Donnerstag, 12. Juni 2014

Nachbarrecht: Schlammlawinen

Bild: churli46/pixelio.de
Starke Niederschläge, die sich häufen, führen auch immer wieder zu Problemen zwischen Nachbarn, die in Hanglange ihre Grundstücke haben. Insbesondere dann, wenn oberhalb der Bebauung auf einem abschüssigen Gelände Landwirtschaft (Ackerbau, Weinberge pp.) betrieben wird, kommt es zu Schlammlawinen, die dann zu Verwüstungen auf dem darunterliegenden bebauten Grundstück führen. Aber nicht immer führt dies zu einer Haftung des Grundstückeigentümers des Grundstücks, von dem der Schlamm abfloss. Ein Ausgleichsanspruch könnte sich aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ergeben. Der durch das Naturereignis hervorgerufene Schaden kann ihm aber nur dann zugerechnet werden, wenn er dies durch eigene Handlungen ermöglicht hat oder durch pflichtwidriges Verhalten herbeigeführt hat. Der BGH hat dies unter Bezugnahme auf seine Entscheidung in BGHZ 90, 255, 266 in seinem Urteil vom 17.10.2013 – V ZR 15/13 – bekräftigt. Er führte aus, dass der „Oberlieger“ nicht grundsätzlich verpflichtet ist, für einen ausreichenden Schutz des tiefer liegenden Grundstücks verpflichtet zu sein.  

BGH, Urteil vom 17.10.2013 - V ZR 15/13 -

Aus den Gründen:

Tenor
Die Beschwerde der Streithelfer gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 21. Dezember 2012 wird zurückgewiesen.
Die Streithelfer tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der den Klägern entstandenen Kosten.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 27.293,03 €.

