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Donnerstag, 10. Februar 2022

Anwaltliche Pflichten bei Vergleichsabschluss und Auslegung eines gerichtlichen Vergleichs

Der Versicherungsnehmer der Klägerin, einer privaten Krankenversicherung, nahm eine Ärztin in einem Arzthaftungsprozess wegen eines angeblichen Aufklärungsfehlers in Anspruch. Die Beklagten hatten ihn anwaltlich vertreten. Ihm wurde ein Schmerzensgeld von € 200.000,00 zugesprochen und die Klage im Übrigen festgestellt, dass alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden von der Ärztin zu tragen sind, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder übergehen. Nach Rechtskraft schlossen die Ärztin und der Versicherungsnehmer einen Vergleich, nach dem die Ärztin dem Versicherungsnehmer zur Abgeltung Ansprüche, aller ob bekannt oder unbekannt pp., mit Ausnahme von übergegangenen Ansprüchen auf Dritte, gegen Zahlung von € 580.000,00 erledigt sind.

Die Klägerin macht geltend, sie habe nach Vergleichsschluss Aufwendungen für Behandlungskosten des Versicherungsnehmers gehabt, die sie aufgrund des abgeschlossenen Vergleichs nicht von der Ärztin ersetzt verlangen könne. Es sei von den Beklagten verabsäumt worden, einen Vorbehalt für künftig übergehende Forderungen zu machen. Das Landgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin gab ihr das OLG statt. Auf die Revision wurde das Urteil des OLG aufheben und das klageabweisende Urteil des Landgerichts wiederhergestellt.

Vom Grundsatz her bejaht der BGH eine Pflichtwidrigkeit der Beklagten bei deren Vertretung des Versicherungsnehmers. Doch sei dadurch kein Schaden verursacht worden. Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Anspruch des Versicherungsnehmers der Klägerin auf Ersatz der Heilbehandlungskosten sei durch den Vergleich abgegolten worden, sei verfehlt.

Der Wortlaut des Vergleichs beziehe sich auf alle Ansprüche des Versicherungsnehmers, soweit sie nicht auf Dritte übergegangen seien, abgegolten und erledigt, ob bekannt oder unbekannt, gegenwärtig oder zukünftig, materiell oder immateriell. Er beziehe sich auf Ansprüche des Versicherungsnehmers, die diesem zustünden und nicht auf Ditte übergangen seien. Erfasst würden auch Ansprüche des Versicherungsnehmers, die zukünftig auf Dritte übergehen würden. Auch seien Aufwendungen des Versicherungsnehmers für Heilbehandlungskosten erfasst, die kausal dem Versicherungsnehmer entstanden seien und nicht auf Dritte übergegangen seien oder noch entstehen würden.

Hier setzte die Überlegung des BGH für die Annahme einer Pflichtwidrigkeit an:

Es ergäben sich Zweifel an einem solche weitreichenden Regelungsinhalt des Vergleich, da der Versicherungsnehmer selbst keine Behandlungskosten mit der Klage geltend gemacht habe, lediglich Zuzahlungen, die nicht von der Klägerin erstattet wurden. Sinn und Zweck des Vergleichs sei die Beendigung des Rechtstreits gewesen, weshalb sich eine Auslegungsbedürftigkeit des nach dem Wortlaut umfassenden Vergleichs.

Es sei zudem zu berücksichtigen, dass nach dem erstinstanzlichen Grund- und Teilurteil eine Verpflichtung der Ärztin festgestellt wurde, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen seien oder übergehen würden, demgegenüber im Vergleich die Ansprüche ausgenommen wurden, die auf Dritte übergegangen seien.

Da die Reichweite der Abgeltungsklausel nicht ausreichend klar formuliert sei, begründe die Verletzung der dem Versicherungsnehmer gegenüber obliegenden Pflicht des Beklagten zur Gewährleistung eines unmissverständlichen Vergleichsabschlusses. Er habe die Aufgabe gehabt, Auslegungszweifel und damit Rechtstreitigkeiten zu vermeiden. Dieses Auslegungsrisiko habe sich hier verwirklicht. Der Beklagte habe berücksichtigen müssen, dass ein Forderungsübergang auf den privaten Krankenversicherer nach § 67 VVG a.F. (heute: § 86 VVG) nicht beeinträchtigt wird, da nach § 11 der Musterbedingungen für die private Krankenversicherung der Versicherungsnehmer verpflichtet sei, Ansprüche gegen Dritte an den Versicherer abzutreten; diese Verpflichtung des Vertretenen Versicherungsnehmers habe er beachten und wahren müssen. (Anm.: Dies hat nichts damit zu tun, dass der Versicherungsnehmer vor einem Schadensfall für den Fall eines solchen den potentiellen Schädiger von einer Haftung im zulässigen Umfang von einer Haftung befreien kann und damit auch Ansprüche des [privaten sowie gesetzlichen] Krankenversicherers aus übergegangenen Recht nicht geltend gemacht werden können). 

