Freitag, 28. Januar 2022

Ersatz von Beerdigungskosten des Sohnes des Verstorbenen gegenüber dem Erben

Nach dem Ableben des Vaters der Parteien wandte der Kläger Kosten für dessen Beerdigung auf, deren Erstattung er von dem Beklagten begehrte, der alleiniger Erbe nach seinem Vater war. Gegen das der Klage stattgebende Urteil legte der Beklagte Berufung ein; das OLG wies mit Beschluss nach § 522 ZPO darauf hin, dass es die Berufung zurückzuweisen gedenke. Nach Ansicht des OLG ergäbe sich der Anspruch aus § 1968 BGB, da der Beklagte alleiniger Erbe sei und ihm als Erben die Kosten der Beerdigung als Korrelat für den Anfall des Erblasservermögens als Nachlassverbindlichkeiten treffen würden. Mit dem Kläger habe ein Bestattungsberechtigter die Kosten getragen und aus § 1968 BGB ergäbe sich der Erstattungsanspruch.

Insoweit verwies das auf die landesrechtlichen Regelungen, hier in § 9 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 rheinland-pfälzisches Beerdigungsgesetzt (BestG). In diesen landesrechtlichen Regelungen wird die Bestattungspflicht in der Regel den Ehegatten (in einigen Bundesländern auch den Lebenspartnern), volljährigen Kindern, Eltern, nahen Angehörigen (in Sachsen auch dem Betreuer) auferlegt. Die Pflicht bedeutet auch die Übernahme der Kosten. Kommt der Bestattungsverpflichtete seiner Verpflichtung nicht nach und wird die Bestattung durch die zuständige Behörde durchgeführt, ist der verpflichtete dieser gegenüber zur Erstattung der Kosten verpflichtet.

Vorliegend sind nach den Feststellungen des OLG die Kinder des Verstorbenen – wird der Erbe nicht rechtzeitig ermittelt (was z.B. schon dann sein kann, wenn ein Testament nicht rechtzeitig / schnell genug eröffnet wird) – für die Erfüllung der Pflichten aus dem Beerdigungsgesetz verantwortlich. Diese Pflicht auf der einen Seite begründet auf der anderen Seite auch ein Recht (Bestattungsberechtigter).

Vor diesem Hintergrund ließ es das OLG auf sich beruhen, ob eine dem Kläger vom Verstorbenen erteilte Generalvollmacht hier auch die Totenfürsorge umfasste und er deshalb die Beerdigung habe veranlassen können, ferner auch die Behauptung des Beklagten, der Erblasser habe an ihn den Wunsch herangetragen, die Beerdigung zu besorgen. Da der Kläger als Berechtigter nach dem BestG gehandelt habe, könne er auch die Kosten von dem Erben, also dem Kläger, erstattet verlangen, § 1968 BGB.

Auch die hier vom Kläger als Erstattungsanspruch gegen den Beklagten geltend gemachte Höhe der aufgewandten Kosten hielt das OLG als ersatzfähig. Der Umfang des Schadensersatzes, den der Beerdigungsberechtigte vom Erben verlangen könne, werde in erster Linie durch seine Lebensstellung bestimmt und umfasse die Kosten für eine würdige und angemessene Bestattung. Ferner seien sie in den Kreisen des Verstorbenen herrschenden örtlichen Auffassungen und Gebräuche zu beachten. Der Kostenerstattungsanspruch beschränke sich auf die Kosten für die Beerdigung, also den Beerdigungsakt und die Beerdigungsfeier  bis zu der nach den genannten Grundsätzen  zu ermittelnden Höhe.

Da der Beklagte die Berufung nicht zurücknahm, wies sie das OLG mit Beschluss vom 05.10.2021 zurück.

OLG Koblenz, Beschluss vom 03.09.2021 - 12 U 752/20 -

Dienstag, 25. Januar 2022

Anfechtung nach § 123 BGB: Besteht Anspruch auf Schadensersatz wegen Maklerprovision und Grunderwerbsteuer ?

Nachdem die Klägerin den von ihr als Käuferin mit dem Beklagten abgeschlossenen Grundstückskaufvertag  wegen arglistiger Täuschung angefochten hatte, forderte sie im Rahmen der Rückabwicklung u.a. die von gezahlte Grunderwerbsteuer und die von ihm gezahlten Maklerkosten zurück. Die Klage wurde vom Landgericht abgewiesen. Auf die Berufung gab das Oberlandesgericht der Klage von Grundsatz her statt, wies aber die zwei von der Klägerin geltend gemachten Schadenspositionen ab. Der BGH sah die Klage auch zu diesen Positionen als grundsätzlich begründet an. 

Bei einer vorvertraglichen arglistigen Täuschung könne die Klägerin Ersatz des sogenannten Vertrauensschadens verlangen, §§ 280, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB, da der Geschädigte so zu stellen sei, wie er bei Offenbarung der für seinen Vertragsentschluss maßgeblichen Umstände stünde. Damit könne er die im Vertrauen auf den Vertragsschluss getätigten Aufwendungen ersetzt verlangen, halte er nicht - wie vorliegend - am Vertrag fest (BGH, Urteil vom 11.06.2020 - V ZR 144/09 -).

Das Oberlandesgericht vertrat die Auffassung, die Klägerin könne die Schadenspositionen Maklerprovision und Grunderwerbseuer deshalb nicht von dem Beklagten begehrten, da sie einen Erstattungsanspruch gegen Makler und Finanzamt habe. Dem folgte der BGH nicht.

