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Sonntag, 24. September 2023

Neu- oder Fortsetzungserkrankung - zur Darlegungslast des Arbeitnehmers

Die Parteien stritten um eine Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber (Beklagte) im Krankheitsfall, § 3 Abs. 1 EFZG. Dabei machte der Kläger 10 Arbeitstage aus einem Zeitraum vom 18.08. bis 23.09.2020 geltend, für die er jeweils eine Erstbescheinigung vorgelegt hatte und vortrug, welche ICD-10-Codes mit welchen korrespondierenden Diagnosen oder Symptomen in den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU-Bescheinigungen) aufgeführt seien. Es lagen krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeiten in 2019 ab dem 24.08.2019 an 68 Arbeitstagen und in 2020 bis zum 18.08.2920 an 42 Arbeitstagen vor. Zu etwaigen Vorerkrankungen machte der Kläger Angaben zur Arbeitsunfähigkeitszeiten, die nach seiner Einschätzung auf denselben ICD-10-Code. Diagnosen und Symptomen beruhen würden und meinte, aus Datenschutzgründen sei er nicht verpflichtet, sämtliche Erkrankungen aus der vorhergehenden Zeit zu benennen, da nicht dieselbe Erkrankung iSv. § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG vorliegen könne. Es sei für keine Erkrankung aus dem streitgegenständlichen Zeitraum der Sechs-Wochen-Zeitraum des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG ausgeschöpft. Die Beklagte, die bis zum 18.08.2020 Entgeltfortzahlung geleistet hatte, ging davon aus, dass es sich bei den Erkrankungen im streitbefangenen Zeitraum um nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG berücksichtigungsfähige Vorerkrankungen handele, weshalb keine Verpflichtung zur weiteren Entgeltfortzahlung bestünde. Das Landgericht gab der Klage statt; das Landesarbeitsgericht änderte das Urteil ab und wies die Klage zurück. Die zugelassene Revision wurde vom BAG zurückgewiesen.

Bei schuldloser Erkrankung hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung von sechs Wochen, § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG. Wird der Arbeitnehmer danach neuerlich infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig, verliert er gem. § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG wegen der erneuten Arbeitsunfähigkeit seinen Entgeltfortzahlungsanspruch für einen weiteren Zeitraum von sechs Wochen dann nicht, wenn er vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig war oder bei Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist. Dies darlegend führte das BAG aus, dass ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch von sechs Wochen vor Ablauf der benannten Fristen nur entstünde, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf einer anderen Krankheit beruhen würde.

Da der Arbeitgeber zwar mittels der AU-Bescheinigungen über eine Erkrankung des Arbeitnehmers informiert ist, aber durch diese idR. die Art der Erkrankung nicht erfährt und daher nicht prüfen kann, ob innerhalb der maßgeblichen Fristen eine gleiche Krankheit vorliegt, musste sich das BAG mit der Darlegungslast der Parteien auseinandersetzen.  Es verwies darauf, dass bei einer die Arbeitsunfähigkeit bedingenden Erkrankung innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 S.2 Nr. 1 und Nr. 2 EFZG eine abgestufte Darlegungslast gelten würde (BAG, Urteil vom 13.07.2005 - 5 AZR 389/04 -). Danach sei der Arbeitnehmer verpflichtet darzulegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegen würde, soweit sich dazu keine Angaben aus der AU-Bescheinigung entnehmen ließen. Hierzu könne er eine ärztliche Bescheinigung vorlegen. Bestreite der Arbeitgeber, dass eine neue Erkrankung vorliegt, habe der Arbeitnehmer Tatsachen vorzutragen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung bestanden (BAG, Urteil vom 31.03.2021 - 5 AZR 197/20 -). Damit müsse er im Hinblick auf den maßgeblichen Zeitraum schildern, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Beschwerden mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden und die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbinden; erst auf dieser Grundlage sei es dem 8beklagten) Arbeitgeber möglich, substantiiert vorzutragen. Auf ein Bestreiten durch den Arbeitgeber würde die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung nicht mehr ausreichend. Zudem könne sich eine AU-Bescheinigung, die von einem anderen Arzt als Erstbescheinigung ausgestellt würde, könne sich ohnehin nicht zum (Nicht-) Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung verhalten. Die Folgen der Nichterweislichkeit einer Fortsetzungserkrankung habe allerdings der Arbeitgeber zu tragen (BAG, Urteil vom 21.03.2021 - 5 AZR 197/20 -).

Im Weiteren führte das BAG aus, dass die Zuweisung der abgestuften Darlegungslast keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegne und auch mit dem Unionsrecht im Einklang stehen würde. Dabei ging es auch auf den vom Kläger geltend gemachten Datenschutz ein, bei dem es sich um unionsrechtlich nicht vollständig determiniertes innerstaatliches Recht handeln würde. Die DS_GBO enthalte zahlreiche Öffnungsklauseln (z.B. Art. 88 DS-GVO), mit denen sie ausdrücklich die Normsetzungskompetenz auf die Mitgliedsstaaten übertrage, wodurch die sich von einer klassischen Verordnung unterscheide und in die Nähe einer Richtlinie rücken ließe. Für solche Regelungen verbliebe es bei der Kontrolle primär am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes. Aus der Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des Prozessrechts, insbesondere von § 138 Abs. 3 ZPO (nicht bestrittene Tatsachen gelten als zugestanden), könnten sich abweichende Anforderungen an die Darlegungslast wegen einer Verletzung des gem. Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts einer Partei ergeben (BAG, Urteil vom 27.07.2017 - 2 AZR 681/16 -). Im Hinblick auf die Bindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte und der Verpflichtung zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung (BVerfG, Urteil vom 13.02.2007 - 1 BvR 421/05 -) müssten die Gerichte prüfen, ob einer Partei einer Partei eine Darlegung abverlangt werden könne, die in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Form der informellen Selbstbestimmung eingreift. Im Hinblick auf die abgestufte Darlegungs- und Beweislast (wobei den Arbeitnehmer die primäre Darlegungslast, den Arbeitgeber sodann die Beweislast trifft) sei, wie das BAG im Einzelnen begründet, die Offenlegung der Gesundheitsdaten und der damit verbundene Eingriff in sein Recht auf informelle Selbstbestimmung verhältnismäßig und gerechtfertigt. Er diene dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten legitimen Zweck, eine materiell richtige Entscheidung anzustreben (BVerfG, Urteil vom 13.02.2007 - 1 BvR 421/05 -) und sei auch erforderlich. Die Erforderlichkeit ergebe sich daraus, dass Alternativen nicht gleich effektiv seien. So sei eine Auskunft der Krankenkassen über deren Einschätzung keine dem Justizgewährungsanspruch genügende Kontrolle. Zwar könne der Arbeitgeber eine Nachfrage halten, damit er ggf. schnell das Bestehen eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlungsanspruch feststellen könne, doch anders als es § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG für die AU-Bescheinigung vorsehen, entziehe das Gesetz dem Arbeitgeber auf eine Mitteilung nach § 69 Abs. 4 Halbs. 1 SGB X nicht ein Leistungsverweigerungsrecht, wobei die Krankenkassen wegen ihrer unmittelbar betroffenen finanziellen Interessen nicht als unparteiische Dritte angesehen werden könnten (die, entfalle der Entgeltfortzahlungsanspruch wegen einer Fortsetzungserkrankung, selbst zahlungspflichtig würden).

Auch eine eingeschränkte Offenlegung der Ursachen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeitszeiten zur Beurteilung einer Fortsetzungserkrankung stünde im Widerspruch mit rechtsstaatlichen Grundsätzen. Ebenso wenig käme in Betracht, nur dem Gericht gegenüber Vortrag zu halten bzw.  die Krankheiten nur einem Sachverständigen darzulegen scheide als ein dem Rechtsstaatsprinzip widerlaufendes „geheimes Verfahren“ aus, Art. 20 Abs. 3 GG; es verstoße zudem gegen das Verfahrensgrundrecht der Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 GG. Der Arbeitgeber müsse zudem Kenntnis von behaupteten Krankheitsursachen haben, um dazu Stellung nehmen zu können.

