Mittwoch, 21. April 2021

Verwirklichung der Halterhaftung für Kfz bei dessen Brand in einer Werkstatthalle, § 7 StVG

Der bei der Beklagten pflichtversicherte Lkw befand sich zum Austausch der Hinterreifen in einer Kfz-Reparaturwerkstatt. Dort war er über nach in der Werkhalle abgestellt. In dieser Nacht brannte der Lkw und es kam zu Sach- und Betriebsunterbrechungsschäden bei der Werkstatt, die von deren Sach- und Betriebsunterbrechungsversicherer ausgeglichen wurden, der die Pflichtversicherung des Lkw auf Ersatz der Ansprüche nach § 86 VVG in Anspruch nahm. Die Klage war in allen Instanzen erfolgreich. Landgericht und OLG hatten als Anspruchsgrundlage § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG angenommen. Dem folgte der BGH.

Nach § 7 Abs. 1 StVG sei Voraussetzung, dass eines der dort geschützten Rechtsgüter „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges“ verletzt beschädigt würde. Ein Schaden würde bei dem Betrieb des Kraftfahrzeuges entstehen, wenn sich die von dem Fahrzeug ausgehende Gefahr verwirklicht habe und bei wertender Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit-) geprägt sei. Dies habe zur Voraussetzung, dass die Schadensfolge in den Bereich der gefahren fällt, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden sei. Für die Zurechnung käme es dann darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges stünde.

Vorliegend sah der BGH eine Ursächlichkeit in einer defekten Betriebseinrichtung des Fahrzeugs. Entweder sei der den Brand verursachende Defekt durch Kabel im Motorraum im Bereich des Generators oder durch einen Defekt eines im Führerhaus des Lkw fest eingebauten Kühlschrank verursacht worden. In beiden Fällen würde es sich um einen Defekt einer Betriebseinrichtung handeln. Für die Annahme einer Betriebseinrichtung sie nicht entscheidend, dass diese eine Transport- oder Fortbewegungsfunktion erfüllen könne. Ausreichend sei, dass die Einrichtung den Betrieb des Fahrzeugs insoweit zu dienen bestimmt ist, als die dessen Benutzung sicherer, leichter oder komfortabler gestalte. Derartige Bauteile (wie Unterhaltungselektronik, Kühlschrank) könnten aus der Halterhaftung nach § 7 Abs. 1 StVG grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden, da dies unter Berücksichtigung der Entwicklung der Fahrzeugtechnik mit dem Zweck des § 7 Abs. 1 StVG, einen weitgehenden Schutz gegen die Gefahren des Kraftfahrzeugverkehrs zu gewährleisten, nicht vereinbar sei.  

Für die Haftung nach § 7 StVG mache es keinen Unterschied, ob der Brand unabhängig vom Fahrbetrieb oder bei diesem eintrete. Eine anderweitige Betrachtung, die die Verwirklichung bei dem Fahrbetrieb fordere, würde eine Haftung ausschließen, bei der unabhängig von einem Betriebsvorgang allein ein technischer Defekt einer Betriebseinrichtung für den Schaden eines Dritten ursächlich sei.  Bei wertender Betrachtung sei auch in solchen Fällen (mit Ausnahme z.B. bei vorsätzlicher Inbrandsetzung des Fahrzeuges auf einem Parkplatz) das Schadensgeschehen durch das Fahrzeug selbst und durch die von diesem ausgehende Gefahr entscheidend (mit-) geprägt.

Vorliegend konnte auch der Pflichtversicherer des Lkw nach § 115 VVG in Anspruch genommen werden. Auch wenn dessen Haftung nach § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG gerade das Bestehen der Pflichtversicherung nach § 1 PflVG zur Voraussetzung habe, käme es nicht darauf an, ob sich der Schadensfall im öffentlichen Verkehr ereignete. Dies ergebe sich aus § 2 Abs. 1 KfzPflVV. Mit § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG sei keine Begrenzung des Direktanspruchs im Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung gegenüber der Vorgängernorm des § 3 Nr. 1 PflVG a.F. beabsichtigt gewesen.

