Samstag, 28. November 2015

Beschlagnahme zur Unterbringung von Flüchtlingen/Obdachlosen

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Das Verwaltungsgericht (VG) musste sich mit dieser Frage  im Rahmen eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO auseinandersetzen, nachdem die Antragsgegnerin sein Grundstück, ein ehemaliges Kinder- und Jugendheim) unter Anordnung der sofortigen Vollziehung für Flüchtlinge beschlagnahmte. Der Antragsteller legte gegen den Bescheid Widerspruch ein und beantragte, nachdem die Behörde seinem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nicht entsprach, erfolgreich vor dem VG Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gem. § 89 Abs. 5 VwGO.


Das VG stellte zunächst fest, dass der Verwaltungsakt an einem Verfahrensfehler leiden würde. So war die nach Gesetz notwendige vorherige Anhörung des Antragstellers unterblieben. Zwar wurde von der Antragsgegnerin eingewandt, man habe zuvor mit dem Antragsteller über eine Anmietung verhandelt, der dieser nicht zustimmte. Die Verhandlungen aber, so das VG, würden nicht die notwendige Anhörung vor Erlass eines beschwerenden Verwaltungsaktes  ersetzen können. Von der Anhörung könne nur bei Gefahr in Verzug abgesehen werden. Dies würde voraussetzen, dass eine Zeitversäumung durch die Anhörung die Gefahr bestünde, dass die zu treffende Reglung zu spät käme. Dies sei hier nicht ersichtlich, wie sich auch daraus ergibt, dass die Antragsgegnerin auch Zeit hatte, zunächst mit dem Antragsteller über die Anmietung zu verhandeln.

Aber auch materiellrechtlich hatte das VG Bedenken an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme.

Eine drohende unfreiwillige Obdachlosigkeit sei zu bejahen und damit läge eine Gefahr iSv. §§ 11, 2 Nr. 1 a NdsSOG vor. Den Flüchtlinge, die in den kommenden Monaten in Lüneburg erwartet würden, drohe aufgrund der Ausschöpfung der Kapazitäten in den vorhandenen und kurzfristig zu organisierenden Flüchtlingsunterkünften Obdachlosigkeit. Gleichwohl aber lägen die besonderen Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 NdsSOG eines sogenannten polizeilichen Notstandes nicht vor.

Die Antragsgenerin habe nicht dargelegt und es wäre auch nicht ersichtlich, dass die Antrasgegnerin die Gefahr nicht selbst oder durch Beauftragte abwehren könne, § 3 Abs. 1 Nr. 3 NdsSOG. Bei der Beschlagnahme von Grundstücken oder Wohnungen und dem damit verbundenen Eingriff in Eigentumsrechte würden ebsonders hohe Anforderungen bestehen (Nds. OVG vom 14.12.2009 – 11 ME 316/09 -). Es müsste daher dargelegt werden, dass der Verwaltungsbehörde im fraglichen Zeitpunkt keine gemeinschaftlichen Unterkünfte zur Verfügung stünden und sie solche auch nicht bei Dritten rechtzeitig beschaffen könne. Im Rahmen des polizeilichen Notstandes sei die Beschlagnahme von Privateigentum zur Unterbringung von Obdachlosen nur als eine vorrübergehende und kurzfristige Maßnahme möglich, wobei von einer Höchstdauer von bis zu sechs Monaten auszugehen wäre. Die Behörde müsse also zunächst alle Bemühungen zur Beschaffung von Unterkünften unternehmen; dabei müsse sie auch auf Beherbergungsbetriebe zurückgreifen, auch wenn dies gegenüber einer beschlagnahme und Zahlung einer Nutzungsentschädigung kostenintensiver ist (Saarl. OVG, Beschluss vom 14.04.2014 – i B 213/14 -). Es muss sich bei der Unterkunft auch nicht um eine solche handeln, die eine wohnungsmäßige Voll- und Dauerversorgung darstellt; ausreichend ist, dass eine Unterkunft zur Verfügung gestellt wird, die vorrübergehenden Schutz vor den Unbilden des Wetters bildet und Raum für notwendige Lebensbedürfnisse belässt (Saarl. OVG aaO.).

