Montag, 8. Juli 2019

Pedelec und Fußgänger: Rücksichtnahme auf kombinierten Fußgänger- und Radfahrweg


Auf einem Schotterweg neben dem Main-Donau-Kanal, der als Betriebsgelände von der Strompolizei nur für „Fußgänger und Radfahrer (ohne Motorkraft)“ freigegeben war kam es zu einem Zusammenstoß zwischen dem Kläger, der als Fußgänger unterwegs war, und der Beklagten, die mit einem Pedelec fuhr. Die Klage wurde erstinstanzlich abgewiesen; das OLG wies den Kläger darauf hin, dass es das Urteil bestätigen wolle und die Berufung abzuweisen gedenke (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1  ZPO).

Das OLG verwies darauf, dass ein Pedelec verkehrsrechtlich einem Fahrrad gleichgestellt sei, § 1 Abs. 3 StVG.
Im Hinblick auf den Batteriebetrieb des Pedelec führte das OLG aus, es handele sich hier um einen vergleichsweise schwachen Elektromotor, weshalb dem Zustand und der Sicherheit des Ufergrundstücks durch das Pedelec kein Schaden drohe. Es könne auf sich beruhen, ob das Wasser- und Schifffahrtsamt als Strompolizei ungeachtet dessen den Zweck verfolgt habe, durch Freigabe für „Radfahrer (ohne Motorkraft)“ die Nutzung durch Pedelec auszuschließen, da selbst in diesem Fall eine Haftung wegen Verletzung eines Schutzgesetzes gem. § 823 Abs. 2 BGB nicht gegeben wäre. Bei einem Schutzgesetz nach § 823 Abs. 2 BGB handele es sich um eine Norm, die nach Sinn und Zweck auf den Schutz von Individualinteressen vor einer näher bestimmten Art ihrer Verletzung ausgerichtet sei. Nicht genügend sei, dass ein Individualschutz durch Befolgung der Norm als Reflex erreicht werden könne. Hier aber läge der Schutzzweck nicht im Normbereich. Das Schild als Allgemeinverfügung iSv. § 24 Abs. 1 WaStrG iVm. § 28 WaStrG diene nicht dem Schutz der Personen auf dem Weg, sondern dazu, die Bundeswasserstraße in einem für die Schifffahrt erforderlichen Zustand zu erhalten.

Auch wenn man von einer gesteigerten Pflicht der Beklagten als Fahrerin des Pedelec ausgehen würde, ergäbe sich daraus keine Haftung. Der Kläger hätte schon nach der Beschilderung davon ausgehen müssen, dass sich auf dem Schotterweg nicht nur Fußgänger befinden. Anhaltspunkte dafür, dass sich hier spezifische Gefahren des Pedelec ausgewirkt hätten, die nicht auch von einem normalen Fahrrad ausgehen würden, ergäben sich nicht.

Aus dem allgemeinen Gebot, auf kombinierten Fußgänger-/Radfahrwegen auf Fußgänger im besonderen Maße Rücksicht zu nehmen würde sich keine situationsunabhängige Pflicht ergeben, Fußgänger (z.B. durch Klingelzeichen) auf sich aufmerksam zu machen oder sich diesen nur mit Schrittgeschwindigkeit zu nähern, auch wenn die (abstrakte) Gefahr bestünde, dass ein Fußgänger unvermittelt zur Seite tritt und dadurch in das von hinten nahe Fahrrad hineinläuft. Zwar könne der Fußgänger den Weg auf seiner gesamten Breite nutzen und müsse nicht ständig nach eventuell von hinten nahenden Rädern Ausschau halten da Fahrräder keinen Vorrang hätten. Mit einer Sorglosigkeit, die hier den Fußgänger veranlasst plötzlich und unerwartet zur Seite zu gehen, müsse der Radfahrer aber nicht rechnen. Auch der Fußgänger müsse sich auf die besondere Situation des Mischverkehrs einrichten.