BGH, Urteil vom 20.10.2020 - VI ZR 158/19 -

Montag, 19. April 2021

Die nachträglich vereinbarte Zwischenfrist und das daraus abgeleitete Kündigungsrecht des Bauvertrages

Nach Abschluss eines VOB-Bauvertrages koordinierte der Auftraggeber (Beklagter) im Rahmen einer Baubesprechung die Arbeiten der verschiedenen Gewerke und legte u.a. fest, dass die Klägerin bis zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Dachrandsicherung fertigzustellen und ein Gerüst aufzustellen habe. Dies war erforderlich, damit ein Drittunternehmer notwendige Arbeiten vornehmen konnte. Die Klägerin wurde allerdings nicht fristgerecht fertig. Der Beklagte setzte ihr eine Nachfrist und drohte für den Fall der Nichteinhaltung die Kündigung an; nach fruchtlosen Ablauf der gesetzten Frist kündigte er.

§ 5 Abs. 1 S. 2 VOB/B bestimmt, dass in einem Bauzeitenplan enthaltene Fristen nur dann als Vertragsfristen gelten, wenn dies im Vertrag ausdrücklich vereinbart wird. Im Übrigen handelt es sich um Kontrollfristen und dienen letztlich der Prüfung, ob der Auftragnehmer seiner Baustellenförderungspflicht nach § 5 Abs. 3 VOB/B nachkommt. Das Überschreiten der Frist würde nicht einen Verzug begründen. Vor diesem Hintergrund stellte sich die Frage, ob die im Rahmen einer Baubesprechung getroffene Terminabsprache auch als unverbindlich anzusehen ist oder bei Fristüberschreitung einen Verzug begründen konnte. Vom OLG wurde darauf verwiesen, dass es nicht erforderlich sei, dass die Frist als Vertragsfrist bezeichnet wird, wenn sich aus den Umständen eine entsprechende Auslegung klar ergibt. Ergibt sich dies, kommen die Rechtsfolgen des § 5 Abs. 4 VOB/B in Betracht, u.a. bei Verzug mit der Vollendung und Ablauf einer Nachfrist die Vertragskündigung. Zwar würde diese Regelung nicht auf eine Einzelfrist wirken, doch käme (auch bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen wie den VOB/B) eine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht. Das führe dazu, dass die Parteien hier die Einzelfrist in Ansehung der unabdingbaren Vorarbeit für ein Drittgewerk einen Schadensersatzanspruch wegen Verzugs mit dieser Einzelfrist als Vertragsfrist und ein Kündigungsrecht vorgesehen hätten.

Das OLG sieht es aber auch als möglich an, ohne eine ergänzende Vertragsauslegung das Kündigungsrecht zu bejahen. So könne nach § 648a BGB aus wichtigem Grund gekündigt werden, wenn dem Auftraggeber die Fortsetzung des Vertrages unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen bis zur Fertigstellung des Werkes nicht zugemutet werden könne. Das sei zu bejahen, wenn eine Vertragspflichtverletzung von erheblicher Bedeutung vorliege, was entsprechend auch für Einzelfristen gelte. Da der Arbeitsfortschritt auf der Baustelle von der Einhaltung der vereinbarten Zwischenfrist abhänge, sei dem Beklagten nach Ablauf der Frist und der gesetzten Nachfrist ein weiteres Festhalten am Vertrag nicht zumutbar gewesen.

Auch wäre eine Kündigung nach § 5 Abs. 4 VOB/B (ohne o.g. Vertragsauslegung) möglich, wenn die Ausführungsfrist als solche infolge der Verzögerung (des Verzuges) offenbar nicht eingehalten werden könne. Das Fehlen der Dachrandsicherung und des Gerüsts stelle sich als Fehlen von Verpflichtungen nach § 5 Abs. 3 VOB/B dar (wie Geräte, Gerüste, Bauteile). § 5 Abs. 4 VOB/B fordere hier von dem Auftragnehmer, auf verlangen Abhilfe zu leisten. Es bedürfe also in diesem Fall zuerst des Verlangens und danach der schuldhaften Verletzung der Abhilfepflicht. Erst wenn dies geschehen sei, könne der Auftraggeber eine angemessene Frist zur Vertragserfüllung mit Kündigungsandrohung setzen. Dies sei im konkreten Fall entsprechend erfolgt.

Die Kündigung war damit wegen Verzugs und Ablaufs der Nachfristsetzung zulässig gewesen.

Mit der Entscheidung verdeutlichte das OLG die vertragliche Bedeutung von Vereinbarungen im Rahmen von Baubesprechungen, bei denen sich die Beteiligten über die Bedeutung und Tragweite im Klaren sein sollten.

