Donnerstag, 30. September 2021

Vorteilsausgleichung: Anrechnung zugesprochener Prozesszinsen auf Schadensersatz wegen Darlehenszinsen

Die Klägerin und deren Ehemann erwarben von der Rechtsvorgängerin der Beklagten eine Eigentumswohnung. Zum Kauf schlossen sie einen Darlehensvertrag mit einer Bank über € 141.300,00 mit Zinsfestschreibung bis zum 31.03.2017. Aus hier nicht relevanten Gründen klagten sie (auch aus abgetretenen Recht ihres Ehemanns) auf Zahlung von € 141.300,00 nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.12.2012 Zug um Zeug gegen Rückübertragung der Eigentumswohnung an die Beklagte und Feststellung, dass die Beklagte zum Ausgleich weiterer Vermögensschäden aus dem Erwerb der Eigentumswohnung verpflichtet ist. Der Klage wurde am 23.07.2019 stattgegeben. Im Mai 2017 vereinbarten die Klägerin und ihr Mann mit der Bank zur Ablösung des Darlehens eine Zwischenfinanzierung. Nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils zahlte die Beklagte die Klageforderung einschließlich der geltend gemachten Prozesszinsen von € 27.453,07. Im vorliegenden Verfahren verlangte die Klägerin (auch aus abgetretenen Recht ihres Ehemanns) Zahlung der für das Darlehen aufgewandten Zinsen und die für die Zwischenfinanzierung, der das Landgericht in Höhe von € 35.924,72 stattgab. Auf die Berufung bestätigte das OLG unter Abweisung der Klage im Übrigen das Urteil in Höhe von € 34.191,81. Mit der zugelassenen Revision begehrte die Beklagte die Abweisung der Klage in Höhe weiterer € 27.453,07 (Zinsen des Darlehens) nebst anteiligen Zinsen darauf. Der BGH hob das Urteil in Höhe von € 8.509,13 nebst anteiliger Zinsen auf und verwies insoweit den Rechtsstreit an das OLG zurück.

Nach dem rechtskräftigen landgerichtlichen Urteil des Vorprozesses sei die Beklagte zum Ausgleich des weiteren auf dem Erwerb beruhenden Vermögensschadens verpflichtet. Diese auf das negative Interesse gerichtete Schadensersatzanspruch umfasse auch die für die Finanzierung des Erwerbs aufgewandten Kreditkosten. Diese seien der Höhe nach ebenso unstreitig wie die von der Klägerin vorgenommenen Abzüge für Mieteinnahmen. Allerdings wolle die Beklagte die in Höhe von € 27.453,07 von ihr gezahlten Prozesszinsen auf die Darlehenszinsen in Anrechnung bringen und insoweit abziehen. Der Ansicht des OLG, dass insoweit eine Anrechnung in Form der Vorteilsausgleichung nicht in Betracht käme, der der BGH nicht folgte.

Die Schadensberechnung sei nach der Differenzhypothese vorzunehmen und es kämen dafür die allgemeinen Grundsätze der Schadenszurechnung und der Vorteilsausgleichung zur Anwendung. Vorteile, die durch das schädigende Ereignis adäquat kausal verursacht worden seinen und deren Anrechnung dem Sinn und Zweck der Schadensersatzverpflichtung entsprächen und weder den Geschädigten unzumutbar belasten und den Schädiger und unbillig begünstigen würden, seien zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 14.09.2004 - VI ZR 97/04 -). Daraus folge, dass dem Gläubiger neben dem Anspruch auf Nutzungen nach § 818 Abs. 1 BGB aus einem überlassenen Geldbetrag nicht kumulativ ein Anspruch auf Prozesszinsen für den überlassenen Betrag zustehe. Diese Zinsen hätten die Funktion, einen Nachteil des Gläubigers auszugleichen, den er infolge nicht rechtzeitiger Zahlung des Geldbetrages habe. Durch die Herausgabe gezogener Nutzungen sei dieser Nachteil ausgeglichen. Mit der Zubilligung zusätzlicher Prozesszinsen würde der Gläubiger ohne Grund bessergestellt als bei rechtzeitiger Zahlung (BGH, Urteil vom 12.04.2019 - V ZR 341/17 -). Daher könnten Prozesszinsen und Verzugszinsen nicht nebeneinander geltend gemacht werden, da ansonsten der Vorenthaltungsschaden doppelt entschädigt würden. Für denselben Zeitraum könne daher nur der Nutzungsersatz oder der Anspruch auf Prozesszinsen geltend gemacht werden, je nachdem, welcher für den Gläubiger günstiger sei. Vor diesem Hintergrund seien die bis zum 05.05.2017 gezahlten Prozesszinsen auf die der Klägerin erstatten Zinsen für das erste Darlehen anzurechnen.

