Der Anspruchsteller muss den
Nachweis erbringen, dass sich die Tiergefahr verwirklichte, auf Grund derer
er einen Anspruch gegen den Tierhalternach der Gefährdungshaftungsnorm des §
833 S. 1 BGB durchsetzen will. Im vorliegenden Fall sind Ponys durchgegangen,
unter denen auch Tiere des Beklagten waren. Sie galoppierten in einen Feldweg,
in dem ihnen der Geschädigte mit seinem Mountainbike entgegenkam. Er verklagte die
Versicherungsnehmerin der jetzigen Klägerin, die ihrerseits dem jetzigen
Beklagten den Streit verkündete. Dem Geschädigten, der seitdem
querschnittgelähmt ist, wurde ein
Schmerzensgeld von € 350.000,00 zugesprochen. Nunmehr macht die
Haftpflichtversicherung der ursprünglich verklagten Versicherungsnehmerin
Regressansprüche gegen den Beklagten geltend, und zwar prozentual in dem
Verhältnis der beteiligten Ponys.
Der BGH negierte eine
Interventionswirkung der Streitverkündung mit dem Hinweis darauf, diese wirke
nur zwischen den Parteien und damit nicht zugunsten der jetzigen Klägerin
(Versicherung). Allerdings bejahte es im Ergebnis den Anspruch. Für die
Tierhalterhaftung käme es nicht darauf an, dass hier die Tiere des Beklagten
selbst dem Mountainbikefahrer zu nahe kamen, da das tierische Verhalten nicht
die einzige Ursache für den Schadenseintritt sein müsse. Es reiche eine
Mitverursachung oder mittelbare Verursachung aus. Vorliegend sind alle Ponys gemeinschaftlich
durchgegangen, was ausreichend sei, ohne dass es nun darauf ankäme, welches
Pony eventuell dem Geschädigten zu nahe gekommen sei und den Fall letztlich
verursacht habe.
BGH, Urteil vom 27.01.2015 - VI ZR 467/13 -
Tenor
- Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 2. September 2013 aufgehoben.
- Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen
Tatbestand
- Die Klägerin begehrt als Tierhalterversicherer aus übergegangenem Recht ihrer Versicherungsnehmerin B. von den Beklagten im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs Regress wegen eines Unfalls, der sich am 29. September 2006 ereignete. Der Sohn der Versicherungsnehmerin der Klägerin unternahm mit deren Pony "Princess" einen Ausritt, an dem auch die von den Beklagten gehaltenen, ebenfalls von Jugendlichen gerittenen Ponys beteiligt waren. Als sich der Gruppe im Kreuzungsbereich zweier Feldwege von links eine von zwei Pferden gezogene Kutsche näherte, gingen die Ponys durch und galoppierten nach rechts in einen Feldweg, auf dem ihnen der Geschädigte S. mit einem Mountainbike entgegenkam. S. stürzte von seinem Rad oder wurde von diesem geschleudert und blieb am Wegrand bzw. im Acker liegen. Er wurde schwer verletzt und ist seitdem querschnittgelähmt. S. nahm die Versicherungsnehmerin der Klägerin auf Schadensersatz in Anspruch. Diese verkündete den jetzigen Beklagten den Streit, die dem damaligen Rechtsstreit auf Seiten der Versicherungsnehmerin der Klägerin beitraten. Diese wurde durch rechtskräftiges Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 8. April 2009 (21 U 50/08, juris) zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 380.000 € verurteilt. Des Weiteren wurde ihre Verpflichtung zum Ersatz sämtlicher materieller und immaterieller Schäden aus Anlass des Unfallgeschehens - vorbehaltlich des Forderungsübergangs auf Dritte - festgestellt. Die Versicherungsnehmerin der Klägerin nahm daraufhin den Kutscher V. im Klagewege auf Regress in Anspruch und verkündete wiederum den jetzigen Beklagten den Streit, worauf die Beklagten zu 1, 2 und 4 dem Rechtsstreit auf Seiten der Versicherungsnehmerin der Klägerin beitraten, während die Beklagte zu 3 dem Rechtsstreit auf Seiten des Kutschers V. beitrat. Die Klage wurde durch rechtskräftiges Urteil des LG Frankfurt am Main vom 7. März 2012 (Az.: 2-25 O 383/09) abgewiesen.
- Die Klägerin macht geltend, sie habe an den Geschädigten S. insgesamt 432.001,65 € gezahlt. Sie begehrt von den Beklagten Regress in Höhe jeweils eines Fünftels dieses Betrages (86.400,33 €) sowie - im Wege der Feststellungsklage - anteiligen Ersatz der von ihr künftig zu erbringenden Aufwendungen. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufungen der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
- I.