OLG Stuttgart, Urteil vom 01.12.2020 - 10 U 124/20 -

Donnerstag, 15. April 2021

Nachbarlicher Ausgleichsanspruch in WEG nicht gegen Sondereigentümer bei Ursache durch Mieter

Die Klägerin war Gebäudeversicherer eines Gastronomen, der in dem aus zwei Einheiten bestehenden Haus (aufgeteilt nach WEG) in einer Einheit einen Gastronomiebetrieb unterhielt. Bei der weiteren Einheit handelte es sich um eine Zahnarztpraxis, deren Sondereigentümer der Beklagte war, der diese vermietet hatte. In der Zahnarztpraxis brach in der Nacht vom 20. auf den 21.12.2009 bei -20° C eine Kaltwasserleitung, die von den früheren Bruchteilseigentümern (dem Vater des Gastronomen und dem Beklagten) vor Begründung der WEG in einem Podest lose verlegt war und zu einem Zahnarztstuhl führte. Es entstand in der gastronomischen Einheit ein Wasserschaden, den die Klägerin regulierte. Sie machte aus übergegangenen Recht (§ 86 VVG) den Aufwand für die Schadensbeseitigung von € 73.137,40 als nachbarlichen Ausgleichsanspruch geltend.

Das Amtsgericht gab der Klage statt. Die Berufung des Beklagten wurde vom Landgericht zurückgewiesen. Auf die zugelassene Revision wurde das Urteil aufgehoben und der Rechtstreit an das Landgericht zurückverwiesen.

Entscheidend war für die Zuerkennung der Forderung, ob es sich hier für den Versicherungsnehmer der Klägerin um einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch handelt. Ein verschuldensunabhängiger nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch soll nach der ständigen Rechtsprechung des BGH  vorliegen, wenn von einem Grundstück im Rahmen privatwirtschaftlicher Benutzung rechtswidrige Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die der Eigentümer oder Besitzer des anderen Grundstücks nicht dulden muss, allerdings aus besonderen Gründen nicht gemäß §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB unterbinden kann, sofern er hierdurch Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß entschädigungslos hinzunehmender Beeinträchtigung übersteigen. Erfasst würden auch sogen. Grobimmissionen wie Wasser. Ob der Anwendungsbereich des § 2 HPflG (Haftung für Rohrleitungsanlage) eröffnet sei, sei nicht entscheidend, da sich die Ansprüche nicht gegenseitig ausschließen würden.

Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB käme auch dann in Betracht, wenn die Nutzung von Sondereigentum durch rechtswidrige Einwirklungen beeinträchtigt würde, die vom Sondereigentum eines anderen Wohnungseigentümers ausgehe. Dies allerdings dann nicht, wenn das Sondereigentum durch einen Mangel am Gemeinschaftseigentum beeinträchtigt würde. Vorliegend gehöre aber die zum Zahnarztstuhl führende Leitung nicht zum Gemeinschaftseigentum, da die ausschließlich die zweckentsprechende Nutzung der Zahnarztpraxis ermögliche und daher die maßgeblichen Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 WEG für Gemeinschaftseigentum nicht vorlägen. Damit stünde fest, dass die Einwirkung von dem im Sondereigentum des Beklagten stehenden Räumen ausgingen.

Entscheidend sei daher, ob der Beklagte Störer sei. Dies aber ließe sich nach der Entscheidung des Landgerichts nicht beurteilen. Die Störereigenschaft würde nicht alleine aus dem Eigentum oder Besitz an dem Grundstück folgen, von dem die Beeinträchtigung ausgehe. Sie müsse auch mittelbar auf den Willen des Eigentümers bzw. Besitzers zurückgehen. Entscheidend für diese Feststellung sei, ob es sachliche Gründe gebe, dem Eigentümer oder Besitzer die Verantwortung für ein Geschehen aufzuerlegen. Die sei dann zu bejahen, wenn sich für diese eine Pflicht zur Verhinderung möglicher Beeinträchtigungen ergäbe. Dabei handele es sich nicht um eine Sorgfaltspflicht im schuldrechtlichen Sinne, sondern um eine wertende Betrachtung ob hier eine Zurechnung für den störenden Zustand angenommen werden könne. Kriterien seien dabei u.a. Veranlassung, Gefahrenbeherrschung oder die Vorteilsziehung.  Beispielhaft wird für eine solche bejahende Wertung vom BGH auf den Fall verwiesen, dass Wasser infolge Rohrbuchs auf das Nachbargrundstück gelangt oder ein haus infolge eines technischen Defekts seiner elektrischen Geräte/Leitungen in Brand gerate. Diese Störungen würden kein allgemeines Risiko begründen, welches sich (wie z.B. bei einem Blitzschlag) ebenso gut bei dem Haus des Nachbarn hätte verwirklichen können, weshalb auch nur der jeweilige Grundstückseigentümer darauf Einfluss nehmen könne.

