Freitag, 31. Mai 2019

Architektenplanung: Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung bei heimlicher Entwurfsverwertung


Das OLG war, entgegen dem Landgericht, der Ansicht, dass der Klägerin ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gem. §§ 812 Abs. 1 S. 1 2. Alt., 818 Abs. 2 BGB gegen die Beklagte zustünde, da diese durch die unberechtigte Verwendung einer Entwurfsplanung der Klägerin für ein Bauvorhaben einen entsprechenden vermögenswerten Vorteil („etwas erlangt“ iSv. § 812 Abs. 1 BGB) habe.

Entscheidens sei, dass nach Überzeugung des OLG die Beklagte weitgehend eine Entwurfsplanung der Klägerin verwandt habe. Dies bereits aufgrund eines vom Sachverständigen festgestellten Detailreichtum in der Übereinstimmung, dass nicht mehr davon ausgegangen werden könne, dass die Bauantragsplanung ohne Kenntnis der klägerischen Entwurfsplanung erstellt worden sei. Das sei dem Umstand geschuldet, dass der Entwurf nicht kongenial, sondern der Bauplanungsantrag durch Übernahme der vorhandenen Ergebnisse der Klägerin entstanden sei.

Soweit die Beklagte behauptete, ihr Geschäftsführer habe seine Vorstellungen zum Bauvorhaben schon vor der Tätigkeit der Klägerin skizziert, kann dies nach Ansicht des OLG dahinstehen. Denn jedenfalls hätte die Klägerin dessen Idee konzeptionell übernommen und weiterentwickelt und damit die Vorstellungen in einen realistischen Entwurf umgesetzt, der dann wiederum (ohne Kenntnis der Klägerin) Grundlage für die Bauplanung der Beklagten wurde.

Allerdings könnte wohl der bereicherungsrechtliche Anspruch der Klägerin entfallen, wenn die Beklagte ihre Planung bereits vor dem ersten Kontakt zur Klägerin weitestgehend abgeschlossen gehabt hätte. Diese Ausführungen werden im Zusammenhang mit der Bewertung der Entwurfsübernahme durch die Beklagte verständlich, gegen die jedenfalls eine vorherige Fertigstellung der Beklagten sprechen würde (wobei allerdings im Weiteren das OLG darauf verweist, dass die Klägerin selbst nicht behauptet habe, dass ihre Planung dem Entwurf der Klägerin ähnlich sei.  Diesen Vortrag unterstützte zwar die Beklagte mit der weiteren Behauptung, es hätten bereits sechs Angebote diverser Generalunternehmer vorgelegen. Allerdings habe die Beklagte, auch nach Hinweis durch das OLG, diese Behauptungen nicht unter Beweis gestellt

Durch die Verwendung der Entwurfsplanung der Klägerin habe sich die Beklagte Aufwendungen erspart, die der Höhe nach nach den sich aus der HOAI ergebenden Mindesthonorarsätzen zu ermitteln seien, wobei vorliegend die Beklagte auch die Kostenschätzung der Klägerin zu Ermittlung der anrechenbaren Kosten nicht bestritten habe (§ 138 Abs. 3 ZPO). Auch wenn hier die Beklagte nicht selbst Bauherrin war,  sei dies für den Anspruch nicht entscheidend, da auch die Weitergabe der Pläne (hier durch die Beklagte an die Bauherrin oder den Generalunternehmer) eine Nutzung durch Verwertung darstelle und den Anspruch begründe.

Eine Leistung der Klägerin läge aufgrund der heimlichen Vorgehensweise der Beklagten bereits nicht vor und die im Rahmen der Akquisition überlassenen Pläne stelle sich nicht als (bewusste) Leistung für das spätere Bauvorhaben dar (also keine bewusste Mehrung fremden Vermögens, die dem bereicherungsrechtlichen Anspruch entgegen stehen könnte).

OLG Celle, Urteil vom 20.03.2019 - 14 U 55/18 -

Freitag, 24. Mai 2019

WEG: Sondernutzungsrecht an einem Gemeinschaftsraum, der Zugang zu einem zwingenden Gemeinschaftsraum (§ 5 Abs. 2 WEG) ist


Der Beteiligte nahm eine Teilung des bebauten Grundstücks gem. § 8 WEG vor. Unter Ziffer IV. § 2 der Teilungsurkunde regelte er, dass dem Eigentümer des Sondereigentums 1 das Sondernutzungsrecht an einem näher kenntlich gemachten Kellerraum und einer Doppelgarage zustünde, wobei ausdrücklich aufgenommen wurde, dass die Sondernutzungsrechte insofern beschränkt würden, als die übrigen Sondereigentümer den Kellerraum bzw. die Doppelgarage betreten dürften, um zu dem dahinterliegenden Heizungs- bzw. Tankraum zu gelangen.

Im Rahmen des Antrages auf Vollzug verfügte der Rechtspfleger eine Zwischenverfügung und wies darauf hin, dass ein Eintragungshindernis bestünde: Durch die Sondernutzungsrechte könne der berechtigte Eigentümer den anderen Miteigentümer in dem Mitgebrauch des Gemeinschaftseigentums behindern oder stören.