Auch wenn vorliegend die Rückabwicklung des Kaufvertrages nicht im Wege des Bereicherungsausgleichs sondern im Wege des Schadensersatzes wegen fehlerhafter Beratung gemäß § 280 Abs. 1 BGB erfolgt sei, würden keine anderen Grundsätze gelten. Es handele sich um einen auf Naturalrestitution gerichteten Schadensersatzanspruch mit dem der Zustand geschaffen werden soll, der (hypothetisch) der Vermögenslage ohne das schädigende Ereignis entspräche, § 249 Abs. 1 BGB. Würden die Prozesszinsen bei dem Schadensersatz wegen der Darlehenszinsen außer Betracht bleiben, würde der unzutreffende Zustand eintreten, als habe die Klägerin die Erwerbskosten aus eigenen Mitteln finanziert.

Die Vorteilsausgleichung sei durch die Rechtskraft des landgerichtlichen Urteils aus dem Vorprozess auch nicht ausgeschlossen. Die Rechtskraft erstrecke sich auf die Tatsachen, die zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorlagen und hätten eingewandt werden können, soweit die das Bestehen des festgestellten Anspruchs betreffen. Dies gelte aber nur, soweit es um die grundsätzliche Verpflichtung des Schuldners zum Ersatz des Schadens geht. Ob und in welcher Höhe ein Schaden eingetreten ist, würde von dem Feststellungsurteil nicht umfasst. Dies sei, wie hier, in dem Folgeprozess zu klären. Hier sei die Höhe des Schadens zu bestimmen; es handele sich um den haftungsausfüllenden Tatbestand der im Vorprozess mit dem Feststellungsurteil festgestellten Haftung dem Grunde nach. Die Zuerkennung von Prozesszinsen im Vorprozess sage daher nichts darüber aus, ob diese auf den weiter geltend gemachten Schaden anzurechnen sind.

Auf Darlehenszinsen seien daher Prozesszinsen anzurechnen, soweit sie den gleichen Zeitraum betreffen. Von daher seien vorliegend nicht alle Prozesszinsen anzurechnen. Eine Kongruenz bestünde für den als Prozesszinsen zugesprochenen Zeitraum vom 21.12.2012 bis zum 04.05.2017, nicht für gezahlte Darlehenszinsen im Zeitraum bis 20.12.2012, da die Prozesszinsen nur ab dem 21.12.2012 zugesprochen worden seien. Gleiches gelte auch für die für den Zeitraum ab dem 05.05.2017 zugesprochenen Prozesszinsen (€ 1.770,93). Bedingt durch die Zwischenfinanzierung seien ab dem 05.05.2017 keine Darlehenszinsen mehr gezahlt worden; die Kosten der Zwischenfinanzierung seien nicht Gegenstand der beschränkt eingelegten Revision.  Das Landgericht habe diesen Betrag bei dem auf die für die Zwischenfinanzierung in Anrechnung gebracht. Sie könnten nicht noch einmal bei den Darlehenszinsen, wie von der Beklagten auf die für das Darlehen gezahlten Zinsen verrechnet werden.

Der Betrag von € 8.509,13 setze sich aus zwei Teilbeträgen zusammen: € 6.738,74 aus der Differenz des vom OLG zugesprochenen Betrages von € 34.191,81 und der nur in Höhe von € 24.453,07 eingelegten Revision. € 1.770,39, in dessen Umfang das OLG die Prozesszinsen bereits mit den Kosten der Zwischenfinanzierung verrechnet habe. Insoweit sei die Revision unbegründet.

In Höhe des verbleibenden Betrages von € 25.682m68 sei das Urteil zur neuen Verhandlung und Entscheidung durch das OLG aufzuheben und zurückzuverweisen. Das OLG habe insoweit keine Feststellung dazu getroffen, ob im Zeitraum 21.12.2012 bis 04.05.2017 Darlehenszinsen in dieser Höhe gezahlt wurden. Eine Anrechnung käme bei der Feststellung in Betracht, dass die Darlehenszinsen hinter dem für den gleichen Zeitraum gezahlten Prozesszinsen zurückblieben, und zwar in Höhe der Differenz.

