Ein nicht seltener Vorgang:
Nachdem die vollstreckbare Ausfertigung eines
Titels (hier: Vollstreckungsbescheid) vorlag, wurde Zwangsvollstreckungsauftrag
erteilt. Dies erfolgte auf dem amtlich vorgeschriebenen Formular am 11.12.2018.
Unter dem 05.03.2019 erfolgte über die zuständige
Gerichtsvollzieherverteilerstelle eine Sachstandanfrage, auf die allerdings
(wie meist in solchen Fällen) nicht reagiert wurde. Die Anfrage wurde daher am
02.04.2019 unter Fristsetzung zum 16.04.2019 wiederholt. Fad letzte Schreiben
wurde vom zuständigen Obergerichtsvollzieher (OGV) per Fax retourniert und mit
einem Stempelaufdruck versehen, in dem es hieß:
„Ich bin um zügige Erledigung bemüht. Wegen Überlastung ist aber mit
längeren Bearbeitungszeiten zu rechnen. Ich bitte um Verständnis. Sie hören
automatisch von mir.“
Die veranlasste, gegen den
zuständigen OGV eine Dienstaufsichtsbeschwerde wegen Nichtbearbeitung /
Verzögerung zu erheben, die vom zuständigen Präsidenten des AG Darmstadt
zurückgewiesen. Hier wird ein „überobligatorischer
Einsatz“ des OGV versichert und u.a. ausgeführt:
„Die Personalsituation im Gerichtsvollzieherdienst ist landesweit äußerst
angespannt. Die Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher des Amtsgerichts
Darmstadt sind seit langer Zeit aufgrund von krankheitsbedingten
Personalausfällen besonders hoch belastet.
Die Justizverwaltung versucht Belastungen, so gut es geht, horizontal
auszugleichen. So hat der Präsident des Oberlandesgerichts einen Teil des
Vollstreckungsbezirks Pfungstadt dem Amtsgericht Groß-Gerau zur Bearbeitung
übertragen. Sie mögen daran erkennen, dass alle Seiten im Rahmen ihrer
Möglichkeiten dafür arbeiten, die Situation zu verbessern.“
Dieses Schreiben vom 30.04.2019
wurde mit Schreiben vom 10.05.2019 ab das Hessische Ministerium der Justiz am
10.05.2019 mit der Frage überlassen, welche Maßnahmen vorgesehen seien, um
kurzfristig für eine Wiederherstellung einer effektiven Vollstreckung zu
sorgen. In dessen Antwortschreiben vom 05.06.2019 heißt es u.a.:
„Die Belastung des Gerichtsvollzieherdienstes ist in den letzten Jahren
insbesondere infolge des Gesetzes zur Reform der Sachaufklärung deutlich
angestiegen. Bei beiden hier betroffenen Gerichten kamen längerfristige
krankheitsbedingte Personalausfälle hinzu.
Ich kann versichern, dass … alle zuständigen Stellen mit Nachdruck
bemüht sind, die Arbeitssituation der Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher
landesweit im Interesse kürzerer Erledigungszahlen zu verbessern. Hierzu wurde
die Zahl der zum Vorbereitungsdienst zugelassener Nachwuchskräfte in den letzten
Jahren deutlich erhöht und im Haushalt 2018 wurden insgesamt acht neue Stellen
für den Gerichtsvollzieherdienst ausgebracht.
… Darüber hinaus werden hier auch strukturelle Überlegungen angestellt,
um in Zukunft eine Verstärkung des Personalkörpers im Gerichtsvollzieherdienst
zu erleichtern.
Wegen des zu durchlaufenden Vorbereitungsdienstes von 20 Monaten Dauer
wird es jedoch noch einige Zeit in Anspruch nehmen, bis die getroffenen
Maßnahmen nach und nach Wirkung entfalten…“
Beachtlich ist sicherlich, dass
sowohl das AG Darmstadt als auch das AG Groß-Gerau, welches nach Angaben des
Präsidenten des AG Darmstadt durch den Präsidenten des OLG Frankfurt einen Teil
des Vollstreckungsbezirks des AG Darmstadt (nämlich Pfungstadt) übernommen hat,
personell durch krankheitsbedingte Ausfälle geschwächt sind. Diese
Umstrukturierung scheint also wenig sinnvoll gewesen, da beide Amtsgerichte
Schwierigkeiten bei der Zwangsvollstreckung durch Gerichtsvollzieher haben. Es
ist auch verwunderlich, dass „seit Jahren“ die Zahl der zum Vorbereitungsdienst
zugelassener Nachwuchskräfte erhöht worden sein soll, da bei „Jahren“ sich der
Vorbereitungsdienst von 20 Monaten bereits entlastend ausgewirkt haben müsste,
was aber (landesweit) nicht festgestellt werden konnte. Und bezeichnend ist
auch, dass auf den Haushalt 2018 im Jahr 2019 abgestellt wird, da dies doch
wohl den Schluss zulässt, dass der Haushalt 2019 nichts vorsieht; allerdings
wurde dies im nachfolgenden Schreiben des Ministeriums dahingehend korrigiert,
dass es sich um einen Doppelhaushalt 2018/19 handele und ihm Rahmen dessen acht
Planstellen in 2018 geschaffen worden seien. Und acht (!) Nachwuchskräfte
können wohl bei einer landesweiten, seit Jahren bestehenden Misere in der
Zwangsvollstreckung nicht als zielführend angesehen werden. (Das Schreiben ist
im Anhang zu lesen).