Der Beschwerde des Betroffenen, der das Grundbuchamt nicht abhalf, gab das OLG statt.

Das OLG wies darauf hin, dass Sondernutzungsrechte durch eine negative und eine positive Komponente geprägt seien: Die negative Komponente bedinge, dass das Recht einem oder mehreren Wohnungseigentümern unter Ausschluss der übrigen zustünde; die positive Komponente bestünde in der Zuweisung des Gemeinschaftseigentums. Das eingeräumte Recht erstrecke sich aber nur so weit, wie es durch die Vereinbarung der Wohnungseigentümer eingeräumt worden sei. Allerdings könne das Sondernutzungsrecht auch Einschränkungen unterliegen, die sich aus der Natur der Sache ergäben, wobei es aber auch dabei von vornherein durch ausdrückliche Vereinbarung in einem beschränkten Umfang eingeräumt werden könne (LG Wuppertal, Beschluss vom 24.03.1998 - 6 T 239/98 -).

Da das Sondernutzungsrecht zum Entzug der Befugnis des Mitgebrauchs nach § 13 Abs. 2 WEG führe, könne ein Sondernutzungsrecht nur durch eine Vereinbarung (§ 10 Abs. 2 S. 2 WEG) oder durch den teilenden Eigentümer nach §§ 8 Abs. 2, 5 Abs. 4 iVm. 10 Abs. 2 WEG begründet oder geändert werden (BGH, Urteil vom 02.11.2011 - V ZR 74/11 -). Als Form der Gebrauchsregelung des Gemeinschaftseigentums könne es im Grundbuch eingetragen werden (§ 10 Abs. 3 WEG).

Dem stünde § 5 Abs. 2 WEG nicht entgegen, da dort nur geregelt sei, dass Anlagen und Einrichtungen des Gebäudes, die dem gemeinschaftlichem Gebrauch dienen würden, nicht Gegenstand des Sondereigentums sein könnten, auch wenn sie sich in Räumen befänden, die im Sondereigentum stehen.  Dies gelte auch für Räume (BGHZ 73, 302, 311), die zwingend im gemeinschaftlichen Eigentum stünden, wenn ihr Zweck darauf gerichtet sei, der Gesamtheit der Wohnungseigentümer einen ungestörten Gebrauch ihrer Wohnungen und der Gemeinschaftsfläche zu ermöglichen und zu erhalten, wie dies bei Fluren u.ä. der Fall sei, die dem Zugang zu Gemeinschaftsräumen dienen oder Räumen zur Bewirtschaftung/Versorgung der Wohnungen (z.B. da sich in ihnen zentrale Zähl-, Schalt-, Sicherungs- und Beschickungseinrichtungen der gemeinschaftlichen Wasser-, Wärme- und Energieversorgung befinden; BGHZ 78, 225, 227f). Dies würde aber die Einräumung eines Sondernutzungsrechts an Flächen, die dem Zugang zu den zwingenden Gemeinschafsträumen dienen, nicht ausschließen (BGH, Urteil vom 05.07.1991 - V ZR 222/90 -).

Teilweise würde darin allerdings eine unzulässige Umgehung der Regelung in § 5 Abs. 2 WEG gesehen, wenn die inhaltliche Ausgestaltung des Sondernutzungsrechts den Mitgebrauch der übrigen Wohnungseigentümer ausschließe. Die Regelung sei nach dieser Ansicht nichtig, wenn nicht eine Auslegung eine Einschränkung zugunsten der übrigen Miteigentümer ergäbe. Würde an Fluren oder vorgelagerten Räumen zu Anlagen und Einrichtungen iSv. § 5 Abs. 2 WEG ein Sondernutzungsrecht begründet, würde dies den Zugang zu den zwingenden Gemeinschafsträumen (in denen sich die Anlagen nach § 5 Abs. 2 WEG befinden) nicht hindern, da in einem solchen Fall immanente Schranken die Ausübung des Sondernutzungsrechts beschränken würden (KG, Beschluss vom 20.12.1989 - 24 W 3084/89 -). Da vorliegend das Sondernutzungsrecht beschränkt eingeräumt würde, so dass der Zugang der weiteren Wohnungseigentümer zur Heizung und zum Tankraum gewährleistet sei, gelte dies erst recht, weshalb es auf die Frage, ob grundsätzlich ohne eine solche Regelung eine Umgehung von § 5 Abs. WEG vorläge, nicht ankäme.

Damit bestünde insoweit kein Eintragungshindernis, weshalb die Zwischenverfügung des Rechtspflegers aufzuheben sei.