Vorliegend sei mit dem Landesarbeitsgericht davon auszugehen, dass in Ermangelung eines substantiierten Sachvortrags des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum von einer Fortsetzungserkrankung auszugehen sei keine weiteren Entgeltfortzahlungsansprüche begründet seien.

Es genüge, unabhängig von der vom Kläger getroffenen zeitlichen und inhaltlichen Vorauswahl, kein bloßer Verweis auf Diagnoseschlüssel nach der IC-10 Klassifikation. Eine Fortsetzungserkrankung lasse sich nicht nur bei einem identischen Krankheitsbild feststellen, sondern auch dann, wenn die Krankheitssymptome auf demselben Grundleiden beruhen würden (BAG, Urteil vom 26.10.2016 - 5 AZR 167/16 -). Auf „derselben Krankheit“ iSv. § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG könne die Arbeitsunfähigkeit auch bei ggf. immer wiederkehrenden (chronischen) Atemwegserkrankungen beruhen. Ohne einen konkreten Vortrag des Arbeitnehmers, welche gesundheitlichen Einschränkungen und Beschwerden bestanden, ließe sich nicht beurteilen, ob eine Fortsetzungserkrankung in Betracht käme. Die Angabe der Diagnoseschlüssel nach der IC-10 Klassifikation bzw. deren „Übersetzung“ in Krankheiten und Symptome genüge diesen Anforderungen nicht.

Auch müssten sich die Darlegungen des Arbeitnehmers zum Nichtvorliegen einer Fortsetzungserkrankung umfassend auf die Arbeitsunfähigkeitszeiten im maßgeblichen Zeitraum beziehen. Daran würde es hier aufgrund der Vorauswahl des Klägers ermangeln.

BAG, Urteil vom 18.01.2023 - 5 AZR 93/22 -

Dienstag, 5. September 2023

Fortbildungskosten und Rückzahlungsanspruch des Arbeitgebers

Gegenstand des Verfahrens vor dem BAG war eine Klausel in  einem Fortbildungsvertrag zwischen der Klägerin als Arbeitgeberin und der Beklagten als Arbeitnehmerin. Diese lautete:

„§ 5 Das in Anspruch genommene Förderungsbudget ist zurückzuzahlen, wenn

1. die Angestellte innerhalb von 24 Monaten nach bestandenen Berufsexamen das Unternehmen verlässt,

2. die Angestellte innerhalb von 24 Monaten nach nicht bestandenen Examen das Unternehmen verlässt,

3. die Angestellte das Examen wiederholt nicht ablegt.“

U.a. zu 3. erfolgte eine Erläuterung und „Klarstellung zum Fortbildungsvertrag“.

Die Beklagte trat die Prüfungen in 2018, 2019 und 2020 nicht an. Mit Schreiben vom 30.06.2020 kündigte sie das Arbeitsverhältnis, woraufhin die Klägerin Rückzahlung des an sie geleisteten Betrages nebst Zinsen begehrte. Das Arbeitsgericht gab der Klage statt; die dagegen von der Beklagten eingelegte Berufung wurde vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Auf die Revision wies das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Klage ab.

Grundlage der Entscheidung war, dass es sich bei dem verwandten Fortbildungsvertrag um vorformulierte Vertragsbedingungen für eine Vielzahl von Verträgen handelte, die als Allgemeine Geschäftsbedingungen iSv. § 305 Abs. 1 S. 1 BGB (anders als Individualvereinbarungen) der Inhaltskontrolle unterfallen und hier § 5 Nr. 3 des Fortbildungsvertrages nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam sei. Die Wirksamkeit der Abreden in dem vertrag sei anhand von § 305c Abs. 2, §§ 306, 307 bis 309 BGB zu beurteilen. § 5 Nr. 3 des Fortbildungsvertrages führe zu einer entgegen dem Gebot von Treu und Glauben unangemessenen Benachteiligung iSv. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB.

Unangemessenheit läge bei jeder Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses des Arbeitnehmers vor, die nicht durch billigenswerte Interessen des Arbeitsgebers gerechtfertigt sei oder durch gleichwertige Vorteile ausgeglichen würde. Zur Feststellung bedürfe es einer umfassenden Würdigung der beiderseitigen Positionen und es sei ein generellere, typisierender, vom Einzelfall losgelöster Maßstab anzulegen.

Eine Vereinbarung, nach der sich der Arbeitnehmer an den vom Arbeitgeber finanzierten Ausbildungskosten bei fehlender Beendigung zu beteiligen habe, sei grundsätzlich zulässig. Werde die Rückzahlungsverpflichtung an ein wiederholtes Nichtablegen der Prüfung gekoppelt, könne dies den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligen. Sie sei geeignet, auf den Arbeitnehmer einen Bleibedruck im bestehenden Arbeitsverhältnis auszuüben und damit die freie Arbeitsplatzwahl nach dem in Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG benannten Grundrecht einschränken, weshalb die Rückzahlungspflicht einem begründeten und billigenswerten Interesse des Arbeitgebers entsprechen müsse, dem den Nachteilen des Arbeitnehmers ein angemessener Ausgleich entgegenstehen müsse und insgesamt die Erstattungspflicht dem Arbeitnehmer zumutbar sein.

Unzulässig sei es, den Rückzahlungsanspruch schlechthin an das wiederholte Nichtablegen der Prüfung zu knüpfen. Ausgenommen werden müssten Gründe, bei denen das Nichtablegen der Prüfung nicht in der Verantwortungssphäre des Arbeitnehmers lägen. Dem Erfordernis entspräche § 5 Nr. 3 des Fortbildungsvertrages nicht. Zwar sei eine Härtefallregelung vorgesehen, der zufolge einige Fallkonstellationen der fehlenden Verantwortungssphäre des Arbeitnehmers benannt seien. Sie erfasse aber nur einige relevante Fälle und lasse insbesondere eine durch ein Fehlverhalten des Arbeitgebers (mit) veranlasste Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer unberücksichtigt, worin eine unangemessene Benachteiligung iSv. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB läge. Hier sei die Rückzahlungspflicht unabhängig von den Gründen, aus denen der Arbeitnehmer die Eigenkündigung ausspreche, statuiert, weshalb er auch dann zur Rückzahlung verpflichtet sei, auch wenn es aufgrund eines arbeitgeberseitigen Fehlverhaltens für ihn nicht mehr zumutbar sei, an dem Arbeitsverhältnis festzuhalten.

Die Härtefallregelung in § 5 Nr. 3 des Fortbildungsvertrages führe nicht zu Angemessenheit. Sie suspendiere lediglich die Pflicht zur Ablegung der Prüfung, hebe aber die Pflicht zur Rückzahlung nicht auf, wenn der Arbeitnehmer aus von ihm nicht zu vertretenen Gründen (z.B. dauerhafte Erkrankung) die Prüfung nicht ablege. Die Voraussetzung, wonach auch die Rückzahlungspflicht für bis dahin geleistete Förderungen verlange, dass aufgrund eines zu großen Zeitablaufs oder aufgrund Bestimmungen der entsprechenden Institutionen eine Wiederaufnahme und Beendigung des Examens nicht möglich sein sollte. Nicht ersichtlich sei, dass die Härtefallregelung eine durch Arbeitgeberverhalten veranlasste Eigenkündigung erfassen sollte, zumal die arbeitgeberseitige (mit) zu verantwortende Kündigung im Arbeitsleben keinen seltenen oder fernliegenden Tatbestand darstelle, dass sie nicht gesondert erwähnt werden müsse.  

Welche Gründe vorliegend die Beklagte veranlasst hätten, das Examen nicht abzulegen, sei für die Entscheidung zur Wirksamkeit der Klausel nicht erheblich. Missbilligt würde nach §§ 305 ff BGB bereits das Stellen inhaltlich unangemessener Formularklauseln (§ 305 Abs. 1 S. 1, § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB), nicht erst deren unangemessener Gebrauch. Der Rechtsfolge der Unwirksamkeit seien auch Klauseln unterworfen, die in zu beanstandender Weise ein Risiko regeln, welches sich im Entscheidungsfall nicht realisierte (BAG, Urteil vom 01.03.2022 - 9 AZR 260/21 -).

