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Sonntag, 14. April 2024

Verletzung rechtlichen Gehörs bei Verzicht auf Einholung eines Sachverständigengutachtens

Vorliegend ging es um Schadensersatzansprüche der klagenden Dienstherrin  aus einem Verkehrsunfall, den diese durch Fortzahlung von Bezügen und Versorgungsleistungen an den Geschädigten (städtischer Feuerwehrbeamter) erlitten haben will. Das OLG hatte im Berufungsverfahren statt der für einen Zeitraum vom 01.04.2011 bis 31.12.2016 geltend gemachten Bezüge nur solche für einen Zeitraum vom 01.04.2011 bis 31.08.2012 zuerkannt. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hatte insoweit Erfolg und führte dazu, dass das Urteil des OLG aufgehoben und das Verfahren an dieses zurückverwiesen wurde.

Das OLG habe seine teilweise Klageabweisung darauf gestützt, dass der Geschädigte gegen seine Obliegenheit zur Schadensminderung (§ 254 Abs. 2 BGB) verstoßen habe (was relevant wäre, da ein Mitverschulden des Beschäftigten im Regress des Arbeitgebers zu Lasten des Arbeitgebers zu berücksichtigen wäre, vgl. z.B. § 6 Abs. 2 EntgFG). Voraussetzung für eine Kürzung der Schadensersatzansprüche des Geschädigten wegen unzureichender Anstrengungen zur Aufnahme einer erneuten Erwerbstätigkeit sei zunächst die Feststellung, dass der Geschädigte nach der Verletzung noch oder wieder arbeitsfähig sei. Diesbezüglich sei der Schädiger darlegungs- und beweisbelastet. Erst im zweiten Schritt, soweit die Frage der Möglichkeit des Einsatzes der festgestellten verbliebenen Arbeitskraft in Rede stünde, treffe den Geschädigten (bzw. bei auf den Arbeitgeber/Dienstherrn übergegangenen Ansprüchen diesen) die sekundäre Darlegungslast. Der Geschädigte habe sei er wieder (teil-) arbeitsfähig in der Regel den Schädiger über die für ihn zumutbaren Arbeitsmöglichkeiten ebenso wie zu seinen Bemühungen, einen angemessenen Arbeitsplatz zu finden, zu informieren. 

Vorliegend habe das OLG aus einer Bescheinigung des Hausarztes des Geschädigten sowie einem Befundbericht der den Geschädigten behandelnden Psychotherapeutin zwar die dort benannten gesundheitlichen Beeinträchtigungen als gegeben unterstellt, allerdings nicht die auf diesen Diagnosen beruhende Einschätzung der behandelnden Ärzte zur Arbeitsfähigkeit des Geschädigten. So habe der Hausarzt angegeben, dass für den Geschädigten aufgrund von Hand- und Rückensituation körperlich belastenden Tätigkeiten und administrative Tätigkeiten allenfalls drei Stunden/Tag möglich seien und ebenso Minijobs mit leichter körperlicher Belastung; die Psychotherapeutin sei zu dem Ergebnis gelangt, wegen vorhandener und nicht revisibler psychischer Beeinträchtigungen sei für den Zeitraum 2012 bis 31.12.2016 von einer anhaltenden Erwerbsunfähigkeit auszugehen. 

Das OLG habe sich damit bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit „medizinische Sachkunde angemaßt“, deren Voraussetzungen es den Parteien nicht offengelegt habe; es sei das rechtliche Gehör (Art. 103 GG) verletzt worden. Bei den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen handele es sich auch nicht - wie vom OLG vertreten – um „bloße Behauptungen“ der Klägerin, sondern um einen qualifizierten Sachvortrag zur Arbeitsfähigkeit des Geschädigten, weshalb das OLG nicht eine Arbeitsfähigkeit nicht hätte bejahen dürfen, ohne sich auf das Gutachten eines hinsichtlich der berührten medizinischen Bereiche fachärztlich qualifizierten Sachverständigen zu stützen. Hier wäre der vom Gericht zu beauftragende medizinische Sachverständige zu befragen gewesen, ob die vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten aus medizinischer Sicht gegen die Annahme einer eingeschränkten Arbeitsfähigkeit des Geschädigten sprechen. Die Angaben des Geschädigten zu diesen Tätigkeiten, Vermietung einer Ferienwohnung zusammen mit seiner Frau bei einem wöchentlichen Zeitaufwand von zwei Stunden, die Öffnung einer vom Geschädigten betriebenen Galerie lediglich an Wochenenden, seien (was die Nichtzulassungsbeschwerde gerügt hatte) vom OLG übergangen worden und wären in dem vorgenannten Zusammenhang zu berücksichtigen. Der Schluss des OLG von der Ausübung einer geringfügigen Tätigkeit für die Caritas auf eine Arbeitsfähigkeit bis zum Umfang einer Vollbeschäftigung sei - unabhängig von der dem OLG fehlenden medizinischen Sachkunde -  auf der Grundlage der vom OLG getroffenen Feststellungen auch nicht nachvollziehbar, wobei auch hier das OLG nicht auf den Einwand der Klägerin eingegangen sei, der Geschädigte sei selbst von dieser Tätigkeit körperlich und psychisch überfordert gewesen. 

Zudem sei auch die Auffassung des OLG unzutreffend, dass im Falle der Feststellung unzureichender Erwerbsbemühungen durch den Geschädigten, sich dessen Anspruch (und damit der Anspruch der Dienstherrin aus übergegangenen Recht) nicht beziffern ließe. Es seien hier die erzielbaren (fiktiven) Einkünfte auf den (unter Beachtung der Darlegungs- und Beweislast des Anspruchsstellers festzustellenden) Verdienstausfallschaden anzurechnen. Entsprechend der Darlegungslast zum Obliegenheitsverstoß sei auch die Höhe der fiktiven Einkünfte bei hinreichenden Erwerbsbemühungen des Geschädigten grundsätzlich vom Schädiger darzulegen (BGH, Urteil vom 24.01.2023 - VI ZR 152/21 -). 

BGH, Beschluss vom 12.03.2023 - VI ZR 283/21 -

Sonntag, 13. August 2023

Schadensersatz für angemietete Ersatzräume und übergangener Beweisantrag zur Gleichwertigkeit

Nachdem ein Mietvertrag nicht durchgeführt werden konnte, stritten die Parteien um die Mehrkosten einer Ersatzimmobilie, die die Mieterin (Klägerin) gegenüber dem mit der Vermieterin (Beklagte) vereinbarten Mietzins aufbringen musste. Hintergrund war die Anmietung von noch vom Vermieter herzustellenden Gewerberäumen in W. (383 qm in einem zur Sanierung vorgesehenen alten Wasserwerk) nebst zwei Pkw-Stellplätzen). Die auf fünf Jahre befristete Mietzeit sollte am 01.07.2019 beginnen, der Mietzins netto € 4.215,59/Monat (entspricht € 10,99/qm) zuzüglich € 70,00 für die Stellplätze betragen. Der Beklagten gelang die Finanzierung nicht. Im Februar 2019 mietete die Beklagte im Hafenviertel von D. gelegene Räumlichkeiten (454 qm) an, und zwar zu € 12,00/qm, wobei ein Teilbetrag davon Entgelt für eine ca. 279 qm große Gemeinschaftsfläche war, zuzüglich € 200,00 für vier Tiefgaragenstellplätze. Mietbeginn war der 01.10.2019, die Mietzeit auf fünf Jahre beschränkt. Am 30.07.2019 erklärte die Beklagte mit der Begründung der Nichtgewährung des vertragsgemäßen Gebrauchs die fristlose Kündigung des Mietvertrages mit der Beklagten und machte Schadenersatzansprüche u.a. in Höhe von € 410,41/Monat für fünf Jahre im Hinblick auf die Mietdifferenz zwischen dem nunmehr angemieteten Objekt und dem von der Beklagten vermieteten Objekt geltend (§ 259 ZPO). Das Landgericht gab der Klage statt. Die Berufung der Beklagten war erfolgreich; das Oberlandesgericht (OLG) hob das Urteil auf und wies die Klage ab. Das OLG negierte die Gleichwertigkeit (bei Annahme eines höheren Gebrauchs- und Nutzwertes der Immobilie in D.) der Mieträume, ohne einen diesbezüglich Sachverständigenbeweis der Klägerin zu erheben. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten führte zur Aufhebung des Urteils des OLG und Zurückverweisung an dieses (§ 544 Abs. 2 9 ZPO).