BGH, Urteil vom 02.07.2021 - V ZR 95/20 -

Dienstag, 28. September 2021

Mehrvertretungszuschlag des Anwalts bei Vertretung aller Käufer gegen Bauträger ?

Die acht Kläger (Käufer von von dem Beklagten erstellten Eigentumswohnungen) klagten wegen Mängeln am Gemeinschaftseigentum vor dem LG Heilbronn, in dem der Beklagte zur Beseitigung genau bezeichneter Mängel und zur Zahlung von ¾ der Kosten eines Privatgutachtens verurteilt wurden; die Kosten des Verfahrens wurden in der landgerichtlichen Kostenentscheidung im Urteil gequotelt. Die Kläger machten im Rahmen der Kostenausgleichung vor dem LG Heilbronn für die Vertretung der Beklagten eine Erhöhungsgebühr mit 2,0 wegen mehrerer Beklagter geltend, Nr. 1008 VV RVG. Der beklagte wandte sich gegen die Erhöhungsgebühr mit Hinweis darauf, dass die Klage erhoben worden sei, nachdem die WEG parteifähig geworden und die Eigentümergemeinschaft einen Beschluss zur Klageerhebung gefasst habe. Das Landgericht berücksichtigte bei der Kostenausgleichung die Erhöhungsgebühr nicht, weshalb die Kläger gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss Beschwerde einlegten. Die Beschwerde wurde, nachdem ihr das Landgericht nicht abhalf, vom Oberlandesgericht (OLG) zurückgewiesen.

Das OLG wies darauf hin, dass zwar möglicherweise die Erhöhungsgebühr im Verhältnis der Kläger zu ihrem Prozessbevollmächtigten entstanden sein könne, jedenfalls aber nicht im Verhältnis zu dem Beklagten. Denn im Rahmen der der Kostenausgleichung und -festsetzung könnten nach § 91 ZPO nur notwendige Kosten der Rechtsverfolgung berücksichtigt werden.

Das OLG verwies auf den Beschluss des BGH vom 02.06.2005 - V ZB 32/05 -, demzufolge die Wohnungseigentümergemeinschaft teilrechtsfähig sei. Die bedeute, dass sie im Verfahren hinsichtlich der das Verwaltungsvermögen betreffenden Forderungen und Verbindlichkeiten als solche klagen und verklagt werden könne. Es sei also nicht mehr notwendig, dass alle Miteigentümer der Wohnungseigentümergemeinschaft selbst klagen und einen Rechtsanwalt beauftragen, sondern ausreichend sei die die Mandatierung eines Rechtsanwalts durch die Eigentümergemeinschaft. Damit falle dann auch keine Erhöhungsgebühr an, da die Eigentümergemeinschaft als solche rechtstechnisch nur ein Mandant ist. Der BGH habe weiter mit seiner Entscheidung vom 12.04.2007 - VII ZR 236/06 - in Bezug auf Mängel am Gemeinschaftseigentum klargestellt, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft als insoweit rechts- und parteifähiger Verband befugt sei, die Rechte der Erwerber wegen Mängeln an der Bausubstanz des Gemeinschaftseigentums geltend zu machen und gerichtlich durchzusetzen.

Das OLG Stuttgart habe bereits, gestützt auf diese Entscheidungen des BGH die Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV RVG für die Fälle anerkannt, in denen in der der Zeit zwischen der Entscheidung vom 02.06.2005 und der Veröffentlichung der Entscheidung vom 12.04.2007 anstelle der Wohnungseigentümergemeinschaft deren sämtliche Mitglieder ihre Rechte wegen Mängeln am Gemeinschaftseigentum geltend gemacht hätten. Seit der Veröffentlichung des Urteils vom 12.04.2007 käme aber ein Erstattungsanspruch für einen Mehrvertretungszuschlag nicht mehr in Betracht. In seiner Entscheidung vom 12.04.2007 habe sich der BGH nämlich auch mit den individuellen Mängelgewährleistungsansprüchen von Erwerbern auseinandergesetzt und festgehalten, dass der Anspruch auf Vorschuss auf Mängelbeseitigungskosten (unabhängig davon, ob dieser im Erkenntnisverfahren oder gem. § 887 Abs. 2 ZPO im Zwangsvollstreckungsverfahren tituliert werden soll) gemeinschaftsbezogen sei und die Gemeinschaft mit Mehrheitsbeschluss diese sich aus den einzelnen Verträgen mit dem Veräußerer (Bauträger) an sich ziehen könne.  

