Samstag, 20. März 2021

Verkehrssicherungspflicht: Sturz eines Radfahrers infolge eines Schlaglochs auf Wirtschaftsweg

Der Kläger machte gegen die Stadt Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche geltend, da er nach seiner Behauptung am Unfalltag gegen Mittag mit seinem Fahrrad in der Mitte des Wirtschaftsweges in ein ca. 6 – 8cm tiefes und in seiner Fahrtrichtung 50 – 60cm langes Schlagloch geraten sei und dadurch bedingt zu Fall gekommen sei. Das Schlagloch sei für ihn wegen eines Schattenwurfs nicht zu erkennen gewesen. Das Landgericht wies die Klage ab. In seinem Hinweisbeschluss wies das OLG den Kläger darauf hin, dass es beabsichtige seine Berufung nach § 522 Abs. Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen.

Grundsätzliche umfasse die Straßenverkehrssicherungspflicht die notwendigen Maßnahmen zur Herbeiführung bzw. Aufrechterhaltung eines für den Benutzer sicheren Zustandes. Allerdings besage dies nicht, dass die Straßen und Wege völlig gefahrlos und frei von jeglichen Mängeln sein müssten, da auf die Zumutbarkeit abzustellen sei und eine vollständige Gefahrlosigkeit mit zumutbaren Mitteln nicht zu erreichen sei. Entscheidend seien für den Umfang der Sicherungspflicht der Charakter des Weges, Art und Ausmaß seiner Inanspruchnahme und die vernünftige Erwartungshaltung des Benutzers unter Berücksichtigung von dessen Verkehrsbedeutung. Vom Grundsatz her habe der Benutzer einer Straße diese so hinzunehmen, wie sie sich ihm darbiete und sich darauf einzustellen. Gefahren müssten nur ausgeräumt werden (bzw. vor ihnen gewarnt werden), vor denen sich der sorgsame Verkehrsteilnehmer nicht selbst schützen könne (z.B. da sie völlig überraschend eintrete oder nicht rechtzeitig erkennbar sei).

Anders als die herrschende Meinung, die eine Verkehrssicherungspflicht bei Schlaglöchern von mindestens 15cm Tiefe auf verkehrswichtigen Straße annehme, würde der Senat bei Radfahrern eine Tiefe von bis zu 4cm, als noch beherrschbar annehmen wollen. Allerdings verbiete sich die Fixierung auf einen bestimmten Wert und käme es auf die o.g. Kriterien an und damit die Umstände des Einzelfalls an.  

Vorliegend handele es sich nach der Verkehrsbedeutung um einem in einem landwirtschaftlichem gebiet belegenen Wirtschaftsweg. An die Sicherung eine solchen seien geringe Anforderungen zu stellen. Hier trete die Eigenvorsorge des Nutzers in den Vordergrund.

Zu Art und Lage hielt das OLG fest, dass der Weg 5m breit sei. Die Lage und die Größe des Schlaglochs, wie vom Kläger behauptet,  als richtig unterstellt, würde ein gewisses Gefahrenpotential für den Radfahrer bedeuten, der hier hineingerät. Das OLG wies darauf hin, dass der Radfahrer hätte rechts fahren müssen, § 2 Abs. 1 StVO, weshalb der Radfahrer nicht erwarten dürfe, dass der Weg nicht nur rechts, sondern auch in der Mitte gefahrlos befahren werden könne. Ferner ergäbe sich aus der allgemeinen Lebenserfahrung, dass bei einer Benutzung von Wirtschaftswegen grundsätzlich mit Fahrbahnunebenheiten zu rechnen sei, da diese Wege regelmäßig mit schweren landwirtschaftlichen Gerät befahren würden und dadurch Straßenschäden entstünden. Der Kläger sei also gem. § 3 Abs. 1 S. 2 und 4 StVO zu schnell gefahren; die Geschwindigkeit hätte er so herabsetzen müssen, dass er rechtzeitig das Schlagloch sieht, weshalb es Warnhinweise nicht bedurft habe.

OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 11.11.2020 - 11 U 126/20 -

Freitag, 19. März 2021

Waschstraße: Unfall durch Abbremsen auf dem Transportband und Mitverschulden

Der Kläger nutzte eine Waschstraße. Das Fahrzeug des Beklagten zu 2. vor ihm fuhr nach Abschluss des Waschvorgangs an der Ausfahrt, obwohl die Lichtzeichenanlage bereits auf grün gesprungen war, nicht an. Erst bei einem zweiten Startversuch gelang es dem Beklagten zu 2. wegzufahren. Da der PKW des Klägers zwischenzeitlich vom Schleppband weiter in Richtung Beklagtenfahrzeug gezogen wurde und er aus Sorge um eine Kollision abbremste, rutschte sein Fahrzeug vom Transportband und kollidierte mit Teilen der Waschstraße.

Das Landgericht wies die Klage ab. Die Berufung des Klägers war teilweise erfolgreich.

Das Fahrzeug des Beklagten sei zum Unfallzeitpunkt iSv. § 7 StVG „im Betrieb“ gewesen. Zwar würde eine Beförderung des Fahrzeugs auf einem Förderband der Waschstraße bei ausgeschalteten Motor von der Rechtsprechung einem Betrieb entgegenstehen können, doch sei hier zu berücksichtigen, dass der Waschvorgang bereits vollständig abgeschlossen gewesen wäre und das Fahrzeug zur Weiterfahrt zu starten gewesen wäre. Damit ging die Gefahr nicht mehr von der Waschstraße aus, sondern vom Fahrzeug und seinem Fahrer.

Der Schaden am klägerischen Fahrzeug sei auch durch den Betrieb des Fahrzeugs des Beklagten mitverursacht worden. Das verzögerte Anfahren des Beklagten zu 2. sei für die Reaktion des Klägers die Ursache gewesen. Es bestand ein örtlicher und zeitlicher Zusammenhang. Der Ursachenbeitrag bestand nicht nur in der bloßen Anwesenheit des Beklagtenfahrzeuges, sondern in der sich für den Kläger (verständlich) als kritisch darstellenden Situation. Der Umstand, dass es zwischen den Fahrzeugen nicht zur Kollision kam, ließe einen Zurechnungszusammenhang nicht entfallen. Auch hier ist maßgeblich die verzögerte Abfahrt des Beklagten zu 2. Ein eigener Ursachenzusammenhang sei durch den Kläger selbst dann nicht gebildet werden, wenn seine Reaktion als voreilig oder übertrieben bewertet würde.

Der Beklagte zu 2. hafte als Fahrer nach § 18 Abs. 1 StVG verschuldensunabhängig. Er sei gehalten gewesen, nach Abschluss des Waschvorgangs und bei Umschalten der Ampel auf „grün“ unmittelbar wegzufahren; dies ergäbe sich bereits aus den Regeln des Betreibers der Waschstraße als auch der Gefährlichkeit des Stehenbleibens. Dass die Verzögerung auf ein vom Beklagten zu 2. Nicht zu vertretendes Versagen der Betriebseinrichtung zurückzuführen wäre, sie nicht geltend gemacht worden.

Allerdings habe der Kläger den Unfall im erheblichen Umfang mitzuverantworten. Zwar scheide für ihn eine Mitverantwortlichkeit nach §§ 17, 18 StVG aus, da sich sein Fahrzeug noch im Waschvorgang und damit nicht „im Betrieb“ nach § 7 StVG befunden habe. Es greife aber ein Mitverschulden gem. §§ 9 StVG, 254 BGB. Er habe diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eines Schadens anzuwenden pflege. Es hätte ihm klar sein müssen, dass er in der Situation nicht hätte bremsen dürfen. Des sei allgemein bekannt, dass ein regelwidriges Abbremsen des in der Waschstraße automatisch transportierten Fahrzeuges dazu führen kann, dass die Vorwärtsbewegung verzögert (evtl. auch gestoppt) wird, wodurch es zu Beschädigungen des Fahrzeugs durch die sich weiterbewegende Reinigungsanlage oder auch Kollision mit nachfolgenden Fahrzeugen kommen könne und hier auch zur Schädigung des PKW geführt habe; zudem würden auch die Warnhinweise des Waschstraßenbetreibers ein Abbremsen untersagen.