Allerdings sei hier zusätzlich die eingeschränkte Verantwortlichkeit des Eigentümers für Handlungen seines Mieters zu beachten. Sollte schadensursächlich ein fehlendes Beheizen gewesen sein (wie beklagtenseits behauptet), wäre der Beklagte nicht verantwortlich. Eine Haftung des Beklagten als mittelbarer Handlungsstörer käme nicht in Betracht. Der Eigentümer könne für Handlungen seines Mieters als mittelbarer Handlungsstörer nur verantwortlich gemacht werden, wenn er dem Mieter den Gebrauch einer Sache mit der Erlaubnis zu störenden Handlungen überlassen hätte oder es unterließe, ihn von einem fremdes Eigentum beeinträchtigenden Gebrauch abzuhalten. Ein Vermieter müsse ohne besondere Anhaltspunkte nicht davon ausgehen, dass ein Mieter bei strengen Frost die Mieträume nicht beheizt.

Gleichfalls wäre der Beklagte als Eigentümer nicht Zustandsstörer. Geht der Schaden zwar von einem in seinem Eigentum stehenden Bauteil oder Gerät (hier die Kaltwasserleitung) aus, ist die Ursache aber allein auf ein fahrlässiges oder vorsätzliches Handeln des Mieters zurückzuführen, ist der Vermieter nur dann Zustandsstörer, wenn die Beschaffenheit des Bauteils bzw. Gerätes nicht ordnungsgemäß war und für den Schaden mitursächlich gewesen sein könnte. Denn lediglich in diesem Fall hätte auch ein Abwehranspruch gegen ihn bestanden, der (mangels Kenntnis) nicht hätte durchgesetzt werden können und damit den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch begründet.

BGH, Urteil vom 18.12.2020 - V ZR 193/19 -

Samstag, 10. April 2021

Grenzen der Naturalrestitution bei Schadensersatz

Die Klägerin verlangte Schadensersatz für die Beschädigung von 7 Bürostühlen durch den Hund der Beklagten. Der Schadensfall ereignete sich bei einem Beratungsgespräch in den Räumen der Klägerin. Geltend gemacht wurden € 7.072,17, auf die von der Beklagten € 1.600,00 gezahlt wurden. Das Landgericht schätzte den Wiederbeschaffungswert der Stühle, die noch nicht repariert waren, auf € 4.832,50 und sprach der Klägerin € 3.232,50 zu. Im Rahmen der Berufung verlangte die Klägerin, nachdem zwischenzeitlich die Reparatur durchgeführt worden war, weitere € 2.239,67.

Das OLG wies darauf hin, dass der Schädiger ausnahmsweise die Naturalrestitution verweigern dürfe (und statt dessen Entschädigung in Geld zahlen dürfe), wenn dies zwar möglich sei, aber unverhältnismäßige Aufwendungen erfordere.  Eine Unverhältnismäßigkeit ergäbe sich bei reinen Vermögensschäden aus einem Wertvergleich zwischen den Kosten, die zur Herstellung erforderlich seien, und dem Wert des beschädigten Gegenstandes. Die sogen. 130%-Grenze der Rechtsprechung aus der Regulierung von Kraftfahrzeugschäden könne hier nicht einfach übernommen werden, da es sich dort um ein Massengeschäft handele, welches in der Praxis einer einheitlichen und übersichtlichen Handhabung zugänglich sein müsse. Außerhalb von Kraftfahrzeugschäden käme es auf eine Interessensabwägung im Einzelfall an, wobei die Grenze zur Unverhältnismäßigkeit dann überschritten sei, wenn ein „krasses Missverhältnis“ zwischen herstellungsaufwand und dem zu ersetzenden Schaden bestünde.