BAG, Urteil vom 25.04.2023 - 9 AZR 187/22 -

Montag, 14. September 2020

Kündigung wegen verspäteter Mitteilung der Arbeitsunfähigkeit


Der Kläger war langjährig Lagerist bei der Beklagten gewesen. Seit Juli 2016 war er durchgehend arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die Beklagte mahnte den Kläger mit Schreiben vom 11.01.2016 ab, da dieser vom 27.12. bis 30.12.2016 ohne Angabe von Gründen nicht zur Arbeit erschienenen sei, ferner mit Schreiben vom 10. und 15.03.2017, da er seine Anzeigepflicht im Krankheitsfall nicht entsprochen habe (die Folgearbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 22.02. bzw. 08.03 w017 hätten nicht rechtzeitig vorgelegen). Eine am 07.08.2017 (Montag) an der Pforte abgegebene Bescheinigung, nach der sich die Arbeitsunfähigkeit über den 04.08.2017 hinaus erstrecke, ging dem Vorgesetzten erst am 08.08.2017 zu. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 31.08.2017 zum 31.12.2017.

Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage. Diese war in den ersten zwei Instanzen erfolgreich. Im Rahmen der Revision hob das BAG die Entscheidung auf und verwies den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht (LAG) zurück.

Eine Kündigung könne nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitsnehmers sozial gerechtfertigt sein. Dabei käme auch eine schuldhafte Verletzung einer sich aus § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG ergebenden (Neben-) Pflicht zur unverzüglichen Anzeige der Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich in Betracht. Diese Mitteilungspflicht gelte nicht nur für den Fall der Ersterkrankung, sondern auch der Fortdauer der darauf begründeten Arbeitsunfähigkeit über die zunächst mitgeteilte Dauer hinaus. Unverzüglich bedeute nach der anzuwendenden Legaldefinition in § 121 Abs. 1 S. 1 BGB „ohne schuldhaftes zögern“. Die Mitteilung müsse gegenüber einem vom Arbeitgeber autorisierten Mitarbeiter erfolgen (mangels besonderer Regelung an den Vorgesetzten oder eine Personalabteilung); die Überlassung an andere Mitarbeiter würde sich als Einschaltung von Boten darstellen, für die der Arbeitnehmer das Risiko trage.

Dem Tatsachengericht kommt, so das BAG, bei der Prüfung und Interessensabwägung, ob eine Kündigung durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers begründet seien, ein Beurteilungsspielraum zu. Auch im Rahmen des eingeschränkten Prüfungsmaßstabs im Revisionsverfahren sah dies das BAG als fehlerhaft an, insoweit das LAG lediglich ein geringes Verschulden angenommen habe ohne Umstände festzustellen, die auf ein lediglich geringes Verschulden schließen ließen. Auszugehen sei von § 276 BGB (Vorsatz und Fahrlässigkeit), für die der Schuldner (und damit der Arbeitnehmer bei einer Pflichtverletzung) einzustehen habe. Das LAG habe allerdings lediglich darauf abgestellt, es habe eine Pflichtverletzung geringen Ausmaßes vorgelegen, womit es gerade nicht der Grad des Verschuldens, sondern lediglich das Gewicht der Pflichtverletzung angesprochen worden sei.

Nach § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG gehöre das Fehlen von betrieblichen Ablaufstörungen ebenso wie ein Vorhandensein zu einer notwendigen vollständigen Interessensabwägung bei einer auf Verletzung der Anzeigepflicht gestützten Kündigung. Fehlerhaft sei aber die Annahme des LAG, eine Pflichtverletzung bei unterlassener unverzüglicher Anzeige der Fortdauer der Erkrankung beeinträchtige die Dispositionsfreiheit des Arbeitgebers weniger gravierend als die nicht unverzügliche Erstanzeige. Der Arbeitgeber könne grundsätzlich darauf vertrauen, dass der Arbeitnehmer ohne anderslautende Mitteilung seine Arbeit nach Ablauf der mitgeteilten Erkrankungsdauer wieder aufnehme. Es bestünde auch nicht generell eine große Wahrscheinlichkeit, dass eine einmal eingetretene Arbeitsunfähigkeit über den mitgeteilten Zeitraum hinaus fortdauere. Es müssten Umstände belegt sein, die für den Arbeitgeber die Fortdauer hätten ersichtlich machen müssen. Auch bei längerem Ausfall des Arbeitnehmers müsse der Arbeitgeber nicht für einen längerfristigen Ersatz Sorge tragen.

Im weiteren Verlauf wird sich das LAG mit den Abmahnungen der beklagten beschäftigen müssen und klären müssen, ob die Anzeigen nach den Abmahnungen pünktlich erfolgten und sich damit der Kläger die Abmahnungen hat zur Warnung gereichen lassen.  

BAG, Urteil vom 07.05.2020 - 2 AZR 619/19 -

Mittwoch, 28. August 2019

Arbeitsrecht: Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages bei Verstoß gegen Gebot des fairen Verhandelns


Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der als Reinigungshilfe beschäftigten Beklagten mit einem Schreiben vom 22.06.2015 zum 22.06.2015. Mit einem weiteren Schreiben die Beklagten an die Klägerin, dessen Zugang streitig ist, teilte die Beklagte mit, das Arbeitsverhältnis sei bis zum 29.02.2016 verlängert. Die Klägerin war über den 22.06.2015 hinaus tätig. Am 15.02.2015 suchte der Lebenspartner der Beklagten (der tatsächlich die Geschäfte führte) die Klägerin in ihrer Wohnung auf und unterbreitete ihr einen Aufhebungsvertrag zum gleichen Tag, den die Beklagt unterschrieb. Mit Ausnahme von überzahlten Arbeitsstunden sollten mit dem Vertrag alle wechselseitigen Ansprüche abgegolten sein. 

Die Klägerin ließ in der Folge den Aufhebungsvertrag wegen Irrtums, arglistiger Täuschung und Drohung anfechten und widerrief hilfsweise ihre Zustimmung zum Vertragsabschluss. Da die Beklagte an der Aufhebung festhielt, klagte die Klägerin auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch Aufhebungsvertrag oder Befristungsbarde beendet worden sei und fortbestünde, wobei sie geltend machte, sie habe am 15.02.2016 erkrankt im Bett gelegen. Der Lebenspartner der Beklagten habe erklärt, ihre Faulheit nicht zu unterstützen, ihr den Vertrag hingehalten und sie habe diesen dann unter dem Einfluss von Schmerzmitteln „im Tran“ unterschrieben. Rst später habe sie festgestellt, was sie gemacht habe. Der Widerruf sei gem. §§ 355 Abs. 1 und Abs. 2 BGB fristgerecht erfolgt.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht hatten die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin wurde das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und der Rechtsstreit an dieses zurückverwiesen.

Richtig sei allerdings, so das LAG, das der Vertrag nicht nichtig oder anfechtbar sei und auch ein Widerruf nicht in Betracht käme. Eine Nichtigkeit sei vom LAG zutreffend negiert worden, da die Behauptung der Klägerin zu einem Zustand vorrübergehender Störung ihrer Geistestätigkeit nach § 105 Abs. 2 2. Alt. BGB nicht hinreichend substantiiert gewesen sei. Aus diesem Grund käme auch eine Anfechtung nach §§ 119ff BGB nicht in Betracht.

Da formularmäßige Abreden zu Art und Umfang von Hauptleistungen und der dafür zu zahlenden Vergütung nicht der Inhaltskontrolle gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unterlägen, § 307 Abs. 3 S. 1 BGB, käme auch eine Angemessenheitskontrolle nicht in Betracht.