Der Mietverursachungsanteil des Klägers an dem Schaden betrage daher 70%.

OLG Zweibrücken, Urteil vom 27.01.2021 - 1 U 63/19 -

Sonntag, 14. März 2021

Wegeunfall als Arbeitsunfall abgelehnt bei Gehen nach Unfall um 100m entgegen Fahrtrichtung

Der Kläger verunfallte mit seinem Fahrrad auf der Fahrt zu seiner Arbeit. Als er verkehrsbedingt auf dem Radweg anhielt, bog unversehens ein seitlich links von ihm stehender PKW nach rechts in eine Straße ein und streifte dabei das Vorderrad des Fahrrads. Der Kläger kam nicht zu Fall und wurde nicht verletzt. Der PKW hielt verkehrsbedingt an einer ca. 100m entfernten Kreuzung, weshalb sich der Kläger entschloss ihm nachzufahren um zur Sicherung etwaiger Schadensersatzansprüche ein Foto von dem Kennzeichen zu machen. Er lief die etwa 100m zurück. Der Fahrer und die Beifahrerin stiegen aus dem PPKW aus und der Fahrer schlug den Kläger, nach einer verbalen Auseinandersetzung, mit der Faust in das Gesicht. Der Kläger war daraufhin mehrere Wochen arbeitsunfähig. Die beklagte Sozialversicherung negierte einen Arbeitsunfall. 

Das Sozialgericht gab der gegen den ablehnenden Bescheid erhobenen Klage statt. Auf die Berufung der Beklagten wurde die Klag abgewiesen.

Das Landessozialgericht (LSG) bejahte zwar 8wie auch die Beklagte), dass der Kläger zum Zeitpunkt, als der PKW das Fahrrad touchierte, als Beschäftigter nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII unfallversichert war, da er sich auf dem direkten Weg zu seiner Arbeitsstätte befand. Zu diesem Zeitpunkt habe er aber keinen Gesundheitsschaden erlitten. Der Versicherungsschutz nach § 8 SGB VII (Arbeitsunfall) in Form des Wegeunfalls nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII würde sich lediglich auf den unmittelbaren Weg zwischen dem Ort der versicherten Tätigkeit (Arbeitsstelle) und die Wohnung beziehen. Hier aber habe der Kläger diesen verlassen, indem er die Straße ca. 100m zurückgelaufen sei (und damit entgegen der Fahrtrichtung zur Arbeitsstelle lief).

Das LSG stellte auf die Handlungstendenz ab. Diese sei maßgeblich für die Beurteilung, ob eine konkrete Verrichtung der grundsätzlich versicherten Fortbewegung (zur Arbeitsstelle bzw. zur Wohnung) diene, wobei das Handeln subjektiv (zumindest auch) auf Erfüllung dieses Tatbestandes ausgerichtet sein müsse. Die subjektive Handlungstendenz müsse sich in objektiven Umständen widerspiegeln. Diese Voraussetzungen seien bei dem Zurücklaufen nicht gegeben.

Soweit der Kläger vorgetragen habe, er sei nur ca. 25m zurückgelaufen und habe sich damit noch in einem räumlich zusammenhängenden Unfallbereich befunden, folgte dem das LSG nicht, da der PKW an einer Kreuzung ca. 100m entfernt angehalten habe und die Auseinandersetzung im unmittelbaren Bereich des PKW stattgefunden habe. Es läge damit kein Unfallversicherungsschutz eine Versicherten vor, der bei üblichen Regulierungsgesprächen nach einem Verkehrsunfall einen (eventuell weiteren) Schaden erleide, da sich für ihn eine Gefahr realisierte, der er im Wesentliche infolge des Zurücklegens des versicherten Weges ausgesetzt gewesen sei.

Zudem sei die Handlungstendenz des Klägers ersichtlich von dem Willen geprägt gewesen, das Nummernschild des PKW zu fotografieren. Ob auch die Absicht bestand, den Fahrer des PKW zur Rede zu stellen, könne auf sich beruhen, da auch dies lediglich von dem persönlichen Motiv der Anspruchssicherung geprägt gewesen wäre, es also dem Kläger jedenfalls nicht darum gegangen sei, seinen Arbeitsweg zügig fortzusetzen, da dies einem Nachstellen bis zum PKW nicht bedurft hätte.