Der BGH sah die Voraussetzungen für die Zulassung einer Revision als gegeben an, da dies gem. § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten sei. Es läge ein Verstoß gegen Art. 103 GG (Verletzung  rechtlichen Gehörs) vor, da das OLG nicht den beklagtenseits angebotenen Sachverständigenbeweis erhoben habe. Nach Art. 103 Abs. 1 GG habe das Gericht die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen. Danach gebiete Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung auch die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Deren Nichtberücksichtigung verstoße, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze fände, gegen Art. 103 GG (BGH, Beschluss vom 10.03.2021 - XII ZR 54/20 -). Dies gelte insbesondere auch dann, wenn der Beweisantrag wegen einer bereits gewonnenen Überzeugung kein Gewicht mehr beimesse (BGH, Beschluss vom 10.03.2021 - XII ZR 54/20 -).

Die Klägerin hatte den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache gestellt, dass die ursprünglich in W. angemieteten Gewerberäume nach Art und Lage gleichwertig mit den in D. gemieteten Gewerberäume sind; sie habe das Übergehen dieses Beweisangebots durch das OLG im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde gerügt. Dieses Übergehen fände, so der BGH, in der Prozessordnung keine Stütze.

Das Gericht dürfe von der Einholung eines beantragten Sachverständigengutachtens zu entscheidungserheblichen Parteivortrag nur absehen, wenn es selbst über die notwendige Sachkunde zur Beurteilung des Wahrheitsgehalts der unter Beweis gestellten Behauptung verfüge (z.B. BGH, Beschluss vom 09.01.2018 - VI ZR 106/17 -; ständige Rechtsprechung); diese liegen Sachkunde sei in der Entscheidung darzulegen (z.B. BGH, Beschluss vom 12.05.2021 - XII ZR 153/19 - ständige Rechtsprechung). Dem habe das OLG nicht Rechnung getragen und den angebotenen Sachverständigenbeweis erheben müssen, statt eine eigene Wertung vorzunehmen.

Der Mieter, dem die angemieteten Räume nicht zur Verfügung gestellt werden, könne in diesem Fall zur Anmietung von Ersatzräumen berechtigt sein und gegebenenfalls Mehrkosten als Schadensersatz beim Vermieter geltend machen (BGH, Urteil vom 02.11.2016 - XII ZR 153/15 -). Voraussetzung sei, dass der Mieter die Vertragsverletzung des Vermieters berechtigterweise zum Anlass nähme, den Umständen nach angemessene neue Räume anzumieten (BGH aaO.). Vorliegend habe die Klägerin bereits in der Klageschrift die Einholung eines Sachverständigengutachtens dazu beantragt, dass die angemieteten Gewerberäume und das Ersatzobjekt nach Art und Lage gleichwertig seien. Dieser Beweisantrag sei erheblich, da die behauptete Gleichwertigkeit der Räumlichkeiten in D. und W. für die Beurteilung der Angemessenheit der Ersatzräume von Bedeutung sei.

Ohne den Beweisantrag der Klägerin anzusprechen und eine eigene Sachkunde für die Bewertung der Räumlichkeiten darzulegen, habe das OLG den höheren Mietzins der Gewerberäume in D. auf deren höheren Nutz- und Gebrauchswert zurückgeführt. Dies aber käme einer vorweggenommen Beweiswürdigung gleich, die dem Prozessrecht fremd sei.

Bei dem unter Sachverständigenbeweis gestellten Vortrag der Klägerin handele es sich um eine dem Beweis zugängliche Tatsachenfrage. Die Frage der Gleichwertigkeit sei zwar von einer Wertung abhängig, die aber an beweisbare Eigenschaften der Mieträumlichkeiten sowie Bedürfnisse und Wertvorstellungen der maßgeblichen Verkehrskreise, mithin innere und äußere Tatsachen, anknüpfe. Es bedürfe daher regelmäßig zur Ermittlung einer Gebrauchswertdifferenz der Einholung eines Sachverständigengutachtens (BGH, Urteil vom 29.03.2017 - VIII ZR 44/16 -:

„Insbesondere hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt, dass die Feststellung eines streitigen Mietdifferenzschadens nach unberechtigter Wohnungskündigung regelmäßig nur mittels eines Gutachtens eines mit dem örtlichen Mietmarkt vertrauten Sachverständigen möglich sein wird und dieser die erforderlichen (wertenden) Feststellungen zum Wohnwert üblicherweise nach einer Besichtigung zumindest der neuen Wohnung trifft. Es stellte daher eine Überspannung der Substantiierungsanforderungen dar, von der Partei vorab konkrete Darlegungen zur Vergleichbarkeit der Wohnwerte zu verlangen und die Durchführung einer Beweisaufnahme davon abhängig zu machen.“).

Für die Bewertung von Gewerbeimmobilien bedürfe es regelmäßig besonderer Erfahrungen und Kenntnisse über ortsbezogene und wirtschaftliche Begleitumstände sowie die Interessen der am Wirtschaftsleben beteiligten Verkehrskreise, die sich nicht aus einer allgemeinen Lebenserfahrung ergäben und die auch nicht bei den an der Berufungsentscheidung beteiligten Richtern aufgrund ihrer richterlichen Tätigkeit zu unterstellen sei. Eine unterschiedliche Wertigkeit, die evtl. eine Mietdifferenz gerechtfertigt hätte, ergäbe sich nicht bereits aus der Lage der Immobilien und von (vom LG angesprochenen) Nutzungsvorteilen der Ersatzimmobilie. Der Gebrauchswert, auf den es entscheidend ankäme, ergäbe sich aus einer Gesamtschau einer Vielzahl von Faktoren von gegebenenfalls unterschiedlichen Gewicht. Eine einzelne Eigenschaft von Räumlichkeiten (z.B. eine besonders hervorstechendes, einzigartiges Erscheinungsbild) könne den Wert anderer Eigenschaften auf- oder überwiegen und daher den Gebrauchswert maßgeblich bestimmen. Die für de Entscheidung erforderliche Vergleichsbetrachtung könne sich daher nicht in einer Gegenüberstellung einzelner wertbildender Eigenschaften erschöpfen.

BGH, Beschluss vom 26.04.2023 - XII ZR 83/22 -

Sonntag, 18. Dezember 2022

Schadensersatz: Auswirkung des Verschweigens nicht relevanter Vorschäden

Streitig waren die Schadensbeseitigungskosten an einem Fahrzeug nach einem Verkehrsunfall. Der Kläger hatte den Reparaturkosten sowie die Freistellung von Sahcverständigenkosten geltend gemacht. Nach Ansicht des Landgerichts (LG) war der Ersatzanspruch auf die von ihm nach Einholung eines Sachverständigengutachtens geschätzten Wiederbeschaffungskosten in Höhe von € 2.200,00 sowie den Freistellungsanspruch von eigenen Sachverständigenkosten zu beschränken. Auf die Berufung wies das Oberlandesgericht (OLG) nach § 522 ZPO darauf hin, dass es gedenke, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

An dem Fahrzeug befanden sich zum Unfallzeitpunkt Vorschäden. Diese Vorschäden seien, so das OLG, vom Kläger repariert worden und er habe dazu auch ausreichend bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung sowie zum Wiederbeschaffungswert vorgetragen. Den streitgegenständlichen Unfallschaden habe er selbst (durch gebrauchte Originalteile vom Schrottplatz) instandgesetzt. Ein Streifschaden, wie er auf einem Foto des Sachverständigen P. zu sehen sei, an der rechten Ecke des Stoßfängers, sei von ihm durch vorbeischrammen an einer Mauer entstanden (nicht unfallursächlich). Ob der Schaden im Rahmen der Unfallschadenreparatur von ihm ausgebessert worden sei, habe der Kläger nicht mehr angeben können; im Hinblick auf die ständige Instandsetzung ginge er aber davon aus, dass er den Schaden überlackiert habe.