Allerdings entfalle im Falle einer erfolgreichen Anfechtung des Kaufvertrages wegen vorvertraglicher arglistiger Täuschung nach § 123 BGB der Anspruch auf Maklerprovision und könne insoweit vom Makler nach Bereicherungsrecht zurück gefordert werden (BGH, Urteil vom 09.07.2009 - III ZR 104/08 -). Zur Grunderwerbsteuer bestünde bei Anfechtung des Kaufvertrages wegen arglistiger Täuschung nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG ein Erstattungsanspruch. Allerdienst würden der Bereicherungs- und Erstattungsanspruch nicht zum Entfall eines Schadensersatzanspruchs der Klägerin gegen den Beklagten als Verkäufer führen. Die Geschädigte müsse sich nicht darauf verweisen lassen, dass sie einen Anspruch gegen einen Dritten habe, der zum Ausgleich einer Vermögenbeeinträchtigung führe. Vielmehr sei es Sache der Geschädigten zu entscheiden, wen sie auf Ausgleich Anspruch nehmen wolle; sie müssen sich nicht verweisen lassen. Mit der Möglichkeit, die Ansprüche direkt bei dem Schädiger geltend zu machen, die durch dessen Pflichtverletzung entstanden seien, könne sie den Aufwand und das Insolvenzrisiko auf den Schädiger verlagern;  dies folge aus § 255 BGB. Allerdings sei der Schädiger entsprechend § 255 BGB auch nicht verpflichtet, ohne Abtretung der Ansprüche der Klägerin gegen die Maklerin und das Finanzamt Schadensersatz zu leisten wobei der Leistungsaustausch Zug-um-Zug vorzunehmen sei; soweit der VII. Zivilsenat im Urteil vom 21.03.2002 – VII ZR 493/00 – noch eine andere Auffassung vertrat, würde er nach seiner auf Anfrage abgegebenen Erklärung nicht mehr daran festhalten.

BGH, Urteil vom 24.09.2021 - V ZR 272/19 -

Sonntag, 23. Januar 2022

Streitwertaddition bei nachträglichem Auswechseln der begehrten Mieten

Der Kläger machte zunächst gegen die Beklagten den rückständigen Mietzins für die Monate Januar bis Mai 2020 sowie eine Nachzahlung aus der Betriebskostenabrechnung 2019 mit insgesamt € 4.396,46 geltend. Nachdem die Beklagte Erfüllung der Mietforderungen für Januar bis März 2020 einwandten, machte der Kläger nunmehr insoweit einen Mietrückstand für die Monate April bis Juni 2020, eine Nutzungsentschädigung für Juli 2020 und Mietrückstände für August sowie Dezember 2019 mit insgesamt € 5.091,94 geltend. Das Amtsgericht verurteilte die Beklagten zur Zahlung von € 4.551,46 zuzüglich Zinsen und außergerichtlicher Anwaltsgebühren und erlegte die Kosten des Rechtsstreits zu 62% den Beklagten und zu 38% dem Kläger auf; den Streitwert setzte das Amtsgericht mit Beschluss vom 13.04.2021 auf € 7,401,94 fest. Die Höhe des Streitwerts begründete es mit den durch die Klageerweiterung vorgenommenen dortigen Klageantrag von € 5.091,94 sowie den zuvor geltend gemachten Mieten Januar bis März 2929 und der Betriebskostennachzahlungsforderung, hinsichtlich derer die Klage im Zuge der Klageerweiterung konkludent zurückgenommen worden sei.

Gegen den Streitwertbeschluss richtete sich die Beschwerde des Klägers, der die Festsetzung eines Streitwerts von € 5.091,94 begehrte. Es habe keine konkludente Klagerücknahme vorgelegen, sondern eine sachdienliche Klageänderung. Dem folgten das Landgericht und (auf die vom Landgericht zugelassene weitere Beschwerde) das Oberlandesgericht nicht.

Das Landgericht folgte dem Kläger dahingehend, dass es sich bei seinem neuen Klageantrag (teilweise) um eine Klageänderung gem. § 263 ZPO gehandelt habe, insoweit die Mietforderung für Januar bis März zurückgenommen worden sei und gleichzeitig die Klage für die Mietforderungen aus den Monaten August und Dezember 2019 und Juni 2020 sowie (in Bezug auf eine Nutzungsentschädigung) für Juli 2020 erweitert worden sei.

Sodann setzte sich das Landgericht mit der unterschiedlichen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auseinander, ob bei einer Klageänderung wie vorliegend bei wirtschaftlich nicht identischen Streitgegenständen die Streitwerte gem. § 39 Abs. 1 GKG zu addieren seien. Es schloss sich der Ansicht an, dass eine Addition stattzufinden habe. Eine Begrenzung der vorzunehmenden Zusammenrechnung auf gleichzeitig anhängige Ansprüche ließe sich dem Wortlaut des § 39 Abs. 1 GKG nicht entnehmen. Eine Vorschrift, welche die Zusammenrechnung wie § 45 GKG von besonderen Voraussetzungen abhängig mache, würde fehlen. Auch sei der Wortlaut des § 39 Abs. 1 GKG weit gefasst und erlaube gegenüber der allgemeinen Verweisung in § 48 Abs. 1 S. 1 GKG ein anderes Verständnis für den Gebührenstreitwert, da § 489 GKG für die Frage der Zuständigkeit entscheidend sei. Anders als bei dem Zuständigkeitsstreitwert gäbe es bei der Bemessung des Gebührenstreitwerts an Hand der anhängig gewordenen Streitgegenstände gem. §§ 40, 47 GKG keinen Grund, die Zusammenrechnung auf gleichzeitig erhobene Ansprüche zu beschränken.