Daraus folgt nach Auffassung des OLG (bezogen jedenfalls auf das Wohnungseigentumsgesetz vor der Novellierung zum 01.12.2020), dass zwar den einzelnen Wohnungseigentümern das Recht zustünde, ihre Gewährleistungsansprüche aus dem jeweiligen Erwerbsvertrag selbst geltend zu machen, allerdings dann, wenn dieses Recht von der Wohnungseigentümergemeinschaft gerichtlich geltend gemacht würde, kostenrechtlich nicht mehr um notwendige Kosten iSv. § 91 ZPO handele, da das erstrebte Ziel auch durch die Klage der Wohnungseigentümergemeinschaft als solcher erreicht werden könne.

Hinweis: Die Wohnungseigentümergemeinschaft kann auch dann die Geltendmachung von Ansprüchen an sich ziehen, wenn bis auf den letzten Erwerber Ansprüche der übrigen Erwerber gegen den Bauträger/Veräußerer verjährt sind und die Ansprüche des nicht der Verjährung unterliegenden Erwerbers  geltend machen.

OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.04.2021  - 8 W 435/20 -

Mittwoch, 22. September 2021

Voraussetzung für Schadensersatz bei Verstoß gegen Datenschutz nach DSGVO

Die Antragstellerin begehrte für eine Klage auf Schadensersatz wegen Verstoßes des Antragsgegners gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) Prozesskostenhilfe. Ihr Antrag wurde vom Landgericht zurückgewiesen, ebenso die dagegen bei dem OLG eingelegte Beschwerde.

Das OLG wies darauf hin, dass nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO ein Anspruch auf Schadensersatz voraussetze, dass einer natürlichen Person bei der Verarbeitung personenbezogener Daten ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden sei. In Art. 82 Abs. 1 DSGVO heißt es:

„Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter.“

Zwar habe die Antragstellerin zu einem Verstoß gegen Bestimmungen der DSGVO vorgetragen, nicht aber zu einem darauf beruhenden (hier geltend gemachten) immateriellen Schaden. Es würde hier mithin nicht darum gehen, ob die für einen Schadensersatzanspruch notwendige Erheblichkeitsgrenze erreicht sei (dazu BVerfG, Beschluss vom 14.01.2021 - 1 BvR 2853/19 -), vielmehr habe die Antragstellerin keinerlei Vortrag zu einem kausalen Schaden – trotz Hinweises des Landgerichts in dem den Antrag zurückweisenden Beschluss – gehalten.

Da damit eine Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage nicht festgestellt werden konnte, haben Landgericht und OLG die beantragte Prozesskostenhilfe versagt, § 114 ZPO.

Hanseatisches Oberlandesgericht Bremen, Beschluss vom 16.07.2021 - 1 W 18/ 21 -

Samstag, 18. September 2021

Steuern auf Verkaufserlös aus Immobilie nach vorheriger unentgeltlicher Übertragung auf Kinder ?

Die Klägerin erwarb 2011 eine Immobilie. In 2012 übertrug sie diese unentgeltlich auf ihre zwei Kinder zu je 50%, die am selben Tag die Immobilie an einen Dritten veräußerten: die Verkaufsverhandlungen wurden ausschließlich von der Klägerin geführt. Der Erlös aus dem Verkauf floss den Kindern der Klägerin zu je 50% zu. Da die für eine steuerfreie Veräußerung der Immobilie durch die Klägerin noch nicht abgelaufen war, besteuerte das Finanzamt den Gewinn zwischen dem Ankauf und dem Verkauf nach § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG bei der Klägerin; es ging bei der kostenfreien Übertragung auf deren Kinder von einem Gestaltungsmissbrauch gem. § 42 Abs. 1 AO aus. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die Revision führte zur Stattgabe der Klage.

Nach Ansicht des BFH habe sich nicht der Tatbestand des privaten Veräußerungsgeschäfts iSv. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG verwirklicht; in der direkt) vor der Weiterveräußerung vorgenommenen schenkungsweisen Übertragung der Immobilie auf ihre zwei Kinder läge kein Gestaltungsmissbrauch der Klägerin iSv. § 42 Abs. 1 AO.

Mit der schenkungsweisen Übertragung der Immobilie auf ihre Kinder habe die Klägerin keinen Veräußerungsgewinn nach § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG erzielt. Die nachfolgende Veräußerung habe nicht sie, sondern hätten ihre Kinder vorgenommen, die auch den Veräußerungserlös erhielten.