Für die Darlegung des Wiederbeschaffungswertes sei es auch bei abgrenzbaren Vorschäden erforderlich, dass der Geschädigte zu den Vorschäden vorträgt. Der Wiederbeschaffungswert (also der Wert für ein vergleichbares Fahrzeug) ohne den Unfallschaden könne nur ermittelt werden, wenn der konkrete Zustand desbeschädigten Fahrzeuges zum Unfallzeitpunkt feststehen würde, insbesondere inwieweit der Wert zum Unfallzeitpunkt bereits durch Alt- und Vorschäden gemindert ist.

Die Abgrenzbarkeit von Vorschäden zu dem streitigen Unfallschaden sei für die Höhe der nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlichen Reparaturkosten maßgeblich. Diese seien vorliegend relevant gewesen, um nachzuvollziehen, ob der Kläger (wie geschehe n) auf Reparaturkostenbasis abrechnen kann oder auf den Wiederbeschaffungswert beschränkt ist. Das vom LG eingeholte Sachverständigengutachten bezifferte die Reparaturkosten auf € 4.213,60. Den Vorschaden habe das LG im Hinblick auf die Lackierkosten des betroffenen Bauteils mit 50% angenommen. Im Übrigen habe der Sachverständige die Schäden am Fahrzeug des Klägers den Bauteilen und Beschädigungen zuordnen können.

Der Sachverständige habe nicht die Vorschäden und die Selbstreparatur des Klägers nicht in die Ermittlung des Wiederbeschaffungswertes einbezogen. Er sei nicht davon ausgegangen, dass sich das Fahrzeug in einem „einwandfreien technischen Zustand“ befunden und „lückenlos scheckheft-gepflegt“ gewesen sei, wie vom Kläger geltend gemacht. Zur Erstellung des schriftlichen Gutachtens habe er festgestellt, dass der Scheinwerfer und der Kühlergrill defekt und oberflächliche Schäden an der Lackierung vorhanden gewesen seien. Im Nachgang habe der Kläger ein Gutachten zu einem Schaden diesbezüglich vorgelegt, was allerdings nach Angabe des Sachverständigen nicht zu einer Änderung seines ermittelten Wiederbeschaffungswertes führe, da ein Fahrzeug mit dem Alter und der Laufleistung des klägerischen Fahrzeugs an einem Punkt angelangt sei, bei dem nicht mehr viel Wertverlust eintreten könne und kleinere Vorschäden keine Rolle mehr bei der Höhe des Wiederbeschaffungswertes spielen würden. Die Vorschäden seien zudem bereits zum Zeitpunkt der Besichtigung durch den Privatgutachter des Klägers instandgesetzt gewesen.

Im Hinblick auf die vom Kläger begehrte Freistellung von den Kosten des von ihm beauftragten privaten Sachverständigen begehrte, stellte das OLG fest, dass diesem Vorschäden an dem Fahrzeug nicht mitgeteilt worden seien. Allerdings seien die Kosten des Sachverständigen auch dann vom Schädiger zu zahlen, wenn eine Unbrauchbarkeit vom Geschädigten (wegen Verschweigens von Vorschäden) nicht zu vertreten sei oder das Verschweigen nicht kausal geworden sei (OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.02.2018 - 1 U 64/17 -). Dies sei aber hier nicht kausal geworden. Der Privatsachverständige des Klägers habe einen Wiederbeschaffungswert von € 7.000,00 angenommen und damit hätten die tatsächlichen Reparaturkosten von € 5.731,50 diesen nicht überschritten. Tatsächlich habe aber der Wiederbeschaffungswert, wie das gerichtlich eingeholte Gutachten zeigte, unter dem Wiederbeschaffungswert, was zur Beschränkung auf den tatsächlichen Wiederbeschaffungswert führe mit der Folge, dass der Kläger die fiktiven Reparaturkosten nicht erstattet verlangen könne. Der Fehler des privaten Sachverständigengutachtens sei dem Kläger nicht mit der Folge anzulasten, dass er nicht die dafür erforderlichen Kosten verlangen könne, da di verschwiegenen Vorschäden an der Front und der vorderen rechten Ecke nach Angaben des vom LG beauftragten Sachverständigen nicht hätten beeinflussen können.

Die Berufung wurde nach dem Hinweisbeschluss zurückgenommen.

OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 11.04.2022 - I-7 U 33/21 -

Mittwoch, 29. Juni 2022

Selbständiges Beweisverfahren im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall, § 485 Abs. 2 ZPO

Das Landgericht hatte die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 485 Abs. 2 ZPO für ein selbständiges Beweisverfahren negiert, welches der Antragsteller zur Vorbereitung eines Prozesses nach einem Verkehrsunfall beantragt hatte. Die sofortige Beschwerde gegen den zurückweisenden Beschluss wies das OLG zurück, welches sich dem Landgericht anschloss.

Das OLG führte aus, ein selbständiges Beweisverfahren könne auch Verkehrsunfälle zum Gegenstand haben. Das sei aber dann nicht der Fall, wenn von vornherein zu erwarten sei, dass das Unfallgeschehen und damit die Verantwortlichkeit für die Schäden nur durch Vernehmung von Zeugen und Anhörung von Parteien als Grundlage für ein Sachverständigengutachten hinreichend geklärt werden könne.  In diesem Fall würde es am erforderlichen rechtlichen Interesse an der Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens ermangeln, welches nur durch Einholung eines (schriftlichen) Sachverständigengutachtens geführt werden kann.

Vorliegend würde es an objektiven Anhaltspunkten (wie Spuren auf der Fahrbahn) fehlen, um den exakten Unfallort feststellen zu können. Da vorliegend darüber gestritten würde, wer seine Fahrspur verlassen habe, käme es darauf aber an. Zeugen und Parteien könnten in einem selbständigen Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO nicht angehört bzw. vernommen werden. Da die Einlassung des Antragsgegners, der Streit um das Verlassen der Fahrspur, deutlich erkennen lasse, dass zumindest eine ergänzende Begutachtung gem. § 412 ZPO im streitigen Verfahren (Hauptsacheverfahren) erforderlich werden würde, wobei zuvor die Zeugen und Parteien zu vernehmen bzw. anzuhören wären (zweckmäßig in Gegenwart des Sachverständigen), würde ein jetzt eingeholtes Sachverständigengutachten weder zur Beschleunigung noch zur Kostenreduzierung führen. Ein anderweitiges rechtliches Interesse des Antragstellers sei aber nicht ersichtlich und vom Antragsteller auch nicht dargetan, weshalb der Antrag als unzulässig zurückzuweisen sei.

OLG Hamm, Beschluss vom 21.01.2022 - 9 W 5/22 -

Mittwoch, 2. Februar 2022

Reparaturkosten-Ersatz von 130% vom Wiederbeschaffungswert und Beweiswürdigung der Instandsetzung

Immer wieder kommt es zum Streit zwischen  dem Geschädigten und dem Schädiger/dessen Versicherer, ob bei einem wirtschaftlichen Totalschaden gleichwohl Reparaturkosten verlangt werden können. Der BGH hat in seiner Entscheidung dazu neuerlich Stellung genommen und erstmals sich auch mit der Frage auseinandergesetzt, ob ein Ersatz von Reparaturkosten auch verlangt werden kann, wenn die Kostenprognose im Schadensgutachten Reparaturkosten vorsieht, die über die 130%-Grenze liegen. Ferner musste er sich damit auseinandersetzen, wie die Feststellung erfolgen muss, um festzustellen, dass tatsächlich zu den geltend gemachten Kosten der Schaden komplett sah- und fachgerecht behoben wurde.

In dem Fall betrug der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges nach dem Schadensgutachten € 4.500,00, die Reparaturkosten gab der Sachverständige mit € 7.148,84 an. Der Kläger ließ das Fahrzeug zu einem Preis von € 5.695,49 reparieren, nutzte es weiterhin und machte gegen die Beklagten diesen Betrag abzüglich der erfolgten Zahlung auf den Wiederbeschaffungswert geltend.

Das Amtsgericht gab der Klage statt. Die Berufung der Beklagten wurde unter Zulassung der Revision zurückgewiesen. Die Revision führte zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils und Zurückverweisung.

