Die Klägerin war zu Fuß unterwegs.
Sie befand sich gerade am Anwesen der Familie K., als der Beklagte mit (sehr)
geringer Geschwindigkeit der Klägerin mit seinem PKW entgegenkam. In dem mit einem Maschendrahtzaun abgetrennten
Garten der Familie K. befand sich ein Hund, der von der Klägerin unbemerkt an
den Zaun kam und plötzlich laut bellte. Vor Schreck machte die Klägerin einen
Schritt nach rechts und geriet so auf die Fahrbahn. Hierbei geriet sie gegen
den rechten Außenspiegel des gerade vorbeifahrenden PKW des Beklagten. Durch
den Kontakt stürzte die Klägerin und machte in der Folge
Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten geltend. Die Klage hatte Erfolg;
mit seinem Beschluss vom 07.01.2015 wies das OLG Karlsruhe den beklagten darauf
hin, dass seine Berufung keine Erfolgsaussichten habe, § 522 ZPO.
Die Haftung des Beklagten leitet
das OLG aus der Gefährdungshaftungsnorm des § 7 Abs. 1 StVG her. Höhere Gewalt
iSv. § 7 Abs. 2 StVG läge bei einer solchen Konstellation nicht vor. Damit kam
es nur noch darauf an, ob und inwieweit der Klägerin ein Mitverschuldensvorwurf
gemacht werden konnte, § 254 BGB. Einen
solchen negiert allerdings das OLG, da hier eine einen Verschuldensvorwurf
ausschließende Situation vorgelegen habe. Es gehöre zum Wesen der
Schreckreaktion, dass im ersten Moment nicht ohne weiteres unterschieden werden
könne, ob der bellende und springende Hund vom Zaun zurückgehalten wird oder es
zu einem Angriff mit Bissverletzungen kommen würde.
OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 07.01.2015 - 9 U 9/14 -
Aus den Gründen
Aus den Gründen
Der Senat erwägt eine Zurückweisung der
Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Konstanz vom 17.12.2013 gem. §
522 Abs. 2 ZPO. Die Parteien erhalten vor einer Entscheidung Gelegenheit zur
Stellungnahme binnen drei Wochen.
Gründe:
I. Die am 17.10.2000 geborene Klägerin
macht Schadensersatzansprüche geltend aus einem Verkehrsunfall, der sich am
12.1.2012 gegen 07:05 Uhr in A. ereignet hat. Die Klägerin war an dem Unfall
als Fußgängerin beteiligt, der Beklagte Ziff. 1 als Fahrer und Halter eines Pkw
Opel. Die Beklagte Ziff. 2 ist die für das Fahrzeug des Beklagten Ziff. 1
zuständige Haftpflichtversicherung.
Die Klägerin war zur Unfallzeit auf der
H. straße in A. zu Fuß unterwegs, um zu einer Bushaltestelle zu laufen. Bei der
H. straße handelt es sich um eine Sackgasse mit einer Fahrbahnbreite von etwa
3,50 m. Es gibt in der H. straße keine Gehwege. Die Klägerin lief auf der
Fahrbahn und zwar ‑ aus ihrer Sicht ‑ am linken Fahrbahnrand. Der Beklagte
Ziff. 1 kam mit seinem Pkw ‑ mit geringer oder sehr geringer Geschwindigkeit ‑
entgegen und wollte an der am Fahrbahnrand gehenden Klägerin vorbeifahren. Als
sich der Beklagte Ziff. 1 auf der Höhe der Klägerin befand, lief diese gerade
am Anwesen der Familie K. entlang. Zwischen dem Garten des Anwesens und der
Straße befindet sich ein Maschendrahtzaun. Im Garten des Anwesens befand sich
der Hund der Familie K.. Der Hund hatte sich, als die Klägerin am Zaun
entlangging, angeschlichen und bellte plötzlich laut los, als er am Zaun war,
und sprang gegen den Zaun. Die Klägerin hatte den Hund vorher nicht bemerkt und
machte in diesem Moment vor Schreck einen Schritt nach rechts in die Fahrbahn.