In dieser Vorgehensweise läge auch kein Gestaltungsmissbrauch iSv. § 42 Abs. 1 AO. Die unentgeltliche Übertragung eines Grundstücks innerhalb der Spekulationsfrist des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG unterfalle dem Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 S. 3 EStG und stelle auch bei der zeitlichen Nähe keinen Gestaltungsmissbrauch dar. Nach § 42 Abs. 1 S.1 AO soll verhindert werden, dass das Steuergesetz nicht umgangen wird. Läge ein solcher Fall vor, würde der Steueranspruch so entstehen, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entstehen würde.

§ 23 Abs. 1 S. 3 StG sei eine Regelung zur Verhinderung der Steuerumgehung und damit eine spezielle Missbrauchsvorschrift iSv. § 42 Abs. 1 S. 2 AO. Danach soll für den Fall des unentgeltlichen Erwerbs dem Einzelrechtsnachfolger für die Zwecke des § 23 EStG die Anschaffung oder die Überführung des Wirtschaftsguts in dessen Privatvermögen durch den Rechtsvorgänger zugerechnet werden. Vom Rechtsvorgänger verwirklichte Besteuerungsmerkmale würden dem unentgeltlich erwerbenden Rechtsnachfolger zugerechnet. Damit sei das private Veräußerungsgeschäft bei demjenigen zu besteuern, der die Veräußerung vorgenommen und den Veräußerungserlös erhalten habe. Die Regelung in § 23 Abs. 1 S. 3 EStG sei eine gesetzgeberische Reaktion darauf gewesen, dass bis zu dessen Inkrafttreten nur bei Kauf und Verkauf eine Besteuerung des Spekulationsgewinns erfolgen konnte, weshalb der BFH hier die Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs für möglich erachtete (vgl. BFH, Urteil vom 12.07.1988 - IX R 149/83 -). Dies sei vom Gesetzeber in § 23 Abs. 1 S. 3 EStG umgesetzt worden.

Vorliegend sei der Tatbestand des § 23 Abs. 1 S. 3 EStG erfüllt. Dies habe zur Folge, dass die Kinder der Klägerin einen jeweils einen hälftigen Veräußerungserlös versteuern müssen.

Es lägen hier auch keine Umstände vor, die im Einzelfall in der Gestaltung der Übertragung auf nahestehende Personen und einem damit im Zusammenhang stehenden, von vornherein geplanten Verkauf ausnahmsweise doch zur Anwendung des § 42 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 AO(Gestaltungsmissbrauch) führen könnten.

Voraussetzung wäre eine unangemessene rechtliche Gestaltung, die bei dem Steuerpflichtigen zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führe; dies greife dann nicht, wenn der Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse erheblich seien.

Es sei hier bereits vom FG getroffenen Feststellungen zur Schenkung sowie zur darauf erfolgten Veräußerung ließen keine unangemessene Vereinbarung erkennen. Nach der Schenkung hätten die Beschenkten uneingeschränkt über die Immobilie verfügen dürfen. Sie seien insbesondere nicht vertrag gebunden gewesen, an den Erwerber zu veräußern, mit dem ausschließlich die Klägerin die Verkaufsverhandlungen geführt habe. Die Kinder seien auch nicht zur Abführung des Verkaufserlöses an die Klägerin verpflichtet worden. Zudem sei durch die Veräußerung ein steuerbarer Veräußerungsgewinn nicht vermieden worden, der jetzt bei den Kindern zu erfassen sei.

Der BFH verkennt nicht, dass die Gestaltung gleichwohl steuerliche Wirkungen zeigte. So dürfte der Steuersatz bei den Kindern niedriger liegen und sich der auf sie jeweils entfallende Betrag zu einer geringeren Progression als bei der Klägerin führen. Wenn die Klägerin ihren Kindern Geld zuführen wollte und dies aus einer Veräußerung der Immobilie entnehmen wollte, so wäre nach Abzug der Steuern der auf sie entfallende Erlös geringer gewesen, als er jetzt ach der Gestaltung wohl war. Der BFH verweist darauf, dass der bei den Kindern zu versteuernde Veräußerungsgewinn niedriger besteuert würde als bei der Klägerin. Einem Steuerpflichtigen sei es aber nicht verwehrt, die rechtlichen Verhältnisse so zu gestalten, dass sich eine geringere steuerliche Belastung ergäbe. Das Bestreben, Steuern zu sparen, mache für sich allein eine Gestaltung nicht unangemessen iSv. § 42 Abs. 1 AO (z.B. BFH, Urteil vom 29.11.1982 - GrS 1/81 -). Der zulässige Steuervorteil ergäbe sich hier nur daraus, dass das Gesetz die unentgeltliche Übertragung des Grundstücks akzeptiere mit der Folge, dass nicht der Schenker, sondern der Beschenkte nach dessen persönlichen Verhältnissen den Veräußerungsgewinn versteuern müsse.