1. Der BGH verwies auf seine Rechtsprechung, wonach dem Geschädigten in Abweichung von dem Wirtschaftlichkeitsgebot in Ansehung seines Integritätsinteresses ausnahmsweise ein Anspruch auf Ersatz des den Wiederbeschaffungswert des beschädigten Fahrzeugs um bis zu 30% übersteigenden Reparaturaufwandes (Reparaturkosten zuzüglich einer etwaigen Entschädigung für den merkantilen Minderwert) zustünde. Voraussetzung sei, dass er den Zustand des ihm vertrauten Fahrzeuges wie vor dem Unfall wiederherstellt, um es nach der Reparatur (mindestens für ein Jahr) weiter zu nutzen. Fachgerecht sei die Reparatur nur dann, wenn diese so durchgeführt würde, wie es vom Sachverständigen in seiner Kostenschätzung vorgesehen worden sei. Würde der Aufwand mehr als 30% betragen, sei die Reparatur wirtschaftlich unvernünftig und dem Geschädigten stünde nur der Wiederbeschaffungswert (abzüglich eines etwaigen Restwertes) als Schadensersatz zu. Anderes würde im Falle der Reparatur nur dann gelten, wenn der Geschädigte auf der Grundlage eines entsprechenden Gutachtens den Weg der Schadensbehebung mit dem vermeintlich geringeren Aufwand wähle, die Reparatur aber teurer würde und ihm kein Auswahlverschulden zur Last falle. Ließe er aber das Fahrzeug reparieren, obwohl wie hier die Kostenprognose bei über 30% über dem Wiederbeschaffungswert läge und erweise sich dies als richtig, sei der Schadensersatzanspruch auch auf den Wiederbeschaffungswert (abzüglich eines möglichen Restwertes) beschränkt.

Vom Grundsatz her seien die Angaben des vom Geschädigten beauftragten Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten zur Höhe nicht für den geschädigten verbindlich und er könne den Betrag verlangen, der gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlich sei. Er müsse in diesem Fall den Angaben des Sachverständigen konkret entgegentreten und geltend machen, der von ihm ermittelte Betrag gebe den objektiv zur Herstellung erforderlichen Betrag wieder; würde dies vom Gegner bestritten, müsse dies im Rechtsstreit auf entsprechenden Beweisantrag des Geschädigten durch Einholung eines vom Gericht zu veranlassenden Sachverständigengutachtens geklärt werden.

In den Fällen, in denen die Reparaturkosten über 130% des Wiederbeschaffungswertes lägen, die Reparatur aber fachgerecht (ggfls. unter Verwendung von Gebrauchtteilen) Kosten auch unter Berücksichtigung des merkantilen Minderwertes den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen würden, würde daher ein Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten bestehen. Anm.: Bei dieser Berechnung bleibt der Restwert des Fahrzeuges außer Ansatz, dessen Abzug sich der Geschädigte bei Ersatz des Wiederbeschaffungswertes auf diesen anrechnen lassen muss.

Offen gelassen hatte der BGH bisher den Ersatzanspruch auf Reparaturkosten, die sich unter Berücksichtigung des merkantilen Minderwertes auf 101 bis 130% des Wiederbeschaffungswertes belaufen. Nunmehr hielt der BGH fest, dass auch in dem Fall, dass sich die erforderlichen Reparaturkosten für eine fachgerechte Reparatur (auch unter Verwendung von Gebrauchtteilen) zur Wiederherstellung des Zustandes des Fahrzeuges wie vor dem Unfall innerhalb der 130%-Grenze bewegen, dem Geschädigten diese „Integritätsspritze“ nicht versagt werden könne. Der gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB ersatzfähige Betrag würde nicht durch die Einschätzung des vorgerichtlich tätigen Sachverständigen bestimmt, sondern von den tatsächlichen Kosten einschl. des merkantilen Minderwertes.

2. Ob die durchgeführte Reparatur sach- und fachgerecht und nach den Vorgaben des Sachverständigen erfolgt sei, sei bei Bestreiten des Gegners vom Gericht zu prüfen. Die Beweislast, der durch Einholung eines zu beantragenden und vom Gericht einzuholenden Sachverständigengutachtens nachzukommen ist, obliegt dem Geschädigten

Das Amtsgericht hatte ein Sachverständigengutachten eingeholt und auf dessen Grundlage den vom Kläger zu erbringenden Beweis als erbracht angesehen. Vom Landgericht sei dies fehlerhaft nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO als festgestellte Tatsache des Erstgerichts seiner Entscheidung zugrunde gelegt worden. Bestünden konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der festgestellten Tatsachen, würde dies eine erneute Feststellung durch das Berufungsgericht erfordern. Aufgabe der Berufungsinstanz als zweite (wenn auch eingeschränkte) Tatsacheninstanz sei die Gewinnung einer „fehlerfreien und überzeugenden“ und damit „richtigen“, der materiellen Gerechtigkeit entsprechenden Entscheidung.  

So sei ein Verfahrensfehler zu berücksichtigen, was namentlich dann vorläge, wenn das erstinstanzliche Urteil nicht den Anforderungen entspräche, die von der Rechtsprechung zu §§ 286, 287 ZPO entwickelt worden seien. Dies sei z.B. dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoße. So seien auch unklare oder widersprüchliche Gutachten keine ausreichende Grundlage für die Überzeugungsbildung durch das Gericht.

Die vom Landgericht als bindend angesehene Feststellung des Amtsgerichts zu dem Sachverständigengutachten, dieses habe aufgrund der vor, während und nach der Reparatur aufgenommenen Fotos eine sach- und fachgerechte Reparatur bejaht, sei von den Ausführungen des Sachverständigen vor Gericht nicht gedeckt. Verschiedentlich sei vom Sachverständigen darauf hingewiesen worden, dass nach der zwischenzeitlich erfolgten Veräußerung des Fahrzeuges eine eingeschränkte Beurteilungsgrundlage fehlen würde und sich auf die relativierende Aussage beschränkt, nach den übergebenden Fotos seien keine Anzeichen vorhanden, die gegen eine sach- und fachgerechte Reparatur sprechen würden. Nur vor diesem Hintergrund habe er eine fachgerechte Reparatur bestätigt. Demgegenüber habe das Amtsgericht in der Entscheidung ausgeführt, der Sachverständige habe an keiner Stelle seines Gutachtens zu erkennen gegeben, dass sich für ihn bei der Beantwortung der Beweisfrage Einschränkungen ergeben hätten, wie er den Pkw nicht mehr habe begutachten können.

Damit war das Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung an das Landgericht zurückzuverweisen.

BGH, Urteil vom 16.11.2021 - VI ZR 100/20 -

Montag, 20. Juli 2020

Kosten der Bauteilöffnung für eine Beweisaufnahme und Kostenaufhebung im gerichtlichen Verfahren


Die Parteien stritten um Baumängel. Im gerichtlichen Verfahren wurde ein Sachverständigengutachten eingeholt, für welches die Klägerin die Kosten der notwendigen Bauteilöffnung trug. Im Anschluss verglichen sich die Parteien und vereinbarten eine Kostenaufhebung. In deren Rahmen beantragte die Klägerin auch die von ihr aufgewandten Kosten für die Bauteilöffnung auszugleichen, also gegen die Beklagte festzusetzen. Dies lehnte der Rechtspfleger ab. Der dagegen eingelegten sofortigen Beschwerde der Klägerin half das Landgericht nicht ab; die Beschwerde wurde vom OLG zurückgewiesen.

Entscheidend stellte das OLG dabei zutreffend darauf ab, dass es sich bei den der Klägerin entstandenen Kosten für die Bauteilöffnung nicht um Gerichtskosten handele, die im Rahmen der Vergleichsregelung zwischen den Parteien auszugleichen waren, sondern um eigene Kosten der Klägerin, die mithin nach dem Vergleich jede Partei für sich zu tragen hatte.

Das OLG wies darauf hin, dass in Literatur und Rechtsprechung streitig sei, ob notwendige vorbereitende Maßnahmen zur Schaffung der Voraussetzungen für die Erstattung des Gutachtens vom Gericht dem von diesem beauftragten Sachverständigen aufgegeben werden können (dazu; OLG Schleswig, Beschluss vom 14.12.2017 - 16 W 152/17 -), wobei in Abrede gestellt würde, dass dem Sachverständigen das Verschließen der Bauteilöffnung durch das Gericht auch übertragen werden könne (OLG Celle, Beschluss vom 01.12.2016 - 5 W 49/16 -.).