Auf ein weiteres Schreiben vom
19.06.2019, in dem darauf hingewiesen wurde, dass das vom Ministerium als
Begründung der Situation benannte Gesetz zur Reform der Sachaufklärung auf
Initiative des Bundesrats (und auch Hessens) eingeführt wurde, nahm das
Ministerium mit Schreiben vom 19.08.2019 Stellung. Ziel des Gesetzes sei die
Beschleunigung und Erhöhung der Effektivität gewesen und Hessen habe dem (mit
Ausnahme von drei Ziffern zur Abgabenordnung) zugestimmt. Die Belastung der Gerichtsvollzieher sei in den
Jahren vor dem Inkrafttreten des Gesetzes 2013 stark rückläufig gewesen. Der
Belastungsanstieg sei mit 21% prognostiziert worden. 2017 sei eine Empfehlung
zur Methode der künftigen Personalbedarfsberechnung erarbeitet worden. Diese
sei in Hessen zum 01.01.2018 umgesetzt worden. Längerfristige Erkrankungen mit
der Folge des Ausfalls im Gerichtsvollzieherdienst seien nicht nur in Darmstadt
und Frankfurt am Main gegeben; allerdings bestünde seien aktuell Möglichkeiten,
im Wege der Personallenkung über Abordnungen, vorübergehende Bezirkszuweisungen
o.ä. Abhilfe zu schaffen, eingeschränkt.
Der Verfasser hatte bereits von
den Problemen im Rahmen der Zwangsvollstreckung am 14.03.2019 berichtet (https://recht-kurz-gefasst.blogspot.com/2014/03/kommentar-zwangsvollstreckung-der.html).
Und in der aktuellen Sache: Der Gerichtvollzieher war hier erfolglos tätig, da
die Schuldnerin zwischenzeitlich verzogen war ….
Da der Verfasser viele
Zwangsvollstreckungen zu betreiben hat, ist mithin schnell festzustellen, dass
es häufig zu erheblichen Verzögerungen kommt, in Hessen aber auch in anderen
Bundesländern. Dass die Gerichtsvollzieher mit dem Gesetz zur Reform der
Sachaufklärung zusätzlich (erheblich) belastet wurden, ist ersichtlich. Es ist
auch verständlich, dass viele Gerichtsvollzieher dem ständigen Druck
gesundheitlich nicht gewachsen sind. Da die wirtschaftlichen Umstände darauf
deuten, dass es vermehrt zu Zwangsvollstreckungsmaßnahmen kommen wird, die
durch die Reform der Sachaufklärung zusätzlich geschaffenen Möglichkeiten nicht
ausreichend sind, eine Befriedigung des Gläubigers herbeizuführen, dürfte
dieser Druck noch weiter zunehmen.
Es war einige Zeit üblich,
Forderungen mittels des „schwarzen Mannes“ einzutreiben. Dieser wurde nicht handgreiflich.
Er war nur in schwarz gekleidet und folgte dem Schuldner überall hin, wohin
sich dieser begab. Letztlich sollte er durch on seiner Schulden bloßgestellt
werden und so veranlasst werden, zu zahlen. Dies wurde als Verstoß gegen die
guten Sitten und sogar als strafrechtlich relevant angesehen (vgl. z.B. Beschluss
des LG Bonn vom 29.11.1994 - 4 T 742/94 -). Die Selbsthilfe könne nicht an die
Stelle des staatlichen Gewaltenmonopols treten.
Die Zwangsvollstreckung gehört zu
dem staatlichen Gewaltenmonopol (zu zutreffend das LG Bonn aaO.). Wenn aber der
Staat ein Monopol hat, welches in die Rechtsordnung direkt eingreift, muss er
dieses Monopol auch besetzen, d.h. hier dem Gläubiger die effektive Möglichkeit
gibt, seinen Anspruch durch Nutzung dieses Monopols zu verwirklichen. Die
derzeitige Situation in der Zwangsvollstreckung durch Gerichtsvollzieher wird
dem nicht gerecht. Der Gläubiger muss sich häufig bereits mühselig durch langwierige
Prozesse quälen, nicht notwendig bedingt durch den Prozessinhalt, sondern auch
durch langfristige Terminierungen der Gerichte (die häufig genug nicht von den
gesetzlichen Möglichkeiten zur Verfahrensbeschleunigung Gebrauch machen, z.B.
Terminierung mit Ladung von Zeugen nach einem schriftlichen Vorverfahren, wie
es das Gesetz vorsieht, § 276 ZPO), sondern muss dann auch noch eine
unverhältnismäßige Verzögerung im Rahmen der Vollstreckung hinnehmen. Ein
Rechtsstaat hat auf Grund seiner Monopolstellung gerade auch im Bereich der
Zwangsvollstreckung dafür zu sorgen, dass ein Rechtsanspruch effektiv
durchgesetzt werden kann. Und effektiv bedeutet nicht, dass wegen
Personalmangels die Zwangsvollstreckung nur schleppend erfolgt. Wenn Ziel des vom
Bundesrat initiierten Gesetzes zur Reform der Sachaufklärung die Beschleunigung
und Erhöhung der Effektivität gewesen sein sollen, wäre dieses Ziel nicht nur verfehlt
worden, sondern das Gegenteil erreicht. Es wäre angezeigt, durch gesetzgeberische
Maßnahmen, die Gerichtvollzieher wieder zu entlasten.
Die
Vollstreckung eines Titels ist ein wesentlicher Teil des vorgegebenen Rechtsweges.
Es handelt sich um eine Achillessehne im System. Wird die Vollstreckung (zeitlich)
behindert, ist die Achillessehne defekt, das System erkrankt. Das gilt nicht
nur für Hessen (vgl. WELT zu Hamburg vom 21.08.2017).
Zum Inhalt des Schreibens des Hessischen Ministeriums der Justiz vom 19.08.2019:
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