Eine Unverhältnismäßigkeit ergäbe sich hier nicht alleine daraus, dass die Instandsetzung der Stühle um ca. 40% höher gegenüber den Kosten der Beschaffung gleichwertiger gebrauchter Stühle läge. Die Klägerin habe die Stühle als Neuartikel erworben und sie würden seit Anschaffung zum festen Inventar des Büros seit ca. 16 Jahren gehören, im Übrigen intakt und unbeschädigt sein. Zwar wäre die Anschaffung gebrauchter Stühle möglich. Recherchen im Internet hätten allerdings gezeigt, dass die angebotenen Stühle nicht durchweg in der Farbe der geschädigten Stühle ausgeführt gewesen seien und niemand die benötigten Stühle in den benötigten drei Ausführungen angeboten habe. Die Klägerin müsste mithin „quer durch die Republik den Gebrauchthandelsmarkt“ beobachten und könnte nur sukzessive die benötigten Stühle beschaffen, die zuvor auch noch jeweils auf ihren Zustand zu untersuchen wären. Angesichts dessen sei es der beklagten mit Blick auf ein zu wahrendes einheitliches Erscheinungsbild des Inventars zumutbar, die höheren Kosten der Reparatur der vorhandenen Stühle zu übernehmen.

OLG Hamm, Urteil vom 19.02.2021 - 9 U 128/20 -

Freitag, 9. April 2021

Verweigerung zum Erwerb von Arzneimitteln zur Selbsttötung und Verfassungsbeschwerde

Die Beschwerdeführer (in den Jahren 1937 und 1944 geborene Eheleute) begehrten vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Erlaubnis nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG zum Erwerb einer tödlichen Dosis Natriumpentobarbital zum Zwecke der Selbsttötung. Dies wurde abgelehnt; die Klage gegen den ablehnenden Bescheid wurde in allen Instanzen abgelehnt, vom Bundesverwaltungsgericht mit Hinweis  darauf, dass keine extreme Notlage in Gestalt einer medizinischen Indikation bestünde. Im Rahmen ihrer Verfassungsbeschwerde machten die Beschwerdeführer u.a. geltend, sie könnten nicht nach § 13 BtMG darauf verwiesen werden, sich das Medikament ärztlich verschreiben zu lassen, da z.B. das ärztliche Standesrecht in Hessen eine solche Verschreibung nicht gestatte und Suizidbeihilfen auch nach Wegfall der Strafdrohung des § 217 StGB faktisch nicht bestünden. Es bliebe damit nur die versagte Möglichkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG. 

Das BverfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Zwar anerkennt es ausdrücklich das Recht, seinem Leben ein selbstbestimmtes Ende zu setzen. Anders als die Beschwerdeführer vertrat das BVerfG  allerdings die Auffassung, mit der Entscheidung des 2. Senats des BVerfG vom 26.02.2020 - 2 BvR 2347/15 – sei dem Anspruch entsprochen worden. Die Beschwerdeführer seien in Ansehung der durch das benannte Urteil veränderten Situation verpflichtet aktiv nach suizidhilfebereiten Personen im Inland, durch Bemühungen um eine ärztliche Verschreibung des gewünschten Wirkstoffs oder auf anderem geeigneten Weg zu verfolgen.

Das BVerfG verwies die Beschwerdeführer auf den Rechtsweg. Es gelte der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, weshalb hier in Ansehung der Entscheidung des BVerwG in dem Rechtsstreit der Beschwerdeführer auf der Grundlage der Entscheidung des BVerfG vom 26.02.2020 nach § 80 Abs. 7 VwGO und entsprechende Bemühungen gegenüber den zuständigen Behörden möglich seien. Es läge nach der Nichtigerklärung des § 217 StGB nicht mehr auf der Hand, dass eine aktive (auch auf andere Bundesländer als Hessen ausdehnende) Suche nach Suizidbeihelfern und verschreibungswilligen- und -berechtigten Personen aussichtslos wäre. Dies schon vor dem Hintergrund des Umstandes, dass die Aufhebung der Strafnorm auch von Ärzten betrieben worden sei. Es sei deshalb nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeführer ihre Möglichkeiten ausgeschöpft hätten.