Darauf kam es hier nach zutreffender Ansicht des OLG nicht an, da das Landgericht dem Sachverständigen nicht aufgegeben hatte, die Voraussetzungen für seine Gutachtenerstattung durch Bauteilöffnung selbst zu veranlassen. Die Arbeiten wurden von der Klägerin (einschließlich des Verschließens nach Begutachtung durch den Sachverständigen) beauftragt und bezahlt, weshalb auch der Sachverständige insoweit keine Entlohnung nach §§ 413 ZPO, 8ff JVEG erhalten habe. Auslagen des Gerichts iSv. KV-GKG Nr. 9005 seien deshalb nicht entstanden, die auszugleichen wären.

Ausdrücklich dahingestellt ließ das OLG die Frage, ob in entsprechender Anwendung der §§ 667, 683, 670 BGB hier die außergerichtlichen Kosten der Klägerin als Gerichtskosten gewertet werden könnten. Dem habe Punkt IV. des Beweisbeschlusses entgegengestanden, nach dem eine notwendige Bauteilöffnung der Klägerin „auf ihre Kosten“ auferlegt worden sei.

Anmerkung: Der Fall verdeutlicht, dass die Partei versuchen sollte, derartige Kosten von vornherein als Gerichtskosten zu postulieren, indem der Sachverständige mit der Bauteilöffnung beauftragt wird.  Kann die Partei damit nicht durchdringen, sollte jedenfalls im Falle eines Vergleichsschlusses, bei dem die Kosten gegeneinander aufgehoben werden, bezüglich der von der Partei getragenen Kosten für Bauteilöffnung aber auch -schließung geregelt werden, dass diese hälftig von der gegnerischen Partei getragen werden.

OLG Nürnberg, Beschluss vom 22.05.2020 - 2 W 1128/20 -

Freitag, 30. August 2019

Darlegungs- und Beweislast zur Wohnfläche bei einer Mieterhöhung und die (vergebliche) Hoffnung auf eine vom Gericht veranlasste gutachterliche Prüfung


Die Klägerin begehrte Mieterhöhung für ein von ihr 2010 vermietete Wohnung. Im Mietvertrag war keine Mietfläche benannt, lediglich der Mietzins mit € 8,63/qm und insgesamt mit netto € 798,62/Monat benannt; die Wohnungsgröße wurde von der Klägerin mit 92,54qm benannt. Amts- und Landgericht wiesen die Klage ab. Auf die zugelassene Revision wurde das Urteil des Landgerichts aufgehoben und der Rechtsstreit zurückverwiesen. Die Beklagte behauptete nunmehr eine Wohnfläche von 80,674qm. Auf Nachfrage wurde klägerseits mitgeteilt, keinen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Klärung der Größe der Wohnung stellen zu wollen. Die Berufung wurde neuerlich unter Zulassung der Revision zurückgewiesen. Die Revision wurde diesmal ebenfalls zurückgewiesen.

Die Beweislast für die in Ansatz zu bringende Wohnungsgröße läge bei der Klägerin als Vermieterin, die eine Mieterhöhung begehre. Den Beweis einer für den Erfolg der Klage maßgeblichen Wohnungsgröße von 92,54 qm habe die Klägerin allerdings nicht erbracht. Die Beklagte habe unter Vorlage von Messergebnissen der einzelnen Räume und einer sich hieraus ergebenden Wohnfläche von 80,674qm die klägerseits behauptete Größe der Wohnung substantiiert bestritten, weshalb es nunmehr Sache der Klägerin gewesen wäre, einen Beweis für die von ihr behauptete Größe der Wohnung anzutreten. Auf die Nachfrage des Berufungsgerichts an die anwaltlich vertretene Klägerin, ob sie ein Sachverständigengutachten zur Größe der Wohnung wolle, sei dies ausdrücklich verneint worden und auch kein anderes Beweismittel angeboten worden.

Der Vortrag der Beklagten in der widereröffneten Berufungsverhandlung nach Rückverweisung zur Wohnfläche sei nach §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO berücksichtigungsfähig, wobei allerdings selbst bei fehlerhafter Berücksichtigung neuen Tatsachenvortrags durch das Berufungsgericht dies im Rahmen einer Revision nicht erfolgreich eingewandt werden könne (BGH, Urteile vom 02.03.2005 - VIII ZR 174/04- und vom 06.12.2007 - III ZR 146/07 -).

Mit der Revision macht die Klägerin geltend, das Gericht habe auch gem. § 144 ZPO ohne Antrag des Beweispflichtigen ein Sachverständigengutachten zur Ermittlung der Wohnungsgröße einholen können. Das Landgericht habe aber nach Auffassung des BGH hier nicht gegen § 144 ZPO verstoßen. Die Anordnung zur Einholung eines Sachverständigengutachtens stünde im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts und damit könne vom BGH auch nur zur Ausübung des Ermessens geprüft werden. Zu beachten sei, dass die dem Gericht nach § 144 ZPO eröffnete Möglichkeit die Parteien nicht von deren Darlegungs- und Beweislast befreie.  Daher sei der Tatrichter, dem die erforderliche Sachkunde fehle und der davon Abstand nehmen wolle, von Amts wegen gemäß § 144 ZPO sachverständige Hilfe in Anspruch zu nehmen, grundsätzlich gehalten, die beweisbelastete Partei nach § 403 ZPO auf die Notwendigkeit eines Beweisantrags hinzuweisen (BGH, Urteil vom 24.06.2015 - IV ZR 181/14 -; vgl. aber auch BGH, Beschluss vom 12.03.2019 – VI ZR 278/18 -). Dies sei der im Zivilprozess geltenden Parteiherrschaft geschuldet.  Damit habe es zunächst der Klägerin bzw. ihrem Prozessbevollmächtigten oblegen zu klären, ob und welche Beweismittel angeboten werden, was insbesondere für ein mit höheren Kosten verbundenes Sachverständigengutachten gelte. Es sei daher nicht ermessenfehlerhaft, wenn nach einem Hinweis und einem offen ausgesprochenen entgegenstehenden Willen der beweisbelasteten Partei  der Tatrichter von einer Einholung des Gutachtens von Amts wegen absähe. Das Absehen sei damit begründet worden, dass die Klägerin der Auffassung sei, die Beklagte sei mit ihrem Vortrag zur Größe der Wohnung im Berufungsrechtszug nach der Zurückverweisung an das Landgericht ausgeschlossen, da der klägerische Vortrag im Rahmen der Klage erstinstanzlich nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gelte; damit habe die Klägerin zum Ausdruck gebracht, dass nach ihrer (im Ergebnis fehlerhaften) Auffassung eine Beweiserhebung entbehrlich sei. Bei dieser Konstellation habe auch nicht vom Gericht die anwaltlich vertretene Klägerin fragen müssen, ob diese bei einem entsprechenden Beweisbeschluss den Kostenvorschuss (§ 17 Abs. 3 GKG) zahlen würde.

Ebenso habe das Landgericht nach der Zurückverweisung nicht nach § 139 ZPO darauf hinweisen müssen, dass das durch die Zurückverweisung wiedereröffnete Berufungsverfahren durch das vorangegangene Urteil des BGH in keiner Weise vorgezeichnet sei und es keine Bindung des Berufungsgerichts gäbe, dass jetzt nur noch um die (im vorangegangenen Revisionsverfahren zur Aufhebung der landgerichtlichen Entscheidung führenden) sonstigen Voraussetzungen (also nicht die Größe der Wohnung) gehen würde. Es sei gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung, dass nach einer Zurückverweisung jedenfalls in den Grenzen des § 531 Abs. 2 ZPO neue Angriffs- und Verteidigungsmittel möglich seien. Dies unabhängig davon, dass hier auch die Klägerin unmissverständlich vom Berufungsgericht darauf hingewiesen worden sei, dass es gedenkt das neue Vorbringen der Beklagten zur Wohnungsgröße zu berücksichtigen und damit zu erkennen gegeben habe, dass es nicht gedenke, nur über die sonstigen Voraussetzungen des Erhöhungsbegehrens zu entscheiden.

BGH, Urteil vom 27.02.2019 - VIII ZR 255/17 -

Freitag, 21. Juni 2019

Beweismaß: Haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität nach §§ 286 und 287 ZPO bei Körperschäden aus demselben Schadensereignis


Der Kläger begehrte aus Anlass eines Verkehrsunfalls materiellen und immateriellen von den Beklagten. Vom Kläger wurde geltend gemacht, dass er bei dem Verkehrsunfall sich sowohl eine HWS-Distorsion wie auch eine Verletzung des linken Knies sowie eine Außenmeniskusläsion und eine Kreuzbandläsion zugezogen habe.