Dabei geriet sie gegen den rechten Außenspiegel des gerade vorbeifahrenden
Fahrzeugs des Beklagten Ziff. 1. Der Kontakt mit dem Pkw führte dazu, dass die
Klägerin das Gleichgewicht verlor und auf die Fahrbahn stürzte. Der Beklagte
Ziff. 1 bremste sein Fahrzeug ab, kam jedoch mit einem Rad des Pkw auf dem
rechten Sprunggelenk der Klägerin zum Stehen. Die Klägerin erlitt eine
Unterschenkelfraktur. Es steht noch nicht fest, ob dauerhafte körperliche
Beeinträchtigungen zurückbleiben.
Das LG hat die Beklagten wie folgt
verurteilt:
1. Die Beklagten Ziff. 1 und 2 werden
verurteilt als Gesamtschuldner, an die Klägerin 95 € nebst Zinsen i.H.v. 5
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 15.11.2012 zu
bezahlen.
2. Die Beklagten Ziff. 1 und 2 werden
als Gesamtschuldner ferner verurteilt, an die Klägerin 3.000 € Schmerzensgeld
zu bezahlen nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen
Basiszinssatz hieraus seit 15.5.2012.
3. Es wird festgestellt, dass die
Beklagten Ziff. 1 und 2 als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin
sämtlichen zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden aus dem
Verkehrsunfallereignis vom 12.1.2012, A., H. straße zu erstatten.
4. Die Beklagten Ziff. 1 und 2 werden
als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin Kosten der außergerichtlichen
Rechtsverfolgung i.H.v. 256,62 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem
jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 15.11.2012 zu bezahlen.
Das LG hat ausgeführt, die Beklagten
seien in vollem Umfang zum Schadensersatz verpflichtet. Die Haftung beruhe auf
der Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Beklagten Ziff. 1. Ein Mitverschulden der
Klägerin sei nicht zu berücksichtigen. Zwar habe sie den Unfall mitverursacht
durch einen Schritt in die Fahrbahn. Der reflexartigen Reaktion fehle es jedoch
an der Qualität einer Handlung, an welche rechtliche Konsequenzen zu ihrem
Nachteil geknüpft werden könnten. Zudem könne sich aus der Schreckreaktion kein
Fahrlässigkeitsvorwurf ergeben. Bei der Höhe des zuerkannten Schmerzensgeldes
ist das LG hinter dem von der Klägerin angegebenen Betrag von 6.000 €
zurückgeblieben, da die immateriellen Beeinträchtigungen der Klägerin ‑ soweit
es nicht um mögliche Zukunftsschäden gehe ‑ durch einen Betrag von 3.000 €
ausreichend abgegolten seien.
Gegen diese Entscheidung richtet sich
die Berufung der Beklagten. Sie sind der Auffassung, die Voraussetzungen für
eine Haftung aus dem Unfallgeschehen vom 12.1.2012 seien entgegen der
Auffassung des LG nicht gegeben. Die Klägerin habe den Unfall durch einen
schuldhaften Verkehrsverstoß selbst verursacht. Hinter dem Mitverschulden trete
die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Beklagten Ziff. 1 vollständig zurück. Der
Klägerin sei vorzuwerfen, dass sie einen Schritt in die Fahrbahn gemacht habe,
als bereits der Pkw des Beklagten Ziff. 1 neben ihr war. Entgegen der
Auffassung des LG hätte sie ihr Verhalten so beherrschen müssen, dass es nicht
zu einem direkten Kontakt mit dem Fahrzeug des Beklagten Ziff. 1 gekommen wäre.
Die Klägerin hätte als Fußgängerin den gegenüberliegenden Fahrbahnrand benutzen
können; dann wäre es zu einer Schreckreaktion wegen des gegen den Zaun springenden
und bellenden Hundes nicht gekommen. Ungeachtet ihres Alters hätte die Klägerin
grundsätzlich damit rechnen müssen, dass sie durch ein Ereignis im Garten des
Anwesens K. beim Vorbeigehen erschreckt werden könnte. Auf eine solche
Möglichkeit hätte sie sich bei ihrem Verhalten im Straßenverkehr grundsätzlich
einstellen müssen.
Die Klägerin tritt der Berufung
entgegen. Sie verteidigt das Urteil des LG, soweit es um die Haftung der
Beklagten dem Grunde nach geht. Im Übrigen ist sie der Auffassung, das
zuerkannte Schmerzensgeld von 3.000 € sei zu gering. Im Wege der
Anschlussberufung macht sie ein Schmerzensgeld i.H.v. insgesamt 6.000 € nebst
Zinsen geltend.