Ein Versicherungsschutz sei nicht bereits deshalb gegeben, wenn ein Versicherter bei üblichen Regulierungsgesprächen einen (weiteren) Unfall erleide, da er einer Gefahr erlegen sei, der er wesentlich infolge des Zurücklegens des versicherten Weges ausgesetzt sei. Der Schutzzweck der Norm schütze vor Risiken eines Unfalls bei der Ausübung einer dem Beschäftigungsunternehmen dienenden Verrichtung, wozu Auseinandersetzungen aus Anlass einer Verkehrsgefährdung nicht gehören würden.

Würde der Arbeitsweg aus Gründen wie hier unterbrochen, entfalle der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit. Nur bei einer geringfügigen Unterbrechung des Arbeitsweges würde der Versicherungsschutz fortbestehen, die dann vorliege, wenn der zeitliche und räumliche Zusammenhang mit dem Arbeitsweg noch bestünde. Das setze voraus, dass keine erhebliche Zäsur in der Richtung auf das Ziel vorläge, da sie ohne nennenswerte zeitliche Verzögerung „im Vorbeigehen“ oder „ganz nebenher“ erledigt werden könne. Das läge bei dem Absteigen vom Fahrrad und entfernen in entgegengesetzter Richtung von 100m nicht vor.

Auch eine Verkehrssicherungspflicht nach § 34 StVO käme hier nicht zugunsten des Klägers zum Tragen. § 34 StVO belehre die Verkehrsteilnehmer über ihre Pflichten nach einem Verkehrsunfall und schütze das private Interesse der Unfallbeteiligten und Geschädigten an einer möglichst umfassenden Aufklärung des Unfallgeschehens sowie die Anspruchssicherung. Dies ei dem privaten Bereich zuzurechnen, womit nicht mehr die Fortsetzung des Zurücklegens des Arbeitsweges verbunden sei.

Auch ein Anspruch gegen die beigeladene nach § 1 Abs. 1 Nr. 13c SGB VII käme nicht in Betracht. Hier würden Personen dem gesetzlichen Unfallversicherungsschutz unterfallen, die sich bei der Verfolgung oder Festnahme einer einer Straftat verdächtigen Person persönlich einsetzen. Der Einsatz müsste von der Handlungstendenz getragen sein, für das Gemeinwohl und die Rechtsordnung tätig zu werden. Das war nicht der Fall, da der Kläger nur seine persönlichen Ansprüche auf Schadensersatz habe sichern wollen.

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 08.10.2020 - L 3 U 134/19 -

Donnerstag, 11. März 2021

Umsetzen von Fahrzeugen von Privatparkplätzen in den öffentlichen Straßenverkehrsraum

Der Rechtsstreit betraf eine straßenrechtliche Verfügung, mittels der der gewerblich tätigen Klägerin untersagt wurde, ein auf einem privaten Grundstück geparktes Fahrzeug (im Auftrag des Grundstückseigentümers) in den öffentlichen Raum umzusetzen. Dabei handelte es sich bei der Klägerin um einen privaten Dienstleister zur Parkraumüberwachung auf privaten Grundstücken. Sie verbrachte widerrechtlich abgestellte Fahrzeuge auf einen freien Parkplatz im öffentlichen Verkehrsraum, der sich in der Nähe des Abschlepportes befand und unterrichte die Abgeschleppten nach Zahlung der Abschleppkosten von dem Standort des Fahrzeuges.

Gegen die Verfügung erhob die Klägerin Klage, der das Verwaltungsgericht (VG) stattgab.