Im Weiteren machte das BVerfG geltend, dass durch die benannte Entscheidung vom 26.02.2020 die Situation verbessert worden sei und nunmehr nur durch neuerliche Anstrengungen zur Realisierung des Suizidwunsches ermessen ließe, welche konkreten Gestaltungsmöglichkeiten und tatsächlichen Räume die neue Rechtslage eröffne. Nur so ließe sich klären, ob diese ausreichend praktische und zumutbare Möglichkeiten biete, einen Suizidwunsch zu realisieren, und zwar bei angepassten Konzepten eines medizinischen und pharmakologischen Missbrauchsschutz. Der Subsidiaritätsgrundsatz des § 90 Abs. 2 BVerfGG soll davor schützen, dass das BVerfG auf unsicherer Grundlage zu den tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten entscheide. Der Zweite Senat habe bei seiner Entscheidung auch den politischen gestaltungsspielraum eines übergreifenden legislativen Schutzkonzepts anerkannt, der bei einer Entscheidung in der Sache faktisch vorweggenommen würde.

 BVerfG (2. Kammer des 1. Senats), Beschluss vom 10.12.2020 - 1 BvR 1837/19 -

Mittwoch, 7. April 2021

Verkehrssicherungspflicht: Bekannte mögliche Stolperfallen auf belebten Plätzen durch sich lösende Klebebänder am Boden

Die Beklagte war Eigentümerin eines Bereichs vor dem Bahnhof. Auf der Pflasterung waren gelbe Markierungsbänder angebracht, die für die Dauer eines Marktes einen Sicherheitsbereich des Bahnhofs kennzeichnen sollten; die Anbringung erfolgte durch die Markverwaltung der Beklagten in Abstimmung mit Sicherheitsbehörden. Die Streifen wurden im Auftrag der Beklagten durch die Streitverkündeten angebracht.  Der Kläger rutschte auf dem Klebestoffrest eines (gelösten) Markierungsstreifen bzw. auf einem solchen Streifen aus. Verfing sich mit einem Fuß in der Schlinge des abgelösten Markierungsbandes und stolperte, wobei er sich Verletzungen zuzog, für die er von der Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld sowie die Feststellung der Ersatzfähigkeit zukünftiger Schäden begehrte.

Neben prozessualen Fragen, die die Anträge und das angefochtene erstinstanzliche Urteil dem Berufungsgericht aufgaben, ging es in der Sache um die Haftung der Beklagten dem Grunde nach.

Die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte sah das Berufungsgericht als verwirklicht an, da sich auf ihrer dem Verkehr freigegebenen Fläche vor dem Eingang des Bahnhofs auf dem Bodenpflaster die (sich teilweise abgelösten) Markierungsklebestreifen befanden und dies eine Sturzgefahr begründet habe.  Die Feststellung des Landgerichts zu den abgelösten Streifen sei auch von der Beklagten im Rahmen der Berufung nicht angegriffen worden und deshalb zugrunde zu legen.

Nicht entscheidungserheblich sei die Behauptung der Beklagten, sie habe die Auswahl der Markierungsstreifen auf die Streitverkündete übertragen. Selbst in diesem Fall würde die fortlaufende Pflicht zur Überwachung der auf der Verkehrsfläche angebrachten Markierung bei ihr verbleiben. Dem Verschuldensvorwurf könne die Beklagte nicht dadurch entgehen, dass von ihr täglich wiederholte Kontrollen der Klebestreifendurchgeführt würden. Nach der Neuverklebung am Vortag habe bis zum Schadensfall um 7.30 Uhr keine Kontrolle stattgefunden. Da unstreitig bekannt gewesen sei, dass sich Streifen lösen konnten, dies auch zuvor erfolgt sei, würden solche evtl. auch mehrmals täglich erfolgende Kontrollen nicht ausreichend sein. Das Ablösen sei auf der bekannten Grundlage jederzeit möglich und könnte damit unmittelbar zu einer Gefahr führen. Das Berufungsgericht unterschied hier zwischen einer sich über längere Zeit aufbauende Gefahr (wie Laubfall oder unachtsam von Passanten hingeworfener Unrat) und einer akut bekannte  Gefahrenlage wie hier bei den sich plötzlich ablösenden Streifen: Bei der bekannten Gefahrensituation durch die Markierungsstreifen habe die Beklagte mit einer lediglich periodischen Überwachung ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht genügen können, da so ein auf dieser hoch frequentierten Verkehrsfläche erforderlicher ständiger Schutz gegenüber der bekannten und stets möglichen Gefahr nicht sicherzustellen gewesen sei.