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf
die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
II. Die zulässige Berufung der Beklagten
dürfte voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg haben. Eine Entscheidung des
Senats nach mündlicher Verhandlung erscheint auch im Hinblick auf die
Gesichtspunkte gem. § 522 Abs. 2 Ziff. 2, 3, 4 ZPO nicht erforderlich. Nach vorläufiger
Auffassung des Senats hat das LG die Beklagten zu Recht zur Zahlung von
Schadensersatz und Schmerzensgeld verurteilt.
1. Die Haftung der Beklagten beruht auf
§§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 VVG. Der Schaden der Klägerin wurde bei dem
Betrieb des Fahrzeugs der Beklagten Ziff. 1 verursacht. „Höhere Gewalt“, welche
gem. § 7 Abs. 2 StVG eine Ersatzpflicht der Beklagten ausschließen würde, lag
nicht vor. Dies ergibt sich schon daraus, dass der Unfall unmittelbar mit dem
Betrieb des Fahrzeugs des Beklagten Ziff. 1 zusammenhängt, nämlich einer
Vorbeifahrt des Pkw an der auf der Fahrbahn befindlichen Klägerin, und dass es
sich nicht etwa um ein von „außen“ einwirkendes Naturereignis handelt (vgl.
dazu Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 22. Aufl.
2012, § 7 StVG Rz. 17 ff.). Zum anderen haben die Beklagten nicht den Nachweis
erbracht, dass ein schuldhafter Verkehrsverstoß des Beklagten Ziff. 1
ausgeschlossen ist: Unabhängig von der geringen Fahrgeschwindigkeit ist dem
Beklagten Ziff. 1 möglicherweise vorzuwerfen, dass er mit zu geringem
Seitenabstand an der Fußgängerin vorbeifahren wollte. Nach den Feststellungen
des erstinstanzlich eingeholten Sachverständigengutachtens betrug der
Seitenabstand zwischen dem Fahrzeug und der Klägerin (vor dem Schritt in die
Fahrbahn) möglicherweise nicht mehr als 0,5 m. Wenn man davon ausgeht, dass der
Seitenabstand bei einer Vorbeifahrt an einem Fußgänger in der Regel mindestens
1 m betragen sollte (vgl. beispielsweise OLG Düsseldorf v. 12.11.1990 ‑ 1 U 139/89,
NZV 1992, 232; OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.7.1998 ‑ 1 O 189/97 ‑, Rz. 45,
zitiert nach Juris), wäre es für den Beklagten Ziff. 1 möglicherweise geboten
gewesen, sein Fahrzeug anzuhalten, bis die Klägerin ‑ mit geringem
Seitenabstand ‑ den Pkw passiert hatte.
2. Der Anspruch der Klägerin wird nicht
durch ein Mitverschulden (§§ 254 BGB, 9 StVG) gemindert. Die Beweislast für ein
Mitverschulden, welches zur Anspruchsminderung führen könnte, obliegt den
Beklagten. Das LG hat zutreffend festgestellt, dass ein schuldhafter
Verkehrsverstoß der Klägerin nicht festzustellen ist.
a) Es ist nicht zu beanstanden, dass die
Klägerin für ihren Fußweg den linken Rand der Fahrbahn gewählt hat. Zur
Benutzung des linken Fahrbahnrandes war sie gem. § 25 Abs. 1 StVO berechtigt,
da es auf der H. straße in A. weder einen Gehweg noch einen Seitenstreifen
gibt. Nach der Regelung in § 25 Abs. 1 StVO gibt es keine rechtlichen
Gesichtspunkte, welche die Klägerin hätten zwingen müssen, auf der anderen
Seite der Fahrbahn zu gehen. Es spielt insbesondere keine Rolle, dass zur
selben Zeit auf der anderen Seite der Fahrbahn zwei Jungen am Rand der Straße
liefen.
b) Die Klägerin hat den Unfall
mitverursacht dadurch, dass sie ‑ erschreckt durch den bellenden und gegen den
Zaun springenden Hund ‑ einen Schritt vom Rand in die Fahrbahn gemacht hat,
möglicherweise über eine Distanz von ca. 50 cm. Zwar ergibt sich aus § 1 Abs. 2
StVO (allgemeine Verhaltenspflichten im Straßenverkehr) für einen Fußgänger die
Pflicht, beim Herannahen eines Fahrzeugs grundsätzlich keinen Schritt zur Seite
in die Richtung des Pkw zu machen. Denn dadurch entsteht die Gefahr eines
Unfalls. Im vorliegenden Fall liegen jedoch Umstände vor, die einen
Fahrlässigkeitsvorwurf gegenüber der Klägerin ausschließen.