Das VG verwies darauf, dass nicht das Straßenrecht des Landes, sondern zunächst die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) zur Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit des Umsetzens der Fahrzeuge von einem privaten Grundstück in den öffentlichen Straßenraum maßgeblich sei, auch bei der Beurteilung der Fragen ob das Abstellen im öffentlichen Straßenraum eine zulässige Teilnahme am ruhenden Verkehr sei. § 14 Abs. 1 NStrG gestatte jedermann im Rahmen der Widmung und der Verkehrsvorschriften den gebrauch der Straße (Gemeingebrauch). Im Rahmen dieses Gemeingebrauchs habe der fließende Verkehr Vorrang vor dem ruhenden Verkehr und eine Nutzung über den Gemeingebrauch hinaus sei eine Sondernutzung (§ 18 Abs. 1 S. 1 NStrG). Würde die Straße ohne Erlaubnis genutzt oder komme der berechtigte seinen Verpflichtungen nicht nach könne die zuständige Behörde die Beendigung der Nutzung anordnen oder die Erfüllung von Auflagen fordern (§ 22 NStrG). Die zulässige Teilnahme am Straßenverkehr (einschl. dem ruhenden Verkehr) ergäbe sich aber abschließend nur aus dem bundesrechtlich geregelten Straßenverkehrsrecht. So habe das BVerwG bereits im Urteil vom 03.06.1982 - 7 C 73/79 - entschieden, dass in § 12 Abs. 2 StVO das Parken von Kraftfahrzeugen als verkehrsüblicher und gemeinverträglicher Vorgang des ruhenden Verkehrs geregelt worden sei und nur nach den straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften zu beurteilen sei.

Ist damit aber die StVO für das Umsetzen maßgeblich, müsse sich die Verfügung daran orientieren, mit der die Umsetzung in allen Gemeindestraßen untersagt wurde, die dem öffentlichen Verkehr gewidmet seien. Dass bei dem Umsetzen Verstöße gegen die Vorgaben der StVO durch die umgesetzten Fahrzeuge erfolgt seien, sei nicht geltend gemacht worden. Da das Parken Bestandteil des ruhenden Verkehrs sei, wenn es sich wie hier um zugelassene und betriebsbereite Fahrzeuge handele, könne dies nicht verboten werden, zumal die Fahrzeuge nach Angaben der Klägerin regelmäßig innerhalb von sechs Stunden ausgelöst und wieder in Betrieb genommen würden. Alleine der Umstand, dass die Klägerin gewerbliche handele, sei nicht maßgeblich, zumal hinzu kommen würde, dass es im Interesse der Klägerin sei, dass die Fahrzeuge wieder in Betrieb genommen würden, da so die Klägerin von den Betroffenen die Kosten erstattet bekäme.

VG Hannover, Urteil vom 01.09.2020 - 7 A 5261/18 -

Dienstag, 9. März 2021

WEG: Ermessen bei Absehen von Rückbau unzulässiger baulicher Veränderung von Gemeinschaftseigentum

 

In 1977 wurde auf dem Gemeinschaftseigentum eine Garage errichtet und vor einigen Jahren eine Gartenhütte. Ein Antrag au Beseitigung dieser Bauwerke wurde in der Eigentümerversammlung vom 25.07.2018 mit Mehrheitsbeschluss zurückgewiesen. Der Kläger erhob Anfechtungsklage, die vom Amtsgericht als unbegründet abgewiesen wurde. Mit seiner Berufung verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. Das Landgericht gab im berufungsverfahren der Klage statt.

Das Landgericht wies darauf hin, dass zwar im Rahmen seiner Beurteilung das jetzt geltende WEG-Recht einschlägig sei, sich hier aber materiell gegenüber dem bisherigen Recht keine anderweitige Beurteilung ergäbe. Entscheidend sei, ob der Beschluss ordnungsgemäßer Verwaltung entspräche (§ 21 Abs. 4 WEG a.F., § 19 Abs. 1 WEG n.F.), was nicht der Fall sei.

Eine Negativbeschluss könne nur erfolgreich angefochten werden, wenn nur eine positive Beschlussfassung ordnungsgemäßer Verwaltung entsprochen haben würde. Dies fordere vorliegend eine Ermessensreduzierung auf Null. Allerdings müsse  eine Anfechtungsklage gegen eine Negativbeschluss auch dann Erfolg haben, wenn zwar nicht notwendig eine Ermessensreduzierung auf Null vorläge, aber die Wohnungseigentümer ein ihnen zustehendes Ermessen nicht ausgeübt hätten, da auch in diesem Fall der Anfechtende in seinem Recht auf ordnungsgemäße  Verwaltung verletzt sei.