Ein Widerrufsrecht gem. § 355 iVm. 312g Abs. 1, 312b BGB scheide auch aus, da deren Anwendungsbereich gem. § 312 Abs. 1 BGB nicht gegeben sei. Damit könne der Aufhebungsvertrag nicht deshalb widerrufen werden, da er in der Wohnung der Klägerin schlossen worden sei. Zwar handele es sich um einen Verbrauchervertrag; die Auslegung des § 312 Abs. 1 BGB, systematischer Zusammenhang und gesetzgeberischer Wille ergäben allerdings, dass hier die Norm für die arbeitsrechtliche Beendigungsvereinbarung nicht den Anwendungsbereich des 2. Kapitels und damit der §§ 312n, 312g BGB eröffnen würden.

Nicht geprüft habe aber das Landesarbeitsgericht, ob der streitgegenständliche Vertrag unter Verstoß gegen das sogen. Gebot des fairen Verhandeln zustande gekommen sei und von daher unwirksam sei. Für den Verstoß seien Anhaltspunkte erkennbar; da die Feststellungen nicht für eine Entscheidung durch das BAG ausreichen würden, müsste das Landesarbeitsgericht nach Zurückverweisung dazu neu verhandeln du entscheiden.

Der Gefahr der Überrumplung des Arbeitnehmers bei Vertragsverhandlungen (da z.B. diese zu ungewöhnlichen Zeiten oder an ungewöhnlichen Orten stattfinden) könne mit dem Gebot fairen Verhandeln begegnet werden. Bei diesem Gebot handele es sich im Zusammenhang mit Verhandlungen zu einem arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrag um eine durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen begründete Nebenpflicht iSv. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB iVm. § 241 Abs. 2 BGB, da es sich bei dem Aufhebungsvertrag um ein eigenständiges Rechtsgeschäfts handele. Die aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis stammenden Verpflichtungen zur wechselseitigen Rücksichtnahme gem. § 241 Abs. 2 BGB würden auf die Verhandlungen bezüglich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausstrahlen. Das Gebot fairen Verhandelns schütze daher durch §§ 105, 119ff BGB erfasste Willensmängel unterhalb der dort  vorgegebenen Schwelle im Hinblick auf die Entscheidungsfreiheit bei Vertragsverhandlungen. Bei Vertragsverhandlungen seien regelmäßig widerstreitende Interessen wahrzunehmen, die nicht geleugnet werden müssten, sondern lediglich im Interesse der Gegenseite angemessen berücksichtigt werden. Dabei käme dem Arbeitgeber u.U. auch eine Aufklärungs- und Hinweispflicht zu (BAGE 161, 245; BAG, Urteil vom 15.12.2016 – 6 AZR 578/15 -). Danach verstößt derjenige gegen die Verpflichtungen aus § 241 Abs. 2 BGB, der eine Verhandlungssituation herbeiführe oder ausnutze, die eine unfaire Behandlung des Vertragspartners darstelle. Es ginge dabei nicht um die Schaffung einer für den Vertragspartner möglichst angenehmen Verhandlungssituation. Es müssten aber psychische Drucksituationen vermieden werden, und es dürften auch nicht körperliche oder psychische gebrechen wie auch Sprachunkenntnis ausgenutzt werden.

Der Verstoß gegen das Gebot des fairen Verhandelns sei in der Regel die Unwirksamkeit des darauf beruhenden Vertrages. Einer neuen (vertraglichen) Vereinbarung bedürfe es nicht.

Die Beweislast für den Verstoß gegen ein faires Verhandeln trage derjenige, der sich darauf berufe.

BAG, Urteil vom 07.02.2019 - 6 AZR 75/18 -

Mittwoch, 10. April 2019

Rechtsweg Zivil- oder Arbeitsgericht: Kündigung des angestellten Geschäftsführers


Die Parteien stritten über eine von der Beklagten ihrer angestellten Geschäftsführerin (Klägerin) gegenüber ausgesprochene fristlose Kündigung, gegen die der Kläger Klage zum Arbeitsgericht erhob. Auf die Rüge der sachlichen Unzuständigkeit seitens der Beklagten stellte das Arbeitsgericht seine Zuständigkeit mit Beschluss fest, gegen die die Beklagte Beschwerde zum Landesarbeitsgericht einlegte. Dieses wies die Beschwerde als unbegründet zurück. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrte die Beklagte weiterhin die Verweisung des Rechtsstreits an das örtlich zuständige Landgericht. Das BAG folgte dem.

Das BAG verwies darauf, dass die Arbeitsgerichte nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a und b ArbGG ausschließlich für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses zuständig seien. Die Arbeitnehmereigenschaft bestimme sich nach § 5 ArbGG. Dabei sei von einem nationalen und nicht unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff auszugehen, da die Frage des Zugangs zu den Gerichten für Arbeitssachen und der Abgrenzung der Zuständigkeit nationaler Gerichte nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts falle, ohne dass deshalb dem Dienstverpflichteten ein unionsrechtlicher Schutz versagt würde.

Eine Wahlfeststellung scheide (anders als die Vorinstanzen angenommen hätten) vorliegend aus. Zwar sei dies möglich, wenn die klagende Partei entweder Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnliche Person sei, was aber für die Klägerin nicht zuträfe. Die Klägerin sei von ihrem Amt als Geschäftsführerin mit sofortiger Wirkung abberufen worden. Das verschließe den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten, § 5 Abs. 1 S. 1 und 2 ArbGG. Der Charakter des Anstellungsverhältnisses eines Organvertreters ändere sich nicht durch die Abberufung und würde daher auch nicht deshalb zum Arbeitsverhältnis (BAG, Beschluss vom 15.11.2013 - 10 AZB 28/13 -) und der Organvertreter nicht zur arbeitnehmerähnlichen Person.

Es sei auch nicht alleine auf die Behauptung der Klägerin abzustellen, da auch zu berücksichtigen sei, dass über den engen Wortlaut des Antrages hinaus die Klägerin nach der Klagebegründung (die bei der Auslegung des Klageantrages zu berücksichtigen sei) unabhängig von der rechtlichen Einordnung die fristlose Kündigung aus allen rechtlichen Gründen heraus angreifen wolle.

Dass die nicht am Kapital der Gesellschaft beteiligte Klägerin iSv. § 7 Abs. 1 SGB IV als abhängig beschäftigt gilt (BSG, Urteil vom 14.03.2018 - B 12 KR 13/17 R -) stünde einem freien Dienstverhältnis nicht entgegen, da der Begriff des Arbeitnehmers iSv. § 5 ArbGG nicht deckungsgleich sei mit dem des sozialversicherungsrechtlichem Dienstverhältnis.

Ebensowenig sei die Klägerin eine arbeitnehmerähnliche Person (§ 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG). Hier handele es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der vom Revisionsgericht nur eingeschränkt prüfbar sei. Hier habe das Landesarbeitsgericht eine soziale Schutzbedürftigkeit angenommen. Danach müsste das Maß der Abhängigkeit einen Grad angenommen haben, wie er im Allgemeinen nur bei Arbeitsversverhältnissen vorkomme. Das sei bei der sozialen Stellung der Klägerin nicht der Fall. Der Geschäftsführer einer GmbH nehme Arbeitgeberfunktionen wahr, weshalb er nicht arbeitnehmerähnliche, sondern eine arbeitgebergleiche Person sei. Durch die nach außen nicht beschränkte Vertretungsmacht unterscheide er sich von anderen leitenden oder nicht leitenden Arbeitnehmern einer GmbH.

Dies spiegele sich hier auch im Dienstvertrag, wonach die Klägerin uneingeschränkt Vertreterin der Arbeitgeberin und damit Gegenspielerin der Arbeitnehmerschaft sei.

Nach alledem handele es sich um eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit, für die der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet sei, § 13 GVG.

BAG, Beschluss vom 21.01.2019 - 9 AZB 23/18 -

Mittwoch, 12. Dezember 2018

Zuständigkeitswahl und Verweisung: Arbeitsgericht oder ordentliches Gericht (Amts-/Landgericht) bei Klage gegen Arbeitnehmer und Dritten als Gesamtschuldner ?


