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Donnerstag, 27. April 2023

Anhörungsrüge gegen Beschluss zur vorangegangenen Anhörungsrüge ?

Die Berufung des Klägers gegen ein Urteil eines Arbeitsgerichts wurde vom Landesarbeitsgericht als unzulässig verworfen. Das Landesarbeitsgericht hatte die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wurde vom Kläger Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72a ArbGG) zum Bundesarbeitsgericht (BAG) eingelegt. Diese wurde vom BAG nicht angenommen. Gemäß § 78a ArbGG erhob der Kläger Anhörungsrüge, die vom BAG zurückgewiesen wurde. Gegen den Zurückweisungsbeschluss erhob der Kläger ebenfalls Anhörungsrüge; diese wurde vom BAG als unzulässig zurückgewiesen.

Die Anhörungsrüge gem. § 78a ArbGG entspricht der Anhörungsrüge nach § 321a ZPO und nach § 178a SGG, 152a VwGO, 133a FGO. Das BAG zeigte die Grenzen der Anhörungsrüge auf, die sich auch aus Sinn und Zweck der Normen erklärt. Sie kann von dem Rechtssuchenden erhoben werden, wenn gegen eine Entscheidung eines Gerichts kein ordentliches Rechtsmittel mehr möglich ist und r der Ansicht ist, die Entscheidung beruht auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs (so dem Übergehen von Vortrag und/oder Beweisangeboten).

Vom BAG wurde ausgeführt, dass die weitere Anhörungsrüge unzulässig sei, da ein erneuter Rechtsbehelf gegen einen Beschluss, mit dem eine Anhörungsrüge als unzulässig verworfen bzw. als unbegründet zurückgewiesen wurde, unanfechtbar sei und von daher die Unanfechtbarkeit dieses Beschlusses gem. § 78a Abs. 4 S. 4 ArbGG der erneuten Rüge entgegenstehen würde (BAG, Beschluss vom 19.11.2014 - 10 AZN 618/14 (A); entsprechend zu § 321a Abs. 4 S. 4 ZPO BGH Beschluss vom 02.03.2015 - V ZR 219/13 -). Dies sei auch vom Bundesverfassungsgericht so gesehen worden (BVerfG, Beschluss vom 26.04.2011 - 2 BvR 597/11 -).

Das gelte auch dann, wenn die (erste) Anhörungsrüge wegen Fristversäumnis (es gilt hier eine Notfrist von zwei Wochen, die mit Kenntnis [Zustellung] der Entscheidung, zu der die Anhörungsrüge erhoben wird) zurückgewiesen worden sei und damit keine inhaltliche Entscheidung getroffen wurde.

§ 78a ArbGG (und entsprechendes gilt auch für § 321a ZPO) trage dem Rechtsstaatsprinzip Rechnung, demzufolge dem Rechtssuchenden die Möglichkeit gewährt werden müsse, eine behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Gericht (also eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG) einer einmaligen gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen. Käme dies nicht zum Tragen, da es dem Rechtssuchenden nicht gelinge, die gesetzlich vorgeschriebene Formalien einzuhalten, sei das vom Gesetzgeber eröffnete Mindestmaß an Rechtsschutz gewahrt und trete nunmehr das auch im Rechtsstaatsprinzip verankerte Gebot der Rechtssicherheit in den Vordergrund (BVerfG, Beschluss vom 30.04.2003 - 1 PBvU 1/02 -).

Der Beschluss des BVerfG vom 30.04.2003 war Auslöser für die Einfügung der §§ 321a ZPO und 78a ArbGG, da das BVerfG - wohl in Ansehung der Flut von Verfassungsbeschwerden wegen Verletzung rechtlichen Gehörs durch die Fachgerichte - darauf verwies, dass das Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs die Möglichkeit fachgerichtlicher Abhilfe im Falle der Verletzung rechtlichen Gehörs fordere und insoweit dem Gesetzgeber eine Frist setzte, dies zu schaffen. Nimmt mithin der Rechtssuchende an, eine Entscheidung eines Gerichts beruhe auf der Verletzung rechtlichen Gehörs, ist nach den nunmehr in den einschlägigen Gesetzen geregelten Gehörsrüge der Rechtssuchende gehalten, eine Anhörungsrüge zu erheben, in der er unter Einhaltung der Frist darlegen muss, worin die Verletzung rechtlichen Gehörs liegt und welche Auswirkungen diese angenommene Verletzung auf den Ausgang des Prozesses hat. Eine Verfassungsbeschwerde wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs ist demgegenüber subsidiär, kann also nur erhoben werden, wenn zuvor (erfolglos) die Anhörungsrüge erhoben wurde. Wird der Anhörungsrüge vom Fachgericht nicht stattgegeben, gleich aus welchen Gründen, ist damit auch dann eine weitere Anhörungsrüge ausgeschlossen, wenn das Fachgericht tatsächlich auch bei dieser das rechtliche Gehör verletzt haben würde (was aber dann nicht der Fall wäre, wenn die Anhörungsrüge nicht Frist- und Formgericht erhoben wurde du deshalb zurückgewiesen wurde). Auch weiterhin ist mithin eine Verfassungsbeschwerde gegen eine nicht rechtmittelfähige Entscheidung eines Fachgerichts möglich (§ 13 Nr. 8a BVerfGG iVm. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG). Wird also im Rahmen der Anhörungsrüge durch das Fachgericht dem Erfordernis des rechtlichen Gehörs nicht entsprochen oder beruht die Zurückweisung der Anhörungsrüge als unbegründet (neuerlich) auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs, ist nunmehr grundsätzlich für den Rechtssuchenden die Verfassungsbeschwerde eröffnet.