OLG München, Beschluss vom 10.04.1919 - 34 Wx 92/18 -

Donnerstag, 23. Mai 2019

WEG: Nichtiger Beschluss zu Vertragsstrafen (bei Verstoß gegen Vermietungsverbot)


Nach der Gemeinschaftsordnung der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) bedarf es zur Ausübung eines Berufs oder eines Gewerbebetriebs in einer Wohnung sowie für eine Vermietung, Verpachtung oder sonstigen Gebrauchsüberlassung  der Zustimmung des Verwalters. In einer Eigentümerversammlung vom 05.06.2012 wurde mit Stimmenmehrheit ein Beschluss gefasst, wonach der betroffene Eigentümer bei einem unterlassenen Zustimmungsverlangen zu einem Mietvertrag an die Gemeinschaft einen „Ausgleichsbetrag“ von € 500,00 bzw. einen höheren Betrag (gestaffelt nach Monaten der Gebrauchsüberlassung, bis max. € 4.000,00) zahlen muss. Nachdem der Beklagte ohne Zustimmung des Verwalters seine Wohnung in mehreren Fällen kurzzeitig vermietet hatte, begehrte die Wohnungseigentümergemeinschaft als Klägerin die Zahlung einer Vertragsstrafe von € 2.000,00.  Das Amtsgericht gab der Klage statt. Das Landgericht hat im berufungsverfahren das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Die zugelassene Revision der Klägerin wurde vom BGH zurückgewiesen.

Sei eine Angelegenheit weder durch das Wohnungseigentumsgesetz noch Vereinbarung einer Beschlussfassung unterworfen, so der BGH, fehle es der Eigentümerversammlung an einer notwendigen Beschlusskompetenz, § 23 Abs. 1 WEG. Ein gleichwohl gefasster Beschluss sei zwingend nichtig (BGH, Urteil vom 13.10.2017 – V ZR 305/16 -). Einzig mögliche Grundlage für eine Beschlusskompetenz könne vorliegend § 21 Abs. 7 WEG sein. Danach wäre die Regelung der Art und Weise von Zahlungen, Fälligkeiten und Folgen des Verzugs sowie der Kosten für eine besondere Nutzung des gemeinschaftlichen Eigentums oder für einen besonderen Verwaltungsaufwand durch Stimmenmehrheit möglich. Nach der Gesetzesbegründung würde die Regelung einer Vertragsstrafe bei einem Verstoß gegen eine Vermietungsbeschränkung nach einer beispielhaften Erläuterung zulässig sein, wohingehend die Literatur mehrheitlich diese Erwägung in der Begründung als Versehen einstuft und die Beschlussregelung in diesem Fall mit dem Wortlaut des § 21 Abs. 7 WEG unvereinbar halte.

Nach Ansicht des BGH würde sich hier die Vertragsstrafe auf die Einhaltung von Vermietungsbeschränkungen beziehen und Verstöße sanktionieren. Derartige Fallgestaltungen würden aber von § 21 Abs. 7 WEG nah dem eindeutigen Wortlaut nicht erfasst. Vielmehr ergäbe sich hier, dass es lediglich um Zahlungspflichten gehen würde, nicht um Unterlassungsansprüche. Es handele sich auch nicht um verzugsfolgen, da der Verstoß gegen Unterlassungspflichten nicht den Eintritt des Verzugs sondern regelmäßig die Unmöglichkeit zur Folge habe. Es würde für die Verwirkung der Vertragsstrafe nicht an einen Verzug, sondern an die Zuwiderhandlung angeknüpft.

BGH, Urteil vom 22.03.2019 - V ZR 105/18 -

Dienstag, 21. Mai 2019

Arzthaftung/Krankenhaushaftung: Umfang der Darlegungslast des Patienten zu Hygienemängeln


Klägerin nahm den beklagten Krankenhausträger auf materielle und immaterielle Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit der Entfernung der Gebärmutter in Anspruch. Sie machte u.a. geltend, dass die Beklagte unter Verstoß gegen die maßgeblichen Leitlinien unterlassen habe, eine Antibiotikaprophylaxe vorzunehmen, bei einer Wiederaufnahme sie sie nur unzureichend untersucht worden sei und dass es im Krankenhauszimmer Hygienemängel gegeben habe. Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin führte zur Aufhebung der Entscheidung des OLG und Zurückverweisung. Begründet wurde dies vom BGH damit, dass es das OLG versäumt habe, die unterlassene Antibiotikaprophylaxe auch unter dem Gesichtspunkt des Organisationsverschuldens zu betrachten und in Bezug auf die behaupteten Hygienemängel die sekundäre Beweislast der Beklagten (Krankenhausträger) nicht beachtet habe.

Im Hinblick auf die Hygienemängel habe das OLG die Anforderungen an die Darlegungslast des Patienten überspannt. An die Substantiierungspflicht des Patienten seien im Arzthaftungsprozess nur maßvolle Abforderungen zu stellen, da von ihm keine genaue Kenntnis der medizinischen Vorgänge erwartet werden dürfe, weshalb der Patient seinen Vortrag dahingehend beschränken dürfe, dass die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens der Behandlungsseite aufgrund der Folgen für den Patienten gestatte. Diese eingeschränkte primäre Darlegungslast des Patienten ginge einher mit einer gesteigerten Verpflichtung des Gerichts  zur Sachverhaltsaufklärung (§ 139 ZPO) von Amts wegen bis hin zur Einholung eines Sachverständigengutachtens (§1 44 Abs. 1 S. 1 ZPO), soweit der Patient darauf angewiesen sei, dass der Sachverhalt durch ein solches aufbereitet würde. Die Darlegungslast des Patienten könne auch nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen eingeschränkt sein, soweit der Patient außerhalb des von ihm vorzutragenden Geschehensablaufs stünde und ihm weitergehende Angaben nicht möglich seien, demgegenüber aber der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt bzw. unschwer in Erfahrung bringen könne; in diesem Fall habe die Behandlungsseite im Rahmen der sekundären Darlegungslast auf die Behauptungen des Patienten substantiiert zu erwidern.