aa) Allerdings stellt der Schritt in die
Fahrbahn ‑ entgegen der Auffassung des LG ‑ eine Handlung im Rechtssinne dar,
an welche grundsätzlich zivilrechtliche Folgen geknüpft werden können. Der
Umstand, dass das Verhalten der Klägerin eine Schreckreaktion war, die
umgangssprachlich auch als „Reflex“ bezeichnet werden kann, ändert daran
nichts. Eine unwillkürliche Bewegung, die nicht mehr als Handlung im
Rechtssinne bezeichnet werden kann, liegt nur dann vor, wenn das betreffende
Verhalten nicht der Bewusstseinskontrolle und Willenslenkung der Person
unterliegt (vgl. BGH, NJW 1963, 953; OLG Hamm, NJW 1975, 657; Palandt/Sprau,
BGB, 73. Aufl. 2014, § 823 BGB Rz. 2). Auch bei einem „automatisierten“
Verhalten liegt hingegen eine Handlung grundsätzlich vor, wenn das Verhalten
dem regulierenden Zugriff des steuernden Bewusstseins offen bleibt (vgl. dazu
Spiegel, die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Kraftfahrers für
Fehlreaktionen, DAR 1968, 283, 285). Dies gilt insbesondere bei sog.
Schreckreaktionen, bei denen erst die innere psychische Verarbeitung eines
äußeren Reizes zu einer bestimmten Handlung führt. Entscheidend ist dabei ‑
unabhängig von der Frage eines Fahrlässigkeitsvorwurfs (dazu s. unten) ‑, dass
nicht jeder Mensch in gleicher Weise reagiert. Im vorliegenden Fall erscheint
es nicht völlig ausgeschlossen, dass ein anderer Mensch als die Klägerin sich
so auf das herannahende Fahrzeug des Beklagten Ziff. 1 hätte konzentrieren
können, dass der plötzlich bellende Hund keine Schreckreaktion (Schritt zur
Seite in die Fahrbahn) verursacht hätte (vgl. zur Handlungsqualität derartiger
„Schreckreaktionen“ Spiegel, a.a.O., S. 290).
bb) Das Verhalten der Klägerin war
jedoch, wie das LG zutreffend festgestellt hat, nicht fahrlässig i.S.v. § 276
Abs. 2 BGB. Für den Fahrlässigkeitsvorwurf ist darauf abzustellen, welche
Anforderungen an menschliches Verhalten in einer bestimmten Situation gestellt
werden können. Für „Schreckreaktionen“ ist anerkannt, dass kein Verschulden
vorliegt, wenn jemand in einer ohne sein Verschulden eingetretenen, für ihn
nicht vorhersehbaren Gefahrenlage keine Zeit zu ruhiger Überlegung hat, und
deshalb nicht das Richtige und Sachgerechte unternimmt, um einen Unfall zu
verhüten, sondern aus verständlicher Bestürzung objektiv falsch reagiert (vgl. BGH,
NJW 1976, 1504; BGH, Urt. v. 4.11.2008 ‑ VI ZR 171/07, MDR 2009, 203 ‑, Rz. 10,
zitiert nach Juris; Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 276 BGB Rz. 17; Spiegel,
a.a.O., S. 291).