Das Oberlandesgericht folgte dem Landgericht in seiner Bewertung. Es verwies ergänzend darauf, dass auch für eine Addition der Werte aller je in das Verfahren eingeführten Streitgegenstände ein praktischer Gesichtspunkt spräche: Seien Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen (Anm.: wie die Miete aus einem Mietvertrag) zu erfüllen, hätten es die Parteien je nach Verfahrenslänge in der Hand, den Verfahrenswert konstant niedrig zu halten, indem sie von der Verfolgung erfüllter Monatsraten „formfrei Abstand nehmen“ könnten und den Nominalbetrag des Klageantrages jeweils mit neuen in Rückstand geratenen Klagen auffüllen. Der Streitwert bliebe in diesem Fall jeweils unverändert, obwohl sich das Gericht jeweils mit der nicht absehbaren Anzahl von Monaten auseinanderzusetzen hätte.

Folgerichtig sei zudem nach Ansicht des Oberlandesgerichts die Addition der Streitwerte auch deshalb, da § 40 GKG darauf beruhe, dass der den jeweiligen Streitgegenstand betreffende Antrag maßgebend sei, der den Rechtszug einleite. Dieser Norm hätte es nicht bedurft, wenn die Addition eine zeitgleiche Verfahrenseinleitung voraussetze. Wenn aber eine zeitgleiche Einleitung nicht erforderlich sei, müssten auch die Streitgegenstände nicht bis zum Verfahrensabschluss verfolgt werden, wenn - wie hier - eine Partei wegen erkannter Teilerfolglosigkeit der Klage eine Teilrücknahme dadurch zu umgehen versucht und eine Erklärung nur deshalb nicht abgibt, um eine nachteilige Kostenlast zu vermeiden.

Anmerkung: Der Streitwert ist Grundlage für die Berechnung der Gerichtskosten und der anwaltlichen Gebühren, ebenso für eine Kostenverteilung im Urteil.

LG Stendal, Beschluss vom 14.07.2021 - 25 T 86/21 -

OLG Naumburg, Beschluss vom 20.10.2021 - 3 W 19/21 -

Samstag, 22. Januar 2022

Kündigung: Empfangsbevollmächtigter bei Erbengemeinschaft als Mieter einer Wohnung

Die Beklagte war Miterbe in einer Erbengemeinschaft, die als Rechtsnachfolger in das Mietverhältnis mit der Klägerin nach dem Ableben des ursprünglichen Mieters eintrat. Mit Schreiben vom 21.09.2020 kündigte die Klägerin der Beklagten als einen der Miterben das Mietverhältnis zum 31.12.2020. In der Räumungsklage wurde eine fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzugs mit neun Mieten erklärt. In einem weiteren Schriftsatz vom 02.06.2021 in dem gegen die Beklagte geführten Räumungsprozess kündigte die Klägerin das Mietverhältnis gegenüber allen Erben fristlos, vorsorglich ordentlich.

Voraussetzung für eine Räumungsklage ist, dass eine dieser vorausgegangene Kündigung gegenüber allen Mieter ausgesprochen wird, mithin hier gegenüber allen Mitgliedern der Erbengemeinschaft. Tatsächlich erfolgte die Kündigung nur gegenüber der Beklagten als ein Mitglied der Erbengemeinschaft. Erstmals im Schriftsatz vom 02.06.2021 wurde die Kündigungserklärung auch gegenüber den Miterben der Beklagten ausgesprochen, die allerdings nicht am Verfahren beteiligt waren.

Das Amtsgericht gab der gegen die Beklagte erhobenen Räumungsklage gleichwohl statt. Es sah das Mietverhältnis (bei bejahten Kündigungsgrund infolge Mietzahlungsverzugs, § 543 Abs. 2 Nr. 3 a und b BGB) als durch die Kündigungserklärung im Schriftsatz vom 02.06.2021 als beendet an. Insoweit nahm es eine passive Vertretungsberechtigung der Beklagten zur Empfangnahme der Kündigungserklärung im Rahmen des Schriftsatzes vom 02.06.2021 unter Bezugnahme auf § 2038 Abs. 1 S. 1 2. Halbs. BGB. Allerdings enthält S. 1 keinen zweiten Halbsatz. Die Norm des § 2038 BGB betrifft die (gemeinschaftliche) Verwaltung des Nachlasses.

Weiterhin verwies das Amtsgericht auf § 14 Abs. 2 des Mietvertrages. Danach soll zur Wirksamkeit des Zugangs einer Willenserklärung (hier mithin der Kündigung) ausreichend sein, wenn diese gegenüber einem der Mieter ausgesprochen würde. Hier ist vom Amtsgericht nicht thematisiert, ob es sich um eine Empfangsvollmacht in einem Formularmietvertrag handelt. Die Wirksamkeit einer solchen Klausel in einem Formularmietvertrag strittig (vgl. KG, Rechtsentscheid KG vom 25.10.1984 - 8 RE-Miet 4148/84 - und LG München I, Urteil vom 12.10.2016 – 14 S 6395/16 -).

Das Amtsgericht ging von einer Empfangsvollmacht der Beklagten aus und hatte daher der Klage stattgegeben.

Auch wenn man mit dem Amtsgericht von einer wirksamen Empfangsvollmacht ausgehen wollte, so verhilft das Urteil den Vermieter noch nicht weiter. Denn er kann keine Räumung durchführen, insoweit die weiteren Mitglieder der Erbengemeinschaft, die nicht mitverklagt wurden, nicht freiwillig räumen. Dazu würde ihm vorliegend ein auch gegen diese wirkender vollstreckungsfähiger Titel fehlen. Ebenso ist es angezeigt, bei Kenntnis davon, dass mehrere volljährige Personen in der Wohnung wohnen, diese mit zu verklagen, da mit dem Titel gegen den Mieter alleine die Vollstreckung zur Herausgabe der Wohnung nicht vollzogen werden kann.