BFH, Urteil vom 23.04.2021 - IX R 8/20 -

Freitag, 17. September 2021

Verkehrssicherungspflicht bei Treppe zu Badestelle am Wattenmeer

Die Klägerin stürzte auf einer Treppe im Bereich des Zugangs zum Wattenmeer und machte Schadensersatzansprüche wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht gegen die Beklagte geltend. Die Klage wurde abgewiesen, die Berufung dagegen zurückgewiesen.

Grundlegend verwies das OLG darauf, dass der Verkehrssicherungspflichtige nicht allen denkbaren Gefahren vorbeugen müsse, sondern nur insoweit, als ein übliches Risiko der Anlagennutzung überschritten würde und dies für einen Nutzer nicht ohne weiteres erkennbar sei.

Treppenstufen würden an Badestellen am Wattenmeer aus Beton errichtet. Wegen ihrer Lage in der Gezeitenzone könnten diese Stufen durch Ablagerungen innerhalb einer Tide (einer Gezeit) rutschig werden. Daher seien an den Treppen idR. auch Handläufe (wie vorliegend). Für die Nutzer der Badestellen sei offenkundig, dass mit den Gefahren eines Meeresstrandes (Sturzgefahren durch Schlick, Schafskot, Treibgut, Meerestiere, Wellen und Strömungen) zu rechnen sei. Eine eigenverantwortliche Begegnung sei möglich, indem die Treppen vorsichtig benutzt würden.

Auch Angriffe gegen das Betonmaterial der Stufen wies das OLG zurück. Es verwies auf ein erstinstanzlich eingeholtes Sachverständigengutachten. Welches darauf verwiesen habe, dass es für derartige Stufen keine öffentlich-rechtliche Normen oder Regelwerke gäbe. Die Allgemeinen Unfallverhütungsvorschriften kämen hier nicht zum Tragen, da diese nur auf Arbeitsräume, Arbeitsbereiche und betriebliche Verkehrswege anwendbar seien. Ein Vergleich mit Nass- und Barfußbereichen in Bädern, Krankenhäusern oder Umkleide-, Wasch- und Duschräumen von Sport oder Arbeitsstätten sei schon im Hinblick auf die unterschiedlichen Verhältnisse auszuschließen. Nach dem Gutachten läge grundsätzlich bei dem verwandten Material auch eine Unterwasser-Rutschfestigkeit vor.   

Als entscheidend wurde mithin vom OLG angesehen, dass vom Grundsatz das Material der Stufen auch Rutschfest war. Lediglich durch die örtlichen Besonderheiten infolge der Gezeiten käme es zu Rutschgefahren, die aber für den Nutzer erkennbar seien.

Schleswig-Holsteinisches OLG, Hinweisbeschluss vom 02.06.2021 - 11 U 31/21 -

Dienstag, 14. September 2021

Kündigung des Wohnraums durch einen Vertreter und Folge der Angabe „i.A.“

Die Entscheidung des LG Wuppertal erging im Rahmen eines Antrages der Beklagten auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (§§ 114ff ZPO). Nachdem diese nach einer ihr gegenüber ausgesprochenen Kündigung von Wohnraum vor dem zuständigen Amtsgericht auf Räumung verklagt wurde, beantragte sie zur Rechtsverteidigung die Gewährung von Prozesskostenhilfe, die ihr vom Amtsgericht versagt wurde. Der dagegen von der Beklagten eingelegten Beschwerde half das Landgericht (LG) ab.

Insgesamt wurden der Beklagten gegenüber zwei Kündigungen ausgesprochen, die jeweils von einer (mit dem Vermieter namensgleichen) Person mit der Angabe „i.A.“ unterschrieben wurden.

Die Kündigungserklärung bedarf nach § 568 Abs. 1 BGB der Schriftform, wobei sich der Vermieter bei der Abgabe der Kündigungserklärung auch vertreten lassen kann. Das Landgericht wies darauf hin, dass bei der Kündigung durch einen vom Vermieter bestellten Vertreter nicht nur dessen eigenhändige Unterschrift auf der Kündigungserklärung erforderlich sei, sondern auch die Offenlegung der Stellvertretung zur Formwirksamkeit der Kündigungserklärung gehöre. Es müsse sich mithin aus der Kündigungserklärung ergeben, dass der diese Erklärung Unterzeichnende als Vertreter des Vermieters handelt, nicht etwa nur als Bote. Dies würde selbst dann gelten, wenn zwischen dem kündigenden Vermieter und dem Unterzeichner der Kündigungserklärung Namensgleichheit bestünde.