Gründe

I.
Die Kläger sind Eigentümer eines Grundstücks in einem in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts erschlossenen Baugebiet. Oberhalb des Grundstücks der Kläger liegt ein Waldgrundstück des Beklagten. Auf diesem befindet sich ein Bachlauf, der nicht durchgängig Wasser führt. Aus dem Bach wird durch ein vom Grundstück des Beklagten ausgehendes, danach in der Straße verlegtes Rohrsystem Oberflächenwasser in das Entwässerungssystem der Straße abgeleitet. Die Leitung wurde nicht von dem Beklagten hergestellt; ob sie von dem Streithelfer zu 1 (einem Wasserverband) oder von den früheren Eigentümern der tiefer gelegenen Grundstücke auf Grund einer gegenüber der Gemeinde (der Rechtsvorgängerin der Streithelferin zu 2) übernommenen Verpflichtung zur Erschließung des Baugebiets angelegt wurde, ist streitig.
Im Juni 2006 kam es nach einem Starkregen zu einer Überflutung des Bachlaufs, wobei Erdmassen vom Hang abrutschten und diese durch die Mure auch auf das Grundstück der Kläger gelangten. Nach den von den Parteien nicht angegriffenen, auf einem Sachverständigengutachten beruhenden Feststellungen des Berufungsgerichts bestand die Ursache für das wild abfließende Wasser darin, dass an dem auf dem Grundstück des Beklagten befindlichen Einlauf in das Rohrsystem ein zum Schutz vor Verstopfung ungeeignetes Gitter angebracht war, das sich u.a. mit Laub zugesetzt hatte. Ohne das verstopfte Gitter wäre das Rohrsystem in der Lage gewesen, die Wassermassen ohne eine Überflutung der tiefer liegenden Grundstücke abzuleiten. Nach dem Schadensereignis ist der Einlauf zu dem Rohrsystem von dem Streithelfer zu 1 verlegt und mit einem anderen Einlauf versehen worden.
Die Kläger, denen durch das Abrutschen der Erdmassen ein Schaden an ihrem Grundstück in Höhe von 28.917,50 € entstanden ist, haben von dem Beklagten den Ersatz dieses Betrags verlangt und dem Wasserverband, der Stadtgemeinde sowie den Stadtwerken den Streit verkündet. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 27.293,03 € zzgl. Zinsen stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Die Streithelfer wollen mit der Nichtzulassungsbeschwerde die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung erreichen.
II.
Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in ZfW 2013, 178 ff. veröffentlicht ist, verneint einen Anspruch der Kläger auf Ausgleich der ihnen durch das Gemisch aus Sand, Steinen und Schlamm entstanden Schäden.
Ein Anspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB bestehe deshalb nicht, weil der Beklagte die auf ein Naturereignis zurückgehende Beeinträchtigung des Grundstücks der Kläger weder durch eigene Handlungen ermöglicht noch durch ein pflichtwidriges Unterlassen herbeigeführt habe. Der Beklagte habe die Rohrleitung nicht angelegt und ziehe keinen Nutzen aus ihr. Er sei auch nicht aus der Unterhaltungspflicht des Eigentümers für die in und an fließenden Gewässern befindlichen Anlagen nach § 94 LWG NRW für deren Zustand verantwortlich. Für die Unterhaltungspflicht könne nicht allein auf das Eigentum des Grundstückseigentümers nach §§ 93, 94 BGB an den sich auf seinem Grundstück befindlichen Teilen der Anlagen abgestellt werden, wenn der Eigentümer nicht die Befugnis habe, auf den Bestand oder den Zustand der Anlage einzuwirken. So liege es hier, weil der Beklagte auf Grund der Beschränkungen seines Eigentums durch das Wasserecht nach § 1a Abs. 4 Nr. 2 WHG aF (jetzt § 4 Abs. 3 Nr. 2 WHG) nicht berechtigt gewesen sei, bauliche Änderungen an der Rohrleitung - durch das Anbringen eines anderen, sich nicht mit Blättern und anderen Waldabfällen zusetzenden Gitters vor dem Rohreinlauf - vorzunehmen. Der Beklagte habe lediglich die Anlage auf seinem Grundstück zu dulden.
Der Beklagte sei auch nicht wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht nach § 823 Abs. 1 BGB den Klägern zum Schadensersatz verpflichtet. Ihn treffe keine Unterhaltungspflicht für die Anlage. Da zudem weder vorgetragen noch ersichtlich sei, dass ein anderes Gitter montiert worden wäre, ergebe sich eine Schadensersatzpflicht des Beklagten auch nicht aus dem Umstand, dass dieser vor einigen Jahren das umgefallene Gitter vor dem Einlauf wieder aufgestellt habe.
III.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Streithelfer ist zurückzuweisen.
1. Die Revision ist nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO wegen der vorgetragenen Abweichung des Berufungsurteils von Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Münster (ZfW 1994, 373 ff; ZfW 2011, 35 ff und Urteil vom 7. Juni 2004 - 20 A 4757/01, veröffentlicht in juris) sowie des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Urteil vom 28. April 2010 - 18 U 112/09, veröffentlicht in juris) bei der Auslegung des § 94 LWG NRW zuzulassen. Die gerügte Abweichung ist nicht entscheidungserheblich. Die von der Nichtzulassungsbeschwerde aufgezeigten Rechtsfragen zum Inhalt und Umfang der sich aus dem Wasserrecht ergebenden Pflichten des Eigentümers einer Anlage an und in einem oberirdischen Gewässer stellen sich hier nicht. Der Rechtsstreit ist vielmehr im Ergebnis richtig entschieden, da den Klägern weder ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch entsprechend § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB noch ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht zusteht.