Genüge mithin die primäre Darlegung des Patienten den maßvollen Anforderungen um die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens der Behandlungsseite zu gestatten, es ihm auch unmöglich und unzumutbar ist, den Sachverhalt näher aufzuklären, sei die sekundäre Darlegungslast der Behandlungsseite ausgelöst. Dies würde bei der Behauptung eines Hygieneverstoßes regelmäßig der Fall sein, da sich sowohl die Existenz möglicher Infektionsquellen (etwa in Gestalt weiterer Patienten oder verunreinigter Instrumente als auch Maßnahmen zur Einhaltung von Hygienebestimmungen und Infektionsprävention sich in der Regel der Kenntnis des Patienten entziehen würden, demgegenüber die Behandlerseite über die erforderlichen Informationen verfüge. Es sei auch nicht erforderlich, dass der Patient konkrete Anhaltspunkte für einen Hygieneverstoß vorträgt; dies sie ausreichend (BGH, Beschluss vom 16.08.2016 - VI ZR 634/15 -), aber nicht Voraussetzung. Auch mit diesem Beschluss vom 16.08.2016 habe nicht ausgesagt werden sollen, dass der Patient weitergehenden Vortrag halten müsse, als dass er die Vermutung eines Hygienefehlers  der Behandlungsseite aufgrund der Folgen für ihn gestatte.

Diesen Anforderungen habe die Klägerin entsprochen, da sie geltend gemacht habe sie habe sich die bakterielle Infektion aufgrund unterdurchschnittlicher hygienischer Zustände in ihrem Krankenzimmer zugezogen. Im Hinblick darauf hätte es hier der Beklagtenseite oblegen, konkret zu den von ihr ergriffenen Maßnahmen zur Sicherstellung der Hygiene und zum Infektionsschutz im Krankenzimmer der Klägerin vorzutragen, so beispielhaft durch Vorlage von Desinfektions- und Reinigungsplänen, einschlägiger Hausordnung und Bestimmungen des Hygieneplans.

Auf von der Beklagten bestrittene, von der Klägerin wahrgenommene und benannte Umstände (desolates hygienisches Verhalten der im selben Zimmer untergebrachten Mitpatientin u.a.) käme es daher nicht an.

BGH, Urteil vom 19.02.2019 - VI ZR 505/17 -

Samstag, 18. Mai 2019

Nachbarschaftsrecht: Verlangen auf Zurückschneiden von überwachsenden Ästen und Verjährung sowie Verkehrssicherungspflichtiger am Grenzbaum


In Baden-Württemberg lagen drei Grundstück derart nebeneinander, dass sie seinen gemeinsamen Grenzpunkt hatten, in dessen Nähe ein  Fichte stand, deren Stamm sich teilweise auf dem Grundstück des Beklagten und teilweise auf dem Grundstück des dritten Nachbarn befand. Äste dieser Fichte ragten von dem Baumteil, der auf dem Grundstück des Beklagten stand, auf das Grundstück der Klägerin, die von dem Beklagten deren Beseitigung forderte. Das Amtsgericht wies die Klage ab. Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos. Auch die vom Landgericht als Berufungsgericht zugelassene Revision wurde zurückgewiesen.

1. Nicht zu beanstanden sie die Annahme der Zulässigkeit der Klage, obwohl die Äste von einem Baum stammen würden, der sich teilweise auf dem Grundstück des Beklagten und teilweise auf dem Grundstück des dritten Nachbarn befände. Dem Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB stünde dies nicht entgegen, da es sich bei dem Beklagten und dem dritten Nachbarn nicht um notwendige Streitgenossen nach § 62 Abs. 1 2. Alt. ZPO handele. Eine notwendige Streitgenossenschaft erfordere, wenn aus materiell-rechtlichen Gründen nur gemeinsam geklagt werden könne oder gegen diese nur gemeinsam geklagt werden könne. Dieses Erfordernis ergäbe sich aus gemeinschaftlichen Verfügungsbefugnis gem. §§ 747 S. 2, 1008 BGB. Ein solcher Fall läge nicht, da der Beklagte und der dritte Nachbar nicht gemeinschaftlich verpflichtet seien, sondern jeder für sich. Auch aus dem Umstand, dass es sich um einen Grenzbaum iSv. § 923 BGB handele ergäbe sich nichts anderes, obwohl dieser zu jeweils zu dem Teil, zu dem er auf einem Grundstück stünde, in dessen Eigentum stünde (vertikal geteiltes Eigentum). Die Verkehrssicherungspflicht obliege erstrecke sich auf den Teil des Baumes, der auf seinem Grundstück stünde.  Von daher könne die Klägerin hier den Beklagten alleine in Anspruch nehmen, da die Beeinträchtigung von seinem Baumteil ausginge.