Auch wenn der Kündigungsempfänger wüsste, dass der Unterzeichner der Kündigungserklärung den Vermieter in allen Mietangelegenheiten vertrete, sei die Offenlegung der Stellvertretung nicht entbehrlich. An dieser Offenlegung würde es bei der Angabe „i.A.“ fehlen, da dieser Zusatz grundsätzlich nicht zu einer für die Kündigungserklärung durch einen Vertreter erforderliche Übernahme der Verantwortung des Unterzeichners für den Inhalt des Schriftstückes zu erkennen gäbe, vielmehr den Unterzeichner lediglich als Erklärungsboten erscheinen lasse (BGH, Beschluss vom 25.09.2012 - VIII ZB 22/12 -).

Das LG ließ dahinstehen, ob es einer Entscheidung des LG Berlin (Urteil vom 24.09.2014 - 65 S 64/14 -) folgen würde, dass die Angabe „i.A. unschädlich sei, wenn ausdrücklich auch der Zusatz im Kündigungsschreiben „namens und in Vollmacht des Vermieters“ aufgenommen würde, da dieser Fall hier nicht vorlag und besondere Umstände nicht ersichtlich seien, aus denen sich ergäbe, dass der Unterzeichner bei der Kündigungserklärung als Vertreter handele. Zwar sei ein Briefbogen des Vermieters verwandt worden, aber nirgends im Text auf eine Bevollmächtigung des Unterzeichners hingewiesen worden. Es sei sogar in der wir-Form formuliert worden, was gegen eine Bevollmächtigung spräche.

Weiterhin ging das LG darauf ein, ob in der Räumungsklage eine neue Kündigungserklärung zu sehen sei. Das Wort „Kündigung“ müsse nicht unbedingt genannt werden, wenn nach den Gesamtumständen von einer entsprechenden Erklärung in der Klage oder einem nachfolgenden Schriftsatz ausgegangen werden könne (BGH, Urteil vom 09.07.2003 - VIII ZR 26/03 -). So sei zwar auf weitere Mietrückstände hingewiesen worden, doch sei gleichwohl nicht von einer Kündigung mittels der Klageschrift oder eines nachfolgenden Schriftsatzes auszugehen: Anders als in den vorgerichtlichen Kündigungsschreiben sei der Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht widersprochen worden (§ 545 BGB), zudem sei der Wille zur einseitigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht hinreichend klar zum Ausdruck gebracht worden. Eine eindeutige Erklärung sei auch deshalb zu fordern, damit der Mieter wisse, ob er eine  einseitige Kündigungserklärung unverzüglich gem. § 174 BGB (Zurückweisung wegen mangelnder Vollmachtsvorlage) zurückweisen kann und das zuständige Gericht wissen muss, ob es aufgrund der schriftsätzlichen Kündigung zur Vermeidung einer möglichen Obdachlosigkeit die Sozialbehörde einschalten muss (§ 36 Abs. 2 SGB XII). Stattdessen würde es am Ende der Klageschrift heißen, dass die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung gem. § 534 BGB mit den beiden Kündigungsschreiben erfüllt seien.

Anmerkung: Der Entscheidung ist zuzustimmen. Allerdings kann der Argumentation des Landgerichts zur Auslegung einer Klageschrift/eines Schriftsatzes als eigenständige Kündigung nicht gefolgt werden, soweit es darauf verweist, im Schriftsatz sei nicht gem. § 545 BGB einer Fortsetzung des Mietverhältnisses widersprochen worden. Unabhängig davon, dass es einer solchen Erklärung nicht bedarf, wenn entsprechendes bereits im Mietvertrag aufgenommen ist (was hier nicht bekannt ist), verlangt zwar § 545 BGB einer Erklärung binnen zwei Wochen nach Vertragsende, dass einer Fortsetzung des Mietverhältnisses widersprochen wird, andernfalls es sich auf unbestimmte Zeit verlängert. Allerdings ist anerkannt, dass ein Räumungsverlangen eine ausreichende schlüssige Erklärung iSv. § 545 BGB darstellt (BGH, Urteil vom 24.01.2018 - XII ZR 120/16 -), was jedenfalls in einer hier vorliegenden Räumungsklage zu sehen wäre.