Da die Errichtung von Garage und Gartenhütte rechtwidrig erfolgt seien, entspräche der Rückbau in der Regel ordnungsgemäßer Verwaltung, da dies der Wiederherstellung des ordnungsgemäßen Zustandes entspräche. Allerdings könne ein Ansehen davon u.U. auch ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen, wobei den Wohnungseigentümern insoweit ein Ermessen zustehe. Das aber würde hier nach dem jetzigen WEG voraussetzen, dass die bauliche Veränderung nach § 20 Abs. 1 WEG n.F. genehmigt würde, womit dann auch Klarheit über Nutzung und Kosten geschaffen würde (§ 21 WEG n.F.).

§ 20 Abs. 1 WEG n.F. lautet:

„Maßnahmen, die über die ordnungsmäßige Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen (bauliche Veränderungen), können beschlossen oder einem Wohnungseigentümer durch Beschluss gestattet werden.“

Der Negativbeschluss als solcher reicht allerdings nach dem Urteil des LG Frankfurt am Main für eine Ermessensausübung nicht aus. Vielmehr müssten sich die Wohnungseigentümer über ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechende Alternativen zum Rückbau bewusst gewesen sein und die bei einer Abwägungsentscheidung mit einbezogen haben. Nicht ausreichend seien theoretische denkbare Nutzungsalternativen (wie sie im berufungsverfahren mit Fahrradunterstand, Lagerraum pp. benannt seien. Die Abwägung hätte zum Zeitpunkt der Beschlussfassung stattfinden müssen und zudem alternativ zum Abriss entsprechende Nutzungen ermöglicht oder zumindest in die Wege geleitet werden müssen. Das sei nicht geschehen. Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung seien Garage und Gartenhaus weder im Interesse der Gemeinschaft tatsächlich genutzt worden noch habe es Regeln zu deren Nutzung gegeben.

Es sei auch keine Verjährung eingetreten, da der Anspruch auf ordnungsgemäße Verwaltung nicht verjähre (BGH, Urteil vom 27.04.2012 - V ZR 177/11 -).

LG Frankfurt am Main, Urteil vom 14.01.2021 - 2-13 S 26/20 -

Samstag, 6. März 2021

Tierhalterhaftung nach § 833 S. 1 BGB und Haftungsprivileg des § 1664 BGB

 

Den getrenntlebenden Eltern der dreijährigen Klägerin stand das Sorgerecht gemeinsam zu. Die Klägerin wohnte mit ihrer Mutter in einem Haushalt. Der Vaterging mit ihr und seinem angeleinten Hund spazieren. Bei einem plötzlichen Laufrichtungswechsel des Hunde stolperte die Klägerin über die Hundeleine und fiel auf ihr Gesicht. Der Vater unterhielt bei der Beklagten eine Tierhalterhaftpflichtversicherung. Die Eltern unterzeichneten eine Vereinbarung, mit welcher der Vater seine Ansprüche aus dem Vorfall gegen seine Versicherung an die Klägerin abtrat. Das Amtsgericht wies die auf Schadensersatz gerichtete Klage als unzulässig ab. Das Landgericht hat im Berufungsverfahren zwar die Klage als statthaft, aber als unbegründet angesehen. Mit der zugelassenen Revision verfolgte die Klägerin ihre Ansprüche weiter.

Der BGH wies die Revision als unbegründet zurück.

Ein Verschulden des Vaters, welches eine Haftung nach § 823 BGB begründen könnte, sei nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Damit käme allenfalls ein Anspruch aus der Gefährdungshaftung des Tierhalters nach § 833 S. 1 BGB in Betracht. Dieser Anspruch sei aber nach § 1664 Abs. 1 BGB ausgeschlossen. § 1664 BGB lautet:

(1) Die Eltern haben bei der Ausübung der elterlichen Sorge dem Kind gegenüber nur für die Sorgfalt einzustehen, die sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegen.

(2) Sind für einen Schaden beide Eltern verantwortlich, so haften sie als Gesamtschuldner.