Für ein Mitverschulden des Klägers sei nichts ersichtlich. Dass ihm die Gefahrenlage und das Ablösen der Bänder bekannt gewesen oder erkennbar gewesen sei, ließe sich nicht feststellen. Das Vorhandensein der Markierungsklebebänder stelle sich nicht als Warnung vor diesen selbst dar.

Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Urteil vom 11.03.2020 - 1 U 56/19 -

Montag, 5. April 2021

Kommanditistenhaftung bei Insolvenz der Gesellschaft und Darlegungs- und Beweislast des Insolvenzverwalters

Der Kläger als Insolvenzverwalter forderte von dem Beklagten, der mit einer Kommanditeinlage von € 55.000,00 an der Schuldnerin beteiligt war, einen Betrag von € 24.750,00 für nicht durch gedeckte Gewinne erfolgte Ausschüttungen mit der Begründung, es handele sich bei den Auszahlungen um teilweise Rückgewähr der geleisteten Kommanditeinlage.

Der Kommanditist haftet mit seiner Einlage für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Allerdings würde, so der BGH, dem Kommanditisten bei einer Inanspruchnahme durch den Insolvenzverwalter nach §§ 171 Abs. 1 und 2, 172 Abs. 4 HGB der Einwand der fehlenden Erforderlichkeit der ihm gegenüber geltend gemachten Forderung. Hierfür sei er zwar darlegungs- und beweisbelastet, doch obliege dem Insolvenzverwalter die sekundäre Darlegungslast zu den für die Befriedigung der Gläubiger bedeutsamen Verhältnisse.

Entscheidend dabei sei nicht nur, ob die Gesellschaftsschulden aus der aktuelle zur Verfügung stehenden Insolvenzmasse befriedigt werden könne, vielmehr könne der Kommanditist auch entsprechend §§ 422 Abs. 1 S. 1 HGB, 362 Abs. 1 BGB einwenden, der erforderliche Betrag sei durch Zahlung anderer Kommanditisten ganz oder teilweise aufgebracht. Abzustellen sei deshalb darauf, ob und inwieweit die Forderung durch Zahlung anderer Kommanditisten die Insolvenzmasse gedeckt sei (BGH, Urteil vom 21. Juli 2020 - II ZR 175/19 -). Entscheidend sei der Betrag der nicht gedeckten Forderung zum Tag der letzten mündlichen Verhandlung, der typischerweise nur von dem Insolvenzverwalter dargelegt werden könne, dem dies auch nach der sekundären Darlegungslast obliege.

Bei den gegen die Schuldnerin gerichteten Forderungen seien nicht lediglich zur Tabelle festgestellte Forderungen zu berücksichtigen. Auch die vom Insolvenzverwalter bestrittenen Forderungen seien zu berücksichtigen, wenn eine erfolgreiche Inanspruchnahme der Masse diesbezüglich ernsthaft drohe. Deren Sicherung könne erforderlich sein, weil ein gegen sie erhobener Widerspruch des Insolvenzverwalters durch eine Feststellungsklage (§ 170 InsO) beseitigt werden könne. In diesem Verhalten des Insolvenzverwalters läge kein widersprüchliches Verhalten. Allerdings obläge es dem Insolvenzverwalter substantiiert darzulegen und zu beweisen, dass eine von ihm bestrittene Forderung, für die der Kommanditist hafte, mindestens in Höhe der Klageforderung bestünde. Eine Inanspruchnahme der Masse würde z.B. dann nicht mehr drohen, wenn der Bestand bestrittenen und angemeldeten Forderung rechtlich zweifelhaft sei, seit dem Prüfungstermin und dem Widerspruch des Insolvenzverwalters ein erheblicher Zeitraum verstrichen sei und der Gläubiger keine Feststellungsklage erhoben habe. Ebenfalls könne eine Inanspruchnahme der Masse nicht mehr angenommen werden, wenn es sich um eine Vielzahl von Forderungen, beruhend auf vergleichbaren Sachverhalten, handele und hier ein Musterprozess (nicht notwendig im Insolvenzverfahren) geführt worden sei, bei der die Forderung nicht zuerkannt wurde (BGH, Beschluss vom 06.02.2020 - IX ZR 5/19 -).

BGH, Urteil vom 09.02.2021 - II ZR 28/20 -