizeirechtlichen Vorschriften oder durch Unterbringung nach einschlägigen Landesgesetzen oder betreuungsrechtliche Unterbringung (§ 1906 BGB) abgewendet werden, scheidet eine Aussetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens aus. Das Vollstreckungsgericht sei daher gehalten, die einschlägigen Stellen zu beteiligen, wenn entsprechende Maßnahmen als Alternative zur einstweiligen Einstellung in Betracht kämen.

Würde allerdings fest stehen oder ist aller Voraussicht nach davon auszugehen, dass dies zu einer dauerhaften Verwahrung führt, würde dies Verfahren ausscheiden und sei (gegebenenfalls wiederholt) auf Zeit das Verfahren einzustellen. Dies würde auch dann gelten, wenn der Gefahr der Selbsttötung nur durch eine jahrelange Unterbringung ohne therapeutischen Nutzen begegnet werden könnte.  Anders würde es sich nur verhalten, wenn innerhalb eines überschaubaren Zeitraums die Freiheitsentziehung eine Chance zur Stabilisierung durch therapeutische Maßnahmen biete.

Diese Vorgaben habe das Beschwerdegericht nicht beachtet. Der Umstand, dass psychotherapeutische Behandlungen durch den Schuldner abgebrochen bzw. gar nicht erst aufgenommen würden, ließe nicht den Schluss zu, dass eine Unterbringung auch nicht erfolgversprechend ist. Gerade die Feststellung des Beschwerdegerichts zur Antriebslosigkeit des Schuldners schließe einen Erfolg einer Unterbringung nicht aus. Das Beschwerdegericht hätte die Amtsärztin bzw. einen psychiatrischen Sachverständigen befragen müssen.

Auch die Ausführung des Beschwerdegerichts, eine Unterbringung käme vorliegend nicht in Betracht, könne die Entscheidung nicht stützen. § 11 Abs. 1 PsychKG NRW erlaube eine Unterbringung, wenn und solange eine krankheitsbedingte Selbstgefährdung bestehe und nicht anders abgewendet werden kann. Damit hätte das Beschwerdegericht die für den Antrag auf Unterbringung zuständige örtliche Ordnungsbehörde nach § 12 PsychKG NRW einschalten müssen.

Im Übrigen käme auch eine Unterbringung nach dem Betreuungsrecht (§ 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB) in Betracht, wenn zwar keine akute, unmittelbare Gefahr für den Betreuten bestünde, aber eine ernstliche und konkrete Gefahr für dessen Leib und Leben (ohne dass die Anforderungen hier überspannt werden dürften). Zwar dürfe gegen den freien Willen eines Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden (§ 1896 Abs. 1a BGB), doch habe das Beschwerdegericht keine Feststellungen dazu getroffen, ob sich der Schuldner einer solchen Betreuung widersetzen würde.

Das Beschwerdegericht müsste also zum einen das Betreuungsgericht einschalten, gegebenenfalls gleichzeitig die nach § 12 PsychKG NRW zuständige örtliche Stelle.

Auch wenn das Beschwerdegericht abschließend zu dem Ergebnis gelangt, dass eine zeitweise Unterbringung des Schuldners vor dem Zuschlagsbeschluss keine Aussicht auf Erfolg hat oder aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist, so könne es nicht eine befristete Einstellung mit den genannten Erwägungen ausschließen, selbst wenn die Aussichten auf eine Besserung des Gesundheitszustandes des Schuldners gering sein sollten.

Anmerkung: Der BGH folgt schon vom Ergebnis nicht der Annahme des Beschwerdegerichts, dass bei geringer Aussicht auf Erfolg für eine Änderung der psychischen Situation des Schuldners eine weitere Einstellung nicht in Betracht käme und dem Eigentumsrecht des Gläubigers Rechnung getragen werden müsse.


BGH, Urteil vom 16.03.2017 - V ZB 150/16 -