Die Eltern haben bei der Ausübung der elterlichen Sorge gegenüber dem Kind nur für die Sorgfalt einzustehen, die sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegen, § 1664 Abs. 1 BGB. In der Norm sei eine Privilegierung der Eltern enthalten, die auf der familienrechtlichen Verbundenheit mit dem geschädigten Kind beruhe, welches der Ausübung der Personensorge ein besonderes Gepräge verleihe (BGH, Urteile vom 17.10.1995 - VI ZR 358/04 - und vom 01.03.1988 - VI ZR 190/87 -). Im Hinblick auf die dadurch bedingte Haftungsbeschränkung wurden auch für die deliktischen Verhaltenspflichten gegenüber dem Kind gelten, wenn diese Schutzpflichten ganz in der Sorge für das Kind aufgehen würden, da ein Ausschluss mit dem Wortlaut und dem Sinn der Norm nicht vereinbar wäre (BGH, Urteil vom 01.03.1988 aaO.). Damit wäre auch über § 1664 Abs. 1 BGB ein verschuldensunabhängiger Anspruch, wie er in § 833 S. 1 BGB normiert ist, ausgeschlossen. Das entspräche den Wirkungen einer gesetzlichen Beschränkung der Vertragshaftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, die auch auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung durchschlagen würden. Daher könne wegen desselben Verhaltens nach Deliktsrecht keine strengere Haftung stattfinden und entfalle mithin nicht nur eine Haftung für leichte Fahrlässigkeit, sondern auch die Gefährdungshaftung des § 833 S. 1 BGB (BGH, Urteil vom 09.06.1992 - VI ZR 49/91 -). Dies gelte auch für den Sorgfaltsmaßstab nach § 1359 BGB.

Auch soweit von der Revision darauf hingewiesen wurde, dass die Eltern getrennt leben würden, würde sich daran nichts ändern. Auch in diesem Fall würde es sich um den familiären Umgang zwischen der Klägerin und ihrem Vater handeln. Ebenso wenig wäre nicht entscheidend, dass es durch den geltend gemachten Anspruch keinen innerfamiliären Konflikt gäbe, da es eine Auseinandersetzung mit dem Versicherer sei. Der Regelungsmechanismus des § 1664 Abs. 1 BGB sei nicht abhängig davon, dass das Bestehen (d.h. dessen Entstehung und sein möglicherweise späteres Entfallen) von späteren (sich möglicherweise ändernden Begleitumständen) seiner Geltendmachung abhänge. Der BGH weist auch darauf hin, dass das innerfamiliäre Leben dem Zweck des § 1664 Abs. 1 BGB zuwider auch dadurch gestört werden könne, dass es im Rahmen einer Auseinandersetzung mit einem Dritten (hier: Versicherer) thematisiert würde, auch wenn für den Vater ein Haftpflichtversicherungsschutz bestünde.

Offen bleiben könne, ob der Sorgfaltsmaßstab des § 1664 Abs. 1 BGB bei Hundehaltung keine Anwendung fände, weil die dafür geltenden Regelungen keinen Raum für einen individuellen Sorgfaltsmaßstab ließen, wie es bei Schadensfällen im Straßenverkehr wegen Verstoßes gegen Verkehrsvorschriften oder bei Wasserski unter Verstoß gegen einen Ministerialerlass für § 1359 BGB und im Rahmen des § 708 BGB angenommen würde (vgl. BGH, Urteil vom 12.12.2009 - VI ZR 79/08 -). Denn ein Anspruch aus § 833 S. 1 BGB bestünde unabhängig von einer Sorgfaltspflichtverletzung.

Da der Vater bei dem Spaziergang die elterliche Sorge ausübte (§§ 1626 Abs. 1, § 1631 Abs. 1 BGB) scheide der Anspruch gegen ihn und damit aus der Abtretung gegen den Tierhalterhaftpflichtversicherer aus.