Allerdings sei der Klägerin kein Schaden entstanden, da nach der Auslegung des Vergleichs deren Ansprüche nicht tangiert worden seien. 

Vorliegend sei die Auslegung des OLG, nach dem eindeutigen Wortlaut des Vergleichs sei auch auf Ansprüche verzichtet worden, soweit sie nicht bereits auf Dritte übergegangen seien, nicht wortsinnwidrig, berücksichtige aber nicht hinreichend den festgestellten Sachverhalt und den übereinstimmenden Willen der Parteien und verstoße auch gegen das Gebot der nach beiden Seiten interessensgerechten Auslegung.

Heilbehandlungskosten, mit Ausnahme der Selbstbeteiligung des Versicherungsnehmers, seien nicht Gegenstand des Rechtsstreits gewesen. Nach der Rechtskraft des Grund- und Teilurteils habe der Versicherungsnehmer seinen Schaden mit rund € 660.000,00 beziffert, ohne Heilbehandlungskosten zu berücksichtigen. Danach wurde der Vergleich geschlossen. Es läge unter diesen Umständen fern, dass auch Ansprüche auf Erstattung künftiger Heilbehandlungskosten abgegolten sein sollten. Zwar gebe es, wie das OLG zutreffend ausgeführt habe, keinen Erfahrungssatz noch eine Vermutung, dass sich ein Vergleich immer im Rahmen der streitgegenständlichen Ansprüche halte. Der Regelungsinhalt könne individuell gestaltet werden. Aber es gäbe auch keinen Erfahrungssatz oder eine Vermutung, dass mit einem Vergleich immer alle denkbaren Ansprüche abschließend geregelt werden sollen. 

Das OLG habe den Regelungswillen der Parteien des Arzthaftungsprozesses verkannt. Sowohl Klageantrag als auch Urteilstenor im Vorprozess hätten Ansprüche, die auf Sozialversicherungsträger übergehen würden, ausgenommen worden seien. Es habe festgestellt, dass die Parteien des Arzthaftungsprozesses darin übereinstimmen würden, dass über den Wortlaut hinaus auch Ansprüche ausgenommen sein sollten, die auf die Klägerin als private Krankenversicherung zukünftig übergehen würden. Dass die Parteien bei Abschluss des Vergleichs ein hiervon abweichendes Verständnis gehabt haben sollten sei vom OLG nicht festgestellt worden.  Bestehe ein übereinstimmender Wille, sei es auch im Rahmen des § 133 BGB dieser rechtlich auch dann maßgeblich, wenn er in dem Inhalt der Erklärung keinen oder einen nur unvollkommenen Ausdruck gefunden habe. Das Gewollte habe Vorrang vor einer irrtümlichen oder absichtlichen Falschbezeichnung (BGH, Urteil vom 07.12.2001 – V ZR 65/01 -).

Zudem habe das OLG die Interessenslage nicht hinreichend berücksichtigt. Diese fordere, dass im Zweifel der Auslegung der Vorzug zu geben sei, die zu einem vernünftigen, widerspruchsfreien und den Interessen beider Vertragsparteien gerecht werdenden Ergebnis führe. Hier habe das OLG lediglich das Interesse des Schädigers, alle Ansprüche abzugelten, berücksichtigt. Somit wäre zu berücksichtigen gewesen, dass der Versicherungsnehmer mit Abschluss des Vergleichs nicht über die rechtshängig gemachten Ansprüche hinausgehen wollte, wie sie auch vom OLG selbst festgehalten worden seien. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass er seine vertraglichen Obliegenheiten gegenüber seinem privaten Krankenversicherer habe verletzen wollen. Da nach den Feststellungen des OLG mit dem Feststellungsantrag und dem Teil- und Grundurteil in dem Arthaftungsprozess jeweils ein Vorbehalt aufgenommen war, der nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien auch die die künftig auf den privaten Krankenversicherer übergehenden Ansprüche ausnehmen sollte, wäre vom Versicherungsnehmer mit dem Vergleich nicht beabsichtigt worden, die auszunehmenden Ansprüche der Abgeltungsregelung dem Vergleich zu unterwerfen.