2. Es ist bereits zweifelhaft, ob - wie es die Vorinstanzen angenommen haben - der Beklagte nach § 94 Abs. 1 BGB Eigentümer der Teile der nicht von ihm angelegten, allein dem Schutz anderer Grundstücke dienenden Rohranlage ist, soweit sich diese auf seinem Grundstück befinden. Es könnte an der Anlage auch selbständiges Eigentum nach § 95 Abs. 1 Satz 2 BGB bestehen. Diese Frage bedarf hier jedoch keiner Entscheidung, weil das angegriffene Berufungsurteil jedenfalls aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist.
a) Ein Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB der Kläger gegen den Beklagten besteht nicht. Dieser Anspruch setzt voraus, dass der Eigentümer eines Grundstücks als Störer im Sinne von § 1004 Abs. 1 BGB für die Beeinträchtigung eines anderen Grundstücks verantwortlich ist (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 1991 - III ZR 1/90, BGHZ 114, 183, 187). Die durch Naturereignisse ausgelösten Störungen (hier durch eine Schlammlawine nach einem Starkregen) sind dem Eigentümer eines Grundstücks nur dann zuzurechnen, wenn er sie durch eigene Handlungen ermöglicht hat oder wenn die Beeinträchtigung erst durch ein pflichtwidriges Verhalten herbeigeführt worden ist (Senat, Urteil vom 2. März 1984 - V ZR 54/83, BGHZ 90, 255, 266; BGH, Urteil vom 18. April 1991 - III ZR 1/90, aaO). So verhält es sich jedoch nicht, wenn der Einlass zu einer von Dritten zum Schutz vor einem Übertritt des Wassers auf tiefer gelegene Grundstücke angelegten Rohrleitung nicht ordnungsgemäß errichtet, erhalten oder gewartet worden ist. Nicht der Eigentümer eines höher gelegenen Grundstücks ist verpflichtet, durch Erhaltung und Reinigung eines solchen Abflusses für einen ausreichenden Schutz der tiefer gelegenen Grundstücke zu sorgen (BGH, Urteil vom 18. April 1991 - III ZR 1/90, aao, 188 f); vielmehr haben grundsätzlich deren Eigentümer sich um den Schutz ihrer Grundstücke zu kümmern, wozu sie berechtigt sein können, auf dem höher gelegenen Grundstück die dafür erforderlichen Schutzmaßnahmen (etwa durch Anlegen eines Rohres zum Schutz ihrer (bebauten) Grundstücke vor wild abfließendem Oberflächenwasser zu ergreifen (BGH, Urteil vom 18. April 1991 - III ZR 1/90, aaO, 191 f). Eine solche Befugnis zur Errichtung einer Rohranlage auf einem höher gelegenen Grundstück zum Schutz der in einem tiefer gelegenen Baugebiet gelegenen Grundstücke kann allerdings auch einem Unternehmen der Entwässerung zustehen oder durch eine behördliche Anordnung begründet werden (vgl. § 118 LWG NRW).
Eine gesetzliche Pflicht des Eigentümers eines oberliegenden Grundstücks, die von anderen zum Schutze der tiefer gelegenen Grundstücke errichteten Anlagen zu erhalten, wird auch nicht durch das Wasserrecht (§ 94 LWG NRW; jetzt geregelt in § 36 WHG) begründet. Die genannten wasserrechtlichen Vorschriften sollen allein nachteilige Auswirkungen auf das Gewässer (Beeinträchtigungen oder schädliche Gewässerveränderungen) durch Anlagen in und an oberirdischen Gewässern verhindern, jedoch nicht benachbarte Grundstücke vor aus der Anlage austretendem bzw. nicht durch die Anlage abgeführtem, wild abfließendem Oberflächenwasser schützen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 31. Januar 2011 - 5 U 91/10, juris Rn. 46).
b) Der Beklagte ist auch nicht wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht den Klägern gegenüber nach § 823 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet. Es ist nicht seine Sache, sondern die der geschädigten Eigentümer bzw. des Streithelfers zu 1, sich darum zu kümmern, dass eine allein dem Schutz der tiefer gelegenen Grundstücke vor einem für deren Nutzung gefährlichen, unkontrolliert abfließenden Oberflächenwasser dienende Rohranlage sich in einem dazu geeigneten Zustand befindet.
3. Die von der Nichtzulassungsbeschwerde im Zusammenhang mit dem Anspruch nach § 823 Abs. 1 BGB gerügte Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG liegt offensichtlich nicht vor. Dass das Berufungsgericht den Parteivortrag oder die Feststellungen des Sachverständigen übergangen hätte, ist weder aufgezeigt noch ersichtlich. Es ist lediglich der Rechtauffassung der Kläger und ihrer Streithelfer nicht gefolgt, dass der Beklagte als Grundstückseigentümer für die Verwendung einer ungeeigneten Schachtabdeckung über der Rohranlage verantwortlich gewesen sei. Das vermag den Vorwurf einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen, weil der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs das Gericht zwar zur Kenntnisnahme und zur Erwägung des Parteivorbringens bei seiner Entscheidung, aber nicht dazu verpflichtet, der (hier überdies unrichtigen) Rechtsansicht einer Partei zu folgen (vgl. BVerfGE 64, 1, 12; 87, 1, 33).
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 101 Abs. 1 ZPO.

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