2. § 1004 Abs. 1 BGB setze für die Beseitigung von herüberragenden Ästen allerdings voraus, dass dadurch die Nutzung des Nachbargrundstücks beeinträchtigt würde. Läge dies nicht vor, sei das Herüberragen zu dulden. Offen bliebe, ob dies auch für ganz erhebliche Beeinträchtigungen gelte, worauf es vorliegend nach Auffassung des BGH nicht ankäme, wie es auch nicht darauf ankäme und offen bleiben könne, ob die Störungen im Vergleich zur Wirkung des Rückschnitts außer Verhältnis stehen dürften (dazu OLG Saarbrücken, Urteil vom 11.01.2007 - 8 U 77/06 - und OLG Köln, Urteil vom 12.07.2011 - 4 U 18/10 -).

Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch sei verjährt, §§ 195, 199 BGB (anders als der Anspruch nach § 1004 BGB unterliege das Selbsthilferecht des § 910 BGB nicht der Verjährung).

§ 902 BGB (danach unterliegen eingetragene Ansprüche nicht der Verjährung) finde auf Beseitigungsansprüche keine Anwendung. Die Norm umfasse nur die Verwirklichung des Anspruchs, nicht aber die Abwehr von Störungen.

Auch soweit nach der Rechtsprechung des Senats eine Verjährung von Unterlassungsansprüchen nicht in Betracht käme, wenn eine einheitliche Dauerhandlung vorläge, die den rechtswidrigen Zustand fortlaufend aufrechterhalte und deshalb den Lauf einer Verjährungsfrist nicht in Gang setze, könne hier darauf deshalb nicht abgestellt werden, da der Anspruch auf Beseitigung nach § 1004 BGB mit dem hinüberwachsen beginne; nehme dies der Nachbar (in Kenntnis des Hinüberwachsens) länger als drei Jahre hin, könne er die Beseitigung im Interesse des Rechtsfriedens nicht mehr verlangen. Diese Frist von drei Jahren war bei Erhebung der Klage bereits abgelaufen.

Anderes lasse sich auch nicht aus § 23 Abs. 1 NRG BW („Beseitigungsansprüche nach diesem Gesetz verjähren in fünf Jahren. Sind Gehölze im Sinne des § 16 Absatz 1 Nummer 4 oder 5 betroffen, so beträgt die Verjährungsfrist zehn Jahre. Bei Pflanzungen beginnt der Lauf der Verjährungsfrist mit dem 1. Juli nach der Pflanzung. Bei an Ort und Stelle gezogenen Gehölzen beginnt sie am 1. Juli des zweiten Entwicklungsjahres. Bei späterer Veränderung der artgemäßen Ausdehnung des Gehölzes beginnt die Verjährung von neuem; dasselbe gilt im Falle des § 16 Absatz 1 Nummer 4 Buchstabe c, wenn die Umtriebszeit von zehn Jahren überschritten wird.“) oder aus § 26 Abs. 3 NRG BW („Der Anspruch auf das Zurückschneiden der Hecken, auf Beseitigung herüberragender Zweige und eingedrungener Wurzeln sowie auf Verkürzung zu hoch gewachsener Gehölze ist der Verjährung nicht unterworfen.“) ableiten. Dies schon deshalb, da der Landesgesetzgeber nach Art. 124 EGBGB zugunsten des Nachbarn weitergehenden Beschränkungen unterwerfen könne, doch nicht abweichend vom BGB die Verjährungsfristen zu § 1004 BGB (Bundesrecht) regeln könne. Die verfassungskonforme Auslegung des § 26 NRG BW ergebe daher, dass diese Regeln sich nicht auf einen Abwehranspruch nach § 1004 BGB bezögen, da sie sonst nichtig wären.

Die Klägerin könne aber auch ihren Anspruch nur aus § 1004 BGB herleiten, nicht aus dem NRG BW. Zwar gewähre § 12 Abs. 2 und Abs. 3 NRG BW Ansprüche auf Rückschnitt für Hecken und sonstige Gehölze im Hinblick auf die Einhaltung eines Grenzabstandes, unabhängig davon, ob darin bereits eine Eigentumsbeeinträchtigung iSv. § 1004 BGB zu sehen sei. Für bestimmte Bäume sei zwar auch ein Zurückschneiden überhängender Äste geregelt (§ 23 Abs. 1 und 2 NRG BW), doch handele es sich hier nicht um einen darunter fallenden Baum, weshalb auf sich beruhen kann, ob diese Regelung nach Art. 122, 111 bzw. 183 EGBGB zulässig vom Landegesetzgeber aufgenommen werden durfte).