AG Frankfurt am Main, Urteil vom 04.08.2021 - 33 C 100/21 -

Montag, 17. Januar 2022

COVID-19: Geschäftsschließung wegen COVID-19 und Einfluss auf Mietverhältnis

Lange wurde eine grundlegende Entscheidung des BGH ersehnt: Wie wirkt sich eine COVID-19 bedingte hoheitliche Maßnahme, die die Schließung von Geschäftslokalen zur Folge hat, auf das Mietverhältnis aus ? Der BGH hat sich der Ansicht angeschlossen, die darin  keinen Mietmangel sehen, auch keine Unmöglichkeit des Vermieters,  die Mietsache in einem Zustand zum vertragsgemäßen Gebrauch zu überlassen. Er stellt auf § 313 Abs. 1 BGB ab und räumt dem Mieter von gewerblichen Räumen das grundsätzliche Recht ein, eine Anpassung der Miete zu begehren. Allerdings soll eine Prüfung des Einzelfalls erfolgen, ob für den Mieter eine Unzumutbarkeit besteht, ab dem unveränderten Vertrag festzuhalten, wobei im Rahmen der Prüfung auch finanziell Vorteile des Mieters (z.B. staatliche Hilfen zum Ausgleich der pandemiebedingten Leistungen ) berücksichtigt werden sollen.

Die Leitsätze der Entscheidung des BGH vom 12.01.2022 – XII ZR 8/21 – lauten:

„1. Die durch die COVID-19-Pandemie bedingte Schließung eines Einzelhandelsgeschäfts führt nicht zu einem Mangel der Mietsache im Sinne von § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB. Dem Vermieter wird dadurch die vertraglich geschuldete Leistung zur Überlassung und Erhaltung der Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand auch nicht ganz oder teilweise unmöglich.

2. Im Fall einer Geschäftsschließung, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie beruht, kommt grundsätzlich ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht.

3. Bei der Prüfung, ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, verbietet sich eine pauschale Betrachtungsweise. Maßgeblich sind vielmehr sämtliche Umstände des Einzelfalls. Daher sind auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat.“

Nachfolgend sollen die wesentlichen Erwägungen des BGH aufgezeigt werden, die der BGH für eine Anpassung des Mietzinses ausführte und welche Konsequenzen dies für die Darlegungs- und Beweislast der Parteien des Mietverhältnisses hat.

1.

Der BGH stellt klar, dass die Regelungen zur Leistungsstörung, so insbesondere in § 313 Abs. 1 BGB (Regelungen zur Veränderung der Geschäftsgrundlage nach Vertragsabschluss) entgegen einer in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Ansicht nicht von Art. 240 § 2 EGBGB ausgeschlossen würden, mit dem der Gesetzgeber Kündigungsmöglichkeiten des Vermieters wegen eine (coronabedingten) Leistungsverzugs ausschloss.  Er schließt sich der Gegenansicht an und verwies darauf, dass die Regelung in Art. 240 § 2 Abs. 1 S. 1 EGBGB nur eine Beschränkung des Kündigungsrechts des Vermieters bei coronabedingter Nichtleistung enthalte, die Pflicht zur Mietzahlung aber nicht tangiert würde. Zudem sei nach dem Gesetzeszweck den Mietern ein Moratorium für einen bestimmten Zeitraum eingeräumt worden. Entgegen einem in Art. 240 § 1 EGBGB enthaltenen Grundsatz habe der Gesetzgeber aber davon Abstand genommen dem Mieter ein Leistungsverweigerungsrecht einzuräumen. Würde es sich um eine abschließende Regelung handeln, würde sich diese zum Nachteil der Mieter auswirken, da diese auch bei einer coronabedingten Schließung zur Zahlung der vollständigen Miete verpflichtet blieben. Das Risiko, die Räume nutzen zu können, sei in diesem Fall alleine auf den Mieter verlagert, weshalb in der Konsequenz sich diese Norm dann als Schutz des Vermieters darstellen würde. Es lägen aber keine Anhaltspunkte vor, dass hier der Gesetzgeber das Nutzungsrisiko alleine auf den Mieter verlagern wollte.

a)

Soweit teilweise ein Minderungsrecht des Mieters nach § 536 Abs. 1 BGB angenommen würde, sei dem aber zu folgen. Betriebsschließungen, die durch Allgemeinverfügungen des Staates veranlasst wurden, würden keinen Mangel der Mietsache darstellen. Öffentlich-rechtliche Gebrauchshindernisse und -beschränkungen könnten nur dann einen Mangel der Mietsache nach §§ 536ff BGB begründen, wenn sie auf der konkreten Beschaffenheit der Mietsache beruhen würden und nicht ihre Ursache in persönlichen oder betrieblichen Umständen des Mieters ihre Ursache hätten. Gesetzgeberische Maßnahmen währen des Gebrauchs der Mietsache könnten nur dann zu einem Mangel der Mietsache führen, wenn diese Gebrauchsbeschränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der geschäftlichen Lage des Mietobjekts in Zusammenhang stünde. Dies sei aber bei den coronabedingten Allgemeinverfügungen nicht der Fall, da diese nicht auf der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des der Mietsache beruhen würden, sondern an den Geschäftsbetrieb des Mieters anknüpfen. Zwar sei der Zugang zu den entsprechenden Einrichtungen untersagt und der ungehinderte Zugang gerade bei der Vermietung von Gewerberäumen Voraussetzung für eine vertragsgemäße Nutzung, wenn dieser auf den Kundenverkehr angewiesen sei. Allerdings verbiete sich eine Ausuferung des Mangelbegriffs, weshalb auch in diesen Fällen die Zugangsbeschränkung nur dann als Mangel anerkannt werden könne, wenn  die Zugangsbeschränkung mit der Lage oder der Beschaffenheit des Mietobjekts zusammenhängen würde (so bei Baumaßnahmen der öffentlichen Hand im Umfeld der Mietsache), nicht aber wenn die Zugangsbeschränkung allgemein coronabedingt für Geschäfte in dem betroffenen Gebiet ein Öffnungsverbot gilt. Die weitergehende Frage, ob bei einer Beschränkung des Öffnungsverbotes nur für einzelne Geschäftsbereiche (z.B: Gaststätten, Fitnessstudios) anders gelten müsste, ging der BGH nicht ein; man wird aber in Ansehung seiner einschränkenden Darlegung des Mangelbegriffs davon auszugehen haben, dass auch für diesen Fall ein Mangel nicht angenommen werden kann, da es nicht um das Geschäft im Einzelnen gehen würde, sondern um eine unbestimmte Anzahl von Geschäften in dem betroffenen Gebiet. Im Hinblick auf eine Entscheidung des Reichsgerichts zu einem Mangel der Mietsache wegen Verbots von Tanzveranstaltungen während des 1. Weltkriegs für eine Gaststätte mit vorwiegend Tanzveranstaltungen (RGZ 87, 277, 280; RGZ 89, 203, 205) verwies der BGH darauf, dass zum Einen der damalige der Mangelbegriff vom BGH fortentwickelt worden sei, zudem erst später die Grundsätze über die Störung der Geschäftsgrundlage entwickelt wurden.

