Freitag, 31. Oktober 2014

Anwaltsrecht: Nicht das Gericht, der Anwalt hat der Allwissende zu sein

"Jura novit curia" - das Gericht kennt das Gesetz. Dieser römisch-rechtliche Grundsatz, mit dem Generationen von Juristen groß geworden sind, hat seine Gültigkeit endgültig verloren. Früher hieß es, der Anwalt müsste nur sorgfältig die Fakten darlegen, die Rechtsanwendung obläge dem Gericht und er müsse sich darum nicht kümmern. Heute hat der Anwalt, will er eine Haftung vermeiden, darauf zu achten, dass das Gericht das Gesetz tatsächlich kennt.  

Schon der BGH hat festgestellt, dass der Anwalt seinem Mandanten haftet, wenn er auf fehlerhafte rechtliche Hinweise des Gerichts nicht oder nicht ausreichend reagiert und der Prozess für den Mandanten infolge der fehlerhaften rechtlichen Würdigung des Gerichts für den Mandanten negativ verläuft. Das OLG Hamburg hat in seiner Weisheit dem nun noch eines draufgesetzt: Es verlangt hellseherische Kräfte des Anwalts, der  - auch ohne rechtlichen Hinweis des Gerichts -  erkennen muss, dass dieses rechtsfehlerhaft entscheiden wird. Wenn diese Gefahr besteht, hat er umfassend rechtlich auszuführen, letztlich also das Gericht zu belehren. 

Im Ausgangsrechtsstreit ging es, soweit aus der Entscheidung des OLG Hamburg ersichtlich, um die Formunwirksamkeit eines Pachtvertrages. Nach den Entscheidungsgründen hätte der damalige Prozessbevollmächtigte einen Senat des OLG Naumburg darauf hinweisen müssen, "dass der Bereicherungsgläubiger von sich aus die Leistung Zug um Zug gegen die von ihm erlangte Bereicherung anbieten muss und die Saldotheorie anzuwenden sei". Es gehöre zu den Pflichten des Anwalts "vorhersehbaren Fehlern des Gerichts entgegenzuwirken". Da im Berufungsrechtszug die Frage der Formwirksamkeit erstmals thematisiert wurde, in der mündlichen Verhandlung die bereicherungsrechtliche Saldotheorie gar nicht angesprochen worden sei, hätte der Anwalt auf ihre Beachtung hinwirken müssen. 

Es ist (leider) eine Tatsache, dass in einer mündlichen Verhandlung nicht alle Facetten eines Rechtsstreits erörtert werden, sondern nur Grundzüge. So scheint es auch in dem Ausgangsverfahren vor dem OLG Naumburg gewesen zu sein, in dem der Senat des dortigen OLG wohl erstmals die Frage der Formunwirksamkeit erörterte (ohne die Parteien vorab auf diese Rechtsansicht hinzuweisen). Gerade im Berufungsrechtszug erscheint es mir geboten, dass das Gericht die Parteien bzw. Parteivertreter auf einen rechtlichen Umstand hinweist, der neu ist, von ihnen (wie auch von der Vorinstanz) noch nicht berücksichtigt wurde. Aber eine derartige Terminvorbereitung ist die ganz seltene Ausnahme. Immer wieder kommt es vor, dass in Berufungsverhandlungen rechtliche Gesichtspunkte vom Berufungsgericht einfließen, die bisher keiner bedacht hat und mit denen sich daher niemand auseinandergesetzt hat. Es ist nun für einen Prozessbevollmächtigten nicht möglich, während der Verhandlung eventuell zu diesem neuen Problemkreis Literatur nachzulesen o.ä. Unabhängig davon, dass an sich von einem Gericht, gar des höheren Rechtszuges erwartet werden darf, dass es sich mit den Rechtsfragen, die sich aus einer bestimmten (von ihm aufgeworfenen) Rechtsfolge ergeben, selbst ausgiebig auseinandersetzt und bewertet, insbesondere unter Berücksichtigung der dazu ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung, könnte hier dem beklagten ehemaligen Prozessbevollmächtigten allenfalls vorgehalten werden, dass er keinen Schriftsatznachlass auf den rechtlichen Hinweis beantragt hat. Hätte er dies getan, hätte er jedenfalls bei Nichtgewährung und (nach Ansicht des OLG Hamburg) rechtlich grob fehlerhafter Bewertung die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs erheben.