BAG, Beschluss vom 21.03.2023 - 6 AZN 56/23 (F) -

Samstag, 27. November 2021

BVerfG: Einstweilige Versagung des Prozessfortgangs vor Berufungsgericht (§ 32 BVerfGG)

Der Beschwerdeführer hatte sich an das Bundesverfassungsgericht gewandt, da ihr Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) vom Berufungsgericht zurückgewiesen wurde. Er sah sich daher der Gefahr ausgesetzt, im Berufungsverfahren nicht mehr anwaltlich vertreten zu sein. Hier besteht allerdings Anwaltszwang, so dass es ihm nicht möglich wäre, sich zur Sache einzulassen oder Anträge zu stellen. Die Zurückweisung durch das Berufungsgericht erfolgte mit der Begründung, die Bedürftigkeit sei von dem Beschwerdeführer nicht hinreichend dargelegt worden.

Mit seiner Entscheidung erklärte das BVerfG der Beschwerdeführerin gesetzte Fristen für wirkungslos und untersage eine Terminierung vor einer Entscheidung des BVerfG, längstens für sechs Monate, § 32 Abs. 1, Abs. 2 BVerfGG. Dieser einschneidende Eingriff in ein laufendes zivilrechtliches Verfahren wurde vom BVerfG damit begründet, dass vorbehaltlich einer weitergehenden Prüfung davon ausgegangen werde, dass die Versagung der Prozesskostenhilfe nicht offensichtlich gerechtfertigt sei.

Die vorläufige Regelung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG könne erfolgen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten sei, wobei wegen der weittragenden Folgen ein strenger Maßstab anzulegen sei.

Die einstweilige Anordnung diene dazu, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern. Von daher würden Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme vorgetragen würden, grundsätzlich außer Betracht bleien müssen, es sei denn, das Begehren des Beschwerdeführers erweise sich von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Lägen derartige Versagungsgründe nicht vor, sei eine Folgenabwägung vorzunehmen, welche Nachteile bei Erlass einer einstweiligen Anordnung entstünden und welche bei Versagung derselben entstünden.

Die Verfassungsbeschwerde sei hier nicht von vornherein unbegründet; vielmehr sei es möglich, dass das Berufungsgericht bei der Versagung der PKH für die zweite Instanz den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Ar. 3 Abs. 3 GG iVm. dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG verletzte. Es seien möglicherweise vom Berufungsgericht die Anforderungen an die Darlegung der Bedürftigkeit des Beschwerdeführers überspannt worden. Dafür spreche, dass dem seit Jahren grundsicherungsberechtigte Beschwerdeführer sowohl in erster Instanz als auch bereits im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem BGH PKH bewilligt worden sei und dortige Rückfragen offensichtlich befriedigend waren.

Die Folgenabwägung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG würde hier zugunsten des Beschwerdeführers ausfallen. Die Folgen fehlender anwaltlicher Vertretung im Berufungsrechtszug würden schwer wiegen als der Umstand, dass sich später herausstelle, das dass durch eine einstweilige Untersagung unterbrochene Verfahren ohne Rechtsverstoß hätte durchgeführt werden können. Im ersten Fall hätte der Beschwerdeführer die Möglichkeit, der ggf. rechts- und verfassungswidrig unterlassenen Beiordnung eines Rechtsanwalts im Hauptsacheverfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde bzw. Revision (so evtl. wegen fehlerhafter Anwendung von Präklusionsvorschriften oder fehlerhaft angenommener schuldhafter Säumnis) zu korrigieren. Eine verlässliche Beurteilung sei hier nicht möglich, da die erforderliche Prognose des weiteren Prozessverlaufs vom Verhalten aller anderen Prozessbeteiligten und des Entscheidungsausgangs abhänge, insbesondere nach der auch in der Hauptsache zuvor erfolgten Aufhebung und Rückverweisung durch den BGH. Ein Rechtsmittelverlust des Beschwerdeführers infolge der Ablehnung von PKH und der damit verbundenen Versagung der Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten sei daher nicht ausgeschlossen. Demgegenüber könne das Berufungsverfahren, sollte sich die angegriffene Entscheidung als verfassungsgemäß erweisen, lediglich zu einem späteren Zeitpunkt fortgeführt werden.