Bei Klageerhebung ist stets die örtliche und sachliche Zuständigkeit eines Gerichts zu prüfen. Arbeitssachen, d.h. Verfahren aus dem Arbeitsrecht, gehören grundsätzlich vor das Arbeitsgericht. Teilweise kann aber der Kläger auch die Wahl treffen, ob er die Klage vor dem Arbeits- oder ordentlichem Gericht (Amts-/Landgericht) erhebt. So kann der Kläger bei einem möglichen Anspruch auf Schadensersatz gegen seinen (ehemaligen) Arbeitnehmer und einem Dritten (bei behaupteter gesamtschuldnerischer Haft)  zwar den Arbeitnehmer nur vor de, Arbeitsgericht verklagen, den Dritten aber sowohl gesondert vor dem Zivilgericht als auch dem Arbeitsgericht. Dies hat das BAG in einem Beschluss bekräftigt, mit dem das zuständige Gericht nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu bestimmen war, festgehalten:

Die beklagte GmbH stellte der klagenden GmbH insgesamt drei Rechnungen, die von dem ehemaligen Arbeitnehmer H. der Klägerin für diese zur Zahlung freigegeben wurden. Die Klägerin machte geltend, dass diesen Rechnungen keine Leistungen der Beklagten zugrunde lagen und forderte von der Beklagten als auch ihrem ehemaligen Arbeitnehmer H. als Gesamtschuldner die Rückzahlung. Während die Klägerin gegen ihren ehemaligen Arbeitnehmer Klage zum zuständigen Arbeitsgericht erhob, erwirkte sie gegen die Beklagte einen Mahnbescheid; nach Widerspruch wurde das Verfahren an das im Mahnbescheid benannte LG Ingolstadt abgegeben. Auf Antrag der Klägerin und im Einverständnis mit der Beklagten hat das Landgericht die zu den ordentlichen Gerichten erhobene für unzulässig erklärt und „zur gemeinsamen Verhandlung mit dem Verfahren gegen Herrn H.“ an das Arbeitsgericht verwiesen mit Hinweis darauf, dieses sei nach § 2 Abs. 3 ArbGG zuständig. Das Arbeitsgericht hat die Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt und den Rechtstreit dem BAG zur Bestimmung des zuständigen Gerichts mit der Begründung vorgelegt, der Verweisungsbeschluss des Landgerichts sei offensichtlich unhaltbar und entfalte daher keine Bindungswirkung.

Das BAG folgte der Auffassung des Arbeitsgerichts nicht. Das entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu bestimmende Gericht sei das Arbeitsgericht; seine Zuständigkeit ergäbe sich aus dem bindenden Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts. Grundsätzlich sei ein (wie hier) rechtskräftiger Verweisungsbeschluss gem. §§ 17a Abs. 2 S. 3 GVG, 48 Abs. 1 ArbGG bindend; in enstprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO habe die Bestimmung des zuständigen Gerichts zu erfolgen, wenn dies zur Wahrung einer funktionierenden Rechtspflege und Rechtssicherheit erforderlich sei, was dann der Fall sei, wenn Zweifel über die Bindungswirkung aufkämen und keines der infrage kommenden Gerichte bereit sei, die Sache zu übernehmen oder die Annahme gerechtfertigt sei, dass trotz Anhängigkeit bei einem Gericht gem. § 17b Abs. 1 GVG die Sache nicht prozessordnungsgemäß betrieben würde.

Grundsätzlich entfalte auch ein rechtskräftiger Verweisungsbeschluss Bindungswirkung, wenn er nicht schlechterdings als im Rahmen des § 17a Abs. 2 Nr. 1 GVG nicht hätte ergehen dürfen (Verletzung rechtliches Gehör, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen oder jeder Grundlage entbehrt und von daher willkürlich sei). Danach sei aber der Beschluss des Landgerichts nicht offensichtlich unhaltbar. Auszugehen sei von den Umständen zum Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit; nachträgliche Veränderungen  würden nicht zum Verlust eines einmal gegebenen Rechtsweges führen. Entscheidend sei danach der Zeitpunkt des Eingangs der Akte bei dem Landgericht nach Abgabe durch das Mahngericht. Zu diesem Zeitpunkt sei der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gem. § 143 GVG eröffnet gewesen, da der Natur nach der gegen die Beklagte geltend gemachte Anspruch eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit beträfe, die nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Arbeitsgerichte nach § 2 ArbGG falle. Alleine die Möglichkeit einer sogen. Zusammenhangsklage nach § 2 Abs. 3 ArbGG berühre die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte nicht; sie begründet nur die fakultative Zuständigkeit, die erst durch entsprechende Klageerhebung entstünde. Es bliebe mithin der klagenden Partei überlassen, ob sie ihren Anspruch vor dem ordentlichen Gericht oder in Ansehung des als Gesamtschuldner mit in Anspruch genommenen Arbeitsnehmers, gegen den Klage vor dem Arbeitsgericht zu erheben war, verbinden und den Dritten (Beklagte) dort ebenfalls verklage. Von diesem Wahlrecht habe die Klägerin durch Angabe im Mahnbescheid (§ 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO) gegen die Beklagte Gebrauch gemacht, indem sie als streitiges Gericht das Landgericht benannt habe. Die einmal getroffene Wahl entfalte wie beim Wahlrecht nach § 35 ZPO Bindungswirkung und könne nicht widerrufen werden.

Zwar habe hier das Landgericht die eigene Zuständigkeit erkannt, da es in dem Beschluss von einer „auch“ gegebenen Zuständigkeit des Arbeitsgerichts spricht. Offenbar sei das Landgericht allerdings davon ausgegangen, es könne trotz der Zulässigkeit des Rechtswegs zum ordentlichen Gericht auf Antrag den Rechtsstreit an ein anderes Gericht eines anderen Rechtswegs verweisen. Dabei  habe es die Bindungswirkung des § 17a Abs. 2 S. 2 GVG verkannt. Allerdings sei dies nicht willkürlich gewesen, da das Landgericht die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts kraft Sachzusammenhangs gem. § 2 Abs. 3 ArbGG ausführlich geprüft habe und mit dem Verweisungsbeschluss letztlich lediglich einem einvernehmlichen Verlangen beider Parteien nachgekommen sei (es sei der aus eigenem Antrieb der Klägerin gestellte Antrag gewesen, zu dem die Beklagte erklärt habe, keine Einwände dagegen zu haben). Damit läge keine willkürliche Behandlung durch das Landgericht vor. Nicht das Gericht, an welches verwiesen würde, solle vor willkürlichen oder sonst jeder gesetzlichen Grundlage entbehrenden Entscheidung geschützt werden, mit der ihr Streitfall dem zuständigen Gericht und damit gesetzlichen Richter entzogen würde (BGH, Beschluss vom 29.04.2014 - X AZR 172/14 -).

Anmerkung: Will der Kläger einen (ehemaligen) Arbeitnehmer und einen Dritten im gleichen Sachzusammenhang verklagen, kann er sich entscheiden, ob er beide vor dem Arbeitsgericht verklagt (die Klage gegen den Arbeitnehmer wäre zwingend vor dem Arbeitsgericht zu führen) oder vor getrennten Gerichten in unterschiedlichen Rechtswegen. Für die gemeinsame Klage gem. § 2 Abs. 3 ArbGG könnte sprechen, zu verhindern, dass die jeweiligen Beklagten bei unterschiedlichen Rechtswegen jeweils dem Anderen als Zeuge zur Verfügung stünden. Gegen eine Verbindung vor dem Arbeitsgericht könnte aber auch die unterschiedliche prozessuale Situation im Übrigen sprechen, insbesondere die unterschiedliche Bewertung einer Arbeitnehmerhaftung gegenüber einer Haftung eines Dritten, die beim Arbeitsgericht leicht aus den Augen verloren werden könnte.

BAG, Beschluss vom 05.09.2018 - 9 AS 3/18 -

Dienstag, 13. November 2018

Keine Berücksichtigung von Elternurlaub bei dem bezahlten Jahresurlaub


Der EuGH musste sich aufgrund einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts mit der Frage auseinandersetzen, ob Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG dahingehend auszulegen ist, dass diese einer nationalen Bestimmung entgegensteht, derzufolge bei der Berechnung des einem Arbeitnehmer  zustehenden bezahlten Jahresurlaubs im Bezugszeitraum die Dauer des vom Arbeitnehmer in diesem Zeitraum genommenen Elternurlaubs nicht als Zeitraum tatsächlicher Arbeitsleistung angesehenen wird.  