Entsprechend negierte auch der BGH eine Befreiung von der Mietzahlungspflicht, da dem Vermieter seine vertragliche geschuldete Leistung zur Überlassung und Erhaltung der Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand ganz oder teilweise unmöglich geworden sei (§§ 326 Abs. 1, 275 Abs. 1 BGB). Ob diese Regelungen durch das mietrechtliche Gewährleistungsrecht ((§§ 536ff BGB) ausgeschlossen seien, könne dahinstehen. Dem Vermieter sei es nach den obigen Grundsätzen nicht unmöglich, dem Mieter den Gebrauch der Mietsache entsprechend dem Mietzweck zu gewähren und seine geschuldete Leistung auch während der Zeit der hoheitlich angeordneten Schließung erbracht. Er habe keine (mangels Vereinbarung) keine Einstandspflicht für den Fall einer hoheitlich angeordneten Öffnungsuntersagung im Falle einer Pandemie.

b)

In Betracht käme allerdings eine Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 Abs. 1 BGB.

Die Anpassung könne verlangt werden, wenn sich die Umstände, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, nach Vertragsabschluss schwerwiegend verändert hätten. Diese Anpassung könne nur insoweit gefordert werden, als dem einen Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der gesetzlichen und vertraglichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden könne.

Die durch die COVID-19-Pandemie hervorgerufene weitreichende Beschränkung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens habe den abgeschlossenen Mietvertrag (für die betroffen Geschäfte) schwerwiegend geändert, da bei Abschluss des Vertrages keine der Parteien an eine derartige Pandemie und deren verbundenen erheblichen hoheitlichen Eingriffen gedacht habe.  Wegen der vielfältigen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie (Geschäftsschließungen, Kontakt- und Zugangsbeschränkungen) und der damit verbundenen Auswirkungen auf das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben während des 1. Lockdown im Frühjahr 2020 sei die sogenannte große Geschäftsgrundlage betroffen. Unter der großen Geschäftsgrundlage verstünde man die Erwartung der Vertragsschließenden, dass die die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen des Vertrages nicht etwa durch Revolution, Krieg, Vertreibung, Hyperinflation oder (Natur-) Katastrophen ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert würde.  Durch die Schließung des Geschäftslokals durch die coronabedingte hoheitliche Maßnahme sei eine derartige Störung eingetreten.

Allerdings sei für die Anwendung des § 313 BGB insoweit kein Raum, als es um Erwartungen und um Umstände gehen würde, die nach der vertraglichen Vereinbarung in den Risikobereich lediglich einer Partei fallen würden. Der Mieter habe aber im vorliegenden Fall nicht alleine das Verwendungsrisiko, wenn nichts anderes vereinbart wurde, wobei derartige Vereinbarungen auch eng auszulegen seien. Es sei auch davon auszugehen, dass die Parteien, hätten sie bei Abschluss des Vertrages eine Pandemie mit der Gefahr hoheitlich angeordneter Schließungen bedacht, den Vertrag mit einem anderen Inhalt geschlossen hätten.  Es sei davon auszugehen, dass „redliche Mietvertragsparteien“ das Risiko nicht einseitig zu Lasten des Mieters geregelt hätten, sondern in diesem Fall eine Möglichkeit zur Mietanpassung vorgesehen hätten.

Auch wenn die Geschäftsgrundlage danach entfallen ist, bedeutet dies nicht notwendig eine Öffnung für eine Vertragsanpassung, wie der BGH feststellt. § 313 Abs. 1 BGB erfordere weiterhin, dass dem betroffenen Vertragspartner (hier Mieter) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen und gesetzlichen Risikoverteilung, ein Festhalten am Vertrag nicht zugemutet werden könne. Das Festhalten müsste zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führen. Ein Festhalten des Mieters am Vertrag zu der dortigen Miethöhe käme damit dann in Betracht, wenn ihm dies nach Abwägen aller Umstände einschließlich der Risikoverteilung zumutbar sei.

Im Verhältnis Vermieter und Mieter trage grundsätzlich der Mieter das Verwendungsrisiko. Dazu gehöre auch, mit der Mietsache Gewinne erzielen zu können. Erfülle sich dies aufgrund nachträglich eingetretener Umstände nicht, handele es sich um ein typisches Risiko des Mieters; dies würde auch für nachträgliche gesetzgeberische oder hoheitliche Maßnahmen gelten, die zu einer Beeinträchtigung des Gewerbebetriebs führen. Wenn aber die enttäuschte Gewinnerwartung des Mieters auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Eindämmung der COVID-19-Pandemi in Form einer zeitweiligen Betriebsschließung beruhe, gehe dies über das gewöhnliche Verwendungsrisiko hinaus. Die wirtschaftlichen Nachteile würden nicht auf unternehmerischen Entscheidungen beruhen und auch nicht auf enttäuschten Vorstellungen. Sie seien Folge umfassender staatlicher Eingriffe. Es habe sich damit ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das von der mietvertraglichen Risikoverteilung ohne entsprechende Regelung nicht erfasst sei. Es sei eine Systemkrise mit weitreichenden Folgen, die zur Störung der großen Geschäftsgrundlage geführt habe.