- Das Berufungsgericht verneint die Tierhalterhaftung der Beklagten mit der Begründung, nach den im ersten Vorprozess getroffenen Feststellungen stehe aufgrund der Interventionswirkung gemäß § 68 ZPO fest, dass die Ponys sämtlich im Kreuzungsbereich durchgegangen und ins Galoppieren verfallen seien. Ob einzelne Ponys vor oder nach dem tatsächlichen Kreuzungspunkt durchgegangen seien, könne dabei dahinstehen, denn jedenfalls sei keines der vier Ponys der Beklagten dem Geschädigten S. so nahe gekommen, dass dessen tierisches Verhalten den Sturz konkret verursacht habe (vgl. OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 8. April 2009 - 21 U 50/08, aaO Rn. 81 und 83).
- II.
- Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
- 1. Ohne Erfolg macht die Revision allerdings geltend, das Berufungsgericht habe hinsichtlich des Umfangs der Interventionswirkung gemäß § 68 ZPO verkannt, dass es im Vorprozess ausschließlich darauf angekommen sei, ob die damalige Beklagte, die Versicherungsnehmerin der Klägerin, dem Geschädigten S. gegenüber schadensersatzpflichtig sei. Für den Grund der Haftung ihm gegenüber sei es unerheblich gewesen, ob daneben auch andere Pferdehalter (oder Reiter) haftbar seien. Daher seien alle Ausführungen, die sich auf eine Schadensersatzpflicht der anderen Pferdehalter (und Reiter) bezögen, überschießende Feststellungen, die an der Interventionswirkung nicht teilhätten.
- Richtig ist, dass überschießende Feststellungen ausnahmslos von der Interventionswirkung ausgenommen sind (BGH, Beschlüsse vom 27. November 2003 - V ZB 43/03, BGHZ 157, 97, 99 f. und vom 12. November 2009 - IX ZR 231/07, juris Rn. 2). Die Interventionswirkung erstreckt sich gemäß § 68 ZPO nämlich auf die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen, auf denen die Entscheidung beruht. Tragende Grundlage des Urteils im ersten Vorprozess war, dass der Geschädigte S. im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit der Bewegung des außer Kontrolle geratenen Ponys der Versicherungsnehmerin der Klägerin gestürzt ist. Soweit sich dort Ausführungen dazu finden, wo sich die vier Ponys der Beklagten zum Zeitpunkt des Sturzes des Geschädigten S. befanden (vgl. OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 8. April 2009 - 21 U 50/08, aaO Rn. 88), handelt es sich entgegen der Auffassung der Revision aber auch um Feststellungen zur Begründung der Verursachung durch das Pony der Versicherungsnehmerin der Klägerin. Sie waren für die damalige Entscheidung nämlich deshalb tragend, weil mit ihnen begründet wurde, dass es sich bei dem Pony, welches sich zum Zeitpunkt des Sturzes des Geschädigten S. in dessen unmittelbarer Nähe befand, um das Pony der Versicherungsnehmerin der Klägerin und nicht um eines der Ponys der Beklagten handelte.
- 2. Wie die Revision mit Recht geltend macht, hat das Berufungsgericht aber verkannt, dass die sich aus der Streitverkündung ergebende Streithilfewirkung nach § 68, § 74 Abs. 3 ZPO nur gegen den Dritten eintritt, nicht aber auch gegen die Partei, die ihm im Vorprozess den Streit verkündet hat (BGH, Urteile vom 26. März 1987 - VII ZR 122/86, BGHZ 100, 257, 260 ff. mwN und vom 16. Januar 1997 - I ZR 208/94, VersR 1997, 1020). Dies gilt, anders als die Revisionserwiderungen meinen, unabhängig davon, ob die Partei, die im Vorprozess dem Dritten den Streit verkündet hat, sich im Folgeprozess auf die Bindungswirkung beruft, denn die Streithilfewirkung tritt gegebenenfalls kraft Gesetzes ein und ist im Rechtsstreit von Amts wegen zu prüfen (BGH, Urteile vom 4. Februar 1955 - I ZR 105/53, BGHZ 16, 217, 228; vom 26. September 1985 - III ZR 61/84, BGHZ 96, 50, 54; vom 15. November 1984 - III ZR 97/83, VersR 1985, 568 und vom 26. März 1987 - VII ZR 122/86, aaO S. 263; Musielak/Weth, ZPO, 11. Aufl., § 68 Rn. 1 mwN).