Vorliegend wurde dazu, so das VG, nichts vorgetragen. Insbesondere wäre auch nicht vorgetragen worden, eine Unterbringung in der Lüneburger Jugendherberge mit 148 Betten nicht möglich wäre. Auch könnten Hotels und Ferienwohnungen angemietet werden, auch wenn dies mit höheren Kosten verbunden ist. Selbst die Unterbringung in Turnhallen sei grundsätzlich vorrangig gegenüber einer Beschlagnahme (wobei die dortige Unterbringung von der Behörde nicht geprüft wurde).

Die Entscheidung ist rechtskräftig. Mit Beschluss vom 01.12.2015 hat das OVG Lüneburg - 11 ME 230/15 - die Beschwerde der Hansastadt Lüneburg zurückgewiesen.


VG Lüneburg, Beschluss vom 09.10.2015 – 5 B 98/15 -


Aus den Gründen:

Gründe

1. Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner am 6. Oktober 2015 erhobenen Klage (Az. 5 A 276/15) gegen die unter Anordnung der sofortigen Vollziehung ergangene Verfügung der Antragsgegnerin über die Beschlagnahme seines Grundstücks B. in Lüneburg (ehemaliges Kinder- und Jugendheim) zur Bereitstellung von Wohnraum für Flüchtlinge.
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hat Erfolg. Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Alt. VwGO ist begründet.
Ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist begründet, wenn die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell oder materiell rechtswidrig ist. Materiell rechtswidrig ist eine Anordnung der sofortigen Vollziehung, wenn das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsaktes das öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung überwiegt. Dies wiederum trifft zu, wenn der zu vollziehende Verwaltungsakt sich entweder als voraussichtlich rechtswidrig erweist oder zwar als voraussichtlich rechtmäßig einzustufen ist, aber keine besonderen Umstände vorliegen, die eine Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO und damit eine Ausnahme vom Grundsatz des Bestehens der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) rechtfertigen.
In formeller Hinsicht ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht zu beanstanden. Dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist Genüge getan. Erforderlich ist eine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses dafür, dass ausnahmsweise die sofortige Vollziehung notwendig ist und dass hinter dieses erhebliche öffentliche Interesse das Interesse des Betroffenen zurücktreten muss; an die Begründung sind keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 80 Rn. 85). Die von der Antragsgegnerin gegebene Begründung genügt diesen Anforderungen. Sie legt für den Einzelfall das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Beschlagnahme dar, indem sie auf den kurzfristigen Bedarf an Unterbringungsmöglichkeiten angesichts der bevorstehenden kalten Jahreszeit und den vom Antragsteller angekündigten Abriss des Gebäudekomplexes auf seinem Grundstück verweist.
Das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung der in Rede stehenden Beschlagnahmeverfügung, da sie nach gebotener und nur möglicher summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage rechtswidrig erfolgt ist.
Ermächtigungsgrundlage für die Beschlagnahmeverfügung ist § 11 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nds. SOG. Der Anwendbarkeit dieser Bestimmung stehen speziellere Vorschriften nicht entgegen. Zwar ist die Beschlagnahme von Grundstücken auch aufgrund § 106 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG bzw. § 29 Abs. 1 Satz 1 NKatSG jeweils i.V.m. § 2 Bundesleistungsgesetz möglich. Diese Vorschriften ermächtigen jedoch ausschließlich die Polizeidirektionen bzw. die Landkreise und kreisfreien Städte (§ 2 NKatSG).