BVerfG, Beschluss vom 03.09.2021 - 2 BvR 1514/21 -

Freitag, 9. April 2021

Verweigerung zum Erwerb von Arzneimitteln zur Selbsttötung und Verfassungsbeschwerde

Die Beschwerdeführer (in den Jahren 1937 und 1944 geborene Eheleute) begehrten vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Erlaubnis nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG zum Erwerb einer tödlichen Dosis Natriumpentobarbital zum Zwecke der Selbsttötung. Dies wurde abgelehnt; die Klage gegen den ablehnenden Bescheid wurde in allen Instanzen abgelehnt, vom Bundesverwaltungsgericht mit Hinweis  darauf, dass keine extreme Notlage in Gestalt einer medizinischen Indikation bestünde. Im Rahmen ihrer Verfassungsbeschwerde machten die Beschwerdeführer u.a. geltend, sie könnten nicht nach § 13 BtMG darauf verwiesen werden, sich das Medikament ärztlich verschreiben zu lassen, da z.B. das ärztliche Standesrecht in Hessen eine solche Verschreibung nicht gestatte und Suizidbeihilfen auch nach Wegfall der Strafdrohung des § 217 StGB faktisch nicht bestünden. Es bliebe damit nur die versagte Möglichkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG. 

Das BverfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Zwar anerkennt es ausdrücklich das Recht, seinem Leben ein selbstbestimmtes Ende zu setzen. Anders als die Beschwerdeführer vertrat das BVerfG  allerdings die Auffassung, mit der Entscheidung des 2. Senats des BVerfG vom 26.02.2020 - 2 BvR 2347/15 – sei dem Anspruch entsprochen worden. Die Beschwerdeführer seien in Ansehung der durch das benannte Urteil veränderten Situation verpflichtet aktiv nach suizidhilfebereiten Personen im Inland, durch Bemühungen um eine ärztliche Verschreibung des gewünschten Wirkstoffs oder auf anderem geeigneten Weg zu verfolgen.

Das BVerfG verwies die Beschwerdeführer auf den Rechtsweg. Es gelte der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, weshalb hier in Ansehung der Entscheidung des BVerwG in dem Rechtsstreit der Beschwerdeführer auf der Grundlage der Entscheidung des BVerfG vom 26.02.2020 nach § 80 Abs. 7 VwGO und entsprechende Bemühungen gegenüber den zuständigen Behörden möglich seien. Es läge nach der Nichtigerklärung des § 217 StGB nicht mehr auf der Hand, dass eine aktive (auch auf andere Bundesländer als Hessen ausdehnende) Suche nach Suizidbeihelfern und verschreibungswilligen- und -berechtigten Personen aussichtslos wäre. Dies schon vor dem Hintergrund des Umstandes, dass die Aufhebung der Strafnorm auch von Ärzten betrieben worden sei. Es sei deshalb nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeführer ihre Möglichkeiten ausgeschöpft hätten.

Im Weiteren machte das BVerfG geltend, dass durch die benannte Entscheidung vom 26.02.2020 die Situation verbessert worden sei und nunmehr nur durch neuerliche Anstrengungen zur Realisierung des Suizidwunsches ermessen ließe, welche konkreten Gestaltungsmöglichkeiten und tatsächlichen Räume die neue Rechtslage eröffne. Nur so ließe sich klären, ob diese ausreichend praktische und zumutbare Möglichkeiten biete, einen Suizidwunsch zu realisieren, und zwar bei angepassten Konzepten eines medizinischen und pharmakologischen Missbrauchsschutz. Der Subsidiaritätsgrundsatz des § 90 Abs. 2 BVerfGG soll davor schützen, dass das BVerfG auf unsicherer Grundlage zu den tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten entscheide. Der Zweite Senat habe bei seiner Entscheidung auch den politischen gestaltungsspielraum eines übergreifenden legislativen Schutzkonzepts anerkannt, der bei einer Entscheidung in der Sache faktisch vorweggenommen würde.