BGH, Urteil vom 22.02.2019 - V ZR 136/18 -

Donnerstag, 16. Mai 2019

WEG: „Geburtsfehler“ der Gemeinschaftsordnung und deren Berichtigung


Die Teilungserklärung (TE) der Wohnungseigentümergemeinschaft aus 1984 bestimmte u.a., dass dem „jeweiligen Eigentümer des Teileigentumsrechts G30 die unentgeltliche, ausschließliche Nutzung der Abstellräume I, II und II sowie der Wasch- und Trockenräume A und B“ zustehe. Nach Auseinandersetzungen über die Art der Nutzung, wurde dem Kläger u.a. durch Gerichtsurteil untersagt die Räume als Wohnung zu nutzen. Nunmehr, im vorliegenden Verfahren, verlangte der Kläger die Zustimmung zur Berichtigung der TE dahingehend, dass dem „jeweiligen Eigentümer des Teileigentumsrechts G30 die unentgeltliche, ausschließliche Nutzung der Räume I, II und II sowie der Wasch- und Räume A und B“ zustehe. Das Amtsgericht wies die Klage als unzulässig, das Berufungsgericht als unbegründet ab. Auf die zugelassene Revision hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurück.

Zunächst wäre eine (gegebenenfalls auch ergänzende) Auslegung der TE vor der Prüfung einer Anpassung derselben nach § 10 Abs. 2 S. 3 WEG zu prüfen. Für die Auslegung maßgebend seien der Wortlaut und Sinn der getroffenen Regelungen in der TE, wie er sich aus unbefangener Sicht als nächstliegende Bedeutung der Eintragung ergäbe. Umstände außerhalb der TE / des Grundbuchs dürften nur insoweit herangezogen werden, als sie für jedermann ohne weiteres erkennbar seien. Eine Nutzung über die mit der Einordnung als Wohnungs- oder Teileigentum verbundene Zweckbestimmung hinaus auf lediglich bestimmte Zwecke müsse sich klar und eindeutig aus der TE bzw. Gemeinschaftsordnung (GO) ergeben. Eine schlichte Bezeichnung in dem Teilungsvertrag (TE) könne allerdings bereits ausreichend sein. Eine Zweckbestimmung ergäbe sich hier aus der Angabe als Abstell-, Wasch- und Trockenraum. Dass bereits zum Zeitpunkt der Teilung in den Räumen 18 Wohnungen vorhanden gewesen seien, wie vom Kläger behauptet, sei nicht für jedermann ersichtlich und von daher nicht berücksichtigungsfähig.

Damit sei eine Prüfung nach § 10 Abs. 2 S. 3 WEG geboten. Zwar sei die sachenrechtliche Zuordnung nicht Gegenstand einer Vereinbarung iSv. § 10 WEG, da diese der Regelung der Innenbeziehung der Wohnungseigentümer untereinander diene, also der Schaffung einer GO, die ähnlich einer Satzung die Grundlage des Zusammenlebens der Wohnungseigentümer bilde. Anders läge dies aber bei der Änderung des Inhalts eines dinglichen Sondernutzungsrechts, da dies die sachenrechtliche Zuordnung unberührt lasse. Gegenstand der Klage sei hier der Inhalt des Sondernutzungsrechts. Der Kläger begehre nicht die Umwandlung der im Gemeinschaftseigentum stehenden Dachgeschossräume in Sondereigentum, sondern eine Änderung der Zweckbestimmung, womit das dingliche Recht an den Räumen nicht berührt werde.

§ 10 Abs. 2 S. 3 WEG („Jeder Wohnungseigentümer kann eine vom Gesetz abweichende Vereinbarung oder die Anpassung einer Vereinbarung verlangen, soweit ein Festhalten an der geltenden Regelung aus schwerwiegenden Gründen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Rechte und Interessen der anderen Wohnungseigentümer, unbillig erscheint.“) lasse unter den dort benannten Voraussetzungen  eine abweichende Vereinbarung oder die Anpassung der Vereinbarung zu. Die Kodifizierung der Norm habe gegenüber den bis dahin von der Rechtsprechung verlangten „außergewöhnlichen Umständen“ die Hürde bewusst herabgesenkt, indem nunmehr „schwerwiegende Gründe“ vorausgesetzt würden. Nicht erforderlich sei, dass sich tatsächliche oder rechtliche Umstände nachträglich verändert hätten; anwendbar sei dies auch dann, wenn Regelungen der GO von Anfang an verfehlt oder unbillig waren (sogen. Geburtsfehler; vgl. BT-Drucks. 16/887 S. 19). Die Behebung derartiger, eventuell auch bewusster „Geburtsfehler“ einer GO oder TE zu ermöglichen, sei ein wesentliches Anliegen des Gesetzgebers gewesen.