Der EuGH verweist darauf, dass der bezahlte Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach ständiger Rechtsprechung ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts in der Union sei. Zwar dürften die Mitgliedsstaaten nicht bereits die Entstehung des Anspruchs auf einen bezahlten Jahresurlaub von irgendeiner Voraussetzung abhängig machen; vorliegend beträfe aber die Frage, ob bei der Berechnung der Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaubein Zeitraum des Elternurlaubs einem Zeitraum tatsächlicher Arbeitsleistung gleichzustellen sei.

Der EuGH weist auf den Zweck des bezahlten Jahresurlaubs zur Erholung und Zeit zur Entspannung und Freizeit hin. Er beruhe auf der Prämisse, dass der Arbeitnehmer gearbeitet habe, weshalb die Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub grundsätzlich anhand der auf der Grundlage des Arbeitsvertrages tatsächlich geleisteten Arbeitszeiträume zu berechnen sei.

Die Mitgliedsstaaten seien aber gehindert den bezahlten Jahresurlaub von der Voraussetzung der tatsächlich geleisteten Arbeit abhängig zu machen und damit z.B. einem Arbeitnehmer den bezahlten Jahresurlaub wegen einer ordnungsgemäß belegten Erkrankung zu versagen. Der erkrankte Arbeitnehmer sei dem tätigen Arbeitnehmer gleich zu stellen. Gleiches gelte auch für Arbeitnehmerinnen in Bezug auf den Mutterschaftsurlaub, da dieser dem Schutz der körperlichen Verfassung der Frau während und nach der Schwangerschaft und zum anderen dem Schutz der besonderen Beziehung der Mutter und ihrem Kind während der Zeit, die an die Schwangerschaft und Entbindung anschließe, diene (EuGH, Urteil vom 18.03.2004 - C-342/01 -).

Anders sei dies allerdings bei dem Elternurlaub. Der sich im Elternurlaub befindliche Arbeitnehmer leide nicht unter durch eine Erkrankung hervorgerufenen psychischen oder physischen Beschwerden und befände sich in einer anderen Lage als jener, der wegen seines Gesundheitszustandes arbeitsunfähig sei. Auch unterscheide sich der im Elternurlaub befindliche Arbeitnehmer von jenen Arbeitnehmerinnen, die ihr Recht auf Mutterschaftsurlaub in Anspruch nehmen würden, die die dafür benannten Umstände nicht vorliegen würden. Zwar bleibe der Arbeitnehmer im Elternurlaub Arbeitnehmer im Sinne des Unionsrechts, auch wenn Rechte und Pflichten suspendiert würden.

Damit könne die Zeit des Elternurlaubs nicht mit einem Zeitraum tatsächlicher Arbeitsleistung gleichgestellt werden. Damit sei die Zeit des Elternurlaubs bei der Berechnung der Gewährung von bezahlten Jahresurlaub nicht zu berücksichtigen.

EuGH, Urteil vom 04.10.2018 - C-12/17 -

Montag, 12. November 2018

Abfindungszahlung bei Aufhebungsvertrag und ermäßigter Steuersatz


Der Eheleute wenden sich gegen einen Einkommensteuerbescheid des Finanzamtes (FA) für 2013. In diesem Jahr hatte der klagende Ehemann zum Zeitpunkt seines Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis eine Abfindung in Höhe von € 36.250,00 erhalten. Im Vertrag über die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses war u.a. geregelt,  dass mit dem Ausscheiden am 31.03.2013 alle gegenseitigen Ansprüche erlöschen und der Kläger keine rechtlichen Schritte in Bezug auf Höhergruppierungs- und Gleichbehandlungsbegehren unternehmen werde. Im Rahmen der gemeinsamen Steuererklärung der klagenden Eheleute beantragte der Kläger den Abfindungsbetrag dem ermäßigten Steuersatz des § 34 Abs. 1, Abs 2 EStG zu unterwerfen. Dem folgte das beklagte FA nicht. Der Einspruch der Kläger wurde zurückgewiesen. Das Finanzgericht (FG) unterwarf die Abfindung antragsgemäß dem ermäßigten Steuersatz nach §§ 34 Abs. 2 Nr. 2 iVm 24 Nr. 1a EStG. Die gegen das Urteil eingelegte Revision wurde betreffend dem Kläger zurückgewiesen und führte hinsichtlich der Klägerin (kostenmäßig) zu einer Abänderung zu deren Lasten.

Der BFH folgt der Annahme des FG, dass die Abfindung eine außerordentliche Einkunft des Klägers nach § 24 Abs. 1a EStG darstelle, die nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG ermäßigt zu besteuern sie. Entscheidend sei, dass es sich um eine Leistung handele, die als Ersatz für entgangenen oder entgehende Einnahmen gewährt würde und mithin unmittelbar durch den Verlust von steuerbaren Einnahmen bedingt sei und dazu bestimmt sei, diesen Schaden auszugleichen. Ferner sei Voraussetzung, dass dieser Ausfall von dritter Seite veranlasst sei oder aber der Steuerpflichtige unter rechtlichem, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druck steht und deshalb zustimmt; der Steuerpflichtige dürfe jedenfalls das Ereignis selbst nicht aus eigenen Antrieb herbeiführen. Diese Entschädigung gehöre dann zu den tarifbegünstigten Einkünften, wenn eine Zusammenballung von Einkünften bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses dazu führe, dass der Steuerpflichtige im Veranlagungszeitraum mehr erhalte als bei ungestörter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses.

Die Voraussetzungen seien vorliegend gegeben. So sollte nach nicht zu beanstandender Würdigung durch das FG der Kläger einen Ausgleichsanspruch für den durch den Verdienstausfall entstehenden Schaden erhalten, und dafür mit dem Vertrag eine neue Rechtsgrundlage geschaffen werden. Im Übrigen habe der Kläger bei Abschluss des Vertrages auch unter Druck gestanden, wobei der BFH offen lässt, ob er an seiner bisherigen Rechtsprechung zur Drucksituation festhalten werde. Wenn, wie hier, der Arbeitgeber an den Arbeitnehmer im Zuge einer (einvernehmlichen) Auflösung des Arbeitsverhältnisses  eine Abfindung zahle, sei regelmäßig davon auszugehen,  dass der Arbeitnehmer die Auflösung nicht alleine aus eigenem Antrieb herbeigeführt habe, da dann der Arbeitgeber keinen Anlass habe, eine Abfindung zu zahlen.

Die Revision des FA hatte betreffend der Klägerin Erfolg. Der Einspruch wurde nur von dem klagenden Ehemann eingelegt, der nicht deutlich gemacht habe, dass er auch für seine Ehefrau den Einspruch erhebe.

BFH, Urteil vom 13.03.2018 - IX R 16/17 -

Dienstag, 14. November 2017

Annahmeverzug des Arbeitgebers setzt grundsätzlich tatsächliches Angebot des Arbeitnehmers sowie Leistungsfähigkeit voraus

Streitgegenständlich in dem Verfahren vor dem BAG war, ob der Arbeitgeber  (Beklagter) in Annahmeverzug mit der von der Arbeitnehmerin (Klägerin) angebotenen Arbeitsleistung war. Die Klägerin machte mit ihrer Klage Vergütungsansprüche geltend. Das BAG musste sich mit der Frage auseinandersetzen, wenn ein Verzug des Arbeitgebers vorliegt, der (trotz Nichterbringung der Arbeitsleistung auch bei einem Angebots zur Erbringung) vorliegt. Hintergrund war, dass die Klägerin erkrankt war und für längere Zeit arbeitsunfähig war. Am 06.02.2013 teilte die Klägerin dem Beklagten schriftlich mit, sie könne ihre Tätigkeit in der Grundpflege nicht mehr ausüben, andere leichtere Tätigkeiten, wie Behandlungspflege oder Bürotätigkeiten seien ihr aber möglich. In einem Protokoll über ein Gespräch vom 03.06.2913 heißt es zur Vorstellung der Klägerin für weitere Tätigkeiten: „reine Behandlungspflege, nichts heben“. Am 31.01.2014 erschien die Klägerin weisungsgemäß im Altenpflegeheim des Beklagten und bot ihre Arbeitsleistung an; nach Klärung ihrer Einsatzmöglichkeiten wurde sie wieder nach Hause geschickt. Nach Kündigung durch den beklagten wurde in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren am 11.96.2014 ein Vergleich geschlossen, demzufolge die Klägerin zu geänderten Bedingungen ab dem 01.06.2014 als Verwaltungskraft weiter tätig wurde. Mit ihrer Klage verlangte die Klägerin Vergütung wegen Annahmeverzugs des Beklagten für den Zeitraum Februar bis Mai 2014.