2.

Der BGH lehnt eine schematische Teilung des Risikos durch Halbierung der Miete ab, da das Risiko der pandemiebedingten Gebrauchsbeschränkung keine der Mietvertragsparteien alleine träfe.

a)

Bei der vorzunehmenden Abwägung sei zunächst von Bedeutung, welche Nachteile der Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer habe. Diese lägen bei dem gewerblichen Mieter im Umsatzrückgang, wobei auf den Geschäftsumsatz und nicht auf einen möglichen Konzernumsatz abzustellen sei. Auch sei zu berücksichtigen, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat bzw. ergreifen könnte, um die möglichen Verluste der Geschäftsschließung zu vermindern.

Um eine Überkompensation von derartigen Verlusten zu vermeiden, seien weiterhin bei der Prüfung der Unzumutbarkeit die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat oder hätte erlangen können, wozu auch Leistungen einer evtl. einstandspflichtigen Betriebsversicherung zählen würden. Hingegen würden staatliche Leistungen, die nur als Darlehen gewährt würden, außer Betracht zu bleiben haben, da durch solche Darlehen keine Kompensation (infolge der Rückzahlungspflicht) entstünde. Für die Anpassung sei aber eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters nicht erforderlich.

Ferner seien bei der Abwägung auch die Interessen des Vermieters zu berücksichtigen. Welche das im Einzelnen sind, wird vom BGH nicht weiter ausgeführt. Zu denken wäre an den laufenden Unterhalt der Immobilie (Steuern, Versicherungen, Abgaben für Müllabfuhr pp., evtl. Tilgung von Darlehen).

Derjenige, der sich auf eine Störung der Geschäftsgrundlage berufe, müsse den Nachweis erbringen, dass ihm ein Festhalten am Vertrag zu den bisherigen Konditionen unzumutbar sei. Er müsse daher im Falle einer pandemiebedingten Schließung darlegen und (im Falle des Bestreitens) nachweisen, welche Nachteile ihm aus der Betriebsschließung entstanden sind, die ihm eine vollständige Mietzahlung für diesen Zeitraum unzumutbar machen, ferner, welche zumutbaren Anstrengungen er unternommen hat, um drohende Verluste auszugleichen. Behauptet er, keine staatliche Unterstützung erhalten zu haben, müsse er darlegen und evtl. beweisen, um welche Hilfeleistungen er sich vergeblich bemühte; gelänge ihm dies nicht, müsste er so behandelt werden, als hätte er die staatliche Unterstützung erhalten. Wenn der Vermieter einwendet, die Verluste würden nicht auf der COVID-19-Pandemie beruhen, so müsse dies der Vermieter darlegen und beweisen. 

b)

Mit der hoheitlichen Maßnahme der Schließung von Geschäften für eine bestimmte Zeit tritt an sich bereits der Zeitpunkt ein, zu dem ersichtlich ist, dass kein Umsatz mehr erzielt werden kann, ggf. Ersatzmaßnahmen getroffen werden müssen. Wann aber soll nun der Mieter sein Verlangen auf Anpassung der Mietkonditionen wegen Wegfalls der großen Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB stellen ?

In seiner Entscheidung geht der BGH auf die Dauer der Schließung und den Verlust währen dieser Zeit ein, ebenso auf die möglichen Unterstützungen durch den Staat, eine Betriebsversicherung pp. Ob und inwieweit staatliche Stellen Zahlungen leisten, ob eine Betriebsversicherung zahlt oder zahlen muss, wird sich regelmäßig erst im Laufe der Zeit feststellen lassen, ebenso wie sich der Erfolg möglicher Ersatzmaßnahmen erst im Laufe der Zeit zeigen wird. Soll nun der Mieter weiter zahlen oder es auf einen Mietrückstand ankommen lassen (der bei dem ersten Lockdown noch - so der BGH - nach Art. 240 § 2 Abs. 1 S. 1 EGBGB ein Kündigungsrecht des Vermieters ausschloss (nicht aber im zweiten Lockdown) ?

In dem vom BGH abgehandelten Fall hatte der Mieter lediglich die Miete für April 2020 nicht gezahlt, alle anderen Mieten in 2020 hatte er gezahlt. Das hätte dem Berufungsgericht nach Auffassung des BGH Veranlassung geben müssen, sich die Frage zu stellen, ob der durch die Geschäftsschließung bedingte Umsatzrückgang tatsächlich so erheblich war, dass für den Mieter die vollständige Bezahlung der Miete für den streitgegenständlichen Zeitraum unzumutbar war.

Es ist sicherlich im Nachhinein leicht festzustellen, welcher Umsatz ausgefallen ist, welche Maßnahmen hätten ergriffen werden können, um eine n Umsatzverlust einzudämmen oder gar zur verhindern, welche staatlichen Leistungen möglich gewesen wären und ob eine Betriebsversicherung hätte zahlen müssen. Zweifelhaft ist aber, ob dies bereits zu Beginn der pandemiebedingt angeordneten Schließung für einen längeren Zeitraum möglich ist.