Allerdings könne der Fußgänger erwarten, dass der Radfahrer Abstand und Geschwindigkeit für eine gefahrlose Begegnung wählt. Dass dies von der Beklagten missachtet worden wäre, hätte der Kläger aber nicht nachgewiesen. Ausgehend vom Vortrag des Klägers läge hier ein ausreichender Abstand von 75cm bei einer vom Sachverständigen geschätzten Geschwindigkeit von 15 – 20km/h vor.

Auch hätte keine unklare Verkehrslage vorgelegen, die zu besonderen Sicherheitsmaßnahmen (wie klingeln oder abbremsen) Veranlassung gegeben habe. Der Schotterweg sei an der Unfallstelle ohne Abzweigung geradeaus verlaufen. Die Beklagte will den Kläger schon von weitem durchgängig auf der rechten Wegseite gehend gesehen haben, ohne dass es dabei Anzeichen für Unaufmerksamkeit, Unachtsamkeit oder Sorglosigkeit gegeben habe. Zwar habe der Kläger einen (nicht um Unfall involvierten) Hund mit sich geführt, der in Fahrtrichtung gesehen links im Grünstreifen der Uferböschung „umhergeschnüffelt“ hat, weshalb der Kläger, wenn er zu seinem Hund wollte, die Fahrtlinie der Beklagten hätte kreuzen müssen. Das aber alleine begründet keine unklare Verkehrslage, da die Parteien keinen Anlass beschreiben hätten, der den Kläger hätte motivieren können, seine Ausgangslage unvermittelt zu verändern.

OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 31.01.2019 - 2 U 1967/18 -


Aus den Gründen:


Gründe

A.
Am 06.04.2017 kam es auf dem neben dem Main-Donau-Kanal auf Höhe des Ortsteils Kleinseebach der Gemeinde Möhrendorf gelegenen Schotterweg zu einem Zusammenstoß zwischen dem Kläger, der zu Fuß unterwegs war, und der Beklagten, die den Weg mit einem sogenannten „Pedelec“ befuhr. Die Parteien streiten um wechselseitige Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche aus diesem Unfall.
Das Landgericht hat Klage und Widerklage abgewiesen. Nach seiner Auffassung ergebe sich unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des Bundeswasserstraßengesetzes (WaStrG) nicht, dass der Beklagten als Fahrerin eines Pedelecs die Benutzung des Schotterwegs, der als Betriebsgelände nur „für Fußgänger und Radfahrer (ohne Motorkraft)“ von der Strompolizei freigegeben worden sei, untersagt gewesen wäre. Denn durch Pedelecs mit ihrem vergleichsweise schwachen Elektromotor drohe dem Zustand und der Sicherheit des Ufergrundstücks keinerlei Schaden. Im Übrigen diene das Bundeswasserstraßengesetz nicht dem Schutz der Rechtsgüter von Fußgängern und Radfahrern, die sich auf neben Bundeswasserstraßen gelegenen Wegen begegnen. Dass einer der Parteien ein unfallkausaler Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung anzulasten wäre, sei nicht nachgewiesen. Keiner der beiden Unfallschilderungen sei hinreichend überzeugend, ausreichende objektive Anknüpfungspunkte seien nicht vorhanden.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klageziel in vollem Umfang weiter. Er beantragt,
Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 31.08.2018 (Az.: 8 O 6196/17) abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen daraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.08.2017 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag von 2.755,12 € nebst Zinsen daraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.08.2017 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtlich angefallene Rechtsanwaltsgebühren zu Händen der Rechtsanwälte Dr. Endress & Partner in Höhe von 958,19 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen verfolgt sie das Ziel ihrer Widerklage im Wege einer Anschlussberufung.
B.
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 31.08.2018, Az. 8 O 6196/17, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
I. Sogenannte „Pedelecs“ sind verkehrsrechtlich durch § 1 Abs. 3 StVG einem Fahrrad gleich gestellt (OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 10.04.2018 - 7 U 5/18 -, juris Rn. 24; Hühnermann in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, StraßenverkehrsR, 25. Aufl., § 1 StVG Rn. 8; Huppertz in: Münchener Kommentar, StVR, Aufl. 2016, § 1 StVG Rn. 16; Förster in: BeckOK, BGB, 48. Edition, § 823 Rn. 663; Wehrl in: May/Vogt, Lexikon StraßenverkehrsR, Aufl. 2016, Stichwort „Pedelec“). Ob das Wasser und Schifffahrtsamt der Stadt Nürnberg als „Strompolizei“ ungeachtet dessen den Zweck verfolgte, durch die Freigabe des Betriebsgeländes „für Fußgänger und Radfahrer (ohne Motorkraft)“ die Nutzung von Pedelecs auszuschließen, kann letztlich dahingestellt bleiben. Denn selbst wenn man dies unterstellt, vermag ein Verstoß der Beklagten gegen diese Vorgabe keine Haftung gegenüber dem Kläger gemäß § 823 Abs. 2 BGB wegen der Verletzung eines Schutzgesetzes zu begründen.
Ein Schutzgesetz im Sinne dieser Vorschrift ist nur diejenige Norm, die nach Zweck und Inhalt wenigstens auch auf den Schutz von Individualinteressen vor einer näher bestimmten Art ihrer Verletzung ausgerichtet ist. Es genügt nicht, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm als ihr Reflex objektiv erreicht werden kann; er muss im Aufgabenbereich der Norm liegen (BGH, Urteil vom 03.02.1987 - VI ZR 32/86 -, juris Rn. 9). Letzteres ist aber hier nicht der Fall. Die im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB maßgebliche Ermächtigungsgrundlage (BGH, Urteil vom 26.02.1993 - V ZR 74/92 -, juris Rn. 10) für die Allgemeinverfügung in Form des Schildes, mithin § 24 Abs. 1 WaStrG in Verbindung mit § 28 WaStrG, dient nicht dem Schutz derjenigen Personen, zu deren Nutzung (im Übrigen ausdrücklich nur „auf eigene Gefahr“) der streitgegenständliche Schotterweg frei gegeben wurde. Vielmehr ist es (lediglich) Aufgabe der Strompolizei zur Gefahrenabwehr diejenigen Maßnahmen zu treffen, die nötig sind, um die Bundeswasserstraßen in einem für die Schifffahrt erforderlichen Zustand zu erhalten. Dies hat das Landgericht in jeder Hinsicht zutreffend ausgeführt.
II. Anhaltspunkte, die - im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO - konkrete Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellung des Landgerichts begründen könnten, dass die klägerische Schilderung des Unfallhergangs nicht als erwiesen anzusehen ist, sind nicht ersichtlich. Vielmehr spricht - jedenfalls sofern man das Vorbringen in der Anschlussberufung zur Verletzung auf der linken Körperseite als berücksichtigungsfähig ansieht - einiges dafür, dass die Beklagte den Unfallhergang zutreffend geschildert hat.