LG Wuppertal, Beschluss vom 04.08.2021 - 9 T 128/21 -

Montag, 13. September 2021

Zur Bemessung von Ordnungsgeld nach § 890 ZPO bei Zuwiderhandlung gegen Verbotsverfügung (hier: Löschung Video zu Covid-19)

Die Verfügungsbeklagte betrieb eine Internetplattform, auf der der Verfügungskläger das Video „P…“ hochgeladen hatte. Nachdem die Verfügungsbeklagte dieses entfernte, erwirkte der Verfügungskläger im Rahmen einer einstweiligen Verfügung ein Urteil, in dem der Verfügungsbeklagten bei einem Ordnungsgeld von bis zu € 25.000,00, ersatzweise Ordnungshaft von sechs Monaten) untersagt wurde, das Video zu entfernen.  Nachdem die Verfügungsbeklagte gleichwohl das Video nicht nach Erlass des Urteils und seiner Zustellung (23.04.2021) wieder einstellte wieder einstellte, sondern erst am 14.05.2021, beantragte der Verfügungskläger wegen der Zuwiderhandlung die Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen die Verfügungsbeklagte von nicht unter € 25.000,00

Das LG Chemnitz setzte ein Ordnungsgeld in Höhe von € 1.000,00 fest. Der Verfügungskläger legte gegen den entsprechenden Beschluss sofortige Beschwerde ein, mit der er den ursprünglichen Antrag weiterverfolgte. Das Landgericht half der Beschwerde nicht ab und legte den Vorgang dem OLG vor. Die Beschwerde hatte dort Erfolg.

Das OLG hielt fest, dass – wie auch vom Landgericht angenommen – die Voraussetzungen für den Erlass eines Ordnungsmittelbeschlusses nach § 890 ZPO vorlägen, da die Verfügungsbeklagte, wie von ihr auch nicht in Abrede gestellt, gegen die Unterlassungsverpflichtung verstoßen. Allerdings sei das Ordnungsgeld auf € 100.000,00 zu erhöhen.

Zur Höhe wies das OLG darauf hin, dass das Ordnungsmittel nach seinem Zweck zu bemessen sei. Dem Ordnungsmittel des § 890 ZPO käme eine doppelte Zweckrichtung zu, nämlich als zivilrechtliche Beugemaßnahme würde es präventiv der Verhinderung künftiger Zuwiderhandlungen dienen und zudem repressiv eine strafähnliche Funktion für die Übertretung des gerichtlichen Verbots darstellen. Daher sei es geboten, die Bemessung in erster Linie mit Blick auf den Schuldner und dessen Verhalten vorzunehmen. Nicht nur Art, Umfang und Dauer des Verstoßes, der Verschuldensgrad, der Vorteil des Verletzers aus der Verletzungshandlug und die Gefährlichkeit der begangenen und möglichen künftigen Zuwiderhandlungen für den Verletzten seien zu berücksichtigen, sondern es solle bewirkt werden, dass die Titelverletzung aus wirtschaftlicher Sicht des Schuldners nicht lohnend erscheine. Die Höhe des Streitwertes des Ausgangsverfahrens habe keine maßgebliche Aussagekraft.

Die Verfügungsbeklagte habe bereits mit Erlass des Urteils die Verbotsverfügung zu beachten gehabt. Entgegen der Darstellung der Verfügungsbeklagten sei die Verzögerung nicht auf technische Gründe zurückzuführen, sondern darauf, dass sie in dem Video einen Verstoß gegen ihre „Richtlinie zu medizinischen Fehlinformationen über Covid-19“ gesehen habe und deshalb „die jeweiligen Konsequenzen der Entscheidung des OLG Dresden und ihre Möglichkeiten sorgfältig abwägen“ wollte. Eine derartige Abwägung sei aber in Ansehung des titulierten Anspruchs weder veranlasst noch geboten gewesen, was sich – zumal bei der vorliegenden anwaltlichen Beratung der Verfügungsbeklagten – von selbst erschließe. Es läge daher hier ein vorsätzlicher und in Ansehung der Zeitdauer schwerer Verstoß gegen die Unterlassungsverfügung vor, der auch im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Verfügungsbeklagten ein deutlich höheres Ordnungsgeld, als vom Landgericht angenommen, rechtfertige. Nur da es sich um einen Erstverstoß handele, habe der Senat des OLG davon abgesehen, den Höchstbetrag für das Ordnungsgeld zu verhängen.

OLG Dresden, Beschluss vom 29.06.2021 - 4 W 396/21 -