Schwerwiegende Gründe, die ein Festhalten an der bisherigen Regelung unbillig erscheinen ließen, lägen vor, wenn die von der GO geforderte Zweckbestimmung einer Nutzung der Sondereigentumseinheit entgegenstünde, die nach baulicher Ausstattung der Räume möglich wäre, und wenn ferner objektive Umstände dafür sprächen, dass dem betroffenen Wohnungseigentümer diese Nutzung eröffnet werden sollte. Diese bauliche Ausstattung müsse aber entweder bereits bei Begründung des Wohnungseigentums vorgelegen haben oder im zeitlichen Zusammenhang mit der Aufteilung vorgenommen und von den übrigen Wohnungseigentümern hingenommen worden sein. Eine eigenmächtige Änderung ohne Zustimmung nach § 22 Abs. 1 WEG wäre nicht ausreichend, da dies auf eigenes wirtschaftliches Risiko erfolge. Ferner müssten objektive Umstände vorliegen, die darauf hindeuten, dass die bestehende Regelung die tatsächliche eröffnete Nutzung der Räume nicht wiedergebe, was z.B. dann der Fall sei, wenn die Kostentragungspflicht in einem Missverhältnis zu der wirtschaftlichen Verwertbarkeit stünde, die gegeben wäre, wenn dieses nur dem Inhalts der TE gemäß genutzt werden dürfe. Ferner müsse die verlangte Änderung nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften zum Zeitpunkt des Änderungsverlangens zulässig sein. Letztlich müsse die nach der bestehenden Zweckbestimmung zulässige Nutzung zu einer erheblichen Einschränkung der wirtschaftlichen Verwertung führen, die durch die Änderung der Zweckbestimmung behoben werden könne.

Würden die schwerwiegenden Gründe (die vom Berufungsgericht nicht geprüft wurden) bejaht, wäre zu prüfen, welche Interessen der übrigen Wohnungseigentümer gegen die geforderte Anpassung sprächen. Alleine ein abstraktes Vertrauen der übrigen Wohnungseigentümer auf Einhaltung der GO würde die Unbilligkeit iSv. § 10 Abs. 2 S. 3 WEG nicht entfallen lassen. Diesem Vertrauen auf den Bestand würde durch das Erfordernis des schwerwiegenden Grundes Rechnung getragen.

Nach diesen Grundsätzen käme ein Änderungsanspruch des Klägers auf der Grundlage von § 10 Abs. 2 S. 3 WEG in Betracht: Die 18 Wohnungen seien bereits mehr als zwei Jahre vor der Teilung fertiggestellt und vermietet worden; zugewiesen worden sei aber dem Kläger ein Sondernutzungsrecht, das keine Wohnnutzung, sondern nur eine untergeordnete Verwertung der Räume zuließe. Neben der baulichen Ausstattung spräche auch die Größe der dem Kläger zugewiesenen Miteigentumsanteile von 15.013,730/100.000 (dem größten Miteigentumsanteil) und die damit verbundene Kostentragungspflicht, die sich nach der TE nach Miteigentumsanteile richte, was nahelegen würde, dass der wirtschaftliche Wert des Anteils von vorherein in der Wohnnutzung bestanden habe. Dass hier die bestehende Regelung zu einer erheblichen Einschränkung der wirtschaftlichen Verwertung des Sondernutzungsrechts führe, sei klar.

Im Rahmen der vorzunehmenden Interessensabwägung habe besonderes Gewicht, dass die Wohnungen nach dem Vortrag des Klägers bereits seit über 30 Jahren bestanden, ohne dass es Beanstandungen durch die übrigen Wohnungseigentümer gegeben habe. Soweit sich in den letzten Jahren gegen die Wohnungsnutzung gewandt hätten, solle dies nur seinen Grund in der Zweckbestimmung, nicht in möglichen nachteiligen Auswirkungen gehabt haben. Dann aber dürften keine Interessen der übrigen Wohnungseigentümer bestehen, sich der Änderung zu verschließen und den Kläger statt dessen auf eine Änderung des unbilligen Kostenverteilungsschlüssels zu verweisen.

Damit erweise sich das Berufungsurteil als fehlerhaft, welches keine Feststellungen nach § 10 Abs. 3 S. 2 WEG getroffen habe. Allerdings dürfe es nicht „Räume“ heißen, da diese allgemeine Bezeichnung keine Wohnnutzung zuließe; die unbestimmte Bezeichnung „Raum“ würde noch nicht dem Rechtsschutzziel der Wohnnutzung entsprechen (es handelt sich hier ersichtlich um einen bisher von den Instanzgerichten unterlassenen Hinweis an den Kläger nach § 139 ZPO, seinen Antrag entsprechend nach Zurückverweisung zu ändern).

BGH, Urteil vom 22.03.2019 - V ZR 298/16 -

Dienstag, 14. Mai 2019

Leihmutter: Zur Frage der Elternschaft und Anwendung deutschen (Kollisions-) Rechts bei Leihmutter im Ausland (hier: Ukraine)


Die Beteiligten zu 1. und 2. waren deutsche Staatsangehörige Eheleute mit Wohnsitz in Deutschland. Eine mit dem Sperma des Ehemanns befruchtete Eizelle der Ehefrau wurde in der Ukraine einer ukrainischen Leimutter (Beteiligte zu 5.) eingesetzt, die im Dezember 2015 in Kiew das betroffene Kind gebar. Der Ehemann hatte bereits vor der Geburt die Vaterschaft anerkannt und haben er und die Leimutter Sorgerechtserklärungen nach § 1626a BGB abgegeben. Die Leimutter gab nach der Geburt eine Erklärung ab, dass das Kind von ihr in Ersatzmutterschaft geboren worden sei und genetische Ähnlichkeit mit den Beteiligten zu 1. und 2. habe, woraufhin das ukrainische Standesamt die Beteiligten zu 1. und 2. als Eltern registrierte und eine entsprechende Geburtsurkunde ausstellte. Zurückgekehrt nach Deutschland wurde im Januar 2016 die Auslandsgeburt entsprechend der ukrainischen Geburtsurkunde beurkundet; für das Standesamt ergab sich erst später durch eine Anfrage der Deutschen Botschaft in Kiew die Leihmutterschaft. Auf Antrag der Standesamtaufsicht (Beteiligte zu 4.) hat das Amtsgericht das Standesamt angewiesen, die Leihmutter als Mutter einzutragen: Das OLG wies die Beschwerde der Beteiligten zu 1. Und 2. Dagegen zurück. Die vom OLG zugelassene Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung des OLG wurde zurückgewiesen.


