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Mittwoch, 21. September 2016

Wohnraumkündigung wegen verspäteter Zahlungen durch staatliche Stellen (Transferleistungen) ?

Die Beklagte zu 1. hatte von der Klägerin eine Wohnung für sich und ihre erwachsenen Töchter (die Beklagten zu 2. und 3.) gemietet. Der Mietzins sollte gemäß vertraglicher Vereinbarung jeweils zum dritten Werktag eines jeden Monats im Voraus an die Klägerin  gezahlt werden. Nach einem Zahlungsverzug von zwei Monatsmieten kündigte die Klägerin und erhob im März 2013 Räumungsklage. Innerhalb der Schonfrist wurde vom Bezirksamt der Mietrückstand ausgeglichen und die Räumungsklage in der Hauptsache für erledigt erklärt. In der Folge übernahm das Jobcenter die Mietzahlungen. Im August 2013 wurde ein Teilbetrag der Miete nicht gezahlt, neuerlich im Oktober 2013, wobei von diesem Rückstand im Oktober 2013 am 30.10.2013 wiederum ein Teilbetrag gezahlt wurde. Mit Schreiben vom 28.10.2014 mahnte die Klägerin die Beklagte zu 1. ab und verlangte künftighin die rechtzeitige Zahlung der vollständigen Miete. Im November 2013 zahlte die Beklagte zu 1. Einen Teilbetrag von € 613,19 nicht, woraufhin die Klägerin Ende November das gerichtliche Mahnverfahren einleitete. Danach erfolgte der Ausgleich der Miete für November. Im März 2014, am 10.3., war von der Märzmiete noch ein Betrag von € 276,81 offen, der erst am 11.03.2014 gezahlt wurde. Mit Schreiben vom 10.03.2014 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis in Ansehung des Zahlungsverhaltens der Beklagten zu 1. fristlos, vorsorglich hilfsweise fristgerecht zum nächst möglichen Kündigungstermin. Nachdem die Beklagte zu 1. Und ihre Töchter nicht auszogen, erhob die Klägerin Räumungsklage. Das Amtsgericht gab dieser statt; das Landgericht wies sie zurück. Auf die vom Landgericht zugelassene und von der Klägerin eingelegte Revision hob der BGH das landgerichtliche Urteil auf und verwies den Rechtsstreit zurück an das Landgericht.


Vom BGH wurde dem Landgericht in seiner Auffassung zugestimmt, dass das Jobcenter, welches hier jeweils die Zahlungen geleistet hatte, nicht Erfüllungsgehilfe der Beklagten zu 1. Sei und von daher ein mögliches Verschulden desselben im Zusammenhang mit verspäteten Zahlungen nicht der Beklagten zu 1. zugerechnet werden könne. Wie auch von Amts- und Landgericht richtig festgestellt, liegt ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung nach § 543 Abs. 1 BGB vor, wenn dem Vermieter unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ein Festhalten an dem Vertrag bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder einem sonstigen Beendigungszeitpunkt nicht zugemutet werden kann.

Der BGH weist darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung (auch des Senats) im Rahmen der Daseinsvorsorge von einer Behörde erbrachte Transferleistungen nicht dazu führen würden, dass diese Behörde Erfüllungsgehilfe des Mieters würde. Vielmehr werde die Behörde im Rahmen hoheitlicher Aufgaben zur Grundsicherung von Hilfsbedürftigen tätig. Nachlässigkeit oder Zahlungsunwilligkeit des Mieters würden für den Vermieter die Gefahr auch zukünftiger Zahlungsausfälle begründen und von daher eine Fortsetzung des Mietverhältnisses als für den Vermieter unzumutbar erscheinen lassen. Diese Situation sie mit dem Zahlungsverhalten der Behörde nicht ohne weiteres vergleichbar.