 BVerfG (2. Kammer des 1. Senats), Beschluss vom 10.12.2020 - 1 BvR 1837/19 -

Sonntag, 2. August 2020

Ist vor Erlass einer einstweiligen Verfügung dem Gegner Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ?


Der Betroffene mahnte die Beschwerdeführerin wegen eines in ihrer Zeitschrift „W“ am 10.05.2020 veröffentlichten Artikels  zu einem J., der an der Veröffentlichung eines Videos beteiligt gewesen sein sollte, das zum Rücktritt des österreichischen Politikers Strache führte, am 11.05.2020 mit einem 15-seitigen Schreiben ab; gegen J. wird seit der Veröffentlichung in Österreich strafrechtlich ermittelt. Der Beschwerdeführer reagierte am Abend des gleichen Tages auf die Abmahnung und wies diese unter Darlegung der Gründe und Beifügung von Anlagen zurück. Am Morgen des 12.05.2020 beantragte er eine einstweilige Verfügung mit einer bei dem LG Berlin eingereichten 26-seitigen Antragsschrift, die gegenüber der Abmahnung ausgebaut wurde, auf Argumente der Abmahnerwiderung reagierte und zwei eidesstattliche Versicherungen des Betroffenen ergänzte. Nach dem Abruf des Schutzschriftregisters gegen Mittag erließ das LG Berlin im Wege der einstweiligen Verfügung einen Beschluss (ohne Begründung), mit dem der Beschwerdeführerin die weitere Verbreitung des Artikels (so über digitale Kanäle, insbesondere auch im Online-Archiv) untersagt wurde. Gegen diesen Beschluss lehnte die Beschwerdeführerin nach Zustellung am 14.05.2020 am 19.05.2020 die erkennenden Richter des LG Berlin als Befangen ab und legte am 20.05.2020 gegen den Beschluss Widerspruch zusammen mit einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ein. Sodann erhob die Beschwerdeführerin mit der Begründung, es läge eine offenkundige und bewusste Verletzung ihrer prozessualen Waffengleichheit vor und begehrte die Aussetzung der einstweiligen Verfügung.


Nach Anhörung des Betroffenen (des Antragstellers im Verfahren vor dem LG Berlin) gab das BVerfG dem Antrag der Beschwerdeführerin statt.

Obwohl grundsätzlich zunächst vor einer Verfassungsbeschwerde der Rechtsweg ausgeschöpft sein muss, sieht hier das BVerfG die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde als gegeben an. Dies begründet es mit der Besonderheit des Verfahrens und die darauf bezogene Begründung: Geltend gemacht würde eine Rechtsverletzung unmittelbar durch die Handhabung des Prozessrechts im Verfahren über den Erlass der einstweiligen Verfügung durch (bewusstes) Übergehen ihrer prozessualen Rechte. Insbesondere könne sie mit dem Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss die Missachtung des Verfahrensrechts nicht geltend machen (BVerfG, Beschluss vom 03.06.2020 - 1 BvR 1246/20 -), da dieser Antrag von der Erfolgsaussicht des Widerspruchs abhängig sei. Auch i übrigen gäbe es keine Rechtsmittel, mit denen die Verletzung der prozessualen Waffengleichheit geltend gemacht werden könne, weshalb es hier ausnahmsweise zulässig sei, unmittelbar gegen die einstweilige Verfügung Verfassungsbeschwerde zu erheben.  Da die Rechtsbeeinträchtigung durch den Unterlassungstitel fortdaure, benötige die Beschwerdeführerin auch kein besonders gewichtiges Feststellungsinteresse (BVerfG aaO.).

Die von der Beschwerdeführerin benannte Verletzung der prozessualen Waffengleichheit wurde vom BVerfG als grundrechtsgleiches Recht bejaht. Auch im Verfahren der einstweiligen Verfügung, selbst wenn eine Verfügung wegen besonderer Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung ergehen dürfe, bedürfe es der Einbeziehung der Gegenseite im verfahren (BVerfG, Beschluss vom 30.09.2018 - 1 BvR 1783/17 -; BVerfG, Beschluss vom 03.06.2020 aaO.). Diese Einbeziehung des Gegners sei nur entbehrlich, wenn der eingereichte Antrag mit der Abmahnung identisch sei und die Erwiderung des Gegners auf die Abmahnung mit eingereicht würde. Läge erkennbar eine Identität nicht vor, da der Betroffene auf die Erwiderung der Gegenseite in seiner Antragsschrift inhaltlich eingehen würde und repliziere, müsse das Gericht dem Antrag zu Gehör der Gegenseite bringen (BVerfG vom 30.09.2018 aaO.; BVerfG vom 03.06.2020 aaO.).