BGH, Urteil vom 16.12.2021 - IX ZR 223/20 -

Dienstag, 17. Januar 2017

Private Krankenversicherung: Aufrechnung mit Beitragsforderungen bei Notlagentarif gem. § 193 Abs. 6 VVG

Der Kläger unterhielt bei der beklagten privaten Krankenversicherung zunächst eine Versicherung zum Volltarif. Ab dem 01.03.2013 wurde diese in den Notlagentarif gem. §§ 193 Abs. 7 VVG, 12 h VAG a.F. umgestellt. Mit Bescheid vom 28.07.2014 bewilligte er Sozialhilfeträger rückwirkend ab 24.03.2014 Leistungen nach dem SGB XII und der Kläger ist seit dem 01.08.2014 im Basistarif versichert. Im Februar und Mai 2014 musste sich der Kläger Krankenhausbehandlungen unterziehen.  Die Beklagte erkannte ihre Erstattungspflicht aus den diesbezüglichen Rechnungen über insgesamt € 9.911,92 an und nahm eine Verrechnung in entsprechender Höhe mit rückständigen Beiträge vor. Die Klage auf Auszahlung der Rechnungsbeträge wurde zurückgewiesen.

Das OLG sah in der Verrechnung rechtstechnisch eine Aufrechnung, die zulässig gewesen sei.

Es wies in den Entscheidungsgründen darauf hin, dass die Zulässigkeit der Aufrechnung strittig sei. Dies betreffe sowohl den Notfall- als auch den Basistarif (wobei es allerdings Rechtsprechung nur zum Basistarif gäbe, nicht zu dem erst 01.08.2013 eingeführten Notfalltarif. Nach Darlegung der Meinung in der Literatur führt das OLG aus, dass es die Aufrechnung auch im Notlagentarif für statthaft halte. Ein gesetzliches Verbot der Aufrechnung bestünde im Bereich der privaten Krankenversicherung nicht. Vielmehr sähen §§ 394 S. 2 BGB und 35 VVG ausdrücklich die Aufrechnungsmöglichkeit vor. Bei der Einführung des Notlagentarifs habe der Gesetzgeber auch ein Aufrechnungsverbot nicht normiert. Dieses sei aber erforderlich, um eine Aufrechnung durch den privaten Krankenversicherer auszuschließen. Aus den bestehenden Regelungen zum Notlagentarif, auch in Abgrenzung zu den Regelungen des Basistarifs, ließe sich ein solches nicht herleiten. Ebenso findet sich in der Gesetzesbegründung kein Anhaltspunkt der darauf schließen ließe, dass überhaupt eine Erörterung dieser Frage stattgefunden hätte. Eine Anmerkung in einer Antwort der Bundesregierung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens in BT-Drucks. 16/13892, S. 33 (die Materialien des Gesetzes findet sich in BT-Drucks. 17/402 und 17/13947) ließe sich allenfalls als eine Rechtsansicht oder Absichtserklärung verstehen, die dann nicht umgesetzt worden sei.

Ebenso ließe sich nicht aus Sinn und Zweck der Regelung ein Aufrechnungsverbot erschließen. § 193 Abs. 4 S. 5 VVG sei von Gesetzes wegen kein Tarif für Hilfsbedürftige, da ein Hilfsbedürftiger gar nicht erst in diesen Tarif käme; es würde sich um einen Tarif für den nicht hilfsbedürftigen säumigen Beitragsschuldner handeln. Dieser sei aber weder schutzwürdig noch schutzbedürftig. Schutzbedürftig könne nur der Hilfsbedürftige sein, der er aber nicht ist. Zwar suggeriere der vom Gesetzgeber verwandte Terminus „Notlagentarif“ , dass sich der Versicherungsnehmer in einer wirtschaftlichen Notlage befinde. Die Ausgestaltung zeige allerdings, dass der Tarif lediglich dem Umstand Rechnung trägt, dass der Versicherungsnehmer nicht die geschuldeten Beiträge zahlt, und zwar unabhängig von dem Grund. Damit handele es sich in der Sache um einen „Nichtzahlertarif“.

Ein Vergleich mit dem Basistarif (bei dem die Aufrechnung in der Rechtsprechung umstritten ist, ohne dass es eine höchstrichterliche Entscheidung dazu gibt) würde hier ein Aufrechnungsverbot auch nicht rechtfertigen können. Es fehle an der Vergleichbarkeit. Dort würde geregelt, dass dem Leistungserbringer ein Direktanspruch gegen den privaten Krankenversicherer zusteht.

Der Versicherungsvertrag ruht bei Beitragsrückstand; in diesem Fall gilt der Notlagentarif nach § 193 Abs. 6 VVG.


OLG Jena, Urteil vom 04.08.2016 – 4 U 756/15 -