Das Berufungsgericht (OLG Frankfurt) hatte nach Einholung eines Sachverständigengutachtens einen Primärschaden in Form der HWS-Distorsion angenommen, die übrigen Verletzungsfolgen aber nicht. Dabei stützte sich das OLG darauf, dass es sich nach der Beweisaufnahme keine Überzeugung iSv. § 286 ZPO habe bilden können, dass die weiteren Verletzungen kausal auf dem Unfall beruhen. Der Kläger vertrat im Revisionsverfahren die Ansicht, es hätte hier das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO zugrunde gelegt werden müssen. Dem folgte der BGH nicht.

Es sei, so der BGH, bei der Kausalitätsprüfung zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Kausalität zu unterscheiden. Die haftungsbegründende Kausalität beträfe den Ursachenzusammenhang zwischen Verletzungshandlung und Rechtsgutsverletzung (also dem ersten Verletzungserfolg, sogen. Primärverletzung). Hier gelte das strenge Beweismaß des § 286 ZPO, welches die volle Überzeugung des Gerichts erfordere. Die haftungsausfüllende Kausalität beträfe den ursächlichen Zusammenhang zwischen der primären Rechtsgutsverletzung und hieraus resultierenden weiteren Verletzungen des Geschädigten (sogen. Sekundärverletzungen). Nur für diese Sekundärverletzungen greife das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO, wonach zur Überzeugungsbildung eine hinreichende bzw. überwiegende Wahrscheinlichkeit genüge (an der [missverständlichen] Formulierung im Beschluss vom 14.10.2008 - VI ZR 7/08 - würde ausdrücklich nicht mehr festgehalten).  

So sei auch in den Entscheidungen vom 11.01.1972 - VI ZR 46/71 - und vom 30.01.1973 - VI ZR 14/72 - entschieden worden. In dem Senatsurteil vom 11.01.1972 sei es um ein mit Gesundheitsschäden geborenes Kind gegangen, welches die Primärverletzung einer Schädigung der Leibesfrucht durch den Unfall der Mutter nach § 286 ZPO nachgewiesen habe, weshalb es bei der Frage, ob die Hirnschädigung Folgeschaden der Verletzung der Leibesfrucht war,  nach § 287 ZPO zu prüfen gewesen sei. Im Fall des Urteils vom 30.01.1973, bei dem der durch einen von ihm verursachten Verkehrsunfall schwer verletzt auf der Fahrbahn liegende Geschädigte von einem Bus überrollt wurde und zusätzlich schwer verletzt wurde, hätten sich die zusätzlichen Auswirkungen der durch das Überrollen entstandenen Verletzungen, zumindest im Hinblick auf eine Mitursächlichkeit für den Tod des Geschädigten, nach § 287 ZPO beurteilt.

Der (hilfsweise) Angriff des Klägers gegen die Entscheidung des OLG, mit denen eine verfahrensfehlerhafte Anwendung des § 287 ZPO für die Knieverletzung geltend gemacht wurde, sei nicht begründet. Das OLG habe sich nach der entscheidenden und nicht gegen Denksätze und Erfahrungssätze verstoßenden Begründung des Urteils auf der Grundlage des Gutachtens keine Überzeugung dahingehend bilden können, dass die im Röntgenbefund und MRT-Befund festgestellte krankhafte Veränderung des (vorarthroskopierten) Kniegelenks, bei dem nach Angaben des Sachverständigen bereits erhebliche degenerative Vorschäden vorgelegen haben, auf eine unfallbedingte Verletzung zurückzuführen sei.

Die Anschlussrevision der Beklagten hatte Erfolg und führte insoweit zur Aufhebung und Zurückverweisung des Verfahrens an das OLG. Das OLG ging von einer leichtgradigen HWS-Distorsion als Primärverletzung aus. Zwar sei die Beweiswürdigung grundsätzlich Sache des Tatrichters, doch sei im Revisionsverfahren zu prüfe, ob dieser sich mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt habe. Dies nahm der BGH vorliegend nicht an. Die Überzeugungsbildung des Berufungsgerichts fände weder im Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen noch in sonstigen Feststellungen eine Grundlage. Der Sachverständige habe lediglich ausgeführt, ein HWS-Beschleunigungstrauma sei „möglich“, soweit überhaupt in einem noch einzuholenden unfallanalytischen Gutachten eine Relevanz des Unfallereignisses angenommen würde. Damit aber hätte hier das OLG zur Überzeugungsbildung iSv. § 286 ZPO nicht auf die Einholung eines unfallanalytischen Gutachtens verzichten dürfen, da diese für die abschließende medizinische Begutachtung erforderliche war.  Das Ergebnis, ob die HWS-Distorsion kausal auf dem Unfall beruhe, wäre damit offen geblieben. Auch die Feststellung, es habe sich um einen „vergleichsweise heftigen Seitenaufprall“ gehandelt, habe das technische Gutachten nicht entbehrlich gemacht. Das Gericht dürfe auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur verzichten, wenn es eigene Sachkunde besitze, worüber die Parteien zuvor in Kenntnis zu setzen seien. Auch habe sich das OLG nicht allein auf die Befunde und Diagnosen der erstbehandelnden Ärzte stützen dürfen, da diese als Indizien lediglich einen eingeschränkten Beweiswert hätten und grundsätzlich nicht eine beantragte Einholung eines fachmedizinischen Sachverständigengutachtens durch das Gericht ersetzen könnten. Der behandelnde Arzt handele nicht als Gutachter, sondern als Therapeut, für den die Notwendigkeit einer Therapie im Mittelpunkt stünde, während die Benennung der Diagnose als solche für ihn zunächst von untergeordneter Bedeutung sei. Insoweit habe auch der gerichtliche bestellte medizinische Sachverständige zu den Befunden und Diagnosen ausgeführt, dass diese zwar prinzipiell für eine leichtgradige HWS-Beschleunigungsverletzung sprächen, dafür aber nicht charakteristisch seien. Auch die Verordnung von Schmerzmitteln sei kein Beleg, da nicht festgestellt worden sei, ob diese wegen einer HWS-Distorsion oder wegen Schmerzen im Knie verabreicht worden wären.

BGH, Urteil vom 29.01.2019 - VI ZR 113/17 -

Sonntag, 3. März 2019

Mieterhöhungsbegehren mittels Sachverständigengutachten – ohne Besichtigung der Wohnung


Mieterhöhungen müssen begründet werden, wobei auf Mietspiegel (§§ 558c und 558d BGB), Auskunft einer Mietdatenbank iSv. § 558e BGB, Benennung von Entgelten dreier vergleichbarer Wohnungen oder ein mit Gründen versehenes Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen abgestellt werden kann, § 558 Abs. 2 BGB. Häufig bleibt dem Vermieter keine andere Möglichkeit, als ein Gutachten einzuholen, da Mietspiegel und Mietdatenbank (im gesetzlichen Sinne) nicht bestehen und ihm Vergleichswohnungen nicht bekannt sind. Vorliegend war streitig, ob das von der klagenden Vermieterin eingeholte Gutachten den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Amts- und Landgericht verneinten dies; die vom Landgericht zugelassene Revision führte zur Aufhebung des klageabweisenden Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht.

Der Sachverständige hatte die streitbefangene Wohnung nicht besichtigt. Darin sahen die Vorinstanzen einen Formmangel des Gutachtens. Dem folgte der BGH nicht.