- Im ersten Vorprozess hat die Versicherungsnehmerin der Klägerin den Beklagten den Streit verkündet. Die Interventionswirkung dieses Vorprozesses gilt mithin nur gegen die Beklagten, nicht aber zu Lasten der jetzigen Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihrer Versicherungsnehmerin. Da die Feststellung, keines der vier Ponys der Beklagten sei dem Geschädigten so nahe gekommen, dass es dessen Sturz verursacht habe, eine Feststellung zum Nachteil der Klägerin wäre, kann insoweit keine Bindungswirkung an den Vorprozess bestehen.
- 3. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig.
- a) Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen sind alle Ponys im Kreuzungsbereich durchgegangen und ins Galoppieren verfallen, weswegen der Sohn der Versicherungsnehmerin der Klägerin versucht habe, dieses spezifische tierische Verhalten wieder zu bändigen. Sämtliche Ponys hätten sich im unmittelbaren und zeitlichen Zusammenhang im Bereich der Unfallstelle bewegt und seien dort durchgegangen, zu einer Zeit also, als es noch zu keiner Kollision gekommen gewesen sei. Davon abweichende Feststellungen hat das Berufungsgericht, das auf die Feststellungen des Landgerichts Bezug genommen hat, nicht getroffen.
- b) Auf der Grundlage dieser Feststellungen kann die Tierhalterhaftung der Beklagten nicht verneint werden.
- aa) Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats äußert sich eine typische Tiergefahr in einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbständigen Verhalten des Tieres (vgl. grundlegend Senatsurteil vom 6. Juli 1976 - VI ZR 177/75, BGHZ 67, 129, 132 f. sowie Urteile vom 13. Juli 1976 - VI ZR 99/75, VersR 1976, 1175, 1176; vom 14. Juli 1977 - VI ZR 234/75, VersR 1977, 864, 865; vom 12. Januar 1982 - VI ZR 188/80, VersR 1982, 366, 367; vom 6. März 1990 - VI ZR 246/89, VersR 1990, 796, 797; vom 19. November 1991 - VI ZR 69/91, VersR 1992, 371, 372; vom 9. Juni 1992 - VI ZR 49/91, VersR 1992, 1145, 1146; vom 6. Juli 1999 - VI ZR 170/98, VersR 1999, 1291, 1292 und vom 20. Dezember 2005 - VI ZR 225/04, VersR 2006, 416 Rn. 7). Führt das Scheuen eines Pferdes zu einer Schädigung, hat sich eine typische Tiergefahr ausgewirkt (Senatsurteil vom 24. Juni 1986 - VI ZR 202/85, VersR 1986, 1206). Das tierische Verhalten muss nicht die einzige Ursache des eingetretenen Unfalles sein. Es genügt vielmehr, wenn das Verhalten des Tieres für die Entstehung des Schadens adäquat mitursächlich geworden ist (Senatsurteil vom 20. Dezember 2005 - VI ZR 225/04, aaO; OLG Nürnberg, OLGZ 1965, 153 ff.; vgl. auch OLG Hamm, NJW-RR 2001, 19; OLG Oldenburg, VersR 2002, 1166; Geigel/Haag, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kap. 18 Rn. 9; MünchKommBGB/Wagner, 6. Aufl., § 833 Rn. 7; Soergel/Krause, BGB, 13. Aufl., § 833 Rn. 5; Erman/Schiemann, BGB, 14. Aufl., § 833 Rn. 5; Wussow/Rüge, Unfallhaftpflichtrecht, 16. Aufl., Kap. 11, Rn. 3 f., jeweils mwN).
- bb) Nach diesen Grundsätzen kann die Haftung der Beklagten entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht mit der Begründung verneint werden, der Unfall sei konkret durch das Pony der Versicherungsnehmerin der Klägerin verursacht worden und keines der Ponys der Beklagten sei dem Geschädigten S. so nahe gekommen, dass sein tierisches Verhalten den Sturz konkret verursacht habe. Die Revision weist mit Recht darauf hin, dass auch bei der Tierhalterhaftung die Mitverursachung oder bloß mittelbare Verursachung für die Haftungsbegründung ausreicht. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen sind alle fünf Ponys vor dem Sturz des Geschädigten im Kreuzungsbereich "gemeinschaftlich" durchgegangen, ins Galoppieren verfallen und nach rechts in den Feldweg eingebogen, auf dem ihnen der Geschädigte S. mit einem Mountainbike entgegenkam, worauf dieser stürzte. Auf der Grundlage dieser Feststellungen können alle Ponys jedenfalls mittelbar zu dem Sturz des Geschädigten beigetragen haben. Demzufolge kann die von allen fünf Ponys ausgehende Tiergefahr adäquat kausal für dessen Sturz gewesen sein.
- 4. Danach ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dieses wird bei erneuter Befassung Gelegenheit haben, auch das weitere Vorbringen in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen.
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