Es bestehen bereits Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit des Bescheids, da die nach § 28 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 NVwVfG erforderliche Anhörung nicht durchgeführt worden ist. Die Voraussetzungen für ein ausnahmsweises Absehen von der Anhörung des Antragstellers nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 NVwVfG sind hier nicht erfüllt. Danach kann von einer Anhörung insbesondere abgesehen werden, wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint. Gefahr im Verzug im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn durch eine vorherige Anhörung auch bei Gewährung kürzester Anhörungsfristen ein Zeitverlust einträte, der mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Folge hätte, dass die durch den Verwaltungsakt zu treffende Regelung zu spät käme, um ihren Zweck zu erreichen, was in jedem Einzelfall „ex ante“ zu beurteilen ist (BVerwG, Urt. v. 15.12.1983 - 3 C 27.82 -, juris, Rn. 58 zu der gleichlautenden bayerischen Vorschrift; VG Oldenburg, Urt. v. 22.05.2012 - 7 A 3069/12 -, juris, Rn. 44). Eine solche Eilbedürftigkeit ist vorliegend nicht ersichtlich. Nachdem die Antragsgegnerin bereits im Vorfeld erfolglos mit dem Antragsteller über eine Anmietung des Objektes verhandelt hatte und der Bedarf an weiteren Flüchtlingsunterkünften bekannt war, ist nicht erkennbar, dass eine kurzfristige Anhörung des Antragstellers den Zweck der Verfügung vereitelt hätte.
Ob dieser Fehler nach § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 NVwVfG dadurch geheilt worden ist, dass eine Anhörung im gerichtlichen Verfahren nachgeholt wurde, kann hier im Ergebnis offen bleiben, da der Bescheid sich voraussichtlich auch als materiell rechtswidrig erweist.
Die Voraussetzungen des § 11 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nds. SOG sind vorliegend nicht erfüllt. Danach kann die Verwaltungsbehörde die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine Gefahr abzuwehren und diese Maßnahmen unter Berücksichtigung der Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nds. SOG auch gegen nicht verantwortliche Personen richten.
Eine Gefahr i.S.d. §§ 11,  2 Nr. 1 lit. a Nds. SOG liegt hier vor. Eine drohende unfreiwillige Obdachlosigkeit stellt eine Störung der öffentlichen Sicherheit und somit eine Gefahr i.S.d. § 11 Nds. SOG dar (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 14.12.2009 - 11 ME 316/09 -, juris, Rn. 5). Den Flüchtlingen, die in den kommenden Monaten in Lüneburg erwartet werden, droht aufgrund einer Ausschöpfung der Kapazitäten in den vorhandenen und kurzfristig zu realisierenden Flüchtlingsunterkünften die Obdachlosigkeit. Die Antragsgegnerin hat hinreichend dargelegt, dass sie weiterhin eine erhebliche Anzahl an Flüchtlingen aufnehmen muss und dass für die konkret erwarteten Flüchtlinge derzeit keine genügende Anzahl an Unterkünften zur Verfügung steht.
Allerdings liegen die besonderen Voraussetzungen des sog. polizeilichen Notstands nach § 8 Abs. 1 Nds. SOG zur Inanspruchnahme nichtverantwortlicher Personen nicht vor.
Die Gefahr der Obdachlosigkeit ist zwar i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 1 Nds. SOG gegenwärtig und erheblich. Erheblich ist eine Gefahr gemäß § 2 Nr. 1 lit. c Nds. SOG, wenn eine Gefahr für ein bedeutsames Rechtsgut besteht. Durch Obdachlosigkeit ist, insbesondere angesichts des bevorstehenden Winters, Leib und Leben der Flüchtlinge, mithin ein bedeutsames Rechtsgut gefährdet.