An diese Vorgaben habe sich das LG Berlin nicht gehalten und deshalb das grundrechtsgleiche Recht auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 3 GG verletzt. Es habe die Gleichwertigkeit seiner prozessualen Stellung gegenüber der Beschwerdeführerin als Verfahrensgegner nicht mehr gewährleistet. Die Antragsschrift sei ausdrücklich auf die Einwände der Beschwerdeführerin in deren außergerichtlicher Stellungnahme eingegangen, woraus sich bereits für das Gericht im Sinne gleichwertiger Äußerungs- und Verteidigungsmöglichkeit hätte ergeben müssen, der Beschwerdeführerin (evtl. auch fernmündlich oder E-Mail) Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Hinzu käme, dass die Antragsbegründung – unabhängig von unterschiedlichen Anforderungen an ein anwaltliches Schreiben im Vergleich zu einem Verfahrensschriftsatz – umfassender und differenzierter war als das Abmahnschreiben, welches auch neue Gesichtspunkte enthielt. Erstmals sei zudem hier auch ausdrücklich die Tatsachengrundlage der im Artikel benannten Vorwürfe bestritten, demgegenüber im Abmahnschreiben noch auf deren Nachweislichkeit anhand der Aktenlage verwiesen worden sei. Damit habe keine Kongruenz zwischen dem Abmahnschreiben und der Antragsschrift bestanden.

Auch kann nach Ansicht des BVerfG der Beschwerdeführerin nicht vorgeworfen werden, keine Schutzschrift im elektronischen Schutzschriftregister zu hinterlegen. Es könne dem Gegner nicht zugemutet werden, auf einen ihn unbekannten Vortrag vorsorglich zu erwidern.

Auch wenn die Frist zu einer Stellungnahme der Beschwerdeführerin im Verfahren über die einstweilige Verfügung hätte kurz bemessen werden können, sei es unzulässig,  wegen dadurch bedingter Verzögerungen gänzlich von einer Einbeziehung der Gegenseite abzusehen und ihn bis zu einer auf den Widerspruch hin anzuberaumenden mündlichen Verhandlung  mit einer einseitig erstrittenen gerichtlichen Unterlassungsverfügung zu belasten und die zudem auch ohne Begründung ist (Anm.: und nicht haben muss), weshalb der Beschwerdeführerin nicht ersichtlich sei, ob ihr Vortrag überhaupt Berücksichtigung gefunden habe bzw. unter welchen Gesichtspunkten er hintenangestellt worden sei.  

BVerfG, Beschluss vom 17.06.2020 - 1 BvR 1380/20 -

Sonntag, 11. Oktober 2015

Mietpreisbremse: Bei Verstoß Anpassung – Verfassungsbeschwerde erst nach Durchführung des Zivilverfahrens

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte sich hatte sich in seinem Beschluss mit der Verfassungsbeschwerde zur sogen. Mietpreisbremse im Land Berlin auseinanderzusetzen. Ein Vermieter wollte die Ungültigkeit der Verordnung, mit der diese im Land Berlin eingeführt wurde, festgestellt wissen.  Die Verfassungsbeschwerde wurde mit formalen Argumenten zurückgewiesen: Zunächst muss der Vermieter im Zivilrechtsweg seinen die Kappungsgrenze der „Mietpreisbremse“ überschreitenden Mietzins versuchen durchzusetzen und dort bereits seine verfassungsrechtlichen Bedenken anführen, ehe er, sollte er unterliegen, Verfassungsbeschwerde erheben kann. Es gilt, so das BVerfG, der Subsidiaritätsgrundsatz.  Die Unwirksamkeit des vertraglichen Mietzinses würde auch nicht zur Unwirksamkeit des Vertrages führen, sondern nur zur Anpassung des Mietzinses auf das zulässige Maß. Insoweit wäre dann eventuell ein bereicherungsrechtlicher Ausgleich zwischen den Mietparteien vorzunehmen.

Das bedeutet für den Vermieter, dass er den von ihn angedachten Mietzins im Mietvertrag vereinbaren muss und es nun auf einen Prozess mit seinem Mieter ankommen lassen muss. Verliert er diesen Prozess, da das Amts- und Landgericht die „Mietpreisbremse“ als legitim ansehen, könnte er Verfassungsbeschwerde erheben. Die Mietvertragsparteien haben mithin ein langwieriges Verfahren zu bestreiten.

BVerfG, Beschluss vom 24.06.2015 - 1 BvR 1360/15 -