BGH, Urteil vom 12.01.2022 – XII ZR 8/21 -

Samstag, 15. Januar 2022

Fitnessstudio: Verkehrssicherungspflicht für Free-Style-Bereiche

Die Beklagte unterhielt in ihrem Fitnessstudio einen sogen. Free-Style-Bereich. Es handelte sich um einen  Bereich, in dem die Kunden des Studios u.a. verschiedene bereitliegende Geräte nehmen und nach eigener Vorstellung mit diesen trainieren konnten.  In diesem Bereich war eine sogen. Slackline (Kunstfaser- oder Gurtband, auf dem balanciert werden kann) in signalroter Farbe zwischen zwei Säulen auf einer Distanz von 6 bis 8 m gespannt, die nach Angaben der Beklagten in einer Höhe von 50 cm, nach Angaben der 74-jährigen Klägerin (die sie allerdings nach eigenen Angaben gesehen haben will) 15 – 20 cm angebracht war. Die Klägerin stürzte über die Slackline und zog sich Frakturen am Schienbein und einen Wadenbeinbruch zu und klagte auf Schmerzensgeld und Feststellung eines weiteren materiellen und immateriellen Schadens. Sie wandte sich mit ihrer Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts. Ihre Berufung wurde zurückgewiesen. Es würden weder aus Vertrag noch aus Delikt  Ansprüche aus einer Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht der Beklagten bestehen. 

Die gebotene Verkehrssicherungspflicht erfordere diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend halte, um andere vor Schäden zu bewahren. Es müsse daher nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Von daher reiche es aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten dürfe, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die ihm nach den Umständen auch zumutbar seien. Gerade der Betreiber einer Sport- und Spielanlage brauche daher nicht allen Gefahren vorzubeugen; ausreichend sei eine Verkehrssicherung in Bezug auf Gefahren, die über das übliche Risiko bei der Anlagenbenutzung hinausgehen würden und für den Benutzer nicht vorhersehbar und nicht ohne weiteres erkennbar seien (BGH, Urteil vom 09.09.2008 - VI ZR 279/076 -). 

Die Slackline, bei der möglicherweise die Gefahr bestanden habe, über diese zu stolpern, sei nach Auffassung des OLG auch für einen durch sportliche Übung bereits etwas erschöpften Menschen deutlich zu sehen gewesen. Sie sei durch die rote, signalartige Farbe von weitem zu erkennen gewesen und habe sich deutlich von der grün-grau-schwarzen Bodenfläche (auch aus der Ferne) abgehoben. Auch wenn sie eventuell nicht mit der vollen breiten Seite, sondern nur mit der schmalen Seite gesehen würde, sei sie noch deutlich erkennbar gewesen, weshalb sie die Klägerin beim Betreten des Free-Style-Bereichs hätte erkannt werden können. 

Zudem stelle der Free-Style-Bereich keinen Bereich dar, in dem nach seiner Zweckbestimmung nicht mit Hindernissen zu rechnen sei. Da er von den Nutzern frei als Bewegungsraum für das eigene Training auch mit Hantieren von Geräten und auch Bodenübungen genutzt werden soll und wurde, sei bereits mit dem Herumliegen von Geräten und anderen Nutzern zu rechnen. Die Klägerin selbst habe sogar nach ihren eigenen Angaben Bodenübungen machen wollen und zum Zeitpunkt des Sturzes nach einem Platz für ihr Handtuch gesucht. Von ihr sei zu erwarten gewesen, dass sie auf bereits trainierende andere Nutzer und die Geräte achtet, wobei sie sogar in ihrer Anhörung eingeräumt habe, dass sie die Slackline früher schon gesehen habe. Nach alledem habe für sie auch individuell Anlass bestanden, beim Betreten des Bereichs Aufmerksamkeit walten zu lassen.

Die von der Klägerin benannte Entscheidung des OLG Karlsruhe (Beschluss vom 16.07.2019 - 14 U 60/16 -) würde nicht einschlägig sein. Dort war eine  Slackline quer über einen Rad- und Fußweg gespannt gewesen, vorliegend aber war die Slackline nicht über oder im Bereich einer Verkehrsfläche gespannt.

 

Dahinstehen könne, ob die Slackline nur in einer Höhe von 15 – 20 cm gespannt gewesen sei, da das OLG nach Durchführung einer Beweisaufnahme von einer Höhe von etwa 50 cm überzeugt sei. Nicht nur sei dies auf einem Foto (drei Tage nach dem Vorfall aufgenommen) ersichtlich du wurde es auch entsprechend von einer Zeugin glaubhaft bekundet. Die Bekundung der Zeugin sei auch plausibel, da dann, wenn die Slackline tiefer gespannt würde, diese bei einer Länge von einigen Metern unter dem Gewicht eines Menschen bis auf den Boden durchdrücken würde und damit für Balance- und Kraftübungen nicht geeignet sei. 

Da die Slackline als zu übersteigendes Hindernis deutlich erkennbar gewesen sei, stelle sie keine Stolperfalle im Sinne der Arbeitsstättenverordnung Fußböden ASR 8/1 dar, die eine (zusätzliche) Kenntnismachung erfordere. 

OLG Frankfurt, Urteil vom 05.08.2021 - 16 U 162/20 -

Donnerstag, 13. Januar 2022

Unrichtige Angaben zu wirtschaftlichen Verhältnissen und Versagung der Restschuldbefreiung (§ 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO)

Der Schuldner wurde von dem Hauptzollamt wegen Tabaksteuer in Höhe von € 79.832,59 in Anspruch genommen (Bescheid vom 09.08.2010). Mit anwaltlichen Schreiben vom 11.03.2011 bat der Schuldner, auch in Ansehung von arretierten Vermögensgegenständen, um Stundung und Freigabe der arretierten Gegenstände.  Dabei berief er sich darauf, dass er einen Kredit aufnehmen wollen und dabei sein Haus als Sicherheit anbiete und bis zur Kreditgewährung das Hauptzollamt seine Forderung durch eine Hypothek oder Grundschuld auf dem Grundstück absichern könne. Dem Schreiben lag ein Wertgutachten zu dem Grundstück bei, in dem der Schuldner als Eigentümer benannt wurde. Allerdings war der Schuldner nicht mehr Eigentümer dieses Grundstücks; dieses hatte er bereits im April 2010 veräußert und das Eigentum der Käuferin wurde im September 2010 gewahrt.