BGH, Urteil vom 15.12.2020 - VI ZR 224/20 -

Donnerstag, 4. März 2021

Voraussetzung für gemeindliches Vorkaufsrecht nach § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 BauGB

Streitgegenständlich war die Frage, ob die die beklagte Gemeinde nach § 24 BauGB von einem Vorkaufsrecht Gebrauch machen durfte. Das Verwaltungsgericht (VG) hatte die von der Käuferin erhobene Klage gegen den auf Ausübung des Vorkaufrechts durch die Beklagte gerichteten Bescheid als unbegründet zurückgewiesen. Ihre Berufung gegen das Urteil war insoweit erfolgreich.

Zur Begründung des Vorkaufsrechts hatte die Beklagte ausgeführt, das Grundstück läge in einem Bereich, für den der Flächennutzungsplan eine Wohnbebauung vorsähe. Sie beabsichtige zur gegebenen Zeit einen Bebauungsplan aufzustellen, sobald sie die hierfür erforderliche Grundstücke erworben habe. Andernfalls würde die Gefahr bestehen, dass bei einer Baulandentwicklung Baulücken entstehen, die nicht dem allgemeinen Grundstücksmarkt zur Verfügung stünde. Mit Ausübung des Vorkaufsrechts solle auch Kontrolle über das zukünftige Preisniveau erzielt werden.

Entgegen dem VG ging der Hess. Verwaltungsgerichtshof (VGH) davon aus, dass die Beklagte zum Zeitpunkt der (letzten) Behördenentscheidung nicht berechtigt gewesen sei, ihr gemeindliches Vorkaufsrecht nach § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 BauBG auszuüben. Die Voraussetzung des § 24 Abs. 3 S. 1 BauGB, dass die Ausübung dem Wohl der Allgemeinheit dienen müsse, läge nicht vor. Zwar sei die Ausübung des Vorkaufsrechts in einem Fall wie diesem (Kauf eines im Außenbereich belegenen unbebauten Grundstücks im Geltungsbereich eines Flächennutzungsplans, der eine Bebauung als Wohnbaufläche/Wohngebiet vorsehe) vor, doch müsse die Ausübung durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt sein.  

Auch wenn an der Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 BauGB keine überzogenen Anforderungen zu stellen wären, würde die Darstellung im Flächennutzungsplan als Wohnbaufläche/Wohngebiet nicht ausreichend sein. Erforderlich sei, dass die erworbene Fläche unmittelbar oder mittelbar für die Errichtung von Wohngebäuden oder deren infrastruktureller Ausstattung erworben würde. Der Ausübung seien auch zeitliche Grenzen gesetzt. So rechtfertige das Wohl der Allgemeinheit iSv. § 24 Abs. 3 S. 1 BauGB die Inanspruchnahme nur, wenn die Gemeinde auch alsbald nach Ausübung des Vorkaufrechts die erforderlichen (weiteren) Schritte unternehme, um das städtebauliche Ziel der Bereitstellung von Wohnbauland zu verwirklichen. Das wiederum gebiete die alsbaldige Aufstellung eines Bebauungsplanes, da nur so der gesetzgeberischen Intention der Begegnung von Wohnraummangel entsprochen werden könne (BVerwG, Beschluss vom 25.01.2010 - 4 B 53.09 -).

Das rechtfertige die Ausübung des Vorkaufrechts nur wenn damit Flächen unmittelbar oder (als Tauschland) mittelbar für die Errichtung von Wohngebäuden bzw. deren infrastrukturelle Ausstattung erworben würden, nicht aber zur Bodenbevorratung oder um später möglicherweise Tauschgrundstücke im Rahmen der Verfolgung gänzlich anderer Zwecke zu haben. Nach der Intention des § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 BauGB zugrunde liegenden Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz/BauGB-Maßnahmegesetz 1990 (übernommen in das BauGB) sollte die Vorbereitung und Durchführung von Wohnbauvorhaben in Gebieten, die die Gemeinde durch Bebauungspläne entwickeln wolle, erleichtert werden.

Vorliegend habe die Gemeinde selbst nicht geltend gemacht, dass sie zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung als maßgeblicher Zeitpunkt oder danach planerisch tätig geworden sei und ernsthaft eine Ausweisung als Wohnbaufläche betreibe. Reine Absichtsbekundungen würden nicht ausreichen.

Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 24.11.2020 - 3 A 828/20 -