Zunächst stellt das BAG fest, der Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs würde nicht an dem Erfordernis eines Angebotes der geschuldeten Arbeitsleistung durch die Klägerin scheitern. Tatsächlich habe die Klägerin bei ihrem Erscheinen am 31.01.2014 ihre Arbeitsleistung für ihre bisherige Arbeit in der stationären Pflege angeboten. Zwar ließe sich nicht feststellen, dass sie ihre Leistung als Pflegekraft in einem Team W., wie es an sich notwendig gewesen wäre,  angeboten habe. Allerdings sei sie der Weisung nachgekommen, sich bei der Leiterin des Altenpflegeheims zu melden. Deshalb sei sie so zu stellen, als habe sie die geschuldete Leistung ordnungsgemäß angeboten.

Gleichwohl sei der Beklagte dadurch nicht in Annahmeverzug geraten, da die Klägerin im Streitzeitraum außerstande war, die geschuldete Leistung zu bewirken, § 297 BGB. Die Leistungsfähigkeit sei eine vom Leistungsangebot und dessen Entbehrlichkeit (entbehrlich, wenn von vornherein dieses abgelehnt worden wäre) unabhängige Voraussetzung, die während des gesamten Annahmeverzugszeitraums bestehen müsse. Die Klägerin war nach eigner Angabe nicht in der Lage, eine Arbeit in der stationären Pflege zu erbringen, wie auch nicht in der Lage, alle in der ambulanten Pflege des Team W. anfallenden Arbeiten zu verrichten. Ginge es nicht um die Zuweisung eines anderen Arbeitsplatzes, sondern darum, die Arbeitsplätze der im Team W. Beschäftigten so zuzuschneiden, dass dadurch für sie dort eine Arbeitsplatz mit nach  ihrer Ansicht „nicht-schwerer Tätigkeit entstünde, wäre der beklagte nach § 241 Abs. 2 BGB nicht verpflichtet.

Anderes würde nur dann gelten, wenn im Team W. beschäftigte Arbeitnehmer keine inhaltlich klar definierten Arbeitsplätze zugewiesen worden wären, wäre es an dem Arbeitgeber, im Rahmen der Möglichen und Zumutbaren auf gesundheitliche Beeinträchtigungen der Beschäftigten Rücksicht zu nehmen. Entscheidend wäre, ob dies im konkreten Fall möglich gewesen wäre (was von den Vorinstanzen nicht geprüft wurde).  Auch habe sich (ohne dass dem bisher nachgegangen wurde) die Klägerin darauf berufen, dass am 01.02.2014 freie Arbeitsplätze  außerhalb der Pflege bzw. ohne Pflegetätigkeiten vorhanden gewesen seien, auf denen sie hätte eingesetzt werden können. Da diesen Aspekten das Landesarbeitsgericht noch nachgehen müsse, erfolgte eine Zurückverweisung an dieses.


BAG, Urteil vom 28.06.2017 - 5 AZR 263/16 -

Samstag, 6. Mai 2017

Weiterbeschäftigungsanspruch: Die Durchsetzung in der Zwangsvollstreckung richtet sich nach der konkreten Beschreibung in dem gerichtlichen Titel

Die Arbeitnehmerin hatte ihre Arbeitgeberin im Rahmen einer einstweiligen Verfügung auf Weiterbeschäftigung in Anspruch genommen. U.a. wurde die Arbeitgeberin im Verfügungsverfahren  verurteilt,  die Arbeitnehmerin als Leiterin der nicht invasiven und ambulanten Kardiologie in der Abteilung Innere Medizin wieder einzusetzen. Da nach Auffassung der Arbeitnehmerin die Arbeitgeberin dem nicht voll umfänglich nachgekommen sei, beantragte sie die Festsetzung eines Zwangsgeldes, hilfsweise Zwangshaft, zu vollstrecken  an dem Vorstandsmitglied der Arbeitgeberin.

Das Arbeitsgericht wies den Antrag zurück. Die dagegen von der Arbeitnehmerin eingelegte Beschwerde wurde vom Landesarbeitsgericht (LAG) zurückgewiesen.

Das LAG hält in seiner Begründung fest, dass die formalen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung gegeben wären, insbesondere der titulierte Anspruch hinreichend bestimmt sei. Allerdings habe die Arbeitgeberin diesen Anspruch auch erfüllt.

Von der Arbeitnehmerin wurde gerügt, sie sei nicht „offiziell“ in ihre Position wiedereingesetzt worden.  Nach Ansicht des LAG lässt sich aus dem Titel allerdings nicht ableiten, dass ein Anspruch auf eine „offiziellere“ Wiedereinsetzung als die Wiedereinsetzung selbst nicht bestünde. Auch soweit die Arbeitnehmerin ausführte, sie sei nur formal wiedereingesetzt worden, folgte dem das LAG nicht. Zwar würde die rein formale Wiedereinsetzung keine Erfüllung des Titels darstellen; formal sei die Wiedereinsetzung allerdings nur dann, wenn der Arbeitnehmer nicht an Arbeitsmittel käme oder der Zugang zu sonstigen Einrichtungen und Informationen versagt würde. Dies sei von der Arbeitnehmerin nicht behauptet worden.

Der Streit der Parteien ginge vielmehr um die Reichweite des Direktionsrechts der Arbeitgeberin. U.a. würde darum gestritten, ob sich der bis zum Erlass der Entscheidung eingesetzte Leiter der Ambulanz Dr. E. weiter in ihrer Nähe aufhalten dürfe, der ärztliche Direktor sie kritisieren dürfe, dieser Einfluss auf die Reihenfolge der durchzuführenden Untersuchungen nehmen dürfe, die Arbeitnehmerin an Budget-Gesprächen zu beteiligen sei, sie Patienten behandeln dürfe, ohne diese dem Ambulanzarzt vorzustellen, sie an allen Oberarztkonferenzen teilnehmen dürfe, sie sich nach Kritik an einem Assistenzarzt eine Zurechtweisung durch Dr. E. gefallen lassen müsse.

Das LAG wies darauf hin, dass diese im Vollstreckungsverfahren vorgebrachten Streitpunkte in diesem Verfahren nicht geklärt werden könnten. Zwar gebiete das Rechtsstaatsprinzip die effektive Durchsetzung materiell-rechtlicher Ansprüche auch im Rahmen der Zwangsvollstreckung, was auch bedeuten würde, dass eine gegebenenfalls schwierig zu klärende Frage geklärt werden müsse, ob gegen einen titulierten Anspruch verstoßen wurde. Vorliegend gäbe aber der titulierte „Beschäftigungsanspruch“ nichts dafür hier, ob die im Einzelnen von der Arbeitnehmerin gerügten und von ihr behaupteten Eingriffe vom Direktionsrecht des Arbeitgebers umfasst wären oder nicht. Ob dieser oder ein von ihm Beauftragter von seinem Weisungsrecht korrekt Gebrauch gemacht hat, müsse im Erkenntnisverfahren, nicht im Vollstreckungsverfahren geklärt werden.


LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.04.2017 – 1 Ta 2/17 -

Samstag, 19. November 2016

Arbeitsrecht: Abfindungsvereinbarung und Zahlung vor Fälligkeit

Es stellt sich nicht als Ausnahme dar, dass im arbeitsgerichtlichen Verfahren im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses die Parteien eine Vereinbarung über eine vom Arbeitgeber an den Arbeitnehmer zu zahlende Abfindung vereinbaren und damit den Rechtsstreit eischließlich das Arbeitsverhältnis beenden. Doch auch hier sind Fallstricke zu beachten.


In dem Ausgangsverfahren hatten die Parteien am 19.04.2011 einen Vergleich dahingehend geschlossen, dass das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2011 enden solle, bis zu diesem Zeitpunkt das Gehalt weiter gezahlt werden sollte, aber der Kläger als Arbeitnehmer das Recht haben sollte, vorzeitig das Arbeitsverhältnis zu kündigen. Weiter wurde eine Abfindung in Höhe von € 47.500,00 vereinbart, die „mit dem regulären Gehaltslauf des auf den Beendigungsmonats folgenden Kalendermonats ausbezahlt“ werden sollte. Der Kläger schied zum 31.12.2011 aus; die Beklagte zahlte die Abfindung zusammen mit dem Dezembergehalt aus, so dass es zur Gutschrift bei dem Kläger am 30.12.2011 kam.

Der Kläger begehrte nunmehr im Folgeverfahren von der Beklagten die Zahlung von € 4.655,72 zuzüglich Steuerberaterkosten mit der Begründung, die Zahlung im Dezember 20911 sei nach dem Vergleich verfrüht gewesen und habe durch die zu frühe Ausgleichung zu dem benannten Steuerschaden bei ihm geführt. Klage und Berufung blieben erfolglos. Das BAG wies auch die Revision zurück.

Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts, der das BAG folgt, haben die Parteien in dem Vergleich eine Fälligkeitsvereinbarung getroffen und keinen fixen Auszahlungstermin bestimmt. Damit aber greift die Auslegungsregel des § 271 Abs. 2 BGB, wonach zwar der Kläger die Zahlung der Abfindung nicht vor dem 31.12.2011 fordern konnte, die Beklagte sie aber gleichwohl vorher bewirken durfte. Für die Auslegung ist auf §§ 133, 157 BGB zurückzugreifen. Auszugehen ist zunächst vom Wortlaut, der hier nicht für die Auffassung des Klägers spricht, dass die beklagte erst mit Ablauf des 31.12. hätte zahlen dürfen. Weiterhin sind außerhalb der Vereinbarung liegende Umstände wie auch die Interessenslage zu berücksichtigen. Aus der Natur des Prozessvergleichs ergäbe sich nicht, dass der Kläger ein Interesse daran haben könnte, die Abfindung erst im Monat nach dem Vertragsende entgegen nehmen zu müssen. Auch wenn mit dem Vergleich ein gewisser Ausgleich geschaffen werden sollte, ergäbe sich daraus nur, dass zwischen der Abfindung und der Beendigung ein gewisser Zusammenhang bestand, nicht aber, dass eine vorzeitige Zahlung ausgeschlossen werden sollte. Auch gäbe es keine Verkehrssitte, wonach Abfindungen aus steuerlichen Gründen erst im Folgejahr gezahlt würden. Das BAG weist darauf hin, dass sich der steuerlich günstigste Zuflusszeitpunkt in der Regel auch nicht im Vorhinein bestimmen lasse, da dies von den individuellen Verhältnissen und Einkünften in den Jahren abhänge.

Anmerkung: Der Arbeitnehmer wird am ehesten prüfen und feststellen können, wann eventuell eine Zahlung der Abfindung für ihn am Günstigsten ist. Dies sollte er berücksichtigen und die entsprechenden Zahlungen im Rahmen des Vergleichs terminlich bindend unter Ausschluß einer Vorauszahlungsmöglichkeit fixieren.


BAG, Urteil vom 23.06.2016 – 8 AZR 757/14 -

Freitag, 11. September 2015

Arbeitsrecht: Aufhebungsvereinbarung und Klageverzicht

Bild: pixabay
Der Arbeitgeber, der einem Arbeitnehmer fristlos kündigen will, versucht häufig  - zur Vermeidung einer arbeitsgerichtlichen Klage -  einen Aufhebungsvertrag mit dem Arbeitnehmer zuschließen. In diesem wird dann ausdrücklich aufgenommen, dass der Arbeitnehmer auf eine Klage verzichtet. Doch Vorsicht. Handelt es sich bei dem Aufhebungsvertrag um ein Formular, d.h. um einen Vertrag, der von seinem Inhalt her für eine Vielzahl von Fällen bestimmt ist. Ein solcher Vertrag unterfällt dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach §§ 305ff BGB. Das BAG hat entschieden, dass der Klageverzicht dann nach § 307 Abs. 1 BGB (Inhaltskontrolle) unwirksam ist, wenn er den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt. Dies wäre bei dem Klageverzicht nur dann nicht der Fall, wenn die Drohung mit der außerordentlichen Kündigung nicht widerrechtlich war; durfte aber die außerordentliche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden, verbietet sich nach § 307 BGB die Aufnahme eines Klageverzichts. Dies wäre, klagt der Arbeitnehmer trotz des Vertrages unter Anfechtung desselben, vom Arbeitsgericht zu prüfen.



BAG, Urteil vom 12.03.2015 – 6 AZR 82/14 -

Freitag, 20. September 2013

Arbeitsrecht: Unwirksamer Freiwilligkeits-Vorbehalt der Zahlung von Weihnachtsgeld in Formulararbeitsvertrag


Das BAG hat in seinem Urteil vom 20.02.2013 – 10 AZR 177/12 – einen Freiwilligkeitsvorbehalt für die Zahlung von Weihnachtsgeld in einem Formulararbeitsvertrag als Verstoß gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und damit den Vorbehalt als unwirksam angesehen. Es könne nicht zum einen Weihnachtsgeld „gewährt“ werden, zum anderen aber ein Vorbehalt aufgenommen werden. Will der Arbeitgeber im Einzelfall entscheiden, ob er Weihnachtsgeld zahlen will, muss er dies mithin klar zum Ausdruck bringen.
BAG, Urteil vom 20.02.2014 - 10 AZR 177/12 -

Sonntag, 15. September 2013

Arbeitsrecht: Betriebsübergang und Weiterbeschäftigungsanspruch

Im Rahmen eines Betriebsübergangs kann der Arbeitnehmer entscheiden, ob er weiter bei dem bisherigen Betriebsinhaber verbleiben will oder wechseln will, § 613a BGB. War einem Arbeitnehmer vor dem Betriebsübergang betriebsbedingt gekündigt gewesen, läuft aber zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs die Kündigungsfrist noch, so kann er trotz der ausgesprochenen Kündigung nunmehr Weiterbeschäftigung durch den neuen Betriebsinhaber begehren und von diesem eine Wiedereinstellung verlangen (BAG 25. September 2008 - 8 AZR 607/07). 
Doch was ist ein Betriebsübergang ? In seiner Entscheidung vom 15.12.2011 – 8 AZR 197/11 – stellt das Bundesarbeitsgericht (BAG) klar, dass eine reine Funktionsnachfolge keinen Betriebsübergang darstellt. Nur bei betriebsmittelarmer Tätigkeit kann die Übernahme des Hauptgeschäfts einen Betriebsübergang darstellen.   
Konkret zu entscheiden hatte das BAG den Fall eines Bewachungsunternehmens, bei dem Wachlokal und Büroausstattung (PC, Drucker, Telefax) und zehn der Angestellten übergingen. Das BAG negierte einen Wiedereinstellungsantrag mangels Betriebsübergangs. Die bloße Fortführung der bisherigen Tätigkeit stelle ebenso wenig wie eine Funktionsnachfolge einen Betriebsübergang dar. Bei den Betriebsmitteln handele es sich nicht um wesentliche, die Identität prägende Betriebsmittel. Soweit Personal mit überging, handele  es sich (mit einer Ausnahme) nur um nach Art und Sachkunde leicht erlernbare Tätigkeiten, weshalb hier auch keine prägende Identität angenommen werden könne.
BAG, Urteil vom 15.12.2011 - 8 AZR 197/11 -
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