Die Formulierung in § 558 Abs. 2 Nr. 3 BGB, „ein mit Gründen versehenes Gutachten“, bedeute, dass dem Mieter im Interesse einer außergerichtlichen Einigung die Tatsachen mitgeteilt werden müssten, die er zur Prüfung des Begehrens benötige; es diene nicht dazu, bereits den Nachweis der ortsüblichen Vergleichsmiete zu erbringen oder dem Mieter ein Prozessrisiko abzunehmen. Damit reiche es aus, wenn das Gutachten Tatsachen enthalte, aus denen die geforderte Mieterhöhung hergeleitet würde und die der Mieter ansatzweise selbst prüfen könne. Das aber erfordere nicht notwendig, dass der Sachverständige vorher die Wohnung (oder eine typengleiche Wohnung) selbst besichtige. Entscheidend für die Überprüfbarkeit durch den Mieter sei, welche Angaben im Gutachten zu der konkreten (oder vergleichbaren) Wohnung enthalten sind, unabhängig davon, auf welchen Weg der Sachverständige diese Erkenntnisse gewonnen hat. Die Quelle der Sachkunde mag zwar für die Beurteilung der Qualität bedeutsam sein, sei jedoch nicht formal bedeutsam. Auch aus vom Bundesjustizministerium herausgegebenen Hinweisen für derartige Gutachten (nach § 2 Abs. 2 MHG), wonach der Sachverständige grundsätzlich die Wohnung vorher besichtigen soll, ergäbe sich nichts anderes. Damit würde keine formalisierte Verfahrensvoraussetzung geschaffen, die im Falle der Nichtbeachtung zur Unwirksamkeit führe; der Hinweis solle lediglich Maßnahmen darstellen, die geeignet seien, unnötige Prozesse zu vermeiden und eine außergerichtliche Einigungsbereitschaft des Mieters zu fördern. (Anmerkung: Wenn der Vermieter veranlasst ist, für eine Mieterhöhung (nicht eventuell eine Vielzahl von Mieterhöhungen in einem Hochhaus o.ä.) ein Gutachten einzuholen, wird schon der Vermieter selten bereit sein, sich in Ansehung der von ihm zu tragenden Kosten des Gutachtens auf die regelmäßig im Verhältnis zu den Kosten geringe Erhöhung des Mietzinses auf einen geringeren Mietzins als vom sachverständigen unter Berücksichtigung der Kappungsgrenze einzulassen).

Auch etwaige Mängel des Gutachtens würden nicht zur formellen Unwirksamkeit des Gutachtens und damit zur Unzulässigkeit der  von der Vermieterin erhobenen Zustimmungsklage führen.

So habe der Sachverständige vorliegend im Gutachten keine Angabe zum Vorhandensein oder Fehlen  von Balkonen und zur Geschosshöhe gemacht. Dies begründete er damit, dass es sich dabei nicht um mietrelevante Ausstattungsmerkmale handele. Sofern diese Merkmale doch für die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete relevant seien, läge allenfalls ein inhaltlicher Fehler des Gutachtens vor, der aber die formelle Wirksamkeit desselben und damit die Zulässigkeit der Klage berühre.

BGH, Urteil vom 11.07.2018 - VIII ZR 190/17 -

Dienstag, 5. Februar 2019

Haftung des gerichtlich bestellten Sachverständigen für ein fehlerhaftes Gutachten, § 839a BGB


Der Kläger machte Schadensersatzansprüche und Schmerzensgeld auf Grund eines seiner Meinung nach falschen aussagepsychologischen Gutachtens, eingeholt in einem Strafverfahren wegen sexuellen Missbrauchs seiner damaligen Pflegetochter, gegen den Beklagten geltend, der im Auftrag des Strafgerichts das Gutachten erstellt hatte. Das Landgericht sprach dem Kläger ein Schmerzensgeld von € 50.000,00 zu und gab den Feststellungsanträgen zu künftigen und weiteren Schäden statt. Auf die Berufung beider Parteien erhöhte das OLG das Schmerzensgeld auf € 60.000,00 und wies im Übrigen beide Berufungen zurück. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten zum BGH wurde von diesem zurückgewiesen.

Der BGH sah keine Rechtsfehler in der Feststellung der Vorgerichte darin, dass das Gutachten des Beklagten unrichtig gewesen sei. Die dagegen erhobenen Rügen würden nicht durchgreifen. Zum Schadensersatzanspruch setzte sich der BGH damit auseinander, dass zur Begründung eines solchen (bei unrichtigem Gutachten) das Gutachten ursächlich oder mitursächlich für die Entscheidung geworden sein müsse (Gesetzeswortlaut: „beruhen auf), also eine haftungsbegründende Kausalität gegeben sein müsse, und ferner der Schaden durch die von dem unrichtigen Gutachten beeinflusste Gerichtsentscheidung herbeigeführt worden sein müsse, also  eine haftungsausfüllende Kausalität feststeht. Beides sei hier der Fall.

Für die haftungsbegründende Kausalität verwies der BGH darauf, dass sich die Jugendkammer bei der Verurteilung des Klägers ausdrücklich auf das Gutachten gestützt habe.

Die haftungsausfüllende Kausalität sah der BGH ebenfalls nach den Ausführungen des OLG als gegeben an. Ausschlaggebend sei nach Ansicht des OLG, wie im Ausgangsprozess bei Vorlage eines richtigen Gutachtens entschieden worden wäre. Dieser vom OLG gewählte Ansatz sei zutreffend. So habe der Senat bereits in seinem Urteil vom 11.03.2010 - III ZR 1254/09 - zugrunde gelegt, dass, wenn es auf die Frage der Ursächlichkeit einer Amtspflichtverletzung (§ 839 BGB) für den eingetretenen Schaden darauf ankäme, wie die Entscheidung ausgefallen wäre, darauf abzustellen sei, wie mach Ansicht des über den Schadensersatz erkennenden Gerichts richtigerweise hätte entschieden werden müssen. § 839a BGB, der die Haftung des gerichtlich bestellten Sachverständigen betrifft, sei an § 839 BGB angelehnt, weshalb hier nichts anderes gelten könne.

BGH, Beschluss vom 30.08.2018 - III ZR 363/17 -

Dienstag, 24. Juli 2018

Rechtliches Gehör: Nichteinholung eines angebotenen Sachverständigengutachtens


Die Klägerin machte gegen den Beklagten nach kierferchirugischer und zahnärztlicher Behandlung Schadensersatz einschl. Schmerzensgeld und im Rahmen eines Feststellungsantrages  einen möglichen Zukunftsschaden geltend. Land- und Oberlandesgericht wiesen die Klage ab. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies den Rechtsstreit an das OLG zurück.

Die Klägerin hatte geltend u.a. gemacht, sie sie nicht genügend aufgeklärt worden- Mit den verwandten Implantaten sei sie nicht einverstanden gewesen und sie sei fehlerhaft behandelt worden, die Konstruktion sei zu schwer gewesen, weshalb sie sich immer wieder gelockert habe und herausgefallen sei.

Die Klägerin hatte dezidiert unter Beweisangebot auf Einholung eines Sachverständigengutachtens vorgetragen. Das OLG habe ausgeführt, die Ursache für das Herausfallen der Brücke könne nicht mehr festgestellt werden und der Umstand, dass nach einem Neuaufbau der Brücke diese nicht mehr herausfalle rechtfertige nicht die Annahme eines Behandlungsfehlers. Auch wenn das Modell der Brücke noch vorhanden sei, sei eine Überprüfung nicht mehr möglich. Es sei „gerichtsbekannt und durch den Senat als Fachsenat schon mehrfach durch Sachverständigengutachten festgestellt worden, dass bereits kurze Zeit nach Veränderung der Gebisssituation eine Überprüfung nicht mehr möglich sei“.  Es wäre Sache der Klägerin gewesen, vor Anfertigung einer neuen Brücke eine Beweissicherung des vorhandenen Zustandes vorzunehmen.

Das OLG habe Art und Umfang des von der Klägerin behaupteten Fehlers sowie die für ein Sachverständigengutachtens zur Verfügung stehenden Anknüpfungstatsachen allenfalls unzureichend zur Kenntnis genommen, jedenfalls nicht berücksichtigt. Damit läge eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vor, da auf Umstände von zentraler Bedeutung nicht eingegangen worden sei. So sei nicht berücksichtigt worden, dass die Klägerin geltend gemacht habe, dass das gesamte Behandlungskonzept in seiner Grundlage fehlerhaft gewesen sei, insbesondere da die Implantate die verwendeten Aufbauten nicht hätten tragen können. Zudem sei nicht nur das Modell der Oberkieferprothese noch vorhanden, sondern auch Fotos von der vom Beklagten verwandten Zahnersatzkonstruktion.

Als schwerwiegend sah es der BGH an, dass das OLG keine eigene Sachkunde ausgewiesen (also dargelegt) habe und darüber hinaus auch die Klägerin nicht darauf hingewiesen habe, dass es das beantragte Sachverständigengutachten aufgrund eigener Sachkunde für ungeeignet halte.