Die Eintragung im ukrainischen Geburtsregister und dortige Ausstellung einer Geburtsurkunde  habe keine einer Gerichtsentscheidung gleichkommende Wirkung, weshalb es sich nicht um eine anerkennungsfähige Entscheidung iSv. § 108 FamFG handele, weshalb hier die Berichtigung nach §§ 47, 48 PStG möglich sei.

Es sei deutsches Recht anzuwenden. Art. 19 Abs. 1 S. 1 EGBGB regele, dass die Abstammung eines Kindes dem Recht des Staates unterliege, in dem es seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe; auch könne im Verhältnis zu jedem Elternteil das anzuwendende Recht nach dem Recht bestimmt werden, dem dieser Elternteil angehöre, Art. 19 Abs. 1 S. 2 EGBGB.  Bei verheirateten Müttern könne die Abstammung zudem nach dem Recht bestimmt werden, dem die allgemeinen Wirkungen ihrer Ehe bei der Geburt nach Art. 14 Abs. 1 EGBGB unterliegen, Art. 19 Abs. 3 S. 1 1. Hs. EGBGB. Die Alternativen in Art. 19 Abs. 1 EGBGB seien gleichwertig. Heimat- und Ehewirkungsstatut der Beteiligten zu 1. und 2. Würden daher vorliegend zur Anwendbarkeit deutschen Rechts führen.

Der gewöhnliche Aufenthalt sei der Schwerpunkt der Bindungen der betroffenen Person, der sogen. Daseinsmittelpunkt. Ein vorübergehender Aufenthalt in einem Staat begründe noch keinen gewöhnlichen Aufenthalt. Bei minderjährigen Kindern, insbes. Neugeborenen, sei azf die Bezugspersonen abzustellen, die es zu versorgen und zu betreuen hätten sowie deren soziales und familiäres Umfeld.

Sei die rechtliche Abstammung von keinem Elternteil zweifelsfrei feststellbar, da die in Betracht kommenden Rechtsordnungen in dieser Frage zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen, sei drauf abzustellen, ob das Kind seinen Aufenthalt alsbald wechseln würde oder an seinem gegenwärtigen Aufenthalt verbleiben würde. Es käme hier auf die soziale Integration an, was von tatsächlichen als auch rechtlichen Faktoren abhängen könne, wenn diese den künftigen Aufenthalt wirksam bestimmen würden. Dabei sei insbesondere darauf Rücksicht zu nehmen, welche Person faktisch über den Aufenthalt bestimmen würde. Danach sei für das Kind für dessen gewöhnlichen Aufenthalt von Deutschland auszugehen. So habe von vornherein bereits die übereinstimmende Absicht bestanden, dass das Kind alsbald nach der Geburt mit den Beteiligten zu 1. und 2. nach Deutschland gelange und dort verbleiben solle. Die Rechtsposition des Ehemanns sei zudem rechtlich nach deutschen und ukrainischen Recht gesichert, da er jeweils als Vater anzusehen sei.  Die rechtliche Vaterschaft des Ehemanns begründe daher auch eine deutsche Staatsangehörigkeit des Kindes, § 4 Abs. 1 StAG, weshalb es der Leihmutter in Ansehung der Mitsorgeberechtigung des Ehemanns nicht möglich sei, das Kind in die Ukraine zu verbringen. Das ukrainische Recht sehe hier keine Abstammungszuordnung des Kindes zur Ehefrau vor. Auf die Frage eines Statutenwechsels (bisher nicht entschieden) käme es nicht an, da zum Einen eine Abstammung von der Ehefrau als „Wunschmutter“ nach ukrainischen Recht nicht begründet wurde, zum Anderen die deutsche Staatsangehörigkeit der Beteiligten zu 1. und 2. einen starken Inlandsbezug aufweise, demzufolge das deutsche Kollisionsrecht schon auf die Rechtslage des Kindes bei Geburt unmittelbar Anwendung fände (BGHZ 210, 59).

Dass die Leihmutter die Übernahme einer Elternstellung ablehne, sei aufgrund der bewusst getroffenen gegenläufigen gesetzgeberischen Entscheidung in § 1591 BGB unbeachtlich. Um die gewünschte Rechtswirkungen auch für die Ehefrau herzustellen, seien die Beteiligten zu 1. und 2. auf das Adoptionsverfahren zu verweisen.

BGH, Beschluss vom 20.03.2019 - XII ZB 530/17 -