In dem gegen den Schuldner eröffneten Insolvenzverfahren über sein Vermögen beantragte das Hauptzollamt als Gläubigerin die Versagung der Restschuldbefreiung, da der Schuldner unrichtige Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht habe. Das Insolvenzgericht wies den Antrag zurück. Die Beschwerde der Gläubigerin blieb erfolglos, doch wurde die (von der Gläubigerin erhobene) Rechtsbeschwerde zugelassen. Dieses hob die Beschwerdeentscheidung aus formalen Gründen auf und verwies den Rechtsstreit an das Beschwerdegericht zurück, da der Einzelrichter die Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen habe, in diesem Fall aber nicht der Einzelrichter hätte entscheiden dürfen, sondern als gesetzlicher Richter die Kammer. Allerdings nahm der BGH die Gelegenheit wahr, für das weitere verfahren entscheidende Hinweise zu geben:

Nach § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO sei die Restschuldbefreiung zu versagen, wenn dieser von Antrag von einem Gläubiger gestellt würde, der seine Forderung angemeldet habe und der Schuldner in den letzten drei Jahren vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach dem Antrag vorsätzlich oder grob fahrlässig schriftlich unrichtige oder unvollständige Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht habe, um einen Kredit zu erhalten, Leistungen aus öffentlichen Mitteln zu beziehen oder Leistungen an öffentliche Kassen zu vermeiden. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt.

Richtig sei von der Vorinstanz das Schreiben des Schuldners dahingehend gewertet worden, dass der Schuldner eine Grundschuld/Hypothek an einem eigenen Grundstück als Sicherung angeboten habe. Auch wenn die Aussage in einem Schreiben seines anwaltlichen Bevollmächtigten gestanden habe, sei sie ihm als eigene schriftliche Erklärung zuzurechnen. § 289 Abs. 1 Nr. 2 InsO verlange keine eigenhändig vom Schuldner unterzeichnetes Schriftstück. Ausreichend sei, dass die unrichtige Angabe mit seinem Wissen und seiner Billigung an den Empfänger weitergeleitet worden sei (BGH, Beschluss vom 11.09.2003 - IX ZB 37/03 -); dass der Anwalt hier eigenmächtig gehandelt habe, habe der Schuldner nicht behauptet.

Es sei auch Vorsatz anzunehmen, da der Schuldner durch den Verkauf und die ihm bekannte Auflassung des Grundstücks an die Käuferin (Eigentumsübertragung im Grundbuch) wusste, dass er nicht mehr Eigentümer war und mithin über dieses nicht befinden konnte. Zudem sei die Erklärung in den letzten drei Jahren vor der Stellung des Insolvenzantrages abgegeben worden. Und sie sei mit dem Ziel abgegeben worden, Leistungen aus öffentlichen Mitteln zu beziehen und Leistungen an öffentliche Kassen zu vermeiden.

Letzteres schlussfolgerte der BGH aus dem Wortlaut der Norm des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO und  einem vom Beschwerdegericht verkannten finalen Zusammenhang:

Der Wortlaut „um ... zu“ verdeutliche das erforderliche finale Handeln zur Verwirklichung der Zielsetzung der Leistungsbeziehung und/oder Leistungsvermeidung. Dabei käme es nicht darauf an, ob die Zielsetzung auch verwirklicht wurde. Sanktioniert sei die Unredlichkeit des Schuldners, die sich dem zielgerichteten Handeln verwirkliche, wenn zwischen dem Handeln und den tatbestandlich vorausgesetzten Leistungen ein objektiver Zusammenhang bestünde (BGH, Beschluss vom 20.12.2007 - IX ZB 189/06 -).

Der Begriff „Kredit“ in § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO sei weit auszulegen. Er umfasse jede Form von Darlehen, Zahlungsaufschub oder Finanzierungshilfe. Die „Leistungsvermeidung“ läge vor, wenn der Schuldner bestandkräftige Steuern nicht zahlen wolle und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen versuche abzuwehren. In diesem Zusammenhang wies der BGH darauf hin, dass häufig im Zusammenhang mit Anträgen auf Stundung von Steuerrückständen nach § 222 AO oder auf einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung (§ 259 AO) unrichtige Angaben gemacht würden; im Regierungsentwurf zur Insolvenzordnung von 1992 sei die Vermeidung von Steuerzahlungen als Beispiel explizit genannt.  

Auch wenn das Beschwerdegericht das Schreiben vom 11.03.2011 dahingehend verstanden habe, es sei ihm lediglich darum gegangen, die Steuern später zu zahlen, läge der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO vor. Zahlungsaufschub und Stundung würden eine Leistungsverweigerung darstellen, wobei hier hinzu käme, dass der Schuldner sichergestellte Vermögenswerte freibekommen wollte.

 

Ebenfalls würde nicht gegen die Anwendbarkeit der Norm sprechen, dass der Schuldner seine Angaben im Zusammenhang mit einem Vergleichsvorschlag getätigt habe. Der Schuldner hätte keinen Vergleichsvorschlag unterbreiten müssen; würde es gleichwohl tun, dürften die Angaben über die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse nicht falsch sein. Sollen durch falsche Angaben Zugeständnisse erschlichen werden, würde dies unter den Versagungstatbestand des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO fallen.

Auch die Überlegung des Beschwerdegerichts, es sei nicht widerlegt, dass der Eigentümer des Grundstücks die Sicherungshypothek bewilligt hätte, trage nicht, da der Schuldner keine Sicherheit an einem fremden, sondern an einem eigenen Grundstück angeboten habe.

BGH, Beschluss vom 18.11.2021 - IX ZB 1/21 -