Aus den Urteilsgründen ergäbe sich fehlerhaft auch nicht, weshalb das OLG die Ansicht vertritt, nachträglich ließe sich ein Sachverständigengutachtens zu den Streitfragen nicht mehr erstellen.

BGH, Beschluss vom 09.01.2018 - VI ZR 106/17 -

Donnerstag, 4. Mai 2017

Keine Kostenerstattung für Privatgutachten für „Sachkundigen“ in einem Prozess

Zur Unterstützung des eigenen Sachvortrages (z.B. in Bezug auf eine fachspezifische Marterie) oder zur Stellungnahme auf ein (für die Partei negatives), vom Gericht eingeholtes Sachverständigengutachten werden häufig von den Parteien Gutachten zur Stützung der eigenen Ansicht eingeholt. Holt eine Partei ein Privatgutachten ein, so kommt es auch vor, dass die andere Partei ebenfalls ein Gutachten einholt. Muss aber die im Rechtsstreit unterlegende Partei nach § 91 ZPO stets die so bei der anderen Partei entstandenen Gutachterkosten tragen ? Die Rechtsprechung dazu ist beinahe unübersichtlich. Nunmehr  hat der BGH zu einem Fall Stellung bezogen, in dem ein Bauunternehmer in Ansehung eines von der Beklagten vorgelegten Privatgutachten auch ein solches einholte. Diese dem klagenden. Bauunternehmen entstandenen Kosten wurden als nicht erstattungsfähig behandelt.

Die Beklagten hatten im Laufe des Verfahrens zwei von ihnen vorgerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten zu Mängeln und fehlenden Ausführungsarbeiten vorgelegt. Das klagende Bauunternehmen beauftragte daraufhin selbst einen Sachverständigen, um dieses den Privatgutachten der Beklagten entgegenzuhalten. Der Rechtspfleger hatte die dem Bauunternehmen entstandenen Kosten bei der Kostenfestsetzung berücksichtigt. Die Beschwerde der Beklagten dagegen war erfolgreich. Das zugelassene Rechtsbeschwerdeverfahren des klagenden Bauunternehmens blieb erfolglos.

Der BGH folgt dem Beschwerdegericht in dessen Ansicht, dass grundsätzlich die Kosten von Privatgutachten nicht erstattungsfähig sind. Lediglich dann, wenn sie sachbezogen wären und die eigene Sachkunde der Partei nicht ausreiche, ihrer Darlegungslast zu genügen, einen gebotenen Beweisantrag zu stellen oder Angriffe des Gegners abzuwehren, könne eine Erstattungsfähigkeit im Einzelfall angenommen werden.

Vorliegend käme es nicht darauf an, ob das vom Bauunternehmen vorgelegte Gutachten als gewichtig anzusehen wären. Dies selbst dann nicht, wenn das Gutachten die Rechtsposition des klagenden Bauunternehmens im Rechtstreit positiv beeinflusst haben sollte, da die Frage der Erstattungsfähigkeit nicht damit verbunden sei, ob es den Rechtsstreit beeinflusst habe. Entscheidend sei, ob die Partei die Einholung eines Gutachtens zum Zeitpunkt der Einholung und der Kosten dafür als sachdienlich ansehen durfte und ob die Partei selbst in der Lage gewesen wäre, auch ohne Gutachten substantiiert Stellung zu nehmen. Die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Frage, dass ein Gutachten bei Gericht als gewichtiger angesehen würde als Parteivortrag, sei zu verneinen; das Gericht sei verpflichtet, Sachvortrag (egal ob Parteivortrag oder durch Gutachten unterstützten Parteivortrag) zur Kenntnis zu nehmen und zu berücksichtigen.

Das klagende Bauunternehmen könne sich hier nicht auf eine „Waffengleichheit“ berufen, da das klagende Bauunternehmen aus eigener Sachkunde und ohne Hilfe eines Sachverständigen in der Lage sei, zu den streitigen Punkten Stellung zu nehmen und so die Privatgutachten der Beklagten hätte widerlegen können.


Anmerkung: Die Entscheidung des BGH wurde kritisiert, da Gerichte (was sicherlich zutreffend ist) regelmäßig mehr Gewicht auf ein vorgelegtes Sachverständigengutachten als auf Parteivortrag legt. Da aber nach Art. 103 GG auch die Gegenargumente zu hören und zu beachten sind, hat es eventuell selbst ein Gutachten einzuholen. Ob gegen eine darauf beruhende Bewertung, die negativ für die sachkundige Partei ausgeht, diese mit einem eigenen Gutachten ihre Berufung stützen kann, stand nicht zur Entscheidung. Dogmatisch richtig ist, dass grundsätzlich der Sachkundige, anders als der Laie, die Grundlagen kennt und selbst beurteilen kann.

BGH, Beschluss vom 01.02.2017 – VII ZB 18/14 -

Mittwoch, 13. April 2016

Mieterhöhung auf Gutachtenbasis, § 558a Abs. 2 Nr. 3 BGB

Der Vermieter hat verschiedene Möglichkeiten, eine beabsichtigte Mieterhöhung zu begründen. Eine davon ist die Berufung auf ein Sachverständigengutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen, welches er in Auftrag gibt und dem Mieter überlässt, § 558a Abs. 2 Nr. 3 BGB (Hinweis: Die Kostend es Gutachtens trägt alleine der Vermieter).  Doch was muss dieses Gutachten beinhalten ?

Grundlegend ist der Zweck des Gutachtens zu beachten. Der Mieter muss an Hand des Gutachtens die Berechtigung des Mieterhöhungsbegehrens jedenfalls ansatzweise selbst überprüfen können. Damit müsse, so der BGH, im Gutachten vom Sachverständigen eine Aussage über die tatsächliche ortsübliche Vergleichsmiete gemacht werden, wobei die betroffene Wohnung in das örtliche Preisgefüge einzuordnen ist. Das Gutachten muss allerdings keine Darstellung der Entwicklung des Mietzinses enthalten; deutlich würde dies durch die Regelung des § 558a Abs. 2 Nr. 4 BGB, wonach die Benennung von drei Vergleichswohnungen ausreicht. Ausdrücklich führt der BGH aus, die Begründung des Mieterhöhungsverlangens diene nicht dazu, dem Mieter ein etwaiges Prozessrisiko abzunehmen  sondern lediglich dazu, dass e der Berechtigung nachgehen und dieses ansatzweise nachvollziehen kann.

Nach Auffassung des BGH soll der sachverständige in dem Gutachten auch nicht offenbaren müssen, welche Musterwohnung gleichen Typs er besichtigt hat noch müsse er die herangezogenen Vergleichswohnungen identifizierbar angeben. Es reicht mithin die abstrakte Berechnung und Einordnung.

Anmerkung: Die Entscheidung erging zu einem vom Vermieter beauftragten Gutachten, mit dem der Vermieter eine Mieterhöhung durchsetzen will. Holt das Gericht dann ein Gutachten zur Feststellung der ortsüblichen Miete ein, ist allerdings nach einem Beschluss des BVerfG vom 11.10.1994 – 1 BvR 1398/93 – die exakte Angabe der einbezogenen Wohnungen mit Namen der einzelnen Wohnungen, deren Anschriften, Ausstattung/Beschaffenheit  und Mietzins erforderlich.


BGH, Urteil vom 03.02.2016 – VIII ZR 69/15 -

Dienstag, 17. September 2013

Schadensersatz: Abzug bei Lohnkosten bei fiktiver Abrechnung

Wer einen Verkehrsunfall hatte kann wählen: Er rechnet die Reparaturkosten für sein Fahrzeug aufgrund einer Reparaturkostenrechnung (also konkret) ab, oder er rechnet aufgrund eines Kostenvoranschlags oder Sachverständigengutachtens fiktiv ab. Wählt er die fiktive Abrechnung bestimmt § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB, dass die Umsatzsteuer nicht erstattungsfähig ist. Das AG Gummersbach hat in einem Urteil vom 15.05.2012 - 11 C 49/12 - auch einen Abzug von 10% der mutmaßlichen Reparaturkosten für Sozialabgaben und Lohnnebenkosten bei den Lohnkosten angenommen. Es begründet dies damit, dass es sich bei diesen ähnlich der Umsatzsteuer lediglich um Durchlaufposten handeln würde.
AG Gummersbach, Urteil vom 15.05.2012 - 11 C 49/12 -
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