Allerdings habe das Landgericht verkannt, dass sich nach § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB ein wichtiger Grund für die fristlose Kündigung alleine schon durch die unpünktliche Zahlungsweise herleiten ließe, da darin eine objektive Pflichtverletzung liege und sich für den Vermieter daraus negative Folgen ergeben könnten (z.B. wenn er die pünktliche Zahlung für die Abzahlung von Krediten eingeplant habe oder seinen Lebensunterhalt aus den Mieteinnahmen finanziere). Auch kann in den zu unterschiedlichen Zeiten erfolgten Zahlungen ein unzumutbarer Verwaltungsaufwand liegen. Darüber hinaus könne es eine Rolle spielen, ob das Mietverhältnis bisher mit Ausnahme der unpünktlichen Zahlungen störungsfrei verlief, was hier in Ansehung der in 2013 erfolgten Zahlung innerhalb der Schonfrist nicht gegeben sei.

Weiterhin sei zu prüfen, ob in Ansehung der verspäteten Zahlungen durch die Behörde den Mieter auch ein eigenes Verschulden treffe. Dieses würde bei Vorliegen einer objektiven Pflichtverletzung wie hier vermutet (BGH, Urteil vom 13.04.2016 – VIII ZR 39/15 -, Rechtsgedanke des § 280 Abs. 1 BGB). Alleine dadurch, dass der Mieter auf Transferleistungen angewiesen sei, würde diese Vermutung noch nicht widerlegen. Es sei vielmehr Sache des Mieters darzulegen und zu beweisen, dass er alles dafür getan habe, dass die Zahlungen rechtzeitig erfolgen (also rechtzeitige Antragsstellung, Überlassung vollständiger Unterlagen an die Behörde und, bei etwaigen Zahlungssäumnissen der Behörde wie hier, bei dieser auf eine pünktliche Zahlung zu drängen, insbesondere dann, wenn wie hier eine qualifizierte Abmahnung erfolgte. Hierzu aber hatten Amts- und Landgericht keine Feststellungen getroffen.


Anmerkung: Die Entscheidung beruht auf einem Gedanken des „sozialen Mietrechts“, der zu Lasten des Vermieters geht. Grundsätzlich stellt sich der Umstand, dass jemand kein Geld hat, nicht als ein Umstand der, der einen Verzug ausschließt. Und Verzug setzt ein Verschulden voraus. Damit gilt der Grundsatz „Geld hat man zu haben“.  Vorliegend wird aber der Umstand der fehlenden eigenen Zahlungsfähigkeit des Mieters berücksichtigt und damit dem Vermieter letztlich das Risiko überbürdet, dass er die Miete nicht oder nicht rechtzeitig erhält, da die Behörde eventuell aus Gründen, auf die der Mieter keinen Einfluss hat, nicht oder nicht rechtzeitig leistet. Dies findet im Gesetz selbst keine Stütze. Rieble hat dies in einem vom BGH zitierten Aufsatz (NJW 2010, 816f) als Gefühlrecht jenseits der Dogmatik bezeichnet. Ob diese vom Gesetz losgelöste Überlegung mit einer Sozialbindung vereinbar ist, halte ich für eher zweifelhaft. Denn der Einzelne kann nicht für etwas aufkommen müssen, was nicht in seiner Sphäre liegt, zumal er selbst bei einem solchen Verhalten in wirtschaftliche Schwierigkeiten (z.B. nicht rechtzeitige Zahlung von Kreditraten mit der Folge der Kündigung des Darlehensvertrages und der daraus resultierenden sofortigen Fälligstellung des Darlehens) geraten kann, ohne dass dann ein Verschulden verneint würde oder auch über die Sozialbindung die Kündigung des Darlehensvertrages als unwirksam bewertet würde.  Damit muss an sich zwingend die Nichteinhaltung der Regelung zur rechtzeitigen Mietzahlung unabhängig davon, ob der Mieter Einfluss nehmen kann oder nicht, stets zu Lasten des Mieters gehen.
  
BGH, Urteil vom 29.06.2016 – VIII ZR 173/15 -