OLG Hamburg, Urteil vom 11.07.2014 - 8 U 74/13 - 


Aus den Gründen:

2. Entgegen der Auffassung der Berufung hat das LG auch die Anforderungen an die anwaltlichen
Sorgfaltspflichten nicht überspannt, indem es eine Verlet­zung anwaltlicher Pflichten des Beklagten darin gesehen hat, dass er im seinerzeit bei dem OlG Naumburg gängigen Rechtsstreit nicht darauf hinwies, dass der hiesige Kläger auf­grund der Saldotheorie nur Zug um Zug gegen Bewilligung der Löschung der Auflassungsvormerkung und Beibringung der Löschungsbewilligung für die bestellte Grundschuld zur Zahlung verpflichtet gewesen ist.

Zu Recht hat das LG festgestellt, dass der Beklagte als Prozessbevollmächtigter des hiesigen Klägers in dem seiner­zeit vor dem OLG Naumburg geführten Rechtsstreit aus Anwaltsvertrag dazu verpflichtet gewesen ist, nach erstmaliger Thematisierung der Formunwirksamkeit des Pachtvertrages darauf hinzuwirken. alle rechtlichen Gesichtspunkte geltend zu machen und Einwendungen zu erheben, die eine vollstän­dige oder teilweise Verurteilung des Klägers zu hindern ge­eignet gewesen sind. 

Zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die das Berufungsgericht Bezug nimmt, ist das LG dabei davon aus­gegangen, dass der Beklagte das OLG Naumburg seinerzeit darauf hätte hinweisen müssen, dass der Bereicherungsgläu­biger von sich aus die Leistung Zug um Zug gegen die von ihm erlangte Bereicherung anbieten muss und die Saldotheo­rie anzuwenden sei.


 Soweit die Berufung hiergegen geltend macht, es zähle nicht zu den Pflichten eines Prozessbevollmächtigten, jede fehlerhafte Rechtsanwendung vorauszuahnen, zumal in der mündlichen Verhandlung in Naumburg im Januar 2010 nur über die Rechtsgrundseite gesprochen worden sei, was eine Haftung vorliegend hindere, teilt das Berufungsgericht diese Sicht der Dinge wegen der tatsächlichen Umstände des vor­liegenden Einzelfalls nicht. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, von der abzuweichen das Berufungsgericht keinen Anlass sieht, zählt es zu den pflichten eines prozess­bevollmächtigten Rechtsanwalts vorhersehbaren Fehlern des Gerichts entgegenzuwirken. Hieraus folgt jedenfalls bei Auf­treten neuer rechtlicher Aspekte in der Berufungsinstanz die Pflicht des Rechtsanwalts, die Rechtslage zu prüfen und ge­genüber dem Gericht darauf hinzuwirken, dass die sich hie­raus ergebenden Rechtsfolgen umfassend berücksichtigt wer­den. Die Formunwirksamkeit war im zweiten Rechtszug erstmals thematisiert worden. Da in tatsächlicher Hinsicht die Rechtsfolgenseite und insbesondere die bereicherungs­rechtliche Saldotheorie in der mündlichen Verhandlung in Naumburg gar nicht angesprochen worden war, hätte der Beklagte auf deren Berücksichtigung hinwirken müssen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass - wie die Berufung mit Recht geltend macht - aus der bloßen Anberaumung eines Termins zur Verkündung einer Entscheidung nicht zwingend auf die Art der Entscheidung durch Urteil geschlossen wer­den kann. Vorliegend bestand aber für eine Entscheidung durch Urteil bereits deswegen einige Wahrscheinlichkeit, weil nicht ersichtlich ist, dass in Naumburg neben der Rechtsgrundseite Erörterungen stattgefunden haben, die auf fehlende Entscheidungsreife der Sache im Berufungsrechts­zug hingedeutet hätten.





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