Eine solche Situation, die einen
Verschuldensvorwurf ausschließt, war für die Klägerin gegeben. Das plötzliche
und für die Klägerin unerwartete Bellen und Gegen-den-Zaun-Springen des Hundes
war für die Klägerin eine plötzliche, im ersten Moment nicht vollständig
beherrschbare Gefahrensituation. Plötzliches Bellen und Gegen-den-Zaun-Springen
in wenigen Zentimetern Entfernung werden von einem Menschen ‑ auch von einem
Erwachsenen ‑ üblicherweise als Angriffssignal des Hundes wahrgenommen. Wenn
das Ereignis ‑ wie vorliegend ‑ unvorbereitet eintritt, stellen sich bei einem
Menschen in der Regel Automatismen ein, die jedenfalls im ersten Moment nicht
mehr kontrollierbar sind, bzw. zu einer Fehlreaktion führen können. Eine solche
Reaktion war die „Fluchtbewegung“, bei welcher die Klägerin einen Schritt von
ca. 50 cm zur Seite ‑ in die Fahrbahn ‑ machte. Es gehört zum Wesen einer
solchen Schreckreaktion, dass ein Mensch im ersten Moment nicht ohne weiteres
unterscheiden kann, ob der bellende und springende Hund vom Zaun zurückgehalten
wird, oder ob es zu einem echten Angriff mit Bissverletzungen kommt. Die
Reaktion der Klägerin beruhte mithin nicht auf einer fehlerhaften Wahrnehmung
einer objektiv nicht vorhandenen Gefahrenlage. Vielmehr hatte die Klägerin bei
ihrer automatisierten Reaktion ‑ Schritt zur Seite ‑ keine ausreichende Zeit, um
noch vor diesem Schritt erkennen und entscheiden zu können, ob der Schritt zum
Ausweichen gegenüber dem Hund notwendig und sinnvoll war. Für die Reaktion der
Klägerin war dabei keineswegs eine besondere Ängstlichkeit oder Empfindlichkeit
maßgeblich. Vielmehr hätten in dieser Situation ‑ angesichts der Plötzlichkeit
des Ereignisses ‑ viele Erwachsene ähnlich reagiert. Wer in dieser Situation
bei einer nachträglichen Betrachtung objektiv falsch reagiert, weil der Zaun
den Hund zurückgehalten hat, handelt nicht schuldhaft (vgl. für entsprechende
Fälle BGH, Urt. v. 4.11.2008 ‑ VI ZR 171/07, MDR 2009, 203 ‑, Rz. 10, zitiert
nach Juris). Der vorliegende Fall ist vergleichbar mit den Fällen, in denen ein
Kraftfahrer bei einem plötzlichen Hindernis auf der Fahrbahn erschreckt, und
mit einer objektiv fehlerhaften Ausweichbewegung reagiert. In derartigen Fällen
kommt ein Schuldvorwurf sowohl im Bereich des Strafrechts als auch im Bereich
des Zivilrechts grundsätzlich nicht in Betracht (vgl. Spiegel, a.a.O., S. 291; OLG
Naumburg, NJW-RR 2003, 676).
c) Ein Fahrlässigkeitsvorwurf käme
allerdings dann in Betracht, wenn der Eintritt der gefährlichen Situation für
die Klägerin vorhersehbar gewesen wäre. Davon wäre etwa dann auszugehen, wenn
die Klägerin beim Vorbeilaufen am Grundstück der Familie K. mit dem Verhalten
des Hundes hätte rechnen müssen. Dann wäre es möglicherweise zweckmäßig
gewesen, am Fahrbahnrand auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu gehen. Für
eine solche vorausschauende Vorsichtsmaßnahme bestand aus der Sicht der
Klägerin jedoch kein Anlass. Denn es gab für sie aus der Vergangenheit keine
Erfahrungen, wonach sie beim Vorbeigehen am Grundstück der Familie K. mit einem
„Schreckerlebnis“ durch den Hund hätte rechnen müssen. Die Klägerin hatte
keinen Anlass zu besonderer Vorsicht beim Vorbeigehen am Grundstück der Familie
K..
3. Auf der Grundlage der vollen Haftung
sind die Beklagten zur Zahlung der vom LG zuerkannten Schmerzensgeld- und
Schadensersatzbeträge nebst Zinsen verpflichtet. Mit dem Schmerzensgeld sind
lediglich diejenigen Beeinträchtigungen der Klägerin abgegolten, die bis zum
Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LG am 5.11.2013 bestanden.
Denn zu diesem Zeitpunkt stand noch nicht fest, ob auch in der Zeit danach ein
Taubheitsgefühl im Bereich der Verletzung bestehen würde. Wegen dieser
Möglichkeiten ist der Feststellungsantrag ‑ sowohl wegen in Betracht kommender
materieller Schäden als auch wegen möglicher immaterieller Beeinträchtigungen ‑
gerechtfertigt.
4.
Bei einer Zurückweisung der Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO verliert die
Anschlussberufung ihre Wirkung (§ 524 Abs. 4 ZPO). Eine Sachentscheidung über
die Anschlussberufung kommt dann nicht mehr in Betracht.
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