Unterstellt man die Angaben der Beklagten, begründen diese - entgegen der in der Berufungsbegründung vertretenen Auffassung des Klägers - keine Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB. Dies gilt auch dann, wenn man von einer gesteigerten Pflicht der Beklagten als Fahrerin eines sogenannten Pedelecs ausgeht.
Der Kläger musste aufgrund der Beschilderung („Frei für Fußgänger und Radfahrer [ohne Motorkraft]“) jedenfalls damit rechnen, dass der Schotterweg nicht ausschließlich von Fußgängern benutzt wird. Anhaltspunkte dafür, dass sich irgendwelche spezifischen Gefahren ausgewirkt hätten, die nur von einem Pedelec, nicht aber in gleicher Weise von einem normalen Fahrrad ausgehen, sind nicht ersichtlich.
Das für Fahrradfahrer geltende Gebot, auf kombinierten Fußgänger-/Radfahrerwegen auf Fußgänger im besonderen Maß Rücksicht zu nehmen, begründet keine generelle, situationsunabhängige Pflicht, Fußgänger durch ein Klingelzeichen auf sich aufmerksam zu machen oder sich Fußgängern nur mit Schrittgeschwindigkeit anzunähern. Zwar mag die (abstrakte) Gefahr bestehen, dass ein Fußgänger - wie es die Beklagte in Bezug auf den Kläger beschreibt - unerwartet und unvermittelt zur Seite tritt und in ein sich von hinten näherndes Fahrrad hineinläuft. Auch wenn Fußgänger nicht fortwährend nach Fahrradfahrern, die von hinten herankommen könnten, Ausschau zu halten brauchen, weil sie den gemeinsamen Fuß- und Radweg auf der ganzen Breite benutzen dürfen und Fahrradfahrer dort keinen Vorrang haben, muss mit einer solchen Sorglosigkeit aber nicht gerechnet werden. Insbesondere haben Fußgänger ihr Verkehrsverhalten ebenfalls auf die besondere Situation, die sich aufgrund des Mischverkehrs ergibt, auszurichten; kombinierte Radfahrer-/Fußgängerwege erfordern gegenseitige Rücksichtnahme.
Auf einem gemeinsamen Fuß- und Radweg können Fußgänger ohne Zweifel erwarten, dass überholende Radfahrer Abstand und Geschwindigkeit so wählen, dass die Begegnung gefahrlos möglich ist. Dass die Beklagte dies nicht beachtetet hätte, ist indes nicht nachgewiesen. Unterstellt man ihre Schilderung, wonach der Kläger etwa mittig zur rechten Hälfte, das Fahrrad mittig links der Hälfte unterwegs gewesen war, ist nach den Angaben des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 20.07.2018 von einem Vorbeifahrabstand von in etwa 75 cm auszugehen; die Kollisionsgeschwindigkeit der Beklagten lag nach Einschätzung des Sachverständigen dabei zwischen 15 und 20 km/h. In Übereinstimmung damit schätzte die Beklagte ihre Geschwindigkeit auf „etwa 20 km/h“. Dies begründet keine Situation, in der die Belange des Klägers als Fußgänger nicht ausreichend berücksichtigt worden wären. Entscheidend für den Unfall war nach dem Vorbringen der Beklagten nicht das Passieren des Klägers an sich, sondern dessen unvermittelte Richtungsänderung „plötzlich und ohne jede Vorwarnung“.
Dass es entgegen dem Vorbringen der Beklagten eine unklare Verkehrslage gegeben hätte, die zu besonderen Vorsichtsmaßnahmen in Form eines Klingelzeichens oder zu einem Abbremsen auf Schrittgeschwindigkeit Anlass gegeben hätte, ist nicht ersichtlich. Der im Bereich der Unfallstelle ohne Abzweigungen gerade verlaufende Schotterweg ist übersichtlich. Dementsprechend will die Beklagte den Kläger „schon von Weitem gesehen“ haben, und zwar auf der „von ihm durchgehend genutzte[n] rechte[n] Wegseite“. Irgendwelche Anhaltspunkte, die auf eine Unaufmerksamkeit, Unachtsamkeit oder Sorglosigkeit des Klägers hingedeutet hätten, wie z. B. eine fehlende Reaktion auf ein Klingelzeichen, werden nicht erwähnt.
Der Hund des Klägers war in das Unfallgeschehen nicht verwickelt. Zwar hat er sich unstreitig bereits vor dem Unfall auf den in Fahrt- bzw. Laufrichtung links der Parteien gelegenen Grünstreifen der Uferböschung befunden. Dort hat er - so der Kläger - „umher[ge]schnüffelt“. Der Kläger musste demgemäß - wie für die Beklagte nach ihrer Schilderung erkennbar gewesen sein muss - ihre Fahrtlinie kreuzen, um zu seinem Hund zu gelangen. Allein daraus resultiert aber keine unklare Verkehrslage. Denn die Parteien beschreiben keinen erkennbaren Anlass, der für den Kläger auch nur ansatzweise Motivation hätte sein können, die Ausgangslage gemäß dem Vortrag der Beklagten zu verändern und unvermittelt auf den Hund zuzugehen.
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG). Darüber hinaus verliert die Anschlussberufung ihre Wirkung, die möglicherweise zu einer Neubewertung des Vorbringens zum Unfallablauf führt (Ball in: Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl. § 524 Rn. 28).
Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.

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