Die Gefahr ist auch gegenwärtig, da die Einwirkung des schädigenden Ereignisses unmittelbar oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht (§ 2 Nr. 1 lit. b Nds. SOG). Es steht nicht zu erwarten, dass die Anzahl der Flüchtlinge, die Deutschland und somit auch Lüneburg erreicht, in absehbarer Zeit deutlich zurückgehen wird. Die Antragsgegnerin hat hinreichend dargelegt, dass mit den derzeitig vorhandenen Unterkünften eine Unterbringung weiterer Flüchtlinge in absehbarer Zeit nicht mehr gewährleistet werden kann und somit neu ankommenden Flüchtlingen Obdachlosigkeit droht. Es ist nicht erforderlich, dass diejenigen Personen, denen Obdachlosigkeit droht, bereits individualisierbar sind. Ausreichend ist vielmehr, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die konkret zu erwartenden Flüchtlinge von Obdachlosigkeit betroffen wären. Angesichts der großen Anzahl an Flüchtlingen, die in den nächsten Monaten die Antragsgegnerin erreichen werden, ist auch davon auszugehen, dass ihnen Obdachlosigkeit in allernächster Zeit droht. Es kann und muss von der Antragsgegnerin zur Abwendung der drohenden Obdachlosigkeit erwartet werden, dass sie rechtzeitig Maßnahmen zur Vermeidung oder Beseitigung dieser Gefahr angeht. Da es nicht lediglich um die Unterbringung vereinzelter Personen geht, sind ggf. umfangreichere Maßnahmen zur Gefahrenabwehr notwendig. Daher dürfen nach Auffassung der Kammer in einer solchen Situation keine überhöhten Anforderungen an die zeitliche Komponente gestellt werden. Denn zur angemessenen Unterbringung einer Vielzahl an Flüchtlingen sind ggf. erhebliche Vorbereitungs- und Umbaumaßnahmen notwendig. Es genügt somit den Anforderungen des § 8 Abs. 1 Nr. 1 Nds. SOG, wenn die Antragsgegnerin Maßnahmen zur Abwehr der Gefahr so rechtzeitig angeht, dass die Gefahr wirksam bekämpft werden kann. Sie muss nicht abwarten, bis Flüchtlinge ankommen, für die keine Unterkunft mehr zur Verfügung steht, und so das Risiko eingehen, dass Maßnahmen der Gefahrenabwehr zu diesem Zeitpunkt zu spät kämen. Es entspricht der Verantwortung der Antragsgegnerin gegenüber den Flüchtlingen, bereits vor Realisierung der Gefahr die nach § 11 Nds. SOG erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen.
Die Voraussetzung des § 8 Abs. 1 Nr. 2 Nds. SOG ist ebenfalls erfüllt.
Allerdings liegen nach summarischer Prüfung die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 3 Nds. SOG nicht vor, da die Antragsgegnerin nicht hinreichend dargelegt hat und für die Kammer nicht ersichtlich ist, dass die Verwaltungsbehörde - hier die Antragsgegnerin - die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig selbst oder durch Beauftragte abwehren kann.
Bei der Beschlagnahme von Grundstücken oder Wohnungen zur Einweisung von Obdachlosen sind wegen des damit verbundenen Eingriffs in das Eigentumsrecht des Hauseigentümers hohe Anforderungen zu stellen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 14.12.2009 - 11 ME 316/09 -, juris, Rn. 5). Die Verwaltungsbehörde muss deshalb bei der Inanspruchnahme privaten Eigentums zur Einweisung von Obdachlosen darlegen, dass ihr im fraglichen Zeitpunkt keine gemeindeeigenen Unterkünfte zur Verfügung stehen und auch die Beschaffung solcher Unterkünfte bei Dritten nicht rechtzeitig möglich ist (vgl. VG Oldenburg, Urt. v. 22.05.2012 - 7 A 3069/12 -, juris, Rn. 55; VG Darmstadt, Beschl. v. 20.07.2009 - 3 L 946/09.DA -, juris, Rn. 8). Im Rahmen des polizeilichen Notstands ist die Beschlagnahme von Privateigentum zur Unterbringung von Obdachlosen nur als eine vorübergehende und kurzfristige Maßnahme möglich (vgl. VG Oldenburg, a.a.O.; Denninger, in: Lisken/Denninger (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl 2012, Kap. D Rn. 151), wobei in der Rechtsprechung überwiegend von einer Höchstdauer von zwei bis maximal sechs Monaten ausgegangen wird (vgl. Rachor, in: Lisken/Denninger, a.a.O., Kap. E Rn. 751 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Die Behörde muss vor der Inanspruchnahme nichtstörender Dritter zunächst selbst alles in ihrer Macht Stehende tun, d.h. alles ihr Mögliche und Zumutbare unternehmen, um die Gefahr zu beseitigen. Bei den zur Beseitigung der unfreiwilligen Obdachlosigkeit gebotenen Bemühungen um Beschaffung einer neuen Unterkunft darf sich die Behörde nicht auf die ihr zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten oder ihrem Einfluss zugänglichen Wohnungen beschränken. Sie ist vielmehr gehalten, gegebenenfalls Räumlichkeiten, auch in Beherbergungsbetrieben, anzumieten, auch wenn diese Lösung im Verhältnis zur Beschlagnahme und zur Zahlung einer Nutzungsentschädigung kostenintensiv sein mag (vgl. Saarl. OVG, Beschl. v. 14.04.2014 - 1 B 213/14 -, juris, Rn. 7 m.w.N.). Zwar muss auch die nur obdachmäßige Unterkunft grundsätzlich den Mindestanforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung genügen und ggf. einer besonderen Hilfsbedürftigkeit des Obdachlosen Rechnung tragen. Gleichzeitig hat die Behörde im Rahmen ihrer Bemühungen zur Unterbringung von Obdachlosen nicht für eine wohnungsmäßige Voll- und Dauerversorgung, sondern lediglich für eine obdachmäßige Unterbringung zu sorgen. Es reicht grundsätzlich aus, wenn eine Unterkunft bereitgestellt wird, die vorübergehenden Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet und Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lässt (vgl. Saarl. OVG, a.a.O., Rn. 9 ff. m.w.N.).
In Anwendung der vorstehenden Grundsätze hat die Antragsgegnerin nicht hinreichend dargelegt, dass andere Möglichkeiten der Unterbringung nicht bestehen. Die Kammer verkennt nicht, dass die hohe Zahl an Flüchtlingen, für die eine Unterkunft gefunden werden muss, eine große Herausforderung darstellt und die Nutzung des ehemaligen Kinder- und Jugendheims des Antragstellers nützlich und sinnvoll wäre, um den Flüchtlingen eine angemessene Unterkunft bieten zu können und dort auch Sozialarbeit und Integrationsmaßnahmen zu ermöglichen. Die Bemühungen der Antragsgegnerin, im Rahmen des von ihr erarbeiteten Konzepts zur Unterbringung von Flüchtlingen dezentrale Unterkünfte für eine überschaubare Anzahl an Flüchtlingen zu bieten, stellen einen wichtigen Aspekt für eine dauerhafte und zufriedenstellende Versorgung der Flüchtlinge dar. Dabei ist es im Rahmen des Unterbringungskonzepts zunächst nicht zu beanstanden, dass auf Klein- und Kleinstunterkünfte verzichtet und eine Unterbringung in Turnhallen möglichst vermieden werden soll.
Der Verwaltungsbehörde steht in Niedersachsen für die Beschlagnahme von privaten Immobilien, anders als dies z.B. in Hamburg nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Sicherung der Flüchtlingsunterbringung in Einrichtungen vom 2. Oktober 2015 (HmbGVBl. S. 245) der Fall ist, lediglich die Generalklausel des § 11 Nds. SOG i.V.m. der Regelung über die Inanspruchnahme nichtverantwortlicher Personen (§ 8 Abs. 1 Nds. SOG) zur Verfügung. Diese ist somit mangels speziellerer Regelungen für die Kammer Prüfungsmaßstab. Danach ist, wie oben dargestellt, eine Beschlagnahme ausschließlich zur Vermeidung der Gefahr der Obdachlosigkeit und nur als letztes mögliches Mittel (ultima ratio) möglich. Daher darf die Gewährung sozialer Fürsorge, die grundsätzlich der Allgemeinheit obliegt, trotz ihrer Bedeutung nicht im Wege der Beschlagnahme zur Vermeidung von Obdachlosigkeit auf eine Privatperson abgewälzt werden (vgl. VG Köln, Beschl. v. 04.06.2008 - 20 L 745/08 -, juris, Rn. 21). Zwar ist auf der Grundlage von §§ 11, 8 Abs. 1 Nds. SOG eine Beschlagnahme von Privateigentum nicht von vornherein ausgeschlossen, vorrangig ist aber jede andere angemessene Form der Unterbringung, die nicht in das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentumsrecht eingreift. Ob die Form der Unterbringung in das Unterkunftskonzept der Antragsgegnerin passt oder von diesem abweicht, ist im Rahmen der Gefahrenabwehr unerheblich. Vorrang vor der Beschlagnahme von Privateigentum hat grundsätzlich jede angemessene Unterkunft, die ohne Eingriff in den Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 GG verfügbar ist, selbst wenn eine leerstehende private Immobilie angemessener erscheint als anderweitige Unterbringungsmöglichkeiten.
Dass eine anderweitige angemessene Unterbringung nicht möglich ist, lassen die Ausführungen der Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren nicht erkennen. Sie hat insbesondere nicht dargelegt, dass eine Unterbringung der Flüchtlinge in der über insgesamt 148 Betten verfügenden Lüneburger Jugendherberge nicht möglich wäre, z.B. im Rahmen der Anmietung eines Traktes. Das Argument der Antragsgegnerin, dass Lüneburg ein Tourismusstandort sei und auch für weniger betuchte Besucher Unterkünfte zur Verfügung stehen müssten, verfängt nicht. Es handelt sich dabei letztlich um wirtschaftliche Erwägungen, die bei der Frage, ob ein Nichtstörer in Anspruch genommen werden kann, grundsätzlich keine Rolle spielen dürfen. Gleiches gilt für die Anmietung von Ferienwohnungen oder Hotelzimmern. Auch wenn es sinnvoll erscheint, ankommende Flüchtlinge schon allein aufgrund der etwa notwendigen Untersuchungen und der Betreuung bei Behördengängen in größeren Unterkünften unterzubringen, wäre dies ggf. durch eine interne Umverteilung der Flüchtlinge möglich, indem in Hotels und Ferienwohnungen Flüchtlinge einquartiert werden, die schon einige Zeit in Lüneburg sind und dadurch Plätze in größeren Unterkünften frei machen könnten. Wirtschaftliche Einbußen bzw. höhere Kosten wären von der Antragsgegnerin hinzunehmen.
Auch die Nutzung von Turnhallen zur vorübergehenden Unterbringung von Flüchtlingen ist grundsätzlich vorrangig vor der Beschlagnahme privater Objekte. Die Antragsgegnerin hat nach eigenen Angaben bereits geprüft, ob und wie eine Nutzung der städtischen Turnhallen möglich wäre und kommt zum Ergebnis, dass eine Unterbringung von Flüchtlingen dort nur im äußersten Notfall und für einen kurzen Zeitraum in Erwägung gezogen werden sollte. Anders als von der Antragsgegnerin vorgetragen, ist nicht ersichtlich, dass Sporthallen nicht als menschenwürdige Unterkünfte zu bewerten seien. Eine solche Unterbringung wird zumindest vorübergehend bereits praktiziert und von der Antragsgegnerin auch nicht kategorisch ausgeschlossen. Zwar ist der Antragsgegnerin zuzustimmen, dass die Unterbringung in Sporthallen hinter der in einer Gemeinschaftsunterkunft, wie sie auf dem Grundstück des Antragstellers vorgesehen ist, zurückbleibt. Aber auch die geplante Gemeinschaftsunterkunft auf dem Grundstück des Antragstellers würde nach dem erforderlichen Umbau im Rahmen der Beschlagnahme lediglich für wenige Monate zur Verfügung stehen, da eine langfristige Beschlagnahme unter Berücksichtigung der oben dargelegten Grundsätze ausgeschlossen sein dürfte. Vorliegend kann es ausschließlich um eine kurzfristige und vorübergehende Maßnahme zur Vermeidung von Obdachlosigkeit gehen, bei der im Zweifel Abstriche bei der - sicherlich sinnvollen - Betreuung durch Sozialarbeit zur Integration der Flüchtlinge zu machen sind. Wenn durch die Inanspruchnahme von Sporthallen zur Unterbringung von Flüchtlingen Sportvereine und Schulen in ihren Aktivitäten eingeschränkt werden, ist dies unter Umständen kurzzeitig aus Gründen der Gefahrenabwehr hinzunehmen. Solange es an einer besonderen gesetzlichen Grundlage fehlt, ist grundsätzlich die Nutzung jeglicher angemessener Unterbringungsmöglichkeiten, die ohne Eingriff in das Eigentumsrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG verfügbar sind, der Beschlagnahme von Privateigentum vorzuziehen. Das gilt auch für die Nutzung von Sporthallen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
2. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Ziff. 1.5 Satz 2 Streitwertkatalog. Berücksichtigt worden ist die wirtschaftliche Bedeutung der Sache für den Antragsteller, wobei die von der Antragsgegnerin festgesetzte Entschädigung von 4,- EUR pro qm für die beabsichtigte Zeit der Beschlagnahme von sechs Monaten